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Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 12.11.2007
Aktenzeichen: 5 K 7371/05 B
Rechtsgebiete: UStG, RL 77/388/EWG vom 17.05.1977, FGO


Vorschriften:

UStG § 3 Abs. 1
UStG § 3 Abs. 9 S. 4
UStG § 12 Abs. 1
UStG § 12 Abs. 2 Nr. 1
UStG § 3 Abs. 9 S. 1
UStG § 3 Abs. 9 S. 4
UStG § 3 Abs. 9 S. 5
RL 77/388/EWG vom 17.05.1977 Art. 5 Abs. 1
RL 77/388/EWG vom 17.05.1977 Art. 6 Abs. 1
FGO § 45
FGO § 100 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

5 K 7371/05 B

Umsatzsteuer für das 1. Quartal 2005

In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg -5. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 12. November 2007

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,

die Richterin am Finanzgericht ...,

die Richterin am Finanzgericht ..., sowie

die ehrenamtlichen Richter ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 1. Quartal 2005 wird abweichend von dem Bescheid vom 20.09.2005 um 4 276,73 EUR gemindert auf ./. 43 435,96 EUR festgesetzt.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Wege der Sprungklage um die Frage, ob der Verkauf von Popcorn, Nachos (Tortilla-Chips) und Hot Dogs durch die Klägerin als sonstige Leistung nach § 3 Abs. 9 Umsatzsteuergesetz -UStG-dem Regelsteuersatz unterliegt.

Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH einen Kinokomplex in L. Im Eingangsbereich zu den Kinosälen werden an Verkaufstheken Nahrungsmittel wie Popcorn, Nachos, Süßigkeiten, Hot Dogs und Eis -von der Klägerin als Fingerfood bezeichnet verkauft.

Das Popcorn wird in einer eigens hierfür eingerichteten Popcorn-Küche aus Rohstoffen (Mais, Öl und Salz oder Zucker) auf Vorrat produziert und in Plastikbeuteln (sog. "Sleeves" mit ca. 2 kg Inhalt pro Beutel) verpackt und gelagert. Diese Sleeves werden je nach Bedarf in größere, offene Wärmebehälter in der Verkaufstheke des Kinokomplexes entleert. Aus diesen Behältern wird für die Kunden die gewünschte Menge Popcorn in dafür vorgesehene Papiertüten erwärmt abgefüllt. Die Klägerin verkauft außerdem Sleeves an die benachbarten Standorte der X-GmbH. Die Hot Dogs werden erwärmt und unter Zugabe eines Dressings, welches der Kunde aus einer Angebotspalette wählen kann, verkauft. Ebenso werden die Nachos erwärmt und mit einer Auswahl von zwei Saucen in einer zweigeteilten Plastikschale angeboten. Die übrigen Nahrungsmittel werden durch die Klägerin nicht bearbeitet.

Die Klägerin unterwarf die Umsätze aus den von ihr verkauften Speisen dem ermäßigten Steuersatz von 7 v.H.. Im Rahmen einer bei ihr durchgeführten Umsatzsteuer- Sonderprüfung gelangte die Prüferin mit Bericht vom 12.08.2005 jedoch zu der Auffassung, dass die Umsätze dem Regelsteuersatz unterlägen. Die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle sei nach § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG eine sonstige Leistung. Seit dem 01.01.2005 unterliege der Verkauf von verzehrfertigen Speisen in sog. Multiplexkinos dem Regelsteuersatz. Diese Beurteilung beruhe auf der Auffassung, dass die Bestuhlung im Filmvorführsaal aufgrund der besonderen Verhältnisse auch zum Verzehr von Speisen bereit gehalten werde, so dass diese als besondere Vorrichtung zur Abgabe von Spiesen zum Verzehr an Ort und Stelle im Sinne des § 3 Abs. 9 Satz 5 UStG anzusehen sei. Dabei könne es dahingestellt bleiben, ob nicht auch andere Ausstattungsgegenstände eines Kinos als derartige Vorrichtungen anzusehen seien. Auf Teilziffer 16 des Berichts über die Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 12.08.2005 wird wegen der weiteren Einzelheiten und der Berechnung der Umsatzsteuer Bezug genommen. Der Beklagte folgte den Feststellungen der Prüferin und setzte die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das I. Quartal 2005 -von der Erklärung abweichend -um 4 276,73 EUR erhöht fest.

