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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 19.02.2008
Aktenzeichen: 6 V 6196/07
Rechtsgebiete: AO, FGO


Vorschriften:

AO § 258
FGO § 69
FGO § 114
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

6 V 6196/07

Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffend Vollstreckung

In dem Verfahren

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 6. Senat -

am 19. Februar 2008

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ....., den Richter am Finanzgericht ..... und den Richter .....

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Antragstellern auferlegt.

Gründe:

Die Beteiligten streiten um die Frage der Unbilligkeit der Vollstreckung (§ 258 der Abgabenordnung - AO 1977 -) hinsichtlich von den Antragstellern mit der Anfechtungsklage angegriffener Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2000 bis 2005.

Die Antragsteller sind Eheleute, die vom Antragsgegner gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Antragsteller ist von Beruf Versicherungsvertreter und erzielte in den Streitjahren aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die vom Finanzamt - FA - L... gesondert festgestellt wurden.

Im Jahr 1993 erwarben die Antragsteller ein in G... (Land Brandenburg) belegenes und mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück (W...straße). Mit der in R... (Land Thüringen) als erstem Wohnsitz wohnhaften F..., ihrer Mutter bzw. Schwiegermutter, schlossen sie einen Mietvertrag über eine in diesem Haus befindliche, 150 qm grosse Wohnung (= Erdgeschosswohnung) als Zweitwohnung der Mieterin.

Laut Mietvertrag betrug der monatliche Mietzins 1 000 DM und begann das Mietverhältnis am 1. Juli 1999. Die Entrichtung von Betriebskosten wurde in dem Vertrag nicht vereinbart. Dazu sollten gesonderte Regelungen getroffen werden. Mietobjekt war eine 4-Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad. Auch wurden keine Vereinbarungen zum Zeitpunkt und zur Art der Bezahlung der Miete getroffen (bar oder per Banküberweisung etc.).

Im Winter 1995/1996 erwarb der Antragsteller von seiner Mutter, Frau K... , im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich fünf unbebaute Grundstücke in H... (Land Niedersachsen). Anschließend übertrug der Antragsteller unentgeltlich jeweils einen hälftigen ideellen Anteil an diesen Grundstücken auf seine Ehefrau als künftige Miteigentümerin. In § 5 des Notarvertrages vom 17. November 1995 (UR-Nr. .../95 des Notars Dr. S...aus W...) heißt es im letzten Absatz:

"Den Vertragsschließenden ist bekannt, dass die hier übertragenen Grundstücke verpachtet sind. Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass die Pachterträge zu Lebzeiten bei der Übertragsgeberin und deren Ehemann H... verbleiben sollen".

Mangels Einreichung von Einkommensteuererklärungen seitens der Antragsteller für die Streitjahre 2000 bis einschließlich 2005 schätzte der Antragsgegner die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und erließ entsprechende erstmalige Einkommensteuerbescheide (zuletzt am 31. Juli 2006 für das Streitjahr 2005).

Nachdem die Einkommensteuerveranlagungen 2000 bis einschließlich 2004 bestandskräftig geworden waren, führte die Straf- und Bußgeldstelle des Antragsgegners steuerstrafrechtliche Ermittlungen gegenüber dem Antragsteller durch, die dazu führten, dass am 31. Juli 2006 nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 geänderte Einkommensteuerbescheide betr. die Streitjahre 2000 bis einschließlich 2004 ergingen, mit denen die Einkommensteuer vom Antragsgegner unter Ansatz höherer Einkünfte des Antragstellers aus seiner Vertretertätigkeit als bisher entsprechend heraufgesetzt wurde.

Gegen diese Änderungsbescheide und gegen den Ausgangsbescheid betr. Einkommensteuer 2005 vom selben Tage legten die Antragsteller fristgerecht Einsprüche ein. Zur Begründung reichten sie die bislang fehlenden Einkommensteuererklärungen ein, mit denen sie u.a. negative Einkünfte aus der Vermietung der Wohnung im Hause W...straße in G... steuermindernd geltend machten.

