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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 29.05.2007
Aktenzeichen: 10 K 174/06 Kg
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 2
EStG § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

10 K 174/06 Kg

Tenor:

Unter Aufhebung des Bescheides vom 10.8.2005 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 24.11.2005 wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Kindergeld für dessen Sohn "B" für den Zeitraum von Mai 2004 bis November 2005 zu bewilligen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Familienkasse der Arbeitsagentur "A", mit dem diese seinen Antrag auf Bewilligung von Kindergeld abgelehnt hat.

Nach eigenen Angaben ist er libanesicher Staatsbürger. Nach dem Inhalt der vom Gericht beigezogenen Ausländerakte reiste er bereits im Kalenderjahr 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach erfolglos verlaufenem Asylverfahren erteilte die Stadt "A" am 6.3.2002 gemäß § 30 des Ausländergesetzes (AuslG) eine befristete und hinsichtlich einer Arbeitsaufnahme eingeschränkte Aufenthaltsbefugnis. Diese wurde in der Folgezeit mehrfach verlängert. Unter dem 20.6.2005 erteilte die Stadt "A" schließlich eine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Eine Erwerbstätigkeit wurde hierbei ausdrücklich gestattet.

Die Bewilligung von Kindergeld hatte der Kläger erstmals im März 2004 beantragt, und zwar für seinen am 21.2.2004 geborenen Sohn "B". Diesen Antrag hatte die Beklagte unter dem 1.4.2004 abgelehnt. Einspruch hatte der Kläger seinerzeit nach Aktenlage nicht erhoben.

Am 4.7.2005 beantragte der Kläger erneut, Kindergeld für seinen Sohn "B" festzusetzen. Auch diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 10.8.2005).

Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels sei, der einen Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld begründe. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger unter dem 15.8.2005 Einspruch. Zur Begründung verwies er auf die ihm am 20.6.2005 erteilte Aufenthaltserlaubnis.

Die Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück (Entscheidung vom 24.11. 2005). Dazu teilte sie mit, dass auch die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG nicht geeignet sei, einen Anspruch auf Kindergeld zu begründen.

Im Klageverfahren trägt der Kläger vor:

Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, denn er habe einen Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld für seinen Sohn "B". Der Gesetzgeber habe nämlich nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Juli 2004 (1 BvL 4/97, Sammlung der Entscheidungen des BVerfG <BVerfGE> 111, 160) reagiert und das Einkommensteuergesetz (EStG) geändert. Nach dieser Neufassung des Gesetzes wiederum stehe ihm eine Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld zu.

Er halte sich bereits seit 1996 rechtmäßig in Deutschland auf und im März 2002 habe er eine Aufenthaltsbefugnis erhalten. Anschließend sei ihm auch eine unbefristete Arbeitsgenehmigung erteilt worden (Bl. 55 der Gerichtsakte). Seit dem 17.11.2003 sei er schließlich erwerbstätig. Dazu verweise er auf die in den Ausländerakten abgehefteten Unterlagen (Ablichtungen Bl. 57 bis 62 der Gerichtsakte) und auf eine Meldebescheinigung zur Sozialversicherung betreffend das Streitjahr 2005 (Bl. 56 der Gerichtsakte). Aus diesen Unterlagen sei ersichtlich, dass er zunächst als geringfügig Beschäftigter mit einem Monatslohn in Höhe von 165,-- EUR tätig gewesen sei. Vor kurzer Zeit sei dieses Arbeitsverhältnis in eine Vollzeitbeschäftigung umgewandelt worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 10.8.2005 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 24.11.2005 Kindergeld für seinen Sohn "B" für den Zeitraum von Mai 2004 bis November 2005 zu bewilligen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Sie ist der Auffassung, dass die Neuregelung des § 62 EStG (vergl. dazu das Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 <BGBl> I 2006, 2915>) allenfalls dann einen Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld begründe, wenn eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung ausgeübt werde.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der Kläger wird durch den ablehnenden Bescheid vom 10.8.2005 in seinen Rechten verletzt ( § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung < FGO>), denn dieser Bescheid ist rechtswidrig.

Der Kläger hat nach den Regelungen des EStG einen Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld für den Zeitraum von Mai 2004 bis November 2005.

Das ergibt sich aus der auch von den Beteiligten zur Beurteilung des Sachverhalts herangezogenen Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG, denn diese ist für alle Zeiträume anzuwenden, in denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist ( § 52 Abs. 61 a Satz 2 EStG in der Fassung des Gesetzes vom 13. Dezember 2006).