Im Rahmen des Klageverfahrens macht die Klägerin geltend, dass die Umsätze aus dem Verkauf von Fingerfood als Lieferung zu qualifizieren seien und folglich dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Anlage 2 unterlägen. Die Verkaufstheken selbst seien nicht für den Verzehr des Fingerfood bestimmt und auch nur bedingt geeignet. Im übrigen Foyerbereich befänden sich keine Tische, Stühle, Sitzgelegenheiten oder ähnliche Einrichtungsgegenstände, die den Besuchern einen Verzehr des Fingerfoods ermöglichten. Die Kinobesucher würden die Nahrungsmittel vornehmlich in den Kinosaal mitnehmen und diese im Laufe der Vorstellung essen. In den Kinosälen befänden sich keine Vorrichtungen zum Abstellen der Esswaren. An der Bestuhlung im Saal seien allerdings Getränkehalter angebracht, in denen Getränkebecher abgestellt werden könnten. Der Verkauf von Erfrischungsgetränken werde auch dem Regelsteuersatz unterworfen.

Zur Begründung ihrer Auffassung bezieht die Klägerin sich insbesondere auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs -EuGH-vom02.05.1996 in der Rechtssache C-231/94 (Faaborg-Gelting Linien, Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Gerichtshofs EuGHE- I 1996, 2395, BStBl II 1998, 282). Danach sei der Restaurationsumsatz durch eine Reihe von Vorgängen gekennzeichnet, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Lebensmitteln bestehe, während die Dienstleistungen bei weitem überwiegen würden. Er sei daher als Dienstleistung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG -6. EG-Richtlinie-zu betrachten. Etwas anderes gelte hingegen, wenn sich der Umsatz auf Nahrungsmittel "zum Mitnehmen" beziehe und daneben keine Dienstleistungen erbracht würden, die den Verzehr an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalten sollten.

Um den Verzehr an Ort und Stelle "in einem geeigneten Rahmen ansprechend zu gestalten" müsste folglich beim typischen Restaurationsumsatz neben der Zubereitung von Speisen (Herstellung der Verzehrfähigkeit des Dargereichten) auch die Darreichung derselben durch den Unternehmer übernommen werden. Letzteres erfolge dabei in Zusammenhang mit einem Speisesaal, mit Mobiliar und Geschirr sowie dem Kellnerservice. Für die Qualifikation als Dienstleistung müssten nach dem EuGH die Dienstleistungselemente im Zusammenhang mit der Zubereitung und der Darreichung der Speisen den Lieferanteil "bei weitem" überwiegen, sodass Dienstleistungen allein im Zubereitungsbereich nicht ausreichten, um den Umsatz als sonstige Leistung einzustufen. Aus dem EuGH-Urteil sei vielmehr zu folgern, dass das Wesen einer Restaurationsdienstleistung entscheidend von dem Anteil der im Darreichungsbereich erbrachten Dienstleistungen bestimmt werde.