Am 11. Mai 2007 erließ der Antragsgegner für sämtliche Streitjahre nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 geänderte Einkommensteuerbescheide, in denen aber nach wie vor keine negativen Einkünfte aus der Vermietung der Wohnung an die Mutter bzw. Schwiegermutter der Antragsteller berücksichtigt wurden. Mit Einspruchsentscheidungen vom 29. Mai 2007 wies der Antragsgegner die weitergehenden Einsprüche der Antragsteller als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass der Mietvertrag mit der Mutter/Schwiegermutter einem sog. Fremdvergleich nicht standhalte.

Auch hinsichtlich des Ansatzes von Einkünften aus der Verpachtung der in H... belegenen Grundstücke seien die Steuerbescheide vom 11. Mai 2007 nicht zu beanstanden, da die Antragsteller aus diesen Grundstücken tatsächlich Erträge in der dort berücksichtigten Höhe erzielt hätten.

Daraufhin erhoben die Antragsteller wegen der o.g. Einkommensteuerveranlagungen Klage gegen den Antragsgegner, die beim Senat unter dem Aktenzeichen 6 K 6107/07 anhängig ist.

Nachdem der Antragsgegner die Antragsteller im Vollstreckungsverfahren betr. u.a. die Beitreibung der hier streitgegenständlichen Einkommensteuerforderungen von zur Zeit noch über ... EUR zuzüglich weiterer offener Steuerverbindlichkeiten in Höhe von rund ... EUR (Stand: 13. November 2007; ursprünglich waren es Abgabenverbindlichkeiten von über ... EUR, vgl. Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners vom 1. November 2006) vergeblich zur Abgabe von eidesstattlichen Versicherungen über ihre Vermögensverhältnisse aufgefordert und beim Amtsgericht O... diesbezüglich Haftbefehle gegen sie erwirkt hatte, haben die Antragsteller beim Finanzgericht einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung ihres Antrags führen sie im Wesentlichen aus, dass eine sofortige Vollstreckung des Antragsgegners in das Vermögen der Antragsteller eine unbillige Härte darstelle. Ihm, dem Antragsteller, sei inzwischen seitens seines bisherigen Auftraggebers, der A... Vertriebs-AG, fristlos gekündigt worden, so dass er derzeit nur noch über Einkünfte aus einer geringfügigen Beschäftigung (= 410 EUR monatlich) verfüge. Gegen die fristlose Kündigung habe er in der Hoffnung Klage erhoben, bei einem Obsiegen umfangreichen finanziellen Schadensersatz vom o. g. bisherigen Auftraggeber erlangen zu können. Mit diesem Geld könnten dann Steuerforderungen des Antragsgegners, soweit sie tatsächlich berechtigt seien, getilgt werden. Der Termin für die mündliche Verhandlung in dieser Sache sei vom LG M... für den 21. Januar 2008 anberaumt worden. Sie, die Antragstellerin, beziehe zurzeit lediglich Arbeitslosengeld II auf Darlehensbasis.

Im Übrigen sei eine sofortige Vollstreckung seitens des Antragsgegners in das Vermögen der Antragsteller auch deshalb unbillig, weil die im Verfahren 6 K 6107/07 angefochtenen Einkommensteuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 29. Mai 2007 rechtswidrig seien. Die von ihnen, den Antragstellern, geltend gemachten negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der Wohnung im Gebäude W...straße in G... seien steuerrechtlich anzuerkennen, weil der mit Frau F... abgeschlossene Mietvertrag doch einem Fremdvergleich standhalte. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Schriftsätze des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller im Verfahren 6 K 6107/07 und im hiesigen Verfahren Bezug genommen.

Die vom Antragsgegner hinsichtlich der streitgegenständlichen Grundstücke in H... unterstellten Pachteinkünfte hätten sie, die Antragsteller, in Wahrheit gar nicht erzielt. Außerdem sei eine Spende des Antragstellers als Inhaber der "Generalvertretung A..." in Höhe von ... DM zugunsten des L... e.V. im Streitjahr 2000 einkommensteuermindernd zu berücksichtigen. Hilfsweise sei die Aufwendung als Betriebsausgabe bei den Einkünften des Antragstellers aus Gewerbebetrieb steuermindernd zu berücksichtigen.

