Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin
Urteil verkündet am 16.08.2006
Aktenzeichen: 2 K 5218/01
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 4 Nr. 14
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin

2 K 5218/01

Umsatzsteuer 1993 bis 1996

In dem Rechtsstreit

hat das Finanzgericht Berlin, 2. Senat,

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. August 2006

in der Besetzung mit

dem Vorsitzenden Richter am Finanzgericht Dr. Herbert,

der Richterin am Finanzgericht Keil-Schelenz,

dem Richter am Verwaltungsgericht Goessl, sowie

den ehrenamtlichen Richtern Rießler und Sahr

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Verfahren wegen Umsatzsteuer 1995 und 1996 wird eingestellt.

Die Umsatzsteuer 1993 und 1994 wird abweichend von den Bescheiden vom 27. April 1999 und der Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2001 auf 859,35 EUR für 1993 und 0,00 EUR für 1994 festgesetzt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die bis zur Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide 1995 und 1996 entstandenen Kosten haben die Klägerin zu 67 v.H. und der Beklagte zu 33 v.H. zu tragen. Die danach entstandenen Kosten hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert beträgt bis zur Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide 1995 und 1996: 95 085,00 EUR, für die Zeit danach 31 886,00 EUR.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten - nach Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide für 1995 und 1996 - zuletzt noch um die Steuerfreiheit der in den Jahren 1993 und 1994 von der Klägerin erzielten Umsätze aus dem Betrieb eines ambulanten Krankenpflegedienstes.

Die Klägerin ist examinierte Krankenschwester. Sie arbeitete in 1992 als angestellte Pflegedienstleiterin in einer Sozialstation und betreute daneben ab Anfang 1993 einzelne Patienten. Zum 1. Juni 1993 erfolgte die steuerliche Anmeldung für den ambulanten Pflegedienst. Am 27. August 1993 beantragte sie die kassenärztliche Erlaubnis zur Häuslichen Krankenpflege (§ 37 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch -SGB V- in der damals geltenden Fassung), Häuslichen Pflegehilfe (§§ 53-56 SGB V) und Haushaltshilfe (§ 38 Abs. 1 SGB V), die ab 1. Oktober 1993 erteilt wurde.

Die Klägerin behandelte die Umsätze in den Umsatzsteuererklärungen 1993 und 1994 als gemäß § 4 Nr. 16 e Umsatzsteuergesetz -UStG- steuerfrei. Im Jahr 1999 führte das Finanzamt -FA- eine Sachverhaltsaufklärung im Wege der betriebsnahen Veranlagung -BNV- durch und stellte fest, dass 1993 insgesamt 76 Fälle behandelt worden seien, wovon 52 Fälle - das entspreche 68% - Privatzahler beträfen. Unter Hinweis darauf, dass gemäß § 4 Nr. 16 e UStG 1993 mindestens 2/3 der Behandlungsfälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen werden müssten, wurde die Steuerfreiheit nach dieser Vorschrift vom FA verneint. Ebenso wurde die Steuerfreiheit für die Umsätze des Jahres 1994 versagt, da in § 4 Nr. 16 e UStG auf das vorangegangene Jahr abgestellt werde.

Die Klägerin beantragte daraufhin die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG. Die auf die Behandlungspflege entfallenden Umsätze wurden vom FA schließlich im Schätzungswege mit einem Drittel als steuerfrei berücksichtigt.

Mit dem gegen die Umsatzsteuerbescheide 1993 bis 1996 gerichteten Einspruch machte die Klägerin insbesondere geltend, dass die für die Berechnung der "Fallquote" zugrunde liegenden Rechnungen erneut zusammengestellt und als Berechnungszeitraum die Monate Oktober bis Dezember 1993 zugrunde gelegt worden seien. Dabei sei außerdem davon ausgegangen worden, dass der Pflegefall auch auf den Zeitbezug Kalenderjahr ermittelt werden könne, sodass die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit ab Oktober 1993 gegeben seien. Für die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 1993 könne die Tätigkeit der Klägerin nicht als unternehmerische Tätigkeit im Sinne des § 4 Nr. 16 e UStG angesehen werden, da der Begriff der "Einrichtung" im § 4 Nr. 16 e UStG durch die Bündelung von Dienstleistungen gegenüber den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung und Sozialhilfe definiert werde.

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2001, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 65-68 Umsatzsteuerakten -UStA-), als unbegründet zurück. Anhand der Auszählung der Fälle habe sich ergeben, dass die Klägerin zumindest in 1993 nicht gemäß § 4 Nr. 16 e UStG von der Steuer befreit sei. Da das Folgejahr nach dem Ergebnis des Vorjahres zu beurteilen sei, könne auch für 1994 eine Umsatzsteuerbefreiung nach dieser Vorschrift nicht erfolgen. Unterlagen, aus denen sich etwas andere ergebe, habe die Klägerin nicht eingereicht, sodass ihre Einwendungen nicht nachzuvollziehen seien.

Im Rahmen des Klageverfahrens macht die Klägerin weiterhin geltend, dass die von ihr erzielten Umsätze steuerfrei zu belassen seien. Sie vertritt die Auffassung, dass sie sich für einen wesentlichen Teil der von ihr erzielten Umsätze auf § 4 Nr. 14 UStG stützen und sich im Übrigen unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Amtsblatt EG L 145, 1) -6. EG-Richtlinie- berufen könne. § 4 Nr. 16 e UStG in der Fassung ab 1992 verstoße gegen die 6. EG-Richtlinie, da eine Differenzierung nach der Herkunft der Mittel nicht zulässig sei. Sie verstoße gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität bzw. den Grundsatz auf Gleichbehandlung.