Der Verkauf von Fingerfood an den Verkaufstresen im Foyer des Kinokomplexes sei daher keine Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle im Sinne von § 3 Abs. 9 Satz 4 und 5 UStG. Der Verzehr sei nicht an einen bestimmten Standort im Darreichungsbereich gebunden. Auch könne die Bestuhlung im Filmvorführsaal nicht als "besondere Vorrichtung zur Abgabe von Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle" angesehen werden. Durch das Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH-vom09.05.1996 (V R 30/95, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV-1997, 70) werde bestätigt, dass die Kinobestuhlung -anders als neben den Sitzen installierte Abstellplätze oder vor den Sitzen angebrachte Abstellborde -an und für sich keine besondere Verzehrvorrichtung darstelle. Die Klägerin erbringe auch keine weiteren Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Fingerfood. Es würden weder Räumlichkeiten wie z.B. Garderobe noch Geschirr o.ä. bereit gehalten und dem Gast zur Verfügung gestellt. Auch würden die Besucher über den reinen Verkaufsvorgang hinaus nicht bedient.

Auch die Abgabe von Fingerfood, das teilweise zum Verzehr erwärmt werde, lasse keine Dienstleistung im Zubereitungsbereich erkennen, die eine Umqualifizierung der Speisen zu einer sonstigen Leistung rechtfertigen würde. Vielmehr handle es sich um Speisen "zum Mitnehmen". Sie, die Klägerin, biete Hot Dogs, Nachos und Popcorn an, die auf Vorrat produziert und an der Verkaufstheke -dauerhaft erwärmt -ohne weiteren Zubereitungsaufwand in transportgeeigneten Behältern an Kunden abgegeben würden. Sie nehme an keinem dieser Verzehrartikel Dekorationsmaßnahmen vor und sei nicht in der Lage, besondere Kundenwünsche hinsichtlich der Zubereitung zu berücksichtigen. Der Verkauf der Nahrungsmittel beruhe auch nicht darauf, dass besondere Dienstleistungen in der Zubereitung erbracht würden, sondern liege in der Monopolstellung als Anbieterin von Lebensmitteln im Kinokomplex begründet. Der Absatz werde weiter gefördert durch die zunehmend gesellschaftliche Komponente des Kinobesuchs, der verstärkt "Eventcharakter" entwickle und ein Angebot von Speisen und Getränken erfordere. Umsatzsteuerlich spreche diese Entwicklung aber eher für die Annahme einer einheitlichen Leistung (Kinobesuch und Verpflegung als einheitliche Leistung mit einem Steuersatz von 7 v.H.). Im übrigen könne die Tatsache, dass Hot Dogs, Nachos und Popcorn erwärmt an den Kunden abgegeben würden, nicht zur Annahme einer anderen Marktgängigkeit der Nahrungsmittel führen, die eine Restaurationsdienstleistung zur Folge habe.

Sie, die Klägerin, sei auch nicht mit einem Fast-Food-Restaurant vergleichbar, da diese im Unterschied zu einem Multiplexkino regelmäßig Räumlichkeiten bereithalten würden, die speziell auf den Verzehr der Speisen im Restaurant ausgerichtet seien. Es würden im Restaurant Dienstleistungen wie die Beratung bei der Auswahl und Zusammenstellung der Speisen, Serviettenspender, Tabletts und die kontinuierliche Reinigung des Verzehrbereichs und der Abholwagen für benutzte Tabletts erbracht, die den Restaurantbesuch für die Gäste komfortabler machten. Die Tatsache, dass sie Vorrichtungen wie Räumlichkeiten, Müllbeseitigung oder Toilettenanlagen unterhalte, könne nicht für den Dienstleistungscharakter angeführt werden, da diese Einrichtungen erforderlich seien, um Filmvorführungen nach den Erwartungen und Anforderungen der Kinobesucher abzuhalten.