Nachdem die von Anfang an durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertretenen Antragsteller ursprünglich in ihrer Antragsschrift sinngemäß einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide vom 31. Juli 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 29. Mai 2007 gestellt haben, beantragen sie nunmehr sinngemäß,

den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Vollstreckung aus den Einkommensteuerbescheiden vom 31. Juli 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen für 2000 bis 2005 vom 29. Mai 2007 vorläufig einzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass der beim Gericht gestellte Antrag in seiner ursprünglichen Fassung (= Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2005) unzulässig gewesen sei, weil die Zugangsvoraussetzungen zum FG im Sinne von § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - nicht gegeben seien: Die Antragsteller hätten, nachdem die ihnen unstreitig für die Dauer des Einspruchsverfahren gewährte Aussetzung der Vollziehung einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidungen vom 29. Mai 2007 ausgelaufen sei, zunächst erneut bei ihm einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung für die Dauer des Hauptsacheverfahrens 6 K 6107/07 stellen müssen.

Dem Senat haben bei seiner Entscheidung sechs Bände Steuerakten betr. die Antragsteller (StNr: .../.../...) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.

II.

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betr. die vorläufige Einstellung der Vollstreckung seitens des Antragsgegners gegenüber den Antragstellern ist zulässig.

Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das FG auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile von den Antragstellern abzuwenden. Die Regelung kann auch in der Anordnung bestehen, die Vollstreckung einstweilen einzustellen (vgl. § 258 AO 1977).

Der Senat legt die vom Prozessbevollmächtigten der Antragsteller, einem Rechtsanwalt, mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2007 geäußerte "Antragspräzisierung", "die Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Antragsteller aus den Einkommensteuerbescheiden 2000 bis 2005 .... gemäß § 258 AO wegen unbilliger Härte einstweilen" einzustellen, als Änderung des ursprünglich unstreitig gestellten gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der o. g. Einkommensteuerbescheide im Sinne von § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO in einen Antrag nach § 114 FGO aus.

a.) Die Änderung eines Antrags auf Gewährung von Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne von § 114 FGO ist im Streitfall nach Ansicht des Senats unabhängig vom Vorliegen der einschränkenden Voraussetzungen des § 67 FGO zulässig (a.A: FG Baden- Württemberg, rkr. Beschlüsse vom 23. Januar 1990 IX V 47/89, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1990, 324, und vom 29. Mai 1992 9 V 41791, EFG 1992, 614), da nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine möglichst effektive Interpretation des von den Antragstellern tatsächlich begehrten Rechtsschutzziels geboten ist (vgl. dazu BVerfG-Beschluss vom 24. September 2002 2 BvR 857/02, Deutsches Verwaltungsblatt 2002, 1633, m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass es gerade in Bezug auf Anträge nach § 114 FGO - im Unterschied zu den Klageverfahren im Sinne von § 40 FGO, auf die die Vorschrift des § 67 FGO primär anwendbar ist - keine Fristen oder andere Vorbedingungen für die Initiation solcher Verfahren beim FG gibt. So setzt ein zulässiger Antrag nach § 114 FGO weder ein bereits anhängiges Hauptsacheverfahren beim FG noch auch nur ein bei der Finanzbehörde wenigstens eingeleitetes verwaltungsbehördliches Vorverfahren (z.B. Zugang eines Antrags nach § 258 AO 1977 beim FA) voraus. Das FG kann dem Antragsteller allerdings auf Antrag des Antragsgegners im Zusammenhang mit einer stattgebenden Entscheidung im Sinne von § 114 FGO eine Frist setzen, innerhalb derer er Klage in der Hauptsache zu erheben hat (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 926 Abs. 1 der Zivilprozessordnung - ZPO -). Diese Anordnung darf auch dann getroffen werden, wenn der Klage ein behördliches Vorverfahren voranzugehen hat. Durch § 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 926 Abs. 1 ZPO wird dem Antragsgegner die Möglichkeit gegeben, den Fortbestand der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangenen Entscheidung von der Durchführung des Hauptverfahrens abhängig zu machen (vgl. zum Ganzen: Lange, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 114 FGO Rz. 121 ff. [129], m.w.N.).