Die Klägerin erläuterte zur Struktur ihres Unternehmens, dass dieses im Vergleich zu anderen privaten Leistungsanbietern ab Mitte 1993 einen hohen Anteil von examinierten Pflegekräften (Krankenschwestern/-pfleger) beschäftigt habe. Über das gesamte Jahr 1993 hätten die Personalausgaben hierfür 81% des gesamten Personalaufwands ausgemacht und in 1994 83%. Die Patientenzahlen seien ab Oktober 1993 stark angestiegen. Die abgerechneten Leistungen hätten im Zeitraum von Januar bis September 1993 insgesamt ca. 71 000,00 DM, im Zeitraum von Oktober bis Dezember 1993 161 000,00 DM betragen. Die Behandlungspflegen und die sog. Kombi-Leistungen seien ausschließlich von qualifiziertem Personal sowie von der Klägerin persönlich ausgeführt worden. Ein Teil der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung sei hingegen auch Krankenpflegehelfern überlassen worden. Nachdem die Klägerin ihre Kassenzulassung erhalten habe, sei der überwiegende Teil ihrer Leistungen an Patienten erbracht worden, die von der Krankenkasse oder den Sozialhilfeträgern finanziert worden seien. Nehme man jeden Patienten als eigenständigen Fall, dann seien in dem Zeitraum Oktober bis Dezember 1993 12 von insgesamt 18 Patienten über die Krankenkassen finanziert worden, mithin 66,67%. Am 19. Oktober 2005 habe die Klägerin von der Verwaltung XXX eine Bescheinigung erhalten, wonach sie sinngemäß für die Jahre 1993 bis 1996 als eine Einrichtung mit sozialem Charakter im Sinne der 6. EG-Richtlinie anerkannt werde.

Die Klägerin macht geltend, dass es für die Privilegierung von wesentlichen Teilen ihres Umsatzes in den Streitjahren nicht auf die Beurteilung der Vorjahre ankomme, da sie sich für den Anteil der "Behandlungspflege" unmittelbar auf § 4 Nr. 14 UStG in der Auslegung der EuGH-Entscheidungen Kügler (Urteil vom 10. September 2002, Rechtssache -Rs.- C-141/00, EuGHE 2002 I-6833, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2002, 513) und Dornier (Urteil vom 6. November 2003, Rs. C-45/01, EuGHE 2003 I-12911, UR 2003, 584) berufen könne. Maßgebend sei die Gesetzesfassung, wie sie durch das Steueränderungsgesetz 2003 formuliert worden sei. Nach ihren Berechnungen ergebe sich - je nach Ausgangspunkt - ein Anteil der Behandlungspflege in Höhe von durchschnittlich 92,95% bzw. 82%. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 17. Juli 2006 Bezug genommen wird (Bl. 109-136 StrA).

Bedeutsam sei dabei, dass das Merkmal "Heilbehandlung" in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der 6. EG-Richtlinie über den in Deutschland verwendeten Begriff der "Behandlungspflege" hinausgehe. Das Merkmal "Heilbehandlung" werde neuerdings erweiternd ausgelegt. So werde eine Parallele zu jenen Tätigkeiten gezogen, die auch in einem Krankenhaus erbracht würden. Dies habe der EuGH in der Rechtssache L. u. P. GmbH ./. FA Bochum-Mitte (Urteil vom 8. Juni 2006 Rs. C-106/05, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2006, 831, UR 2006, 464) im Hinblick auf Leistungen der Labormedizin entschieden. Hieraus folgend könne man diejenigen Leistungen als "Heilbehandlung" ansehen, die eine Krankenschwester in einem Krankenhaus erbringen würde. Das beschränke sich gerade nicht auf den Bereich der Behandlungspflege, sondern auch auf den originären Zuständigkeitsbereich von Pflegepersonal, nämlich die Grundpflege. Die Beschränkung der begünstigten Leistungen nach § 4 Nr. 14 UStG auf die Behandlungspflege sei nicht mehr gerechtfertigt. In jedem Fall sei dieses Merkmal aber weiter auszulegen als in der Vergangenheit.

Das FA habe den Umfang der Behandlungspflege mit einem Drittel der Umsätze geschätzt, was zum damaligen Zeitpunkt einer weitreichenden Praxis der Finanzämter entsprochen habe. Im streitbefangenen Zeitraum habe auch niemand damit gerechnet, dass die einzelnen Leistungsbestandteile zu dokumentieren seien. Im Fall der Klägerin sei daher eine Aufschlüsselung über die Rechnungen vorgenommen worden. Dabei seien unter der Rubrik "Behandlungspflege" auch solche Leistungen erfasst, die in den Vergütungsvereinbarungen mit den Krankenkassen nicht mit diesem Namen bezeichnet seien, aber in den Rechnungen der Klägerin so ausgewiesen seien. Dazu gehörten Leistungen wie "24 h Betreuung", "Nachtpflege", "Nachtversorgung". All dies seien Leistungen, die ein hohes medizinisches Gepräge hätten.

Das Merkmal "Behandlungspflege" sei sowohl in den sog. Kombi-Verordnungen als auch in der Grundpflege enthalten. Sämtliche Leistungen würden nur aufgrund ärztlicher Verordnungen oder Anordnungen erbracht. Deswegen erhielten jene Kombileistungen, bei denen auch Behandlungspflege erfasst sei, ihr Gepräge durch die sog. Behandlungspflege. Die anderen Leistungen seien gleichsam notwendige Nebenleistungen, um die medizinisch höherwertige Behandlungspflege überhaupt erreichen zu können. Die Kombileistungen würden aus der Sicht der beteiligten Fachkreise auch insgesamt als Heilbehandlung angesehen. Bei Würdigung der über die Sozialhilfe finanzierten Leistungen sei ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Grenzziehung zwischen Behandlungspflege und Grundpflege vage sei. Im Rahmen der Sozialhilfe, welche die sonst von den Krankenkassen finanzierten Leistungen nach § 37 Abs. 1 SGB V abdecke, würden daher auch regelmäßig Teile der Behandlungspflege miterbracht. Dies betreffe z.B. die Medikamentenkontrolle sowie das Verbandswechseln und die gezielte Mobilisation - alles solche Behandlungsteile, die in früheren Kassenvereinbarungen als Behandlungspflege typisiert worden seien und die im Rahmen der über die Sozialhilfe finanzierte Grundpflege miterbracht würden. Daraus werde abgeleitet, dass mindestens die Hälfte der sog. Sozialamtsleistungen über §§ 68, 69 Bundessozialhilfegesetz -BSHG- im Jargon der Krankenkassen als Behandlungspflege qualifiziert werden müssten.

Damit seien als umsatzsteuerlich privilegiert anzusehen die "reine" Behandlungspflege nebst Insulin, die Kombileistungen mit einem Behandlungspflegeanteil sowie jene Entgelte nach dem BSHG, die einen Behandlungspflegeanteil enthielten, sodass in den Streitjahren zwischen 90,59 und 95,31% der Einnahmen als umsatzsteuerfrei anzusehen seien.