Die Klägerin beantragt,

die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 1. Quartal 2005 abweichend von dem Bescheid vom 20.09.2005 um 4 276,73 EUR gemindert auf ./. 43 435,96 EUR festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist darauf, dem Wortlaut des EuGH-Urteils vom 02.05.1996 (Rs. C-231/94, Faaborg- Gelting Linien, EuGHE I 1996, 2395, BStBl II 1998, 282) sei entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung nicht zu entnehmen, dass es für die Annnahme eines Restaurationsumsatzes zwingend erforderlich sei, dass der leistende Unternehmer Leistungen im Zubereitungs-und Darreichungsbereich erbringe. Der EuGH zähle z.B. einige Darreichungsleistungen nur mit dem Zusatz "gegebenenfalls" auf, was deutlich mache, dass nicht immer alle genannten Dienstleistungen erbracht werden müssten, um von einem Restaurationsumsatz auszugehen. Für den EuGH führten Zubereitungs-und Darreichungsdienstleistungen gemeinsam zu einem weiten Überwiegen des Dienstleistungsanteils, ohne dass die einzelnen Anteile der jeweiligen Dienstleistung gewichtet worden wären. Eine Ausnahme vom Überwiegen des Dienstleistungsanteils mache der EuGH nur für die Umsätze auf Nahrungsmittel "zum Mitnehmen", wobei er offensichtlich bewusst begrifflich zwischen Speisen und Nahrungsmitteln unterscheide. Auch die Formulierung des EuGH von "Dienstleistungen, die den Verzehr an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalten sollen" schließe die Zubereitung der Speisen nicht aus, denn gerade die Zubereitung, welche im Kochen, Zusammenstellen der verschiedenen Komponenten, Portionieren und Dekorieren bestehen könne, stelle ein wesentliches Element der ansprechenden Gestaltung des Verzehrs dar.

Die Klägerin erbringe unstreitig zumindest teilweise (Hot Dogs, Nachos, Popcorn) auch Zubereitungsleistungen, die den Verzehr der erworbenen Nahrungsmittel ansprechend gestalteten, denn ohne diese Leistungen würde niemand diese Nahrungsmittel bei ihr erwerben und verzehren. Durch die von ihr erbrachten Zubereitungsleistungen seien Gegenstände anderer Marktgängigkeit geschaffen worden, die mit vom Lebensmittelhandel vertriebenen Nahrungsmitteln nicht vergleichbar seien.

Die Klägerin stelle den Empfängern der Verzehrleistungen, ebenso wie den Kinobesuchern Räumlichkeiten, Sitzgelegenheiten, Toilettenanlagen und Müllbehälter zur Verfügung, reinige anschließend die Räume und Bestuhlung und entferne den Müll. In welchem Umfang und für welchen Zweck diese Leistungen durch den einzelnen Kinobesucher und Verzehrer angenommen würden, spiele ebenso wenig eine Rolle wie die Frage der gedachten Vorrangigkeit durch den Leistenden. Neben dem Kinobesuch dienten die zur Verfügung gestellten Vorrichtungen und Leistungen auch dazu, den Verzehr am Ort der Abgabe der Speisen und Getränke (im Kinogebäude) zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern und den Verzehr an diesen Ort zu binden (vgl. BFH-Urteil vom 09.05.1996 V R 30/95, BFH/NV 1997, 70). Dass es sich bei den abgegebenen Speisen überwiegend um sog. Fingerfood-Artikel handle, für deren Verzehr weder Tische noch Besteck zwingend erforderlich seien und die der Erwerber theoretisch auch außerhalb des Kinos konsumieren können würde, spiele dabei keine Rolle, denn praktisch trete dieser Fall wohl kaum ein. Nach den Umständen der Abgabe seien auch die Fingerfood-Artikel dazu bestimmt, im Kino, d.h. in einem räumlichen Zusammenhang mit dem Ort der Abgabe, verzehrt zu werden.

