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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 10.01.2008
Aktenzeichen: 6 K 993/05
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 9 Abs. 1 S. 1
EStG § 12 Nr. 1 S. 2
EStG § 19 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

6 K 993/05

Einkommensteuer 2002

In dem Rechtsstreit

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 6. Senat -

durch

den Richter ... als Berichterstatter

ohne mündliche Verhandlung

am 10. Januar 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid für 2002 vom 3. September 2003, geändert durch Bescheid vom 24. März 2005, wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2005 dahingehend geändert, dass die Aufwendungen für 64 Fahrten zum Dienstsport in Höhe von EUR 1.036,80 als Werbungskosten anerkannt werden.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Anerkennung von Fahrtkosten zum Dienstsport als Werbungskosten.

Der Kläger war im Streitjahr als Polizeivollzugsbeamter auf dem Polizeiabschnitt 34 tätig und erzielte Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit nach § 19 Abs. 1 Einkommensteuergesetz -EStG-. Im Streitjahr übte der Kläger insgesamt 130 Stunden Dienstsport auf Polizeisportanlagen aus. Er unternahm dafür insgesamt 64 Fahrten à 27 km mit dem eigenen Pkw.

In seiner Einkommensteuererklärung für 2002 machte der Kläger Werbungskosten in Höhe von EUR 15.426,00 geltend. Im Bescheid über Einkommensteuer für 2002 vom 3. September 2003 erkannte das damals zuständige Finanzamt die Werbungskosten lediglich in Höhe von EUR 4.533,00 an. Seinen Einspruch vom 19. September 2003 begründete der Kläger mit einer überarbeiteten Einkommensteuererklärung und erklärte nunmehr u. a. Werbungskosten für 64 Fahrten zum Dienstsport (einfache Entfernung: 27 km) in Höhe von 1.036,80 EUR. Der Kläger legte ein Schreiben seines Dienstherrn vor, wonach Polizeivollzugsbeamte verpflichtet seien, regelmäßig Dienstsport auszuüben. Es obliege dem Beamten zu entscheiden, wie häufig der Sport ausgeübt werde; höchstens 40 Stunden seien als Mehrdienst anrechenbar. Es sei erstrebenswert, den Dienstsport mindestens einmal in der Woche auszuüben. Der Kläger erläuterte, dass der Dienstsport während der Arbeitszeit und auf einem Polizeisportgelände stattgefunden habe.

Am 24. März 2003 erließ der nunmehr zuständige Beklagte einen Änderungsbescheid nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO, der nach § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde. Die streitgegenständlichen Kosten des Dienstsports wurden unverändert nicht anerkannt.

Der Beklagte wies den Einspruch mit einer Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2005 als unbegründet zurück; die Aufwendungen zur Ausübung von Sport - in welcher Form auch immer - gehörten zum Bereich der privaten Lebensführung. Dies gelte unbeschadet der Anrechnung des Sports auf die Arbeitszeit. Die Sportausübung stelle keine Dienstpflicht dar, für die der Kläger sein Gehalt empfange. Auch die Dienstbefreiung für einen Arztbesuch führe nicht dazu, dass dieser dienstlich veranlasst sei.

Dagegen richtet sich die fristgerecht bei Gericht eingegangene Klage. Es bestehe nicht nur ein Interesse seines Dienstherrn an der Ausübung von Dienstsport; er, der Kläger, sei vielmehr zur Ausübung von Dienstsport verpflichtet. Bei einem Verstoß seien disziplinarrechtliche Maßnahmen möglich. Der Dienstsport sei auf die Bereiche Selbstverteidigung, Schwimmen und Retten sowie konditionsfördernde Übungen begrenzt. Eine Abweichung nach den persönlichen Neigungen sei nicht möglich. Der Vergleich mit dem Arztbesuch sei abwegig, weil der Dienstherr ihn nicht verpflichte, eine bestimmte Stundenzahl beim Arzt zu verbringen.

Der Kläger legte eine Geschäftsanweisung des Polizeipräsidenten in über Sport in der Polizei vom 16. März 1999 vor, auf die wegen der Details verwiesen wird (Bl. 2 ff. der Gerichtakten). Danach sind monatlich mindestens vier Stunden Dienstsport im Jahresmittel (bezogen auf zehn Monate) zu absolvieren. Der Dienstsport ist während der Dienstzeit in Trainingsräumen bzw. Sportanlagen der Polizei auszuüben. Für Polizeivollzugsbeamte besteht eine Teilnahmepflicht. Der Dienstsport umfasst die berufsspezifischen Sportarten Selbstverteidigung, Schwimmen und Retten sowie konditionsfördernde Übungen. Im Übrigen wiederholt der Kläger seine bisherigen Ausführungen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Einkommensteuerbescheid für 2002 vom 3. September 2003, geändert durch Bescheid vom 24. März 2005, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2005 dahingehend zu ändern, dass die Aufwendungen für 64 Fahrten zum Dienstsport in Höhe von EUR 1.036,80 als Werbungskosten anerkannt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf seine bisherigen Ausführungen. Ergänzend führt er aus, dass der Dienstsport nicht lediglich polizeispezifischen Sport umfasse, sondern auch der allgemeinen Ertüchtigung diene.

