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Gericht: Finanzgericht Brandenburg
Urteil verkündet am 29.11.2005
Aktenzeichen: 6 K 356/03
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG 1997


Vorschriften:

AO 1977 § 165 Abs. 1
AO 1977 § 5
EStG 1997 § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
EStG 1997 § 13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat das Finanzgericht des Landes Brandenburg - 6. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 29. November 2005 durch die Vorsitzende Richterin am Finanzgericht ..., den Richter am Finanzgericht ..., die Richterin am Finanzgericht ..., sowie die ehrenamtlichen Richter Frau ... und Frau ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.

Tatbestand:

Die Kläger sind Eheleute und werden im Streitjahr (2000) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielen als Ärzte in erheblichem Umfang Einkünfte aus selbständiger Arbeit.

Seit 1991 betreiben die Kläger eine Pferdezucht und seit 1992 eine Pferdepension. Zudem haben sie eine Reithalle errichtet und im Jahr 2002 einen Pferdewirt mit der Befähigung zum Bereiter eingestellt. Ebenso wurde im Jahr 2002 ein neuer, moderner Stall fertiggestellt, der sowohl der Aufzucht als auch der Pension dienen soll. Daraus entstanden den Klägern im Wesentlichen Verluste; die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft entwickelten sich - bezogen auf die Veranlagungszeiträume wie folgt:

 ESt 1992./. 33.986
ESt 1993./. 40.268
ESt 1994./. 74.990
ESt 1995./. 93.272
ESt 1996./. 168.104
ESt 1997./. 184.910
ESt 1998./. 166.691
ESt 1999./. 171.426
ESt 2000./. 98.000

Bis zum Veranlagungsjahr 1996 hatte der Beklagte die Verluste endgültig anerkannt; für die Veranlagungszeiträume 1997 bis 1999 erfolgte die Berücksichtigung der Verluste vorläufig.

In der Zeit von September 2000 bis März 2002 fand bei den Klägern hinsichtlich des Betriebs der Land- und Forstwirtschaft für die Wirtschaftsjahre 1995/1996, 1996/1997, 1997/1998 eine Betriebsprüfung statt. Auf die Feststellungen im Betriebsprüfungsbericht vom 7. März 2002 wird verwiesen.

Im Streitjahr erkannte der Beklagte die Verluste aus Land- und Forstwirtschaft als Ergebnis der Betriebsprüfung und der Schlussbesprechung erstmals nicht an, indem er diese Einkünfte vorläufig mit DM 0,- berücksichtigte. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein. Auf die dortigen Ausführungen, die auch eine Totalgewinnprognose beinhaltet, wird verwiesen. Der Einspruch wurde mit der Einspruchsentscheidung vom 20. Januar 2003 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, bei einer vorläufigen Veranlagung nach § 165 Abgabenordnung - AO - bestehe die Möglichkeit, die ungewissen Sachverhalte entweder vorläufig in die Steuerfestsetzung einzubeziehen oder die Steuer ohne den ungewissen Teil festzusetzen. Von welcher der Möglichkeiten Gebrauch gemacht werde, entscheide das Finanzamt nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Im vorliegend zu beurteilenden Fall liege aufgrund der Sachverhaltsfeststellungen der landwirtschaftlichen Betriebsprüfung seit 1991 ein Liebhabereibetrieb vor. Die seit der Gründung bis 1999 entstandenen "Anlaufverluste" seien zwar zunächst steuerlich berücksichtigt worden. Ab der Veranlagung zur Einkommensteuer 2000 würden die Verluste aus dem landwirtschaftlichen Betrieb jedoch erstmals steuerlich nicht mehr vorläufig berücksichtigt, weil nahezu sämtliche Merkmale im Beurteilungszeitraum 1991 bis 1999/2000 gegen eine Gewinnerzielungsabsicht sprächen.