Die Abgabe von Speisen typischerweise zum Verzehr im Kinosaal solle dem Besucher das Kinoerlebnis über den reinen Filmvortrag hinaus erweitern und stelle für die Kinobetreiber zunehmend eine zusätzliche Einnahmequelle neben den Erlösen aus dem Kartenverkauf dar. Während früher der Verzehr im Kinosaal wegen der damit verbundenen Geräuschbelästigungen und der möglicherweise auftretenden Verschmutzungen des Kinosaals und der Bestuhlung eher unerwünscht und oft verboten oder eingeschränkt gewesen sei, sei heute der Verzehr von Speisen und Getränken im Kino geradezu erwünscht. Allerdings werde der Verzehr der vom Kinobesucher von zu Hause mitgebrachten Speisen und Getränken durch den Kinobetreiber in der Regel zurückgewiesen. Damit stünden die Kinobetreiber in Konkurrenz zu Restaurants oder restaurationsähnlichen Betreiben, was auch an der Preisgestaltung der Verzehrartikel deutlich werde, welche eher mit den Preisen eines Gaststättenbetriebs als mit den Preisen des Lebensmittelhandels vergleichbar seien. Der Preisaufschlag lasse die Wertigkeit der vom Kinobetreiber erbrachten Dienstleistungen erkennen.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung je ein Band der vom Beklagten geführten Umsatzsteuerakten, USt-Voranmeldungen und Berichte über Umsatzsteuer- Sonderprüfungen zur Steuernummer ... vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Der Beklagte hat der Sprungklage innerhalb der Frist des § 45 Finanzgerichtsordnung -FGO-zugestimmt.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer- Vorauszahlung für das 1. Quartal 2005 vom 20.09.2005 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da der Beklagte die Umsätze aus dem Verkauf von Hot Dogs, Nachos und Popcorn zu Unrecht dem Regelsteuersatz unterworfen hat (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Nach § 12 Abs. 1 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung beträgt die Steuer für jeden steuerpflichtigen Umsatz 16 v.H. der Bemessungsgrundlage. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die Lieferung der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände, bei denen es sich insbesondere um Lebensmittel handelt. Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers u.a. Leistungen, durch die er den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind (§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG 2005). Dementsprechend gilt nach Art. 5 Abs. 1 der 6. EG- Richtlinie die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, als Lieferung eines Gegenstands. Als Dienstleistung gilt nach Art. 6 der 6. EG-Richtlinie jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstandes ist.

Zur Abgrenzung von Lieferungen und Dienstleistungen im Sinne der Art. 5 und 6 der 6. EG-Richtlinie hat der EuGH mit Urteil vom 02.05.1996 in der Rs. C-231/94 (Faaborg- Gelting Linien, EuGHE I 1996, 2395, BStBl II 1998, 282) im Einzelnen ausgeführt, es richte sich nach ihrem Wesen, ob bestimmte Umsätze Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen seien. Dieses sei im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln. Die Abgabe von Speisen und Getränken zum sofortigen Verzehr sei das Ergebnis einer Reihe von Dienstleistungen vom Zubereiten bis zum Darreichen der Speisen. Dabei werde dem Gast zugleich eine organisatorische Gesamtheit zur Verfügung gestellt, die sowohl einen Speisesaal mit Nebenräumen (Garderoben u.a.) als auch das Mobiliar und das Geschirr umfasse. Gegebenenfalls würden Kellner das Gedeck auflegen, den Gast beraten, die angebotenen Speisen oder Getränke erläutern, diese auftragen und schließlich nach dem Verzehr die Tische abräumen. Der EuGH hat hieraus gefolgert, dass der Restaurationsumsatz durch eine Reihe von Vorgängen gekennzeichnet werde, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln bestehe, während die Dienstleistungen bei weitem überwiegen würden. Er sei daher als Dienstleistung im Sinne von Art. 6 der 6. EG- Richtlinie zu betrachten. Etwas anders gelte hingegen, wenn sich der Umsatz auf Nahrungsmittel "zum Mitnehmen" beziehe und daneben keine Dienstleistungen erbracht würden, die den Verzehr an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen entsprechend gestalten sollten (EuGH-Urteil vom 02.05.1996 Rs. C-231/94, Faaborg-Gelting Linien, EuG- HE I 1996, 2395, Rdnrn. 12 bis 14, BStBl II 1998, 282).