Folge man der qualitativen Würdigung der Kombileistung und der "Sozialamtspflege" als insgesamt höherwertiger Leistung nicht, so sei hilfsweise eine Differenzierung der einzelnen Leistungsbestandteile nach den von den Krankenkassen bewilligten Entgelten vorzunehmen. Nach den Vergütungsvereinbarungen 1991 hätten die Krankenkassen für Kombileistungen den werktäglichen ersten Einsatz mit einem Betrag von 62,65 DM erstattet, für Behandlungspflege mit 28,10 DM, mithin mit 45% der Kombileistung. Für den wöchentlich zweiten Einsatz seien 81,00 DM für die Kombileistung und 53,40 DM für die Behandlungspflege vergütet, mithin 66% der Einsatzpauschale. Für den wöchentlichen dritten Einsatz habe der Anteil 78% betragen. Bei den Wochenendeinsätzen habe es Zuschläge gegeben, und zwar in Höhe von 30% auf die jeweilige Leistungsart. Der Anteil der Behandlungspflege an den Kombileistungen werde mit durchschnittlich 65% veranschlagt (dies betreffe nicht die Kombileistung G/HvW). Damit betrage der Anteil der Behandlungspflege für die Jahre 1993 und 1994 mindestens 81,83 bzw. 84,54% und sei umsatzsteuerfrei zu belassen.

Es werde daher angeregt, den Behandlungspflegeanteil im Fall der Klägerin zu schätzen.

Soweit in § 4 Nr. 16 Buchstaben c, d und e UStG auf die Verhältnisse des Vorjahres abgestellt werde, sei diese Anknüpfung nicht zwingend. Dass der Verweis auf das Vorjahr zu Verwerfungen führen könne, sähen auch die Umsatzsteuer-Richtlinien -UStR-. Nach Abschn. 99 Abs. 7 Satz 2 UStR werde ausnahmsweise zugestanden, dass bei der Aufnahme der Tätigkeit auf die voraussichtlichen Verhältnisse des laufenden Jahres abzustellen sei. Eine solche teleologische Reduktion des Gesetzestextes müsse auch vorgenommen werden, wenn der Unternehmer erst nach der Aufnahme seiner Tätigkeit die Zulassung zum Kassensystem erhalten habe und damit überhaupt erst die Chance der Steuerfreiheit habe erhalten können.

Als Bezugsgröße sei daher der Zeitraum Oktober bis Dezember 1993 heranzuziehen, zumal die Klägerin mangels der erforderlichen Personalvorhaltung (Nachweis von 5 vollzeitbeschäftigten Krankenschwestern bzw. -pflegern) die Kassenzulassung vorher nicht habe erhalten können. Für das Jahr 1994 habe das FA mehr als 80% "gute" Fälle festgestellt, sodass die Klägerin die damals geltenden Grenzen des § 4 Nr. 16 e UStG überschritten habe.

Die Klägerin könne sich für die Steuerbefreiung auch unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6. EG-Richtlinie berufen, da die Bundesrepublik Deutschland bei der Umsetzung dieser Richtlinienbestimmung die Grenzen ihres Ermessens überschritten habe. Entgegen dem Wortlaut des § 4 Nr. 16 e UStG könne es nicht darauf ankommen, wer die Tätigkeit der Pflegeunternehmen finanziert. Maßgebend sei insoweit der Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Der "Nachfragemarkt" auf dem Gebiet der ambulanten Krankenpflege werde von den Krankenkassen und den Sozialämtern beherrscht. Der "Anbietermarkt" teile sich in zwei große Gruppen: die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, die sich in XXX zur Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossen hätten, und die selbständigen Leistungsanbieter, die nach Zulassungsbedingungen der Krankenkassen in XXX eine Kapazität von mind. 850 Pflegestunden monatlich hätten garantieren müssen, was rechnerisch einer Größe von mind. 5 vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern entspreche. Die beiden großen Anbietergruppen stünden in strengem Wettbewerb zueinander, wobei die Ligaverbände eine Reihe von Vorteilen genießen würden. Es sei den privaten Leistungsanbieten weder rechtlich noch faktisch möglich gewesen, steuerliche Mehrbelastungen auf die Patienten zu übertragen.

Der EuGH habe in der Entscheidung Kügler ausgesprochen, dass sich das Anerkenntnis für eine soziale Einrichtung aus allen Umständen des Einzelfalls ergeben könne, und ausdrücklich hervorgehoben, dass es auch auf faktischem Handeln beruhen könne. Diese Auslegung des Merkmals "anerkannte Einrichtung" habe die Entscheidung "Dornier" fortgesetzt und bekräftigt. Das Urteil beziehe sich auf die Parallelvorschrift in § 4 Nr. 16 c UStG - andere Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung - bzw. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe b der 6. EG-Richtlinie. In Rz. 75 des Urteils heiße es ausdrücklich, dass man bei der Befreiung der Leistungserbringer nicht danach unterscheiden dürfe, dass die Kosten nicht oder nur teilweise von den Sozialversicherungsträgern übernommen würden. Nach dieser Entscheidung sei die Herkunft der Mittel - also die Finanzierungsart - nur ein weiteres (positives) Kriterium, welches neben anderen Kriterien zu einem Anerkenntnis führen könne. Diese Aussage werde in der Entscheidung Kingscrest (Urteil vom 26. Mai 2005 Rs. C-498/03, HFR 2005, 915, UR 2005, 453) zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6. EG-Richtlinie bestätigt. Danach könne ein Anerkenntnis als soziale Einrichtung aus allen Umständen erfolgen und sei nicht auf das Steuerrecht beschränkt. Diese Grundsätze seien auch auf die Zeit ab 1993 zu übertragen. Der Gesetzgeber sei nicht befugt gewesen, sich durch die Einfügung des Buchstaben e in den § 4 Nr. 16 UStG ab 1992 die Anerkennungskompetenz zurückzuholen.