Denn bis zum Wirtschaftsjahr 1999/2000 seien nur Verluste erwirtschaftet worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sei zudem ein wesentliches Kriterium für die Annahme einer Liebhaberei im Bereich der Landwirtschaft die Frage, ob ein anderer Landwirt, dem keine laufenden Geldzuflüsse von außerhalb der Landwirtschaft zur Verfügung stünden, den Betrieb in der vorliegenden Form über einen längeren Zeitraum hinweg geführt hätte und hätte führen können. Der Betrieb der Kläger habe aber nur dadurch aufrechterhalten werden können, weil ihnen aus anderen Einkunftsquellen Mittel zur Verfügung standen, die teilweise in den Betrieb eingebracht worden seien. Danach liege die Wahrscheinlichkeit eines Liebhabereibetriebes bei mehr als 50%.

Zwar seien Anlaufverluste steuerlich nur dann nicht (endgültig) zu berücksichtigen, wenn aufgrund der Entwicklung des Betriebes eindeutig feststehe, dass der Betrieb von Anfang an ungeeignet gewesen sei, auf Dauer Gewinne zu erbringen. Diese Eindeutigkeit sei hier jedoch (noch) nicht gegeben. Im Rahmen der Betriebsprüfung seien durch die Kläger zukünftige betriebliche Entwicklungen vorgetragen worden, deren Auswirkungen auf die Totalgewinnsituation zweifelhaft und noch nicht konkret bezifferbar seien, gleichwohl bei einer Gesamtwürdigung nicht gänzlich ausgeschieden werden könnten. Es sei daher erforderlich, die weitere Sachverhaltsaufklärung fortzuführen. Erst nach der Realisierung der durch die Kläger geplanten Maßnahmen könne abschließend das Vorliegen der Einkunftserzielungsabsicht und damit die steuerliche Abzugsfähigkeit geprüft werden. Die Möglichkeit des Vorliegens eines Liebhabereibetriebes sei derzeit jedoch größer als die Möglichkeit des Vorliegens eines landwirtschaftlichen Betriebes. Unter diesen Umständen sei eine vorläufige Nichtberücksichtigung der geltend gemachten Verluste ab 2000 ermessensgerecht. Es könne nicht länger gerechtfertigt werden, dass der Fiskus weiterhin die Folgen der bestehenden Ungewissheit durch eine niedrige vorläufige Steuerfestsetzung tragen soll. Denn es sei auch zu berücksichtigen, dass auf die Kläger im Falle der endgültigen Versagung der Berücksichtigung der Verluste hohe Steuernachforderungen und Zinsen zukämen. Es sei nicht auszuschließen, dass deren Beitreibung dann gefährdet sei.

Die Kläger haben fristgerecht Klage erhoben. Sie tragen im Wesentlichen vor, die Entscheidung des Beklagten sei ermessensfehlerhaft. Indem der Beklagte die Verluste vorläufig nicht mehr berücksichtige, nehme er die Entscheidung, ob Liebhaberei vorliege, vorweg. Der Beklagte habe bei seiner Entscheidung zudem unberücksichtigt gelassen, dass das Wirtschaftsjahr 2000/2001 mit einem Verlust von nur DM ./. 20.157 abschließe und eine deutliche Verbesserung zum Vorjahr (1999/2000 DM ./. 176.273,64) darstelle. Der Jahresabschluss 2001/2002 weise sogar einen Gewinn in Höhe von EUR 698,65 aus. Es sprächen somit keineswegs überwiegende Indizien für eine Liebhaberei. Hinsichtlich der Frage, ob tatsächlich Liebhaberei vorliege, sei insbesondere bei einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft im Beitrittsgebiet eine Anlaufphase von über 10 Jahren geboten. Die Anlaufphase sei erst mit Fertigstellung des Betriebes im Jahr 2002 beendet, erst dann könne die Prüfung, ob Liebhaberei vorliege, einsetzen. Unberücksichtigt gelassen habe der Beklagte ferner, dass die Kläger ihren Betrieb bereits mehrfach umstrukturiert hätten, gerade um Gewinne zu erzielen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 20. Januar 2003 den Einkommensteuerbescheid 2000 vom 12. Februar 2002 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft Verluste in Höhe von DM 98.215,32 unter Beibehaltung der Vorläufigkeit anerkannt werden und im Falle des Unterliegens die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte meint, das von den Klägern während der Betriebsprüfung vorgelegte neue Betriebskonzept ab 2001 rechtfertige es zwar durchaus, noch nicht endgültig von einer Liebhaberei auszugehen. Da der Vortrag der Kläger zu ihrem neuen Betriebskonzept und zu ihren Umstrukturierungsmaßnahmen hinsichtlich der Auswirkungen noch nicht konkret bezifferbar sei, sei es gerechtfertigt, vorläufig die Verluste nicht weiter bei der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Beklagte hat die Verluste aus Pferdezucht und Pferdepension zu Recht ab dem Veranlagungsjahr 2000 vorläufig nicht berücksichtigt. Die Kläger sind dadurch nicht in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.