Hieran anschließend hat der EuGH mit Urteil vom 10.03.2005 in der Rs. C-491/03 (Hermann, EuGHE I 2005, 2025, HFR 2005, 482) im Zusammenhang mit der Frage, ob die Frankfurter Getränkesteuersatzung verbrauchsteuerpflichtige Waren oder Dienstleistungen betreffe, auf das überwiegende Element des Umsatzes abgestellt und zur Begründung ausgeführt: Da die Vermarktung eines Gegenstandes immer mit einer minimalen Dienstleistung, wie dem Darbieten der Waren in Regalen, dem Ausstellen einer Rechnung usw. verbunden sei, könnten bei der Beurteilung des Dienstleistungsanteils an der Gesamtheit eines komplexen Geschäftes, zu dem auch die Lieferung eines Gegenstands gehöre, nur die Dienstleistungen berücksichtigt werden, die sich von denen unterschieden, die notwendig mit der Vermarktung eines Gegenstands verbunden seien. Der EuGH ist im Rahmen dieser Beurteilung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Abgabe alkoholhaltiger Getränke an Kunden im Rahmen einer Bewirtungstätigkeit mit einer Reihe von Dienstleistungen einhergehe, die sich von den Vorgängen unterschieden, die notwendig mit der Vermarktung solcher Waren verbunden seien, und daher durch ein Bündel von Elementen und Handlungen gekennzeichnet sei, von denen die Lieferung des Gegenstands selbst nur einen Bestandteil darstelle und bei denen die Dienstleistungen überwiegen würden. Er hat dabei maßgebend darauf abgestellt, dass es um die Zurverfügungstellung einer Infrastruktur, die einen möblierten Speisesaal mit Nebenräumen (Garderobe, Toiletten usw.) umfasse, um die Beratung und Information der Kunden hinsichtlich der servierten Getränke, um die Darbietung der Getränke in einem geeigneten Gefäß, um die Bedienung bei Tisch und schließlich um das Abdecken der Tische und die Reinigung nach dem Verzehr gehe.

Nach diesen Grundsätzen ist auch im Streitfall zu entscheiden, ob eine -dem ermäßigten Steuersatz unterliegende -Lieferung von Speisen oder eine -dem Regelsteuersatz unterliegende -Dienstleistung vorliegt, wobei es darauf ankommt, ob das Dienstleistungselement qualitativ überwiegt (vgl. BFH-Urteil vom 10.08.2006 V 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480 m.w.N.).

Ein derartiges qualitatives Überwiegen des Dienstleistungscharakters vermochte der Senat im Streitfall nicht festzustellen. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ist den von der Klägerin mit dem Verkauf von Hot Dogs, Nachos und Popcorn erbrachten Leistungen kein restaurationsartiger Charakter beizumessen, sodass sie nicht als sonstige Leistungen zu beurteilen sind.

Entgegen der Auffassung des Beklagten führt allein die Zubereitung des Fingerfoods durch die Klägerin (Herstellung des Popcorns, Erwärmen von Popcorn, Hot Dogs und Nachos sowie ggf. das Portionieren und die Zugabe von Saucen) als Dienstleistungselement noch nicht zur Annahme einer Dienstleistung. Die Zubereitung der Speisen ist im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung nicht zu berücksichtigen, da bei der Beurteilung des Dienstleistungsanteils an der Gesamtheit eines komplexen Geschäfts, zu dem auch die Abgabe einer fertig zubereiteten Speise gehört, nur solche Dienstleistungen berücksichtigt werden dürfen, die sich von denen unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung eines Gegenstands verbunden sind. Die notwendige Vorstufe der Vermarktung einer zubereiteten Speise ist ihre Zubereitung (BFH-Urteil vom 26.10.2006 V R 58/04 und V R 59/04, BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487). Der BFH hat in der zitierten Entscheidung, die zu den Umsätzen aus dem Betrieb eines Imbisswagens ergangen ist und welcher der Senat folgt, selbst den Umstand, dass die Speisen "zum Mitnehmen" in Papierservietten oder Einwegschälchen und mit Einweggabeln abgegeben sowie auf Wunsch Senf, Ketchup, Mayonnaise oder Apfelmus beigefügt worden waren, insoweit als unschädlich angesehen und darauf hingewiesen, dass dies auch für die Bereitstellung von Abfalleimern gelte, da die Rücknahme von Verkaufsverpackungen notwendig mit der Vermarktung von Lebensmitteln verbunden sei. Der Umstand, dass die Klägerin ihr Fingerfood daher auch in Papierservietten eingewickelt bzw. mit Einweggeschirr ausgegeben hat und Müllbehälter zum Entsorgen des Abfalls zur Verfügung gestanden haben, kann also noch nicht dazu führen, dass die Abgabe des Fingerfoods als sonstige Leistung zu anzusehen ist.