Die Regelung in § 4 Nr. 16 e UStG sei mit ihrem Verweis auf die Zahl der privilegierten Fälle bereits im Ansatz verfehlt und mit der 6. EG-Richtlinie nicht vereinbar. Gegen die Tauglichkeit des Konzepts der privilegierten Fälle spreche der Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Maßgebend sei, ob die Leistung oder die Tätigkeit eines Konkurrenten gleich oder vergleichbar sei und dieser Konkurrent steuerliche Vorzüge genieße. Maßgeblich sei die jeweilige Tätigkeit, nicht aber die Person oder die Herkunft des jeweiligen Wirtschaftsteilnehmers (EuGH-Urteile vom 26. Mai 2005 Rs. C-498/03 Kingscrest, HFR 2005, 915, UR 2005, 453, Rz. 41, 55; vom 12. Januar 2006 Rs. C-246/04 Turn- und Sportunion Waldburg, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 2006, Beilage 2, 151, HFR 2006, 321, Rz. 33; vom 27. April 2006 Rs. C-443/04 und 444/04 Solleveld, BFH/NV 2006, Beilage 3, 2999, HFR 2006, 735, Rz. 35-39, 44 f.). Für die Frage der Gleichartigkeit der Dienstleistungen komme es auf die Sicht des Verbrauchers an. Es genüge eine Ähnlich- oder Vergleichbarkeit in der Verwendung, eine strenge Identität werde nicht verlangt. Der so verstandene Grundsatz der steuerlichen Neutralität schränke das Umsetzungsermessen des Mitgliedstaates deutlich ein. (EuGH-Urteil vom 17. Februar 2005 Rs. C-453/02 und 462/02 Linneweber, BFH/NV 2005, Beilage 2, 94, HFR 2005, 487; Folgeentscheidung: BFH-Urteil vom 22. September 2005 V R 52/01, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2006, 278).

Im hiesigen Fall spreche alles dafür, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verletzt sei, wenn die starken Konkurrenten aus dem Kreis der Ligaverbände die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 18 UStG hätten genießen dürfen, nicht aber solche privaten Leistungsanbieter, die nicht überwiegend von den Krankenkassen und der Sozialhilfe finanziert würden. Für die Ligaverbände sei es nicht auf die Herkunft der Mittel angekommen. Die Ungleichbehandlung sei somit im Gesetz angelegt. Für eine Verletzung der steuerlichen Neutralität spreche ferner, dass der Zweck der Steuerbefreiung vom EuGH etwas anders gesehen werde als in der deutschen Steuerpraxis. Das Anliegen des Steuergesetzgebers sei es bei der Formulierung des § 4 Nr. 14 UStG 1967 gewesen, die Sozialversicherungsträger zu entlasten. Das EG-Umsetzungsgesetz sehe den Zweck der Steuerbefreiung in Art. 13 der 6. EG-Richtlinie jedoch darin, den Zugang zu den medizinischen und fürsorgerischen Leistungen zu erleichtern (für die medizinischen Leistungen - Buchstabe b und c - Urteil Dornier Rz. 43; für den sozialen Sektor wie die Pflegeeinrichtungen - Buchstabe g - Urteil Kingscrest Rz. 30). Es leuchte ein, dass bei einer gemeinschaftskonformen Auslegung nicht auf die Entlastung der Sozialversicherung abgestellt werden könne. Folglich habe der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts auch dessen Maßstäbe zu beachten - nämlich die Privilegierung des Zugangs zu ärztlichen, arztähnlichen und sozialfürsorgerischen Leistungen und nicht die Entlastung der Sozialversicherungsträger.

Die Klägerin beantragt,

die Umsatzsteuerbescheide 1993 und 1994 vom 27. April 1999 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2001 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat an der bisher vertretenen Auffassung festgehalten. 1993 seien fast ausschließlich Privatzahler behandelt worden, sodass in beiden Streitjahren Umsatzsteuerpflicht bestanden habe.

Zur Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG hat er ergänzend ausgeführt, dass die Grundpflege nach allgemeiner Auffassung nicht davon erfasst werde. Auch aus dem Urteil des EuGH vom 8. Juni 2006 in der Rs. C-106/05 L. u. P. GmbH ./. FA Bochum (HFR 2006, 831, UR 2006, 464) ergebe sich nichts Gegenteiliges. Vielmehr stelle der EuGH darin lediglich klar, dass auch Leistungen privater Einrichtungen außerhalb von Krankenanstalten unter die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe b der 6. EG-Richtlinie fallen könnten. Zu der hier streitgegenständlichen Frage, ob Leistungen der Grundpflege unter den Begriff der Heilbehandlung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der 6.- EG-Richtlinie fielen, enthalte das zitierte Urteil dagegen keine Ausführungen.

Soweit die Klägerin vorbringe, die Regelung des § 4 Nr. 16 e UStG verstoße gegen Art. 3 und 12 GG, könne dies nicht überzeugen. Insbesondere liege keine Ungleichbehandlung zu den in § 4 Nr. 18 UStG Begünstigten vor. Bei Letzteren handle es sich um Wohlfahrtseinrichtungen, während es sich bei § 4 Nr. 14 UStG um kommerzielle Anbieter handle. Eine differenzierte Behandlung sei daher durchaus gerechtfertigt.

Ebenso überzeuge es nicht, wenn die Klägerin einen Verstoß gegen Europarecht sehe. In der Literatur sei insoweit anerkannt, dass die Umsetzung in § 4 Nr. 16 e UStG richtlinienkonform erfolgt sei. Insbesondere entspreche es der ständigen Rechtsprechung des EuGH, dass es sehr wohl zulässig sei, bei der Entscheidung, ob eine Steuerbefreiung gewährt werden könne, den Umstand zu berücksichtigen, dass die Kosten der fraglichen Leistung unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen würden, vgl. EuGH-Urteile vom 6. November 2003 Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie ./. FA Gießen (Rs. C-45/01, EuGHE 2003 I-12911, UR 2003, 584, Rz. 72), vom 8. Juni 2006 L. u.P. GmbH ./. FA Bochum (Rs. C-106/05, HFR 2006, 831, UR 2006, 464, Rz. 53), und vom 10. September 2002 Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH ./. FA für Körperschaften I in XXX (Rs. C-141/00, EuGHE 2002 I-6833, UR 2002, 513, Rz. 58). Auch aus dem Urteil Dornier ergebe sich nicht - wie die Klägerin meine - etwas Anderes. Dort führe der EuGH aus, dass es unzulässig sei, darauf abzustellen, ob die Leistungen den Sozialversicherten zugute kämen, wenn tatsächlich die Leistungen ganz oder zum überwiegenden Teil nicht durch die Sozialversicherungsträger übernommen würden. Bei § 4 Nr. 14 UStG sei dagegen entscheidend, dass tatsächlich in mindestens 2/3 der Fälle die Kosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden seien. Es sei hier daher im Gegensatz zu § 4 Nr. 16 c UStG sicher gestellt, dass die Mittelherkunft bei den Sozialversicherungsträgern liege. Die Regelung in § 4 Nr. 16 e UStG sei daher europarechtlich unbedenklich.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen der Beteiligten und zum Sachverhalt wird auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze und den Akteninhalt Bezug genommen.

Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung je ein Band der vom Beklagten geführten Umsatzsteuerakten, Gewinnermittlungsakten und BNV-Berichte zur Steuernummer XXX vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Das Verfahren wegen Umsatzsteuer 1995 und 1996 war gemäß § 72 Abs. 2 FGO einzustellen, nachdem die Klägerin die Klage insoweit in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat.

Hinsichtlich der weiterhin streitigen Jahre 1993 und 1994 ist die Klage zulässig und überwiegend begründet. Die Klägerin wird durch die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 1993 und 1994 insoweit in ihren Rechten verletzt, als der Beklagte die von ihr erbrachten Leistungen auf dem Gebiet der ambulanten Krankenpflege für den Zeitraum 1. Januar bis 30. September 1993 zu mehr als 25% der Umsatzsteuer unterworfen hat und für die Zeit danach keine vollständige Steuerbefreiung gewährt hat. Die Klägerin kann sich für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. September 1993 auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG bei einem Anteil der Behandlungspflege in Höhe von 75% und für die Zeit danach auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 e UStG berufen.

Für die im Streitjahr 1993 bis zur Erteilung der kassenärztlichen Erlaubnis am 1. Oktober 1993 erzielten Umsätze der Klägerin kommt lediglich eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1993 in Betracht, soweit die Umsätze auf die Behandlungspflege entfallen, deren Anteil vorliegend zu schätzen war.

Erbringt eine Krankenschwester oder ein Krankenpfleger mit angestelltem qualifiziertem Krankenpflegepersonal Behandlungspflegeleistungen, sind diese Umsätze nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei. Behandlungspflege umfasst medizinische Hilfeleistungen wie z.B. Injektionen, Verbandswechsel, Dekubitusversorgung, das Setzen des Katheters, die Vornahme von Einläufen und Spülungen (vgl. dazu § 37 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB V; zu den einzelnen Leistungen vgl. Krauskopf, SGB V, § 37 Rn. 7, und Nieskens, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuerrecht -UVR- 2006, 13, 16).

Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1993 sind "die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes oder aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker" steuerfrei.

§ 4 Nr. 14 UStG 1993 beruht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der 6. EG-Richtlinie. Nach dieser Bestimmung befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer: "die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden". Diese Steuerbefreiung umfasst (nur) die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die außerhalb von Krankenanstalten im Rahmen der Ausübung der ärztlichen und arztähnlichen Berufe zum Zweck der Vorbeugung, Diagnose oder Therapie erbracht werden, nicht aber sonstige, die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung betreffende Tätigkeiten (EuGH-Urteil vom 10. September 2002 Rs. C-141/00 Kügler, EuGHE 2002, I-6833, UR 2002, 513 Rz. 41).

§ 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1993 ist richtlinienkonform auszulegen; die Verweisung in § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1993 auf § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG bezieht sich nur auf die Beurteilung der Art der Tätigkeiten, nicht aber auf die Qualifikation der Umsätze. Die Steuerbefreiung ist deshalb nicht auf die natürliche Person des jeweiligen Berufsträgers beschränkt und setzt deshalb auch nicht voraus, dass die persönliche Teilnahme des Berufsträgers selbst an der praktischen Arbeit in ausreichendem Umfang gewährleistet ist. Eine in diesem Sinn eigenverantwortliche Tätigkeit des Unternehmers selbst ist nicht erforderlich; es genügt, wenn der Unternehmer die Tätigkeit durch entsprechend qualifizierte Personen ausführen lässt (BFH-Urteil vom 22. April 2004 V R 1/98, Sammlung der Entscheidungen des BFH-BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849). Der BFH hat hierzu darauf hingewiesen, dass das Finanzgericht für Feststellungen zur Qualifikation der Pflegekräfte das Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege (Krankenpflegegesetz) vom 4. Juni 1985 (BGBl. I 1985, 893) und die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Berufe in der Krankenpflege vom 16. Oktober 1985 (BGBl. I 1985, 1973) heranziehen kann (BFH-Urteil vom 22. April 2004 V R 1/98, BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849). Nicht examinierte Pflegekräfte seien zwar regelmäßig keine "qualifizierten" Personen. Allein das Fehlen einer berufsrechtlichen Regelung sei für sich jedoch kein Hinderungsgrund für die Befreiung der Leistungen. Vom Vorliegen eines beruflichen Befähigungsnachweises für eine ärztliche oder arztähnliche Leistung sei grundsätzlich auszugehen bei Zulassung des jeweiligen Unternehmers bzw. der regelmäßigen Zulassung seiner Berufsgruppe gemäß § 124 Abs. 2 SGB V durch die zuständigen Stellen der gesetzlichen Krankenkassen (BFH-Urteil vom 22. April 2004 V R 1/98, BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849; Urteil vom 12. August 2004 V R 18/02, BFH/NV 2005, 313). Vergleichbares gelte für die Personen, die im Auftrag des Unternehmers und in dessen Namen die Behandlungspflege durchführten.

Hiervon ausgehend genügte die Tätigkeit der Klägerin den Anforderungen der Rechtsprechung. Nach ihren Angaben waren bei ihr in den Jahren 1993 und 1994 jeweils 11 Krankenschwestern/-pfleger sowie 4 bzw. 5 Personen nicht qualifiziertes Personal beschäftigt, wobei die Behandlungspflegeleistungen ausschließlich von qualifiziertem Personal und der Klägerin persönlich ausgeführt sein sollen.