Für den Kläger ergibt sich der Anspruch aus den Bestimmungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 und 3 EStG. Er hält sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Ferner ist er seit dem 20.6.2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 25 Abs. 3 (AufenthG), die zu einer Erwerbstätigkeit berechtigt. Zuvor hatte er eine diesem Aufenthaltstitel vergleichbare (vergl. dazu das Urteil des erkennenden Senats vom 23. Januar 2007 - 10 K 2661/04 Kg, abrufbar unter www.justiz.nrw.de) Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG. Auch diese hatte ihm eine Erwerbstätigkeit ermöglicht, wenn auch nur in Form einer nichtselbständigen Tätigkeit, für die ihm eine Arbeitserlaubnis erteilt worden war. Weitere Ausführungen dazu sind entbehrlich, denn die Beklagte vertritt in diesem Zusammenhang keine anderweitige Rechtsauffassung.

Der Kläger ist im streitigen Zeitraum auch "berechtigt erwerbstätig" gewesen ( § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG).

1. Der Senat ist nämlich der Überzeugung ( § 96 Abs. 1 FGO), dass er nach dem Erhalt der unbefristeten Arbeitserlaubnis im hier streitigen Zeitraum von Mai 2004 bis November 2005 bei der Firma "C" in "A" nichtselbständig tätig gewesen ist. Diese Überzeugung beruht auf den in der Ausländerakte abgehefteten und den vom Kläger übergebenen Unterlagen. Zwar sind dies nicht sämtliche Gehaltsabrechnungen des vorgenannten Zeitraums, die vom Kläger beigebrachten Nachweise reichen aber aus, seinen Vortrag zu stützen. So weist die Bestätigung des Steuerberaters "D" vom 30.6.2005 (Bl. 58 der Gerichtsakte) nach, dass der Kläger in der Zeit vom 17.11.2003 bis zum 30.6.2005 bei der Firma "C" beschäftigt gewesen ist. Etwaige Bedenken gegen die Richtigkeit dieser Bestätigung haben sich im Streitfall nicht ergeben. Sie wird außerdem untermauert durch den Anstellungsvertrag vom 17.11.2003 (Bl. 57 der Gerichtsakte), durch eine Einkommensbescheinigung betreffend den Monat November 2004 (Bl. 62 der Gerichtsakte) sowie durch einen Teil der Gehaltsabrechnungen (Monate April bis Juni 2005; Bl. 59 bis 61 der Gerichtsakte), in denen wiederum der 17.11.2003 als Eintrittsdatum vermerkt ist. Einen weiteren Nachweis für den Zeitraum von Januar bis Dezember 2005 liefert die Meldebescheinigung zur Sozialversicherung (Bl. 56 der Gerichtsakte), nach deren Inhalt die Firma "C" bei den Sozialversicherungsträgern ein Entgelt in Höhe von 1.980,-- EUR (= 12 x 165,-- EUR) angemeldet hat.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt der Wortlaut des Gesetzes mit der einfachen Formulierung "erwerbstätig" keine Anforderungen zur Art und zum Umfang dieser Tätigkeit auf. Insbesondere kann aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht die Voraussetzung einer Vollzeitbeschäftigung abgeleitet werden (vergl. dazu bereits die Entscheidung des erkennenden Senats vom 20. März 2007 - 10 K 226/04 Kg, noch nicht veröffentlicht).

Auch der Sinn des Gesetzes erfordert nicht die Auslegung des Begriffs "erwerbstätig" im Sinne der Rechtsauffassung der Beklagten. Der Senat sieht nämlich in den in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG normierten Voraussetzungen lediglich weitere Kriterien zu der für die Bewilligung von Kindergeld vom Gesetzgeber als notwendig erachteten Prognose, ob ein Ausländer vermutlich auf Dauer im Bundesgebiet verbleiben werde.