Wegen der weiteren Details wird auf die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

Die Parteien haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Werbungskosten im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind alle beruflich veranlassten Aufwendungen. Nach § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG dürfen jedoch Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, bei Ermittlung der Einkünfte selbst dann nicht abgezogen werden, wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen. Bei diesen gemischten Aufwendungen besteht ein grundsätzliches Aufteilungsverbot (Bundesfinanzhof -BFH-, Beschlüsse vom 19. Oktober 1970, GrS 2/70 und 3/70, BStBl II 1971, 17), das nur dort durchbrochen wird, wo das Hineinspielen der Lebensführung unbedeutend ist und nicht ins Gewicht fällt, oder wo objektive Merkmale und Unterlagen eine zutreffende und nicht nachprüfbare Trennung ermöglichen. Mittels dieses Aufteilungsverbotes soll verhindert werden, dass Steuerpflichtige durch eine mehr oder weniger zufällige oder bewusst herbeigeführte Verbindung von beruflichen und privaten Erwägungen Aufwendungen für ihre Lebensführung nur deshalb zum Teil in den einkommensteuerlich relevanten Bereich verlagern können, weil sie einen entsprechenden Beruf haben, während andere Steuerpflichtige gleichartige Aufwendungen nur aus versteuerten Einkünften decken können.

Die Ausübung einer bestimmten Sportart rechnet im Allgemeinen zum Bereich der Lebensführung, speziell der Freizeitgestaltung (vgl. BFH, Urteil vom 24. Oktober 1974 IV R 101/72, BStBl II 1975, 407 betreffend Skisport). Demzufolge ist die sportliche Betätigung nur in Ausnahmefällen dem beruflichen Bereich zuzurechnen. Im Streitfall liegt eine derartige Ausnahmekonstellation vor:

Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger durch eine Dienstanweisung seines Dienstherrn zur Ausübung des Dienstsports verpflichtet ist. Sollte er dieser Anweisung nicht nachkommen, so kann dies zu dienstrechtlichen Sanktionen führen; in jedem Fall wäre davon auszugehen, dass die Verweigerung, Dienstsport auszuüben, in die dienstlichen Beurteilungen des Klägers einfließen und sein berufliches Fortkommen behindern würde.

Der vom Kläger ausgeübte Dienstsport ist nach der Geschäftsanweisung des Dienstherrn während der Dienstzeit auszuüben; der Kläger wird also - überspitzt formuliert - für die Ausübung des Dienstsports bezahlt. Damit wird der Dienstsport auf die Dienstzeiten angerechnet. Dies wird in der bisherigen Rechtsprechung der Finanzgerichte, der sich das Gericht anschließt, als eine wesentliche Voraussetzung für die Anerkennung der Aufwendungen als Werbungskosten angesehen (vgl. FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. Juli 2006 1 K 1783/05, EFG 2007, 29 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Diese Anrechnung des Dienstsports auf die Dienstzeit ist im Streitfall theoretisch unbegrenzt möglich; praktisch wird die Ausübung von Dienstsport während des Dienstes durch dienstliche Notwendigkeiten begrenzt werden.

Der Beklagte beruft sich zu Unrecht darauf, dass lediglich 40 Stunden im Jahr auf die Dienstzeit anzurechnen sind. Nach der Geschäftsanweisung der Polizei betrifft diese Beschränkung nur den Fall, dass der Dienstsport aufgrund dienstlicher Gründe außerhalb der Dienstzeit ausgeübt wird. Dann sind maximal 40 Stunden Dienstsport jährlich als durch Freizeit auszugleichende Mehrdienstleistung anzusehen. Die vom Beklagten angeführten 40 Stunden p. a. sind nach der Geschäftsanweisung vielmehr das von Polizisten zu erbringende Minimalpensum an Dienstsport eines Jahres. Der Anerkennung steht daher nicht entgegen, dass der Kläger im Streitjahr insgesamt 130 Stunden Dienstsport betrieben hat. Dies entspricht zwei bis drei Stunden Dienstsport pro Kalenderwoche und damit einem normalen Rahmen.

Im Übrigen ist der Dienstsport auf Polizeisportanlagen durchzuführen und beschränkt sich auf Selbstverteidigung, Schwimmen und Retten sowie konditionsfördernde Übungen. Es ist offenkundig, dass damit Fähigkeiten trainiert werden, die im Interesse der Allgemeinheit jedem Polizisten zu wünschen sind. Damit steht die dienstliche Veranlassung der Sportausübung im Vordergrund. Zwar ist dem Beklagten dahingehend zuzustimmen, dass insbesondere die Förderung der Kondition auch zu einer Steigerung der persönlichen Lebensqualität außerhalb des Dienstes führen kann; dies ist aber eine - im Übrigen nicht zu vermeidende - Reflexwirkung des Dienstsports. Der Kläger weist zu Recht darauf hin, dass nahezu jede berufliche Fortbildung mit positiven Auswirkungen für das Privatleben verbunden ist, und sei es nur die Erweiterung des persönlichen Erfahrungshorizonts. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die berufliche Veranlassung dieser Maßnahmen in den Hintergrund tritt.

Das Gericht hat zudem berücksichtigt, dass die vom Kläger im Rahmen des Dienstsports ausgeübten Sportarten typischerweise nicht Inhalt des Freizeitsports sind; anders als etwa Tennis oder Skisport. Dies unterscheidet den Streitfall von den Entscheidungen anderer Finanzgerichte, in denen die Aufwendungen für den Dienstsport nicht als Werbungskosten anerkannt worden sind (vgl. FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. Juli 2006 1 K 1783/05, EFG 2007, 29: keine Werbungskosten für Fitnessstudio; FG Baden- Württemberg, Urteil vom 23. November 2005 3 K 202/04, EFG 2006, 811: keine Werbungskosten bei Rennrad; FG Münster vom 5. Oktober 1983 11 K 2242/91E, EFG 1994, 238: keine Werbungskosten für Tennis; wie hier: FG Saarland, Urteil vom 19. März 1991 1 K 55/91, EFG 1991, 377: Werbungskosten für Tennis).

Die geltend gemachten Werbungskosten sind auch der Höhe nach nicht zu beanstanden (64 Fahrten x 2 x 27 km x EUR 0,30 = 1.036,80).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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