Für Leistungen im Rahmen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung gilt die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG allerdings nicht, weil es sich nicht um Heilbehandlungen i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG handelt (BFH-Urteile vom 18. Januar 2005 V R 99/01, BFH/NV 2005, 1392, und vom 22. April 2004 V R 1/98, BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849). Die Grundpflege umfasst vor allem pflegerische Maßnahmen wie Körperpflege, Messen der Körpertemperatur, Überwachen der Medikamenteneinnahme, Trainieren elementarer Fertigkeiten, Zubereiten und Hilfe bei der Aufnahme der Nahrung, An- und Auskleiden sowie Hilfe beim Aufstehen und Zubettgehen, während die hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Wohnungsreinigung und Waschen der Kleidung abdeckt (vgl. dazu § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB V; zu den einzelnen Leistungen siehe wiederum Krauskopf, SGB V, § 37 Rn. 7, und Nieskens, UVR 2006, 13, 16). Diese Leistungen stellen aber eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6. EG-Richtlinie dar (EUGH-Urteil vom 10. September 2000 Rs. C-141/00 Kügler, EuGHE 2002, I-6833, UR 2002, 513 Rz. 44) und werden seit 1. Januar 1992 nach § 4 Nr. 16 e UStG steuerfrei behandelt.

Da nach § 4 Nr. 14 UStG 1993 mithin nur die der Behandlungspflege zuzurechnenden Leistungen umsatzsteuerfrei sind, war im Streitfall der Anteil der Behandlungspflege - in Abgrenzung zur Grundpflege und zur hauswirtschaftlichen Versorgung - näher zu bestimmen.

Soweit die Klägerin hierzu geltend macht, dass ein Großteil der von ihr erzielten Umsätze - nämlich in den Jahren 1993 und 1994 je nach der gewählten Berechnungsmethode in Höhe eines Anteils von 90,50% und 95,31% bzw. 81,83% und 84,54% - durch Behandlungspflege erzielt worden sei, kann dem allerdings nicht gefolgt werden. So können die Leistungen wie "24 h Betreuung", "Nachtpflege" und "Nachtversorgung" keinesfalls ausschließlich der Behandlungspflege zugeordnet werden. Soweit die Klägerin außerdem die Kombi-Leistungen wie auch Leistungen der Grundpflege insgesamt der Behandlungspflege zurechnen möchte, weil die anderen Leistungen gleichsam notwendige Nebenleistungen seien, um die medizinisch höherwertige Behandlungspflege überhaupt erreichen zu können, ist dies weder von § 4 Nr. 14 UStG noch von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der 6. EG-Richtlinie gedeckt.

Der EuGH hat in seiner Entscheidung in der Rs. C-141/00 Kügler (Urteil vom 10. September 2002, EuGHE 2002, I-6833, UR 2002, 513) zum Begriff der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieser nicht so ausgelegt werden könne, dass er medizinische Eingriffe umfasse, die zu einem anderen Zweck als der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen vorgenommen würden. Daher müssten die Leistungen, die keinem solchen therapeutischen Ziel dienten, gemäß dem Grundsatz, dass Bestimmungen zur Einführung einer Umsatzsteuerbefreiung eng auszulegen seien, vom Anwendungsbereich des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der 6. EG-Richtlinie ausgeschlossen werden. Folglich kämen für eine Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der 6. EG-Richtlinie nur Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin in Betracht, die außerhalb von Krankenanstalten im Rahmen der Ausübung der ärztlichen und arztähnlichen Berufe zum Zweck der Vorbeugung, Diagnose oder Therapie erbracht würden, nicht aber sonstige, die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung betreffende Tätigkeiten (Rz. 38-40). Der EuGH hat damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass nur die Behandlungspflege selbst, nicht aber Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung als steuerbefreite "Heilbehandlung" anzusehen sind.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin herangezogenen Entscheidung des EuGH in der Rs. C-106/05 L. u. P. GmbH (Urteil vom 8. Juni 2006, HFR 2006, 831, UR 2006, 464) zur Steuerbefreiung von Laborleistungen durch private Labore und Krankenhäuser. Der EuGH hat darauf hingewiesen, dass die "ärztlichen Heilbehandlungen" und "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" zwar einen therapeutischen Zweck haben müssten, daraus aber nicht zwangsläufig folge, dass die therapeutische Zweckbestimmtheit einer Leistung in einem besonders engen Sinn zu verstehen sei, und hieraus abgeleitet, dass die ärztlichen Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht würden, unter die Steuerbefreiungsregelung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstaben b und c der 6. EG-Richtlinie fielen (Rz. 29). Er ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass in Anbetracht des mit den genannten Steuerbefreiungsregelungen verfolgten Zwecks, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen zu senken, medizinische Analysen, die der vorbeugenden Beobachtung und Untersuchung der Patienten dienten, "Ärztliche Heilbehandlungen" im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe b der 6. EG-Richtlinie oder "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der 6. EG-Richtlinie sein könnten.

Dies kann nach dem Dafürhalten des Senats jedoch nicht bedeuten, nunmehr auch Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung, die körperlich oder wirtschaftlich hilfsbedürftigen Personen von einem ambulanten Pflegedienst erbracht werden, als Leistungen anzusehen, die einen therapeutischen Zweck im Sinne einer "Heilbehandlung" verfolgen. Der bereits in der Rs. C-141/00 Kügler vertretenen Auffassung, dass die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung ebenfalls unter den Begriff der Heilbehandlung fielen, ist der EuGH in seiner Entscheidung vom 10. September 2002 (EuGHE 2002, I-6833, UR 2002, 513) gerade nicht gefolgt. Er hat vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung grundsätzlich mit der sozialen Hilfe verbunden seinen, sodass sie unter den Begriff der eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen gemäß Buchstabe g des Art. 13 Teil A Abs. 1 EG-Richtlinie fallen würden (Rz. 44). Damit ist für die von der Klägerin begehrte erweiterte Auslegung kein Raum. Soweit im Übrigen entsprechende Leistungen im Rahmen der Krankenhausversorgung steuerfrei sind, beruht die Steuerfreiheit nicht auf § 4 Nr. 14 UStG, sondern auf § 4 Nr. 16 UStG bzw. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe b der 6. EG-Richtlinie. Die Steuerbefreiung gilt insoweit für die mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung "eng verbundenen Umsätze", wenn sie tatsächlich als Nebenleistungen zu einer Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung ihrer Empfänger, die die Hauptleistung darstellt, erbracht werden. Dabei ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung angesehen werden kann, wenn sie keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptdienstleistung des Erbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (EuGH-Urteile vom 1. November 2005 Rs. C-394/04 und C-395/04 Diagnostiko & Therapeftiko Kentro Athinon-Ygeia AE", EuGHE 2005, I-10373, HFR 2006, 217, UR 2006, 171, und vom 6. November 2003 Rs. C-45/01 Dornier, EuGHE 2003, I-12911, UR 2003, 584). Hieraus kann jedoch gerade nicht abgeleitet werden, dass die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung sozusagen als notwendige Nebenleistung zur Behandlungspflege ebenfalls nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei zu stellen wären. § 4 Nr. 16 UStG gilt auch für die mit Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn die Bedingungen des Buchstaben e UStG erfüllt sind und beruht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6. EG-Richtlinie. Eine Diskriminierung der Klägerin gegenüber den Krankenanstalten ist insoweit nicht ersichtlich.

