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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 14.08.2007
Aktenzeichen: 8 V 8133/07
Rechtsgebiete: AO, EStG, FGO


Vorschriften:

AO § 141 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 4 Abs. 3
FGO § 69 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

8 V 8133/07

Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 FGO) -Auflage zur Buchführungspflicht zum 01.01.2007

In dem Verfahren

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg -8. Senat -

am 14. August 2007

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...

den Richter am Finanzgericht ...,

der Richterin am Finanzgericht ...

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe:

I. Der Antragsteller ist ein Verein, dessen Zweck die weltweite Pflege, Verbreitung und Förderung des ... ist. Der Antragsteller ermittelte den Gewinn bisher durch Einnahme- Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz -EStG -.

Im Jahr 2004 erzielte der Antragsteller ausweislich seiner Einnahme-Überschussrechnung 2.787,57 EUR umsatzsteuerpflichtige Umsatzerlöse und nicht umsatzsteuerbare Erlöse in Höhe von 563.611,45 EUR. Bei den letztgenannten Umsatzerlösen handelte es sich um Umsätze aus Europa- und Weltmeisterschaftsturnieren, die der Antragsteller im Ausland veranstaltet hatte.

Der Antragsgegner forderte im Jahr 2006 den Antragsteller im Erläuterungstext zum Körperschaftsteuerbescheid 2004 unter Hinweis auf die Höhe der Umsätze auf, ab dem Veranlagungszeitraum 2005 Bücher zu führen und eine Bilanz auf den 31.12.2005 einzureichen.

Hiergegen legte der Antragsteller Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Unter Hinweis auf § 141 Abgabenordnung -AO -begründete er seinen Einspruch damit, dass Auslandsumsätze bei der Prüfung der Umsatzgrenze nicht einzubeziehen seien. Im Übrigen könne wegen der Aufforderung des Antragsgegners aus dem Jahr 2006 die Verpflichtung erst zum 1.01.2007 auferlegt werden.

Der Antragsgegner änderte daraufhin die Mitteilung zur Buchführungspflicht und forderte den Antragsteller zur Buchführung ab dem 1.01.2007 auf.

Der Antragsgegner wies den Einspruch unter Hinweis auf § 141 AO, Tz. 3 Satz 3 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung -AEAO -als unbegründet zurück. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beschied der Antragsgegner nicht.

Hiergegen erhob der Antragsteller Klage (Aktenzeichen 8 K 8132/07), über die der Senat bislang noch nicht entschieden hat.

Zur Begründung seines Antrages auf Aussetzung der Vollziehung trägt der Antragsteller vor, dass die belastende Verwaltungsanweisung im AEAO nicht durch ein Gesetz legitimiert sei, es bestünde aber ein Gesetzesvorbehalt. Nicht umsatzsteuerbare Auslandsumsätze seien nicht in die Berechnung der Umsatzgrenze des § 141 AO einzubeziehen. Hätte der Gesetzgeber dies gewünscht, hätte er die nicht steuerbaren Umsätze ebenso wie die steuerfreien Umsätze ausdrücklich erwähnen müssen. Darüber hinaus müsse die Vorschrift auch im Kontext zu den aktuellen Bestrebungen, die eine Entlastung des Mittelstandes von unnötiger Bürokratie beabsichtigen, ausgelegt werden.

Der Antragsteller beantragt,

die Vollziehung der Mitteilung zur Buchführung vom 5.07.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3.05.2007 bis zum Ablauf eines Monats nach Beendigung des finanzgerichtlichen Verfahrens 8 K 8132/07 auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass die Auslandsumsätze in die Umsatzgrenze des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO einzubeziehen seien. Die explizite Erwähnung der steuerfreien Umsätze erfolge nur wegen der Ausnahmen nach § 4 Nr. 8 bis 10 Umsatzsteuergesetz -UStG und biete keinen Grund dafür, steuerbare und nichtsteuerbare Umsätze zu unterscheiden. Hätte der Gesetzgeber gewollt, die nicht steuerbaren Umsätze außer Acht zu lassen, hätte er dies ebenso wie bei den als Ausnahmetatbestand geregelten steuerfreien Umsätzen des § 4 Nr. 8 bis 10 UStG ausdrücklich erwähnt.

II. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist zulässig.

Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO -nur zulässig, wenn die Behörde einen solchen Antrag zuvor ganz oder teilweise abgelehnt hat. Dies gilt jedoch gemäß § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 FGO dann nicht, wenn die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden hat. Diese Voraussetzung ist auch dann erfüllt, wenn die Behörde eine Einspruchsentscheidung erlässt, aber über den gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nicht befindet (vergleiche Bundesfinanzhof -BFH -, Beschluss vom 13.03.2001, VI B 27999, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV -2001, 1237). Der Antragsgegner hat über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zwar nicht entschieden, jedoch den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Der Antrag im Rahmen des § 69 FGO ist statthaft, denn die Mitteilung nach § 141 Abs. 2 AO ist ein vollziehbarer Bescheid. Sie begründet Pflichten, die durch Zwangsmaßnahmen erzwungen, deren Nichtbefolgung geahndet werden kann und die zur Schätzung des Gewinns berechtigt (vergleiche BFH, Beschluss vom 6.12.1979, IV B 32/79, Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFHE - 129, 300; Bundessteuerblatt - BStBl. - II 1980, 423). Die Aussetzung der Vollziehung verhindert im Fall des Obsiegens des Antragstellers, dass er für eine begrenzte Zeitspanne mit hohen Kosten für die Einrichtung einer Buchführung belastet wird. Sie schafft jedoch keine endgültigen Tatsachen und verhindert im Fall des Unterliegens nicht, dass die Pflicht rückwirkend auf den ursprünglich festgelegten Zeitpunkt festgestellt wird. Das hat zur Folge, dass in dem Fall, in dem tatsächlich keine Bücher geführt wurden, der Gewinn nach den Grundsätzen des Vermögensvergleichs gemäß § 4 Abs. 1 EStG, zwar nicht anhand einer Buchführung, aber nach § 162 Abs. 2 AO im Rahmen einer Schätzung ermittelt werden kann. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel bestehen, wenn bei der (überschlägigen) Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vergleiche BFH, Beschluss vom 31.01.2002 - V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl. II 2004, 622, seit BFH-Beschluss vom 10.02.1967-III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl. III 1967, 182 ständige Rechtsprechung). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Der Antragsgegner dürfte dem Antragsteller gemäß § 141 Abs. 2 AO rechtswirksam den Beginn der Buchführungspflicht mitgeteilt haben, denn der Antragsteller dürfte die für die Buchführungspflicht maßgebliche Grenze des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO überschritten haben.

Gemäß § 141 Abs. 2 AO ist der Steuerpflichtige zur Buchführung verpflichtet, wenn er mindestens einer der Buchführungsgrenzen des § 141 Abs. 1 AO überschritten und das Finanzamt ihn durch eine Mitteilung darauf hingewiesen hat. § 141 AO begründet eine selbständige steuerrechtliche Buchführungs-und Aufzeichnungspflicht für Steuerpflichtige, die nicht bereits nach § 140 AO buchführungspflichtig sind. Nach § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind gewerbliche Unternehmer unter anderem dann buchführungspflichtig, wenn sie nach den Feststellungen der Finanzbehörde für den einzelnen Betrieb gehabt haben:

"Umsätze einschließlich der steuerfreien Umsätze ausgenommen die Umsätze nach § 4 Nr. 8 bis 10 des Umsatzsteuergesetzes -UStG -, von mehr als 350.000 EUR im Kalenderjahr...".

Der Antragsgegner dürfte zutreffend die nach dem Umsatzsteuergesetz nichtsteuerbaren Umsätze in die Ermittlung der Buchführungsgrenze einbezogen haben. Der Wortlaut der Vorschrift in Verbindung mit dem Gesetzeszweck führt zu einer extensiven Auslegung, die davon ausgeht, dass mit "Umsatz" sämtliche steuerpflichtigen, steuerfreien und nicht steuerbaren Umsätze im Sinne des UStG gemeint sind. Die ausdrückliche Erwähnung der steuerfreien Umsätze ist im Zusammenhang mit dem Ausnahmetatbestand zu sehen. Sie ist insofern notwendig, als dass sie die ebenfalls steuerfreien Umsätze nach § 4 Nr. 8 bis 10 UStG begünstigend hervorhebt. Dem Antragsteller ist zuzugeben, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift auch eine andere Auslegung möglich sein könnte. Danach kann die ausdrückliche Erwähnung der steuerfreien Umsätze im Gegensatz dazu, dass die nicht steuerbaren Umsätze weggelassen wurden, auch den Umkehrschluss zulassen, dass diese gerade nicht in die Buchführungsgrenze einzubeziehen sein sollen. Diese Interpretation wird auf den ersten Blick sogar durch einen Rückgriff auf die historische Vorschrift unterstützt. § 141 AO ist aus § 164 Reichsabgabenordnung -RAO -1919 (vergleiche Reichsgesetzblatt -RGBl. -I 1919, 1993) hervorgegangen und zuerst vergleichbar in § 161 RAO laut Reichsgesetz vom 22.05.1931 (vergleiche RGBl. I 1931, 161) aufgenommen worden. Danach bestand eine Buchführungspflicht bei einem "Gesamtumsatz (einschließlich des steuerfreien Umsatzes) von mehr als 200.000 Reichsmark"...