Aus diesen Gründen liegt im Streitfall keine Abweichung des Senats vom Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. März 1983 I B 80/81 ([...]) vor: Im vom BFH entschiedenen Fall ging es um eine Antragsänderung von einem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheids hin zu einem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung eines Gewinnfeststellungsbescheids einer OHG. Die Zulässigkeit einer solchen Antragsänderung hat der BFH zu Recht anhand der Kriterien des § 67 FGO geprüft, weil u.a. der Zugang zum FG in den Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO zahlreichen verfahrensrechtlichen Beschränkungen unterliegt (vgl. dazu insbesondere Birkenfeld, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 69 FGO Rz. 190 ff. u. 1070 ff., m.w.N.), die ein Antragsteller nicht durch eine - voraussetzungslos zulässige - Antragsänderung während des anhängigen Verfahrens betr. die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes unterlaufen können soll (vgl. zum Ganzen auch Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 67 FGO Rz. 3; Stöcker, in: Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 67 FGO Rz. 5; von Groll, in: Gräber, FGO, 6. Aufl., § 67 Rz. 1; Dumke, in: Schwarz, FGO, § 67 Rz. 2).

b.) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gegenüber dem Verfahren nach § 69 FGO subsidiär (§ 114 Abs. 5 FGO). Das bedeutet, dass er nicht statthaft ist, wenn eine Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO in Betracht kommt. Letzteres ist im Streitfall auch insoweit von Bedeutung, als die Antragsteller sich gegen die Rechtmäßigkeit der von ihnen angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2005 wenden und es sich dabei um vollziehbare Steuerverwaltungsakte handelt. Der BFH billigt dem Vollstreckungsschuldner aber in ständiger Rechtsprechung - unabhängig von etwaigen Rechtsbehelfen gegen die der Vollstreckung zugrunde liegenden Verwaltungsakte oder ihre Vollziehung - ein anerkennenswertes Interesse daran zu, sich gegen die Zwangsvollstreckung selbst mit der Begründung wehren zu können, dass diese unbillig i. S. des § 258 AO 1977 sei (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 1. August 2002 VII B 352/00, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2002,1547, m.w.N.).

2. Der Antrag ist unbegründet.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch schlüssig dargelegt und die tatsächlichen Voraussetzungen dafür glaubhaft gemacht hat (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Fehlt es an einer der beiden Voraussetzungen, kann die einstweilige Anordnung nicht ergehen. Im Streitfall haben die Antragsteller den Anordnungsanspruch nicht ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht.

Nach § 258 AO 1977 kann die Vollstreckung, soweit sie im Einzelfall unbillig ist, einstweilen eingestellt oder beschränkt oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufgehoben werden. Nach ständiger BFH-Rechtsprechung kommen einstweilige Maßnahmen nach § 258 AO 1977 nur in Betracht, wenn vorübergehende Umstände vorliegen, die eine Vollstreckung unbillig erscheinen lassen. Umstände, die zu einer dauerhaften Einstellung der Vollstreckung Anlass geben, können bei der Anwendung des § 258 AO 1977 nicht berücksichtigt werden. Denn in dieser Vorschrift ist eine Unterbindung der Vollstreckung auf Dauer nicht vorgesehen. Nach Abschn. 7 Abs. 2 der Vollstreckungsanweisung (Bundessteuerblatt - BStBl - I 1980, 112), auf die sich der BFH beruft, ist von einer Unbilligkeit i. S. des § 258 AO 1977 nur dann auszugehen, wenn die Vollstreckung oder eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte.

