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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 16.06.2009
Aktenzeichen: 6 K 9096/05 B
Rechtsgebiete: AO, ZPO


Vorschriften:

AO § 124 Abs. 1
ZPO § 178 Abs. 1
ZPO § 180
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 6. Senat -

auf Grund mündlicher Verhandlung vom 16. Juni 2009

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht .....,

den Richter .....,

den Richter am Finanzgericht ..... sowie

die ehrenamtlichen Richter ..... und .....

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Tatbestand:

Der Beklagte wollte den Kläger mit Haftungsbescheid für die Steuerschulden der A... Vertriebs GmbH in Anspruch nehmen. Der Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 27. September 2004 an; der Kläger saß zu diesem Zeitpunkt in der JVA ... ein.

Nachdem der Kläger auf die Anhörung nicht reagiert hatte, erließ der Beklagte am 02. November 2004 einen Haftungsbescheid über EUR ...Mio, den er an den Kläger unter der Adresse "JVA ... über ... - durch Fach" bekannt geben wollte. Eine Mitarbeiterin der JVA ... informierte den Beklagten am 11. November 2004 telefonisch, dass der Kläger am 02. November 2004 aus der Haft entlassen worden sei und derzeit keinen festen Wohnsitz habe.

Am 15. November 2004 adressierte der Beklagte den Haftungsbescheid an den Kläger unter der Anschrift "bei S..., K...str. .., B...". Als Bekanntgabeart wählte der Beklagte die Zustellung per Postzustellungsurkunde. Nach dem Vermerk des Zustellers konnte das Schriftstück dem Kläger nicht übergeben werden, sondern wurde in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt.

Nach einer Mitteilung des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 19. Oktober 2007 war der Kläger vom 01. Juni 2004 bis 30. Januar 2005 in der K...straße ..., ab dem 31. Januar 2005 in der D... Straße ..., ab dem 19. September 2005 in der L...straße ... und ab dem 09. Oktober 2006 in der P... Straße ... gemeldet. Frau S... war seit dem 01. April 2004 in der K...straße ... gemeldet. In der K...straße ... war zudem Frau L... seit dem 01. April 2004 bis 29. Mai 2005 gemeldet.

Ausweislich der Vollstreckungsakte rief der Kläger am 26. Januar 2005 bei Herrn B..., einem Mitarbeiter des Beklagten, an und teilte mit, dass er in den Vereinigten Arabischen Emiraten im Gefängnis gesessen habe. Anschließend sei er nach Deutschland überführt worden. Derzeit sei er ohne festen Wohnsitz, wohne bei seiner Freundin, habe Arbeitslosengeld beantragt und könne die Haftungsschuld ohnehin nicht bezahlen. Ausweislich des Telefonvermerks verband Herr B... den Kläger mit einer Mitarbeiterin der Haftungsstelle.

Am 09. Februar 2005 legte der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, Einspruch gegen den Haftungsbescheid ein und machte geltend, dass ihm der Haftungsbescheid auf Nachfrage erst am 01. Februar 2005 von Frau S... ausgehändigt worden sei. Zur Begründung fügte der Kläger eine eidesstattliche Versicherung der Frau S... bei, wonach der Kläger nach seiner Haftentlassung am 02. November 2004 bei ihr eingezogen sei und sie die Post für ihn sowie für ihre weitere Mitbewohnerin L..., die ein Auslandspraktikum in Spanien absolviert habe, entgegen genommen und im Zimmer der Frau L... abgelegt habe. Als sie der Kläger am 01. Februar 2005 gefragt habe, ob ein Schreiben des Beklagten eingegangen sei, habe sie den Stapel durchgeschaut und den Brief entdeckt. Der Kläger habe den Brief in ihrer Anwesenheit geöffnet; in dem Umschlag habe sich ein sog. Haftungsbescheid befunden. Der Kläger habe keinen Briefkastenschlüssel besessen, da er nur kurzfristig eingezogen sei.

Mit Einspruchsentscheidung vom 02. März 2005 verwarf der Beklagte den Einspruch als unzulässig. Der Kläger habe die Einspruchsfrist versäumt und keinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.

Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben. Der Kläger vertieft sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und macht geltend, dass er nach seiner Haftentlassung am 02. November 2004 nur kurzfristig bei Frau S... eingezogen sei; seine Anmeldung in dieser Wohnung sei bereits vor seiner Haftentlassung erfolgt, um positiven Einfluss auf eine Entscheidung über eine Haftverschonung nehmen zu können. Bei Klageerhebung habe er dort seinen Wohnsitz gehabt. Zwischen ihm und Frau S... sei vereinbart worden, dass er nur als Untermieter einziehe und keinen Briefkastenschlüssel erhalte. Frau S... habe die Post aus dem Briefkasten nehmen und an ihn, soweit sie ihn betreffe, aushändigen sollen. Da sich im Briefkasten auch Schriftstücke für Frau L... befunden hätten, habe sich im Laufe der Zeit ein kleiner Stapel auf dem Schreibtisch der Frau L... angesammelt, in den wohl auch der Haftungsbescheid geraten sei. Soweit der Beklagte behaupte, der Kläger habe am 26. Januar 2005 mit dem zuständigen Sachbearbeiter der Vollstreckungsstelle telefoniert, werde dies bestritten. Eine Zahlungsaufforderung des Beklagten habe ihn veranlasst, bei Frau S... nachzufragen. Der Kläger hat eine Kopie des Mietvertrags zwischen Frau S... und Frau L... einerseits und den Vermietern andererseits vorgelegt (Bl. 21 der Klageakte) sowie eine Kopie der amtlichen Meldebestätigung der Frau L... eingereicht (Bl. 22 der Klageakte).

Der Kläger beantragt,

den Haftungsbescheid vom 15. November 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 02. März 2005 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend zu seinem Vorbringen in der Einspruchsentscheidung trägt der Beklagte vor, dass der Kläger am 26. Januar 2005 bei dem zuständigen Sachbearbeiter der Vollstreckungsstelle angerufen und mitgeteilt habe, dass er den in der Zahlungsaufforderung vom 13. Januar 2005 genannten Betrag nicht zahlen könne. Im Übrigen sei der Kläger bereits seit dem 01. Juni 2004 bis zum 30. Januar 2005 in der A...straße ... gemeldet gewesen und ab dem 31. Januar 2005 in die D... Straße 11 umgezogen. Daher sei es nicht möglich, dass ihm der Haftungsbescheid am 01. Februar 2005 von der Hauptmieterin S... ausgehändigt worden sei.

Mit Beschluss vom 31. März 2009 hat der Senat einen Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgewiesen.

Gründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Denn der Haftungsbescheid ist bestandskräftig, nachdem der Kläger nicht fristgerecht Einspruch eingelegt hat.

1. Nach § 124 Abs. 1 Abgabenordnung - AO - wird ein Verwaltungsakt in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er bekannt gegeben wird. Erfolgt die Bekanntgabe im Wege der Zustellung - wie im Streitfall -, richtet sich die Zustellung und damit auch deren Zeitpunkt nach den Regeln des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG - (vgl. § 122 Abs. 5 AO). Das VwZG verweist in § 3 Abs. 2 wiederum auf die §§ 177 bis 182 Zivilprozessordnung - ZPO -. Grundsätzlich gilt als Zeitpunkt der Zustellung der Moment, in dem das zuzustellende Schriftstück dem Adressaten übergeben wird (§ 177 ZPO). Wird der Adressat - wie im Streitfall - nicht angetroffen, kann nach § 178 Abs. 1 ZPO eine Ersatzzustellung in der Wohnung des Adressaten erfolgen, indem das Schriftstück einem dort lebenden erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Familie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner zugestellt wird (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Scheitert auch diese Ersatzzustellung, kann das Schriftstück nach § 180 Satz 1 ZPO in einen zu der Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück dann als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO). Dies hat zur Folge, dass es auf die tatsächliche Kenntnisnahme des Adressaten nicht mehr ankommt (vgl. Verwaltungsgericht Frankfurt a. M. , Urteil vom 12. April 2006 9 E 2085/05, nicht veröffentlicht).

2. Der Kläger wohnte bei Einlegung des Schriftstücks im Briefkasten am 15. November 2004 in der Wohnung K...straße ..., zu der der Briefkasten gehörte. Zwischen dem Kläger und dem Beklagten ist unstreitig, dass der Kläger die Wohnung zum Schlafen und Leben nutzte; auf die ordnungsbehördliche Meldung kommt es nicht an, wobei diese im Streitfall im November 2004 ebenfalls erfüllt war (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg- Vorpommern , Beschluss vom 15. Oktober 2007 1 L 193/07, Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland 2007, 491, mit weiteren Nachweisen).