Nach § 165 AO kann eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung der Steuer eingetreten sind. Die Steuerfestsetzung kann auch gegen oder ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt werden.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Festsetzung der Einkommensteuer 2000 im Hinblick auf die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft dem Grunde nach vorliegen. Es geht vorliegend ausschließlich um die Frage, ob das Finanzamt sein Ermessen bei der Veranlagung insofern ordnungsgemäß ausgeübt hat, als es die Verluste aus Land- und Forstwirtschaft - nach einer mehrjährigen vorläufigen Berücksichtigung der Verluste - erstmals vorläufig nicht mehr berücksichtigt hat.

Die Vorläufigkeitserklärung ist grundsätzlich eine Ermessensentscheidung (Bundesfinanzhof - BFH - Urteil vom 7. Februar 1992 III R 61/91, Bundessteuerblatt - BStBl. - II 1992, 592). Bestehen in tatsächlicher Hinsicht Ungewissheiten über die Voraussetzungen des gesetzlichen Steuertatbestandes, hat die Finanzbehörde in mehrfacher Hinsicht einen Ermessensspielraum. Sie kann sich grundsätzlich dafür entscheiden, die in den tatsächlichen Voraussetzungen ungeklärte Frage aus der Besteuerung gänzlich auszuklammern oder in die Steuerfestsetzung einzubeziehen (BFH Beschluss vom 22. Dezember 1987 IV B 174/86, BStBl. II 1988, 234). Dabei kann die Finanzbehörde die Entscheidung über die Einbeziehung bzw. Ausklammerung der ungewissen Besteuerungsgrundlagen im Einzelfall nach Maßgabe der überwiegenden Wahrscheinlichkeit treffen (so auch Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler Kommentar zur AO/FGO, § 165 Rdnr. 21).

Das Finanzgericht hat die insoweit vom Beklagten getroffene Ermessensentscheidung gemäß § 102 FGO lediglich darauf zu überprüfen, ob der angefochtene Bescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (so auch BFH, Urteil vom 13. April 1978 - V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl. II 1978, 508, und vom 3. Februar 1981 - VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl. II 1981, 493). Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lässt, muss deshalb die Ermessensentscheidung der Verwaltung im Steuerbescheid, spätestens aber in der Einspruchsentscheidung begründet werden (§§ 121 Abs. 1, 126 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO), anderenfalls sie im Regelfall fehlerhaft ist. Dabei müssen die bei der Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen aus der Entscheidung erkennbar sein (siehe auch BFH, Urteil vom 3. Februar 1981 - VII R 86/78, a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen vor.