Diese Auffassung wird auch in der Literatur geteilt (siehe hierzu insbesondere Nieskens in Rau/Rürrwächter, UStG, § 3 Anm. 3901). Danach führt die Abgabe von essfertigen Waren in Kinos (wie auch in Theatern und Sportstätten) in aller Regel zu Lieferumsätzen. Nur für den Fall, dass noch besondere Dienstleistungen im Darreichungsbereich erbracht werden, könnten Restaurationsumsätze im Sinne des § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG angenommen werden. Als Indiz hierfür werden in der Regel neben der reinen Bestuhlung besondere Verzehrvorrichtungen wie Ablagetische, die Ausgabe von Geschirr, das Abräumen, Entsorgen und Reinigen angesehen. Danach führt folglich die Abgabe von Süßwaren, Speiseeis und Getränken in normalen Kinos, Theatern und Sportstätten zu Lieferumsätzen, die Abgabe von Speisen in sog. Verkehrkinos und Verzehrtheatern dagegen zu Restaurationsumsätzen. Die Auffassung der Finanzverwaltung, dass die Abgabe von Speisen und Getränken in sog. Multiplexkinos stets zu einem Restaurationsumsatz führen solle, wird hingegen abgelehnt (Nieskens, a.a.O.).

Maßgebend ist daher, ob das Bereithalten einer bestimmten organisatorischen Infrastruktur im Rahmen des Kinobetriebs (Vorhandensein von Kinosälen mit bequemer Bestuhlung, weitere Sitzgelegenheiten, Toilettenanlagen, regelmäßige Reinigung der Räume und der Bestuhlung sowie Entfernen des Mülls aus dem Kinosaal) auch der Abgabe des Fingerfoods in der Weise zugerechnet werden kann, dass diese damit einen restaurationsartigen Charakter erhält. Dies ist nach Auffassung des Senats bei der Klägerin nicht der Fall, da bezogen auf den Umsatz "Nahrungsmittel" keine Dienstleistungen erbracht werden, die auch "den Verzehr an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalten sollen" (EuGH-Urteil vom 02.05.1996, Rs. C-231/94, Faaborg-Gelting-Linien, EuGHE I 1996, 2395, Rdnr. 14, BStBl II 1998, 282). Zwar erfolgt die Abgabe des Fingerfoods typischerweise zum Verzehr innerhalb des Kinokomplexes und soll den Besuchern den Aufenthalt im Kino angenehm gestalten, doch stellt die Klägerin keine gesonderte Infrastruktur -beispielweise in Form von Mehrweggeschirr, Stehtischen im Foyer, besonderen Ablageflächen in den Kinosälen oder aber Bedienungspersonal -zur Verfügung, welche nach der Verkehranschauung der Abgabe von Fingerfood ein gaststättenähnliches Gepräge geben würde. Die Klägerin tut letztlich nichts anders als Nahrungsmittel "zum Mitnehmen" abzugeben. Diese werden von den Besuchern zwar überwiegend mit in die Kinosäle genommen und dort verzehrt. Allerdings ergibt sich dadurch noch keine typische "Bewirtungssituation", wie sie in Gaststätten oder auch Selbstbedienungsrestaurants üblich ist, weil sich die Dienstleistung der Klägerin im Zusammenhang mit dem hier streitigen Umsatz "Verkauf von Hot Dogs, Nachos und Popcorn" auf das Zubereiten der Speisen und die Müllentsorgung durch bereitgestellte Müllbehälter und Reinigung des Kinosaales beschränkt. Weitere Maßnahmen, die den Verzehr im Kino erleichtern könnten, erbringt die Klägerin nicht. Dass die Kinobesucher dem Kinobesuch verstärkt "Eventcharakter" beimessen und daher bereit sind, auch ohne besondere Vorkehrungen Speisen zu sich zu nehmen, kann nicht dazu führen, dem Umsatz anderweitig einzuordnen.