3. Der Briefkasten war vom Kläger für den Postempfang eingerichtet worden. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich danach, ob der Adressat des Bescheids den Briefkasten seiner Wohnung zugeordnet hat, etwa durch Angabe seines Namens auf dem Briefkasten, auf Grund einer räumlichen Verbindung (z.B. Türschlitz in der Wohnungstür oder Briefkasten unmittelbar neben der Wohnungstür) oder auf sonstige Weise, weil er z.B. den Briefkasten auf Grund einer Vereinbarung mit seinen Mitbewohnern mitbenutzen darf. Ist dies der Fall, kommt es nicht darauf an, ob der Adressat am fraglichen Einlegungszeitpunkt tatsächlich Zugriff auf den Briefkasten hatte, weil er entweder generell über keinen Schlüssel verfügte, der Briefkasten defekt war oder der Schlüssel gerade abhanden gekommen war. Es genügt, dass der Adressat durch das Unterhalten und Bereithalten eines entsprechenden Briefkastens den Anschein erweckt, dass er ihn für den Postempfang eingerichtet hat (s. Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.). Wird ein derartiger Briefkasten von mehreren Personen, die in derselben Wohnung wohnen, genutzt, kommt es für den Bekanntgabezeitpunkt nicht darauf an, wie die Briefkastenleerung erfolgt und wie und wann die Post unter den Mitgliedern der Wohnung verteilt wird (vgl. Verwaltungsgericht Aachen, Urteil vom 10. Januar 2006 2 K 2346/03, nicht veröffentlicht).

Selbst ein sog. Sammelbriefkasten, der für mehrere Wohnungen oder Geschäftsräume eingerichtet ist, ist für eine Ersatzzustellung nach § 180 ZPO geeignet (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz , Beschluss vom 10. Januar 2008 L 5 ER 319/07 KR, nicht veröffentlicht).

Der Senat geht davon aus, dass der Briefkasten auch vom und für den Adressaten eingerichtet war, nachdem der Kläger die Wohnung als Untermieter nutzen durfte und sich dort auch angemeldet hatte. Auf Grund der Nutzungsbefugnis stand ihm auch der Briefkasten zur Verfügung.

4. Selbst wenn die Vermutung des § 180 Satz 2 ZPO aber nicht greifen sollte, würde der Senat der eidesstattlichen Versicherung der Frau S... nicht glauben, wonach der Kläger den Haftungsbescheid erst am 01. Februar 2005 erhalten haben soll.

Gegen die eidesstattliche Versicherung spricht zum einen, dass der Kläger nach der Meldebescheinigung vom 19. Oktober 2007 am 01. Februar 2005 bereits in der D... Straße ... gewohnt hat. Dieser Sachverhaltsumstand wird weder im Vorbringen des Klägers noch in der eidesstattlichen Versicherung der Frau S... angesprochen, obwohl es nahe gelegen hätte, hierauf einzugehen; denn in diesem Fall hätten nähere Ausführungen dazu, wie der Kläger wieder in Verbindung mit Frau S... getreten ist und wie und wo der Bescheid tatsächlich ausgehändigt worden ist, erfolgen müssen. Dies gilt insbesondere deswegen, weil die eidesstattliche Versicherung der Frau S... den Eindruck erweckt, der Kläger habe am 01. Februar 2005 immer noch bei ihr gewohnt; so heißt es gleich am Anfang: "Herr ... ist nach seiner Haftentlassung am 02.11.2004 bei mir eingezogen." Dass er zu einem späteren Zeitpunkt wieder ausgezogen ist, folgt aus den weiteren Absätzen jedoch nicht.

Zum anderen erscheint es dem Senat wenig glaubhaft, dass ausgerechnet der optisch auffällige Haftungsbescheid in Gestalt der Postzustellungsurkunde bei der von Frau S... offenkundig vorgenommenen Aufteilung der Post auf sich, auf die abwesende Frau L... und auf den Kläger nicht aufgefallen sein sollte.

Schließlich ergibt sich aus dem Telefonvermerk des Herrn B..., an dessen Glaubwürdigkeit der Senat keinen Zweifel hat, dass der Kläger bereits am 26. Januar 2005 bei dem zuständigen Sachbearbeiter der Vollstreckungsstelle angerufen und mitgeteilt hatte, dass er den in der Zahlungsaufforderung vom 13. Januar 2005 genannten Betrag nicht zahlen könne. Damit ist die Behauptung der Frau S..., der Kläger habe erst am 01. Februar den Haftungsbescheid erhalten, nach Überzeugung des Senats widerlegt.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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