Die Steuerfreiheit der von der Klägerin erbrachten Leistungen durch Grundpflege und durch hauswirtschaftliche Versorgung ist daher nach § 4 Nr. 16 e UStG zu beurteilen, dessen Voraussetzungen im Streitfall allerdings frühestens mit Erteilung der kassenärztlichen Erlaubnis zum 1. Oktober 1993 vorgelegen haben können.

Hiervon ausgehend konnte die begehrte vollständige Steuerbefreiung der Umsätze der Klägerin für das Streitjahr 1993 nicht gewährt werden. Vielmehr war der Zeitraum vom 1. Januar bis 30. September 1993 gesondert zu betrachten und insoweit der (steuerfreie) Anteil der Behandlungspflege an den Umsätzen der Klägerin für diesen Zeitraum zu schätzen.

Dabei ist der Senat unter Berücksichtigung der Berechnungen der Klägerin im Schriftsatz vom 17. Juli 2006, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 109-136 StrA), dazu gelangt, den Anteil der Behandlungspflege im Schätzungsweg mit 75% der Umsätze anzusetzen. Der Aufschlüsselung der Umsätze nach Behandlungspflege, Grundpflege und Kombi-Leistungen durch die Klägerin ist zu entnehmen, dass rd. 65% der Umsätze auf die reine Behandlungspflege entfielen. In den Kombi-Leistungen, die für 1993 mit insgesamt 25,04% ermittelt wurden, war ebenfalls jeweils ein Anteil für Behandlungspflege enthalten, der sich allerdings - mangels gesonderter Abrechnung - im Nachhinein nicht mehr konkret ermitteln lässt. Der Hochrechnung der Klägerin, dass der Anteil der Behandlungspflege an den Kombi-Leistungen mit durchschnittlich 65% zu veranschlagen sei, kann daher nicht uneingeschränkt gefolgt werden, zumal nicht im Einzelnen feststellbar ist, in welchen Umfang die höher vergüteten Mehrfacheinsätze pro Woche stattgefunden haben. Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Jahr 1993 nach eigenen Angaben neben 11 Krankenschwestern bzw. -pflegern und 5 Personen Büropersonal/Verwaltung/Sozialarbeiterin auch über 4 Personen unqualifiziertes Personal (wie Krankenpflegehelfer) verfügte, sodass - bei allen Unwägbarkeiten bezüglich der Zahl der Beschäftigten - davon ausgegangen werden kann, dass die Patientenversorgung jedenfalls zu einem Viertel bis zu einem Drittel auch durch nicht qualifiziertes Personal erfolgt sein dürfte. Angesichts dieser Umstände hat der Senat es für angemessen gehalten, den Anteil der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung an den Umsätzen der Klägerin insgesamt mit rd. 25% zu schätzen.

Die Umsatzsteuer für den Zeitraum 1. Januar bis 30. September 1993 errechnet sich danach wie folgt:

Umsatz für diesen Zeitraum laut Umsatzsteuererklärung 1993:

USt-pflichtig brutto 60 330,11 DM

USt-frei brutto 10 667,63 DM

Gesamt 70 997,74 DM brutto x 25% Anteil Grundpflege/Hauswirtschaftliche Versorgung

= 17 749,44 DM brutto (= 10,4% des Gesamtumsatzes 1993 in Höhe von 170 728,51 DM) : 1,15 = 15 434,30 DM netto

x 15% = 2 315,14 DM Umsatzsteuer ./. 634,40 DM (= anteilige Vorsteuer in Höhe von 10,4% von 6 100,00 DM), sodass sich eine Umsatzsteuer in Höhe von 1 680,74 DM (= 859,35 EUR) ergibt.

Für den Zeitraum ab 1. Oktober 1993 kann die Klägerin hingegen die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 e UStG beanspruchen.

Nach § 4 Nr. 16 e UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung waren von den unter § 1 Nr. 1 bis 3 fallenden Umsätzen steuerfrei

"die mit dem Betrieb der Krankenhäuser, Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung, Diagnostik oder Befunderhebung sowie der Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime, Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn

e)

bei Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und bei Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind."

Diese Regelung ist zum 1. Januar 1995 dahingehend geändert worden, dass nunmehr die Pflegekosten im vorangegangenen Kalenderjahr nur noch in mindestens 40% der Fälle von den Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssen. Mit der Gesetzesänderung ist eine Angleichung an die in § 67 Abgabenordnung -AO- geregelte Mindestgrenze für die Erbringung von Leistungen durch Krankenhäuser erfolgt.

Die in § 4 Nr. 16 e UStG aufgenommene Bedingung, wonach die Pflegekosten zu einem bestimmten Anteil der Fälle von den Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssen, ist grundsätzlich auch gemeinschaftsrechtlich unbedenklich.

So hatte der EuGH mit Urteil vom 8. Juni 2006 in der Rs. C-106/05 L. und P. GmbH (HFR 2006, 831, UR 2006, 464) Gelegenheit, zur Auslegung der in § 4 Nr. 16 c UStG enthaltenen vergleichbaren Regelung Stellung zu nehmen. Er hat dazu unter Hinweis auf sein Urteil vom 6. November 2003 in der Rs. C-45/01 Dornier (EuGHE 2003, I-12911, UR 2003, 584) ausgeführt, es ergebe sich aus der Rechtsprechung, dass die nationalen Behörden bei der Entscheidung der Frage, ob privatrechtliche Einrichtungen für die Zwecke der Anwendung der in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe b der 6. EG-Richtlinie vorgesehenen Befreiung anerkannt werden könnten, nach dem Gemeinschaftsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte außer dem mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundenen Gemeinwohlinteresse und der Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kämen, insbesondere den Umstand berücksichtigen könnten, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen würden. Daher habe der betreffende Mitgliedstaat das ihm nach dieser Bestimmung zustehende Ermessen nicht dadurch überschritten, dass er für die Anerkennung als in privatrechtlicher Form organisierte Labors im Rahmen der Anwendung dieser Befreiung verlange, dass mindestens 40% der medizinischen Analysen der betreffenden Labors Personen zugute kämen, die bei einem Träger der Sozialversicherung versichert seien (Rz. 53/ 54). Damit hat der EuGH ausdrücklich entschieden, dass es nicht gegen die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts verstößt, wenn nach der nationalen Regelung die Befreiung dieser Analysen von der Bedingung abhängt, dass mindestens 40% von ihnen Personen zugute kommen, die bei einem Träger der Sozialversicherung versichert sind.