Bei dieser Formulierung fehlt die Ausnahmeregelung für bestimmte steuerfreie Umsätze. Dieser Umstand lässt den Schluss zu, dass zu ihrer Berücksichtigung die nicht steuerbaren Umsätze hätten ebenfalls ausdrücklich erwähnt werden müssen. Diese Wertung der historischen Vorschrift allein nach dem Wortlaut kann aber nicht auf die aktuelle Formulierung übertragen werden, denn sie berücksichtigt nicht, dass der geänderten Formulierung ein anderer Gesetzeszweck zugrunde liegen dürfte. Die RAO verstand als Adressaten der Buchführungspflicht noch Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes (vergleiche Drüen in Tipke/Kruse, AO-Kommentar, § 141 Tz. 2). Dieses Verständnis hat sich in der AO durch eine geänderte Formulierung des Eingangsatzes der Vorschrift gewandelt und so ist nach der AO als Adressat der gewerbliche Unternehmer im einkommensteuerrechtlichen Sinn gemeint. Sinn und Zweck der Regelungen der §§ 140 ff. AO ist die Auferlegung von Pflichten, deren Erfüllung den Steuerpflichtigen in die Lage versetzen sollen, seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten nachkommen zu können. Die Regelungen sind zeitlich und systematisch der Steuererklärungspflicht vorgelagert. Mit den Büchern und Aufzeichnungen kann der Steuerpflichtige die für seine Besteuerung erheblichen Tatsachen offen legen und nachweisen (so auch Drüen in Tipke/ Kruse, a.a.O. vor § 140 Tz. 5). Der Unternehmer hat als Steuerpflichtiger nach dem EStG gemäß §§ 1, 2 EStG beziehungsweise § 1 Körperschaftsteuergesetz sein Welteinkommen zu erklären. Auch nach dem UStG nicht steuerbare Auslandsumsätze sind im Rahmen der ertragsteuerlichen Steuererklärung anzusetzen. Der Umfang der Prüfung durch die Finanzbehörden erstreckt sich demzufolge auf das gesamte Welteinkommen und deshalb entspricht es dem Sinn und Zweck der Buchführungsregelungen nach der AO, für Sachverhalte unabhängig ob im Inland oder Ausland verwirklicht, bei einer bestimmten Größenordnung dem Steuerpflichtigen eine Buchführungspflicht aufzuerlegen, damit er effektiv seinen Steuererklärungs- und Mitwirkungspflichten nachkommen kann. Diese Interpretation der Regelung findet sich auch bei der Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger wieder, denn die Buchführungspflicht und die Prüfung der Buchführungsgrenzen beschränkt Steuerpflichtiger beschränkt sich nach Auffassung des Senats nur auf die nach Ertragsteuerrecht für die Besteuerung maßgeblichen im Inland steuerbaren Einkünfte (vergleiche Traskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO-Kommentar, § 141 Rz. 9, Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 141, Tz. 6 unter Hinweis auf BFH, Urteil vom 17.12.1997, I R 95/96, BFHE 185, 16).

Die Auslegung des § 141 Abs. 1 Nr. 1 AO nach dem Wortlaut aber auch nach dem Gesetzeszweck gebietet deshalb, auch ausländische Umsätze einzubeziehen, da diese für die inländische Besteuerung zu berücksichtigen sind. Ist aber eine Vorschrift auslegungsfähig, liegt kein etwaiger Verstoß gegen den Parlaments- oder Gesetzesvorbehalt vor (vergleiche Tipke/Lang, Steuerrechtsordnung, 16. Auflage, § 4 Tz. 151,184).

Der Antragsgegner konnte nicht von der Mitteilung zur Buchführungspflicht aus eigenem Ermessen absehen. § 141 Abs. 2 AO sieht zwingend die Mitteilung zur Buchführungspflicht vor, sobald das Finanzamt erkennt, dass die Buchführungsgrenzen überschritten sind. Die Buchführungsgrenzen sind deswegen auch schematisch anzuwenden, damit die Buchführungspflicht einfach und rechtsicher bestimmt werden kann (vergleiche Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O. § 141 Tz. 12). Es dürfte dem Antragsgegner auch nicht möglich sein, von der gesetzlichen Regelung abweichen zu können. Die Bestrebungen des Gesetzgebers, den Mittelstand vor unnötiger Bürokratie zu entlasten, haben zuletzt in der Anhebung der Buchführungsgrenzen Niederschlag gefunden. Ob und inwiefern dem Antragsteller durch den Antragsgegner im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß § 148 AO Erleichterungen bei der Buchführungspflicht aufgegeben werden können, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Schließlich ist unbeachtlich, dass der nach § 141 Abs. 1 Satz 1 AO maßgebliche Betrag mit Gesetz vom 22.08.2006, Bundesgesetzblatt I 2006, 1970 bzw. Artikel 97 § 19 Abs. 6 Einführungsgesetz zur Abgabenordnung auf 500.000 EUR erhöht wurde. Denn die Grenze wird ebenfalls vom Antragssteller überschritten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 FGO.

Ende der Entscheidung

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