Der Beklagte hat das ihm obliegende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt und die für die Entscheidung maßgeblichen Erwägungen in der Einspruchsentscheidung erkennbar dargelegt. Dabei ist das Finanzamt ersichtlich von den oben dargestellten rechtlichen Grundsätzen ausgegangen. Der Umstand, dass in Vorjahren bisher die erklärten Verluste vorläufig bei der Steuerfestsetzung mit berücksichtigt worden waren, begründet nach den Umständen des hier zu entscheidenden Einzelfalls keinen Ermessensfehlgebrauch. Unter Berücksichtigung des Prinzips der Abschnittsbesteuerung muss der Beklagte in jedem Veranlagungszeitraum erneut die Entscheidung treffen, ob im Rahmen einer vorläufigen Steuerfestsetzung die ungewissen Besteuerungsgrundlagen einzubeziehen bzw, auszuklammern sind. Dem ist der Beklagte, wenn auch - vorläufig zu Ungunsten der Kläger - nachgekommen. Damit hat er die gesetzlichen Grenzen des ihm übertragenden Ermessens nicht überschritten.

Entgegen der Auffassung der Kläger hat der Beklagte durch die Entscheidung, ab 2000 die erklärten Verluste vorläufig bei der Steuerfestsetzung auszuklammern, nicht die endgültige Entscheidung über die Frage, ob Liebhaberei vorliegt, vorweggenommen. Das ergibt sich schon aus der Vorläufigkeit der Veranlagung. Aufgrund des von der landwirtschaftlichen Betriebsprüfung festgestellten Sachverhaltes konnte der Beklagte im Streitjahr auch zu der Würdigung dahingehend kommen, dass mehr Umstände gegen einen steuerlich anzuerkennenden landwirtschaftlichen Betrieb sprachen.

Denn die Kläger können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Entscheidung sei deshalb ermessensfehlerhaft, weil der Beklagte in der Einspruchsentscheidung die Ergebnisse der Wirtschaftsjahre 2000/2001 (Verlust von nur DM ./. 20.157) und 2001/2002 (Gewinn in Höhe von EUR 698,65) nicht berücksichtigt habe. Diese Ergebnisse sprechen zwar in der Tendenz gegen eine Liebhaberei. Sie waren aber angesichts der übrigen Umstände des Sachverhalts nicht so gewichtig, dass damit zum Zeitpunkt der Ermessensentscheidung die Wahrscheinlichkeit für eine endgültige Berücksichtigung der Verluste überwog.

Es ist den Klägern darin zuzustimmen, dass es im Einzelfall auch eine über 8 Jahre hinausgehende Anlaufphase geben kann. Das hat auch der Beklagte berücksichtigt, indem er im Jahre 2000 noch nicht endgültig über die Frage der Liebhaberei entschieden hat. Damit hat er nicht nur den während der Betriebsprüfung angekündigten Veränderungen in der Betriebsorganisation und der beabsichtigten Erweiterung der Pferdepension Rechnung getragen, sondern auch berücksichtigt, dass die Kläger im Verlaufe der Entwicklung des landwirtschaftlichen Betriebes bereits am Anfang das betriebliche Konzept geändert hatten, indem sie die Pferdezucht zusätzlich in den Betrieb mit aufnahmen. Allerdings hat der Beklagte in der Einspruchsentscheidung für die hier zu prüfende Frage, ob im Rahmen einer vorläufigen Steuerfestsetzung die ungewissen Besteuerungsgrundlagen einzubeziehen bzw, auszuklammern sind, darauf abgestellt, dass die Auswirkungen der betrieblichen Veränderungen auf die Totalgewinnsituation zweifelhaft bzw. noch nicht konkret bezifferbar seien. Diese Würdigung ist angesichts der von den Klägern vorgelegten Totalgewinnprognose nicht zu beanstanden. Diese Berechnung ist sehr grob, weil sie nicht auf den künftigen wirtschaftlichen Betrieb abstellt, sondern ausschließlich auf den Verkauf des Betriebes. Selbst wenn man dies genügen ließe, mangelt es zur Überprüfbarkeit der Prognose bereits an einer konkreten Darlegung zur Wertermittlung der Anlagewerte nach Fertigstellung des Betriebes.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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