Hiervon ausgehend ist auch die in § 4 Nr. 16 e UStG vorgesehene Bedingung, die an eine Kostentragung durch die Träger der Sozialversicherung oder Sozialhilfe anknüpft, grundsätzlich nicht zu beanstanden. Diese Bedingung wird bei gesonderter Beurteilung des Zeitraums ab 1. Oktober 1993 von der Klägerin auch erfüllt, da mindestens 2/3 der Umsätze auf Personen entfielen, in denen die Pflegekosten von den Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder überwiegend getragen worden sind.

Bedenken ergeben sich für den Senat allerdings insoweit, als für die Steuerbefreiung ausschließlich auf die im vorhergehenden Jahr erbrachten Leistungen abgestellt werden soll, was bei der Klägerin - die erst im Jahr 1993 ihren Betrieb aufgenommen und seit Erteilung der kassenärztlichen Erlaubnis und damit seit Oktober 1993 unstreitig auch die Bedingungen des § 4 Nr. 16 e UStG erfüllt hatte - zu dem wenig befriedigenden Ergebnis führen würde, dass trotz des Umstands, dass die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung ab Oktober 1993 vorgelegen haben, die Steuerbefreiung erst ab 1995 gewährt würde.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH ist der Senat daher zu der Auffassung gelangt, dass die Vorschrift des § 4 Nr. 16 e UStG dahingehend richtlinienkonform auszulegen ist, dass für die Einordnung der Klägerin erst der Zeitraum ab Oktober 1993 heranzuziehen ist, da sie die Bedingungen, an welche die Steuerbefreiung anknüpft, für die Zeit vor Erteilung der kassenärztlichen Zulassung gar nicht erfüllen konnte.

Im Streitfall kann zunächst nicht - wie in § 4 Nr. 16 e UStG vorgesehen - das vorangegangene Kalenderjahr für die Beurteilung der Umsätze herangezogen werden, da die Klägerin ihre unternehmerische Tätigkeit erst im Laufe des Jahres 1993 aufgenommen hat. Es ist in diesen Fällen auf das laufende Kalenderjahr abzustellen (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 25. November 1993 V R 64/89, BFHE 173, 242, BStBl II 1994, 212). Für diesen Fall sehen auch die Umsatzsteuer-Richtlinien in Abschnitt 99 a Abs. 7 vor, dass auf die voraussichtlichen Verhältnisse des laufenden Kalenderjahres abzustellen sei. Aus dem nachfolgenden Beispiel ist außerdem abzuleiten, dass die Finanzverwaltung für den Fall, dass die Steuerbefreiung im Erstjahr aufgrund einer Prognose gewährt, letztlich die Mindestgrenze von 40% aber nicht erreicht wurde, für das Folgejahr Umsatzsteuerpflicht annehmen sein würde.

Dabei wird nach der Überzeugung des Senats aber dem Umstand nicht ausreichend Rechnung getragen, dass die Klägerin erst ab Erteilung der kassenärztlichen Erlaubnis unzweifelhaft als "anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter" im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6. EG-Richtlinie angesehen werden konnte. So hat auch die Verwaltung A XXX in der Bescheinigung vom 19. Oktober 2005 darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für das Anerkenntnis als Einrichtung mit sozialem Charakter spätestens seit dem Abschluss eines Versorgungsvertrags mit der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände sowie mit der Aufnahme von vertraglichen Beziehungen oder der Durchführung von Abrechnungen mit den Ämtern des Landes XXX als Trägern der Sozialhilfe vorlägen. Der Bescheinigung der XXX ist mithin nicht zu entnehmen, dass die Voraussetzungen einer "anerkannten Einrichtung mit sozialem Charakter" bereits vorher vorgelegen hätten. Würde man unter diesen Umständen daran festhalten, die Steuerbefreiung - auch für das Folgejahr - von den tatsächlichen Umsätzen des gesamten Jahres 1993 abhängig zu machen, würde die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g im vorliegenden Fall für zwei Jahre leer laufen, obwohl die Bedingungen dafür seit Oktober 1993 offensichtlich vorlagen und nach den Fallzahlen auch für die Zukunft mit einem Erreichen der Mindestgrenze zu rechnen war.

So ist bei der Auslegung des § 4 Nr. 16 e UStG im Lichte der Steuerbefreiungstatbestände des Art. 13 Teil A Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie auch der Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu beachten. Dieser verbietet es insbesondere, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich behandelt werden (EuGH-Urteil vom 10. September 2002 Rs. C-141/00 Kügler, EuGHE 2002, I-6833, UR 2002, 513). Die Klägerin würde als Existenzgründerin bei einer Anknüpfung an die im gesamten Jahr 1993 erzielten Umsätze im Vergleich zu anderen (bereits etablierten) Anbietern mit kassenärztlicher Zulassung im Wettbewerb auch erheblich schlechter gestellt werden, da sie zusätzlich noch die Steuerbelastung zu tragen hätte und dies nicht nur für das Jahr der Existenzgründung, sondern auch für das nachfolgende Kalenderjahr.

Der Klägerin war daher bei gemeinschaftsrechtkonformer Auslegung die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 e UStG für den verbleibenden Zeitraum des Jahres 1993 und für das Jahr 1994 in vollem Umfang zu gewähren.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 136 Abs. 1 Satz 1, 136 Abs. 2 FGO bzw. für die Zeit nach Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide 1995 und 1996 aus § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zur Abwendungsbefugnis beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung -ZPO-.

Das Gericht hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Der Streitwert beträgt bis zur Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide 1995 und 1996: 95 085,00 EUR, für die Zeit danach 31 886,00 EUR.

Den Streitwert hat das Gericht ausgehend von den Sachanträgen der Beteiligten gemäß §§ 25, 13 Gerichtskostengesetz -GKG- bestimmt.



Ende der Entscheidung

Zurück