So hatte der BFH im Zusammenhang mit der Abgabe von Speiseeis in Verzehrkinos bereitsmit Urteil vom 09.05.1996 (V R 30/95, BFH/NV 1997, 70) maßgebend darauf abgestellt, dass der Kläger, indem er das Eis während der Vorführung durch sein Bedienungspersonal angeboten habe, zusammen mit der Lieferung des Eises Dienstleistungen erbracht habe, ähnlich wie sie auch in Cafés erbracht würden. Der BFH hat in dieser Entscheidung auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Kinobestuhlung an und für sich keine besondere Verzehrvorrichtung sei, sondern als solche allenfalls integrierte Abstellplätze und -borde in Betracht kämen. Derartige sind im Kino der Klägerin nicht vorhanden. Die an den Stühlen angebrachten Becherhalter allein genügen nicht, um den Verzehr an Ort und Stelle zu erleichtern oder gar zu fördern.

Etwas anderes folgt auch nicht aus § 3 Abs. 9 Satz 4 und 5 UStG 2005. Zwar mag die Abgabe von Speisen zum Verzehr innerhalb des Kinokomplexes grundsätzlich dafür sprechen, dass die Klägerin eine Infrastruktur bereithält, die nicht notwendigerweise mit der Vermarktung von zubereiteten Speisen zusammenhängt. In Anlehnung an das BFH- Urteil vom 26.10.2006 (V R 58/04 und V R 59/04, BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487) ist aus der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10.03.2005 in der Rs. C-491/03, Hermann, EuGHE I 2005, 2025, Rdnr. 23, HFR 2005, 482) jedoch zu folgern, dass der Wortlaut des § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG 2005 nicht in vollem Umfang richtlinienkonform ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 10.08.2006 V R 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480). Der deutsche Gesetzgeber darf insoweit nicht durch § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG eine Lieferung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie in eine sonstige Leistung (Dienstleistung) umqualifizieren.

Soweit das FG Hamburg demgegenüber mit Urteil vom 28.11.2006 (7 K 27/06, EFG 2007, 1044, Rev. anhängig V R 3/07) entschieden hat, dass die Abgabe von Popcorn und Nachos in Kinos im Rahmen einer Gesamtbetrachtung als umsatzsteuerpflichtige sonstige Leistung im Sinne des § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG zu behandeln ist, vermochte der Senat dem nicht zu folgen. Der Umstand, dass die Klägerin ihren Besuchern ein Gesamterlebnis "Kinovergnügen" bieten möchte, kann nicht dazu führen, die damit verbundene Schaffung einer angenehmen Umgebung maßgebend auch dem -insoweit selbständigen -Verkauf von Fingerfood zuzurechnen und eine Dienstleistung anzunehmen, zumal keine besonderen Vorkehrungen getroffen wurden, um den Kinobesuchern auch den Verzehr des Fingerfoods zu erleichtern und angenehm zu gestalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung -ZPO -.

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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