Im Streitfall haben die durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertretenen Antragsteller nicht dargelegt, dass sie durch ein kurzfristiges Zuwarten des Antragsgegners oder die Wahl einer anderen als der vom Antragsgegner ergriffenen Vollstreckungsmaßnahmen (Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und Antrag auf Erlass eines Haftbefehls) weniger beeinträchtigt, der Antragsgegner aber dennoch wegen seiner Steuerforderungen in Höhe von zur Zeit noch über ...EUR zur Befriedigung gelangen würde. Nach den eigenen Angaben der Antragsteller erzielt der Ehemann gegenwärtig nur noch Einkünfte aus einer (pfändungsfreien) geringfügigen Beschäftigung im Umfang von 410 EUR monatlich und die Ehefrau nur noch Arbeitslosengeld II auf Darlehensbasis. Soweit sich die Antragsteller auf eine bevorstehende Verbesserung ihrer Vermögenslage aufgrund der Erfolgsaussichten einer Klage des Ehemannes I wegen der fristlosen Kündigung seines bisherigen Auftragsverhältnisses zur A... Vertriebs-AG berufen, ist ihr Vorbringen unvollständig, weil inzwischen die mündliche Verhandlung vor dem LG M... vom 21. Januar 2008 stattgefunden haben müsste und sie den aktuellen Stand des Verfahrens nicht dargelegt haben.

Das Vorbringen der Antragsteller, dass die Einkommensteuerbescheide rechtswidrig seien und sie diesbezüglich Klage vor dem FG erhoben hätten, begründet in dieser Form keinen Anspruch auf Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO 1977. Denn nach § 251 Abs. 1 können Verwaltungsakte vollstreckt werden, soweit nicht ihre Vollziehung ausgesetzt ist. Die in § 257 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 getroffene Regelung, dass die Vollstreckung einzustellen ist, wenn die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 251 Abs. 1 AO 1977 weggefallen sind, also die Aussetzung der Vollziehung gewährt worden ist, lässt den Rückschluss zu, dass der Gesetzgeber grundsätzlich die Vollstreckung erst ab dem Zeitpunkt der Gewährung von Aussetzung der Vollziehung für unzulässig gehalten hat.

Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ungeachtet der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen über die Vollstreckbarkeit von Verwaltungsakten der Grundsatz von Treu und Glauben auch im Rahmen des § 258 AO 1977 zu berücksichtigen ist. Eine gegen Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung liegt vor, wenn eine Leistung gefordert wird, die alsbald zurückzuerstatten wäre (dolo petit qui petit quod statim redditurus est). Eine Vollstreckung ist danach unbillig, wenn vollstreckt wird, obwohl das Erlangte alsbald zurückzugewähren ist. Deshalb könnte eine behauptete Rechtswidrigkeit der der Vollstreckung zugrunde liegenden Verwaltungsakte dann die Voraussetzungen des § 258 AO 1977 erfüllen, wenn die Antragsteller rechtzeitig einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (entweder beim Antragsgegner oder beim zuständigen FG) gestellt hätten und dieser zwar noch nicht beschieden, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass er Erfolg haben wird (vgl. dazu allgemein BFH-Beschluss vom 12. Juni 1991 VII B 66/91, BFH/NV 1992, 156; Beermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 258 AO Rz. 15 u. 16, Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 258 AO Rz. 7). Die Frage, ob in einem derartigen Falle die Vollstreckung eine unzulässige Rechtsausübung wäre, braucht aber im Streitfall nicht abschließend entschieden zu werden; denn die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in vollem Umfang eigeninitiativ darlegungspflichtigen Antragsteller haben weder dargelegt, dass sie einen (erneuten) Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheide nach dem Auslaufen der vom Antragsgegner für die Dauer der Einspruchsverfahren gewährten Aussetzung der Vollziehung für die Dauer des Klageverfahrens 6 K 6107/07 unmittelbar beim Antragsgegner gestellt haben, noch dargelegt, dass ein solcher Antrag beim zuständigen FG anhängig sei (der ursprünglich im hiesigen Verfahren gestellte Antrag ist aufgrund der Antragsänderung mit Schriftsatz vom 17. November 2007 nicht mehr anhängig).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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