Mit der für die Gesetzesänderung ursächlichen Entscheidung vom 6. Juli 2004 (1 BvL 4/97, a.a.O.) hatte das BVerfG nämlich das mit der gesetzlichen Neufassung des § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 verfolgte Ziel, Kindergeld nur noch solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten sei, dass sie auf Dauer in Deutschland blieben (BT-Drucks. 12/5502, S. 44), als solches nicht beanstandet, sondern nur die dafür gewählte Form. Durch die Neuregelung wird das genannte Ziel nach Auffassung des Gerichts (nunmehr in anderer Form) umgesetzt. Zwar knüpft die Regelung des § 62 Abs. 2 EStG in der neuen Fassung auch noch an die verschiedenen Aufenthaltstitel an, das Regelungssystem zeigt aber, dass der Gesetzgeber hierbei eine Reihe von Umständen herangezogen hat, die unter Berücksichtigung weiterer Gesichtspunkte eine hinreichend verlässliche Prognose für einen nur vorübergehenden oder dauerhaften Aufenthalts im Inland ermöglichen. Erster Anhaltspunkt ist hierbei der Umstand, dass sich ein Ausländer erkennbar nur zum Zweck einer kurzfristigen Erwerbstätigkeit im Inland aufhält. Diese Ausländer hat der Gesetzgeber nicht in den Kreis der Anspruchsberechtigten einbezogen ( § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstaben a und b EStG).

Auf der anderen Seite hat er Ausländern, die sich bereits seit längerer Zeit in einer "gesicherten Rechtsposition" im Inland aufhalten und deshalb eine Niederlassungserlaubnis erhalten haben, einen Anspruch auf Kindergeld zuerkannt.

Die Entscheidung des Gesetzgebers, eine entsprechende Regelung für die Fallgruppe des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG nicht zu schaffen, ist darauf zurückzuführen, dass die dort genannten Aufenthaltstitel einen vorläufigen Charakter haben. In den genannten Fällen handelt es sich nämlich regelmäßig um Ausländer, die vor Erhalt der Aufenthaltserlaubnis zur Ausreise verpflichtet waren, und es erschien dem Gesetzgeber offenbar nicht gerechtfertigt, eine Prognose über den weiteren Aufenthalt in Deutschland allein darauf zu stützen, dass sie dieser Verpflichtung aus eigenem Entschluss nicht gefolgt sind. Vielmehr hat er die Grundlage für eine verlässliche Prognose über die Feststellung weiterer objektiv erkennbarer Indizien zur Verfestigung des Aufenthalts im Inland verbreitern wollen und hierbei Kriterien ausgewählt, die auf eine fortschreitende Integration im Inland hindeuten oder diese fördern (zeitlicher Anknüpfungspunkt, rechtmäßiger Aufenthalt). Dazu wiederum gehört auch die vom Gesetz geforderte Erwerbstätigkeit ( § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG), denn diese fördert ebenfalls die Integration, und zwar unabhängig von deren Umfang. Sprachliche und fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten werden ausgebaut und die wirtschaftliche Selbständigkeit wird gestärkt. Zudem zeigt auch eine zeitlich begrenzte berufliche Tätigkeit (Missbrauchsfälle möglicherweise ausgenommen), dass ein Ausländer sich nicht ausschließlich auf die im Inland existierenden Sozialsysteme verlassen, sondern selbst einen Beitrag für den eigenen Lebensunterhalt leisten will. Hinzu kommt, dass gerade eine zeitlich begrenzte Tätigkeit vielfach von Arbeitnehmern und der Arbeitsverwaltung dazu genutzt wird, Arbeitgebern die Möglichkeit zu geben, sich von den persönlichen und fachlichen Fähigkeiten eines Bewerbers zu überzeugen, oder dem Bewerber in der Zeit der geringfügigen Beschäftigung die für eine Vollzeitbeschäftigung notwendigen Fertigkeiten zu vermitteln. So ist es offenbar auch im Streitfall geschehen, denn nach seinen Auskünften in der mündlichen Verhandlung übt der Kläger nunmehr eine Vollzeitbeschäftigung aus.

Auch soweit die Beklagte für die gesetzlich geforderte Erwerbstätigkeit eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit verlangen will, führt dies im Streitfall nicht zu einer anderen Beurteilung. Zum einen ist dem Wortlaut des Gesetzes eine derartige Einschränkung nicht zu entnehmen. Zum anderen hat ein Arbeitgeber seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 388) auch im Falle einer geringfügigen Beschäftigung gemäß § 249 b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und § 172 Abs. 3 bzw. § 168 Abs. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch Beiträge an die Träger der Kranken- bzw. Rentenversicherung abzuführen, wodurch wiederum die sozialen Versicherungssysteme gestärkt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Zulassung der Revision ergibt sich aus der Regelung des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, denn eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob die in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG erwähnte Erwerbstätigkeit in besonderer Weise ausgestaltet sein muss, liegt, soweit ersichtlich, noch nicht vor.

Ende der Entscheidung

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