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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Brandenburg
Urteil verkündet am 24.08.2006
Aktenzeichen: 6 K 110/06
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 2
EStG § 70 Abs. 4
AO § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat das Finanzgericht des Landes Brandenburg - 6. Senat - ohne mündliche Verhandlung am 24. August 2006 durch die Vorsitzende Richterin am Finanzgericht ..., den Richter am Finanzgericht ..., die Richterin am Finanzgericht ... sowie die ehrenamtlichen Richter Herr ... und Herr ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid vom 23. August 2005 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Dezember 2005 wird aufgehoben und Kindergeld für das Kind A... für die Monate Januar bis Juni und Oktober bis Dezember 2004 gewährt.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Tatbestand:

Der Kläger ist Vater des im Dezember 1980 geborenen Kindes A..., der sich bis Juni 2004 in der Berufsausbildung zum technischen Zeichner und ab 15. Oktober 2004 im Studium Maschinenbau befand.

Der Sohn A... des Klägers erzielte Einkünfte und Bezüge - unter Berücksichtigung der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge - unterhalb der Einkunftsgrenze.

Die Beklagte hatte den Antrag auf Gewährung von Kindergeld für A... mit Bescheid vom 10. Dezember 2004 abgelehnt, da die Einkünfte und Bezüge des Kindes - ohne Berücksichtigung der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge - die anteilige gesetzliche Einkunftsgrenze überstiegen. Mit Einspruchsentscheidung vom 29. Dezember 2004 war der Einspruch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen worden.

Im Juni 2005 stellte der Kläger aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur Berücksichtigung der (gesetzlichen) Sozialversicherungsbeiträge (BVerfG Beschluss vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2005, 911) einen erneuten Antrag auf Gewährung von Kindergeld. Diesen lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 23. August 2005 ab. Der hiergegen erhobene Einspruch hatte keinen Erfolg.

Der Kläger hat fristgerecht Klage vor dem Finanzgericht erhoben. Er trägt vor, die Entscheidung der Familienkasse aus dem Jahr 2004 für das Jahr 2004 sei lediglich eine Prognoseentscheidung, die nach Ablauf des Jahres jederzeit überprüft und geändert werden könne.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid vom 23. August 2005 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Dezember 2005 aufzuheben und Kindergeld für das Kind A... für die Monate Januar bis Juni und Oktober bis Dezember 2004 zu gewähren

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung ergeht gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO - mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.

Dem Kläger steht Kindergeld für die Monate Januar bis Juni und Oktober bis Dezember 2004 für ein in Ausbildung befindliches Kind zu. Die Einkünfte und Bezüge des Kindes A... liegen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge unter dem anteiligen Grenzbetrag (vgl. BVerfG Beschluss vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, DStR 2005, 911).

Einer Festsetzung von Kindergeld für den streitigen Zeitraum steht die Bestandskraft des Bescheides vom 10. Dezember 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Dezember 2004 nicht entgegen. Denn die Durchbrechung der Bestandskraft ist durch die Regelung des § 70 Abs. 4 Einkommensteuergesetz - EStG - gedeckt. Nach dieser Vorschrift ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG über- oder unterschreiten. Unter welchen Voraussetzungen eine Unterschreitung des Grenzbetrages nach § 32 Abs. 4 EStG nachträglich bekannt geworden ist, ist im Einkommensteuergesetz selbst nicht geregelt. Infolgedessen sind die Voraussetzungen dieses Merkmals nach Maßgabe von Rechtsprechung und Schrifttum zu der insoweit gleichlautenden Regelung des § 173 Abgabenordnung - AO - zu bestimmen. Danach sind zur Aufhebung und Änderung von Kindergeldbescheiden führende nachträglich bekannt gewordene Tatsachen i.S. des § 70 Abs. 4 EStG solche Tatsachen, die im Zeitpunkt des Abschlusses der Willensbildung des für die Kindergeldfestsetzung zuständigen Beamten noch nicht bekannt waren. (vgl. Finanzgericht - FG - Münster Urteil vom 24. März 2006 11 K 4391/05 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2006, 988; so auch FG Nürnberg Urteil vom 12. Januar 2006 VI 311/2005, EFG 2006, 752; FG Düsseldorf Urteil vom 12. Januar 2006 14 K 4078/05 Kg, n.v., juris)

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Beklagte die vom Kläger begehrte Festsetzung des Kindergeldes zu Unrecht abgelehnt. Denn die genaue Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes A... für das Jahr 2004 - unter Berücksichtigung der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge und der Werbungskosten - kann der Familienkasse im Zeitpunkt ihrer Entscheidung (10. Dezember 2004 bzw. 29. Dezember 2004) nicht bekannt gewesen sein. Bei der genauen Höhe der entrichteten Sozialversicherungsbeiträge handelt es sich auch um eine rechtlich erhebliche Tatsache i.S.d § 70 Abs. 4 EStG. Denn Tatsache ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann (so FG Münster Urteil vom 24. März 2006 a.a.O.)

Demgegenüber kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, dass der Kläger den auf einer rechtsfehlerhaften Berechnung der voraussichtlich erzielten Einkünfte und Bezüge beruhenden Bescheid vom 10. Dezember 2004 hat bestandskräftig werden lassen. Denn durch die Einführung des § 70 Abs. 4 EStG sollte auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass regelmäßig erst im Jahresrückblick darüber entschieden werden kann, ob die Einkünfte und Bezüge eines Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG über- oder unterschreiten, das heißt, weder der Kindergeldberechtigte noch die Familienkasse sollte an eine fehlerhafte Prognoseentscheidung gebunden sein (so FG Münster Urteil vom 24. März 2006 a.a.O.)

Daran ändert auch nichts, dass die ablehnende Entscheidung der Familienkasse kurz vor Jahresende getroffen wurde, denn bis Jahresabschluss hat die Höhe der Einkünfte und Bezüge tatsächlich nicht festgestanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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