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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 23.04.2007
Aktenzeichen: 10 K 2439/05 E
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG


Vorschriften:

AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
AO 1977 § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
EStG § 2 Abs. 2
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 4
EStG § 19 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

10 K 2439/05 E

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Strittig ist, ob der Beklagte die Steuerfestsetzung für das Streitjahr (2000) nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) ändern durfte, um eine Erstattung von Kirchensteuer, die sich aufgrund der erstmaligen Veranlagung zur Einkommensteuer für das Streitjahr ergeben hatte, sonderausgabenmindernd zu berücksichtigen.

Der Kläger erklärte am 30. Dezember 1999 seinen Austritt aus der katholischen Kirche. Der Beklagte erfasste diese für die sog. Grunddaten relevante Änderung am 1. April 2000. Die Arbeitgeberin des Klägers behielt mangels Änderung der Lohnsteuerkarte zu den für den Kirchensteuerabzug maßgebenden Merkmalen für das gesamte Streitjahr Lohnkirchensteuer in Höhe von 11.753 DM ein.

Der Beklagte setzte u. a. diesen Betrag im erstmaligen Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 4. April 2001 als gezahlte Kirchensteuer an. Nach Verrechnung mit im Streitjahr erstatteter Kirchensteuer für andere Veranlagungszeiträume, nicht jedoch der für 2000 einbehaltenen Lohnkirchensteuer, gelangten Sonderausgaben i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 11.833 DM zum Abzug. Der Bescheid wurde - wie ein am 8. November 2001 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ergangener Änderungsbescheid - bestandskräftig.

Auf Veranlassung der ehemaligen Oberfinanzdirektion (OFD) Düsseldorf überprüften die zu ihrem Bezirk gehörenden Finanzämter - darunter der Beklagte - im Dezember 2004, bei welchen Steuerpflichtigen es zur Erstattung von Kirchensteuern gekommen war, die im Jahr der Erstattung nicht mit gezahlter Kirchensteuer dieses Jahres hatten verrechnet werden können. Aufgrund des Ergebnisses dieser Prüfung änderte der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung für den Kläger und seine Ehefrau für das Streitjahr durch Bescheid vom 5. Januar 2005 dahin ab, dass er nur noch Kirchensteuer in Höhe von 80 DM als Sonderausgaben berücksichtigte.

Der Kläger legte dagegen Einspruch ein, mit dem er die Auffassung vertrat, dass eine Erstattung von Kirchensteuer dann kein rückwirkendes Ereignis für das Zahlungsjahr darstelle, wenn in diesem Jahr zu keinem Zeitpunkt eine Kirchensteuerpflicht bestanden habe.

Der Beklagte wies mit Schreiben vom 29. März 2005 darauf hin, dass es seiner Ansicht nach für die Annahme eines rückwirkenden Ereignisses nicht auf den Grund für die Erstattung ankomme. Der Bundesfinanzhof (BFH) differenziere in seinem Urteil vom 7. Juli 2004 XI R 10/04 (Bundessteuerblatt - BStBl - II 2004, 1058) insoweit nicht. Der Kläger hielt dem entgegen, dass eine Kirchensteuererstattung nur dann ein rückwirkendes Ereignis darstellen könne, wenn eine Kirchensteuerpflicht bestanden habe. Ohne Kirchenmitgliedschaft werde Kirchensteuer zu Unrecht gezahlt. Werde sie gleichwohl im Einkommensteuerbescheid als Sonderausgabe abgezogen, so sei der Bescheid insoweit fehlerhaft. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 sei indes nur anwendbar, wenn eine ursprünglich rechtmäßige Steuerfestsetzung durch den Eintritt des rückwirkenden Ereignisses nachträglich fehlerhaft und damit rechtswidrig werde. Der Beklagte könne sich für seine Ansicht auch nicht auf das BFH-Urteil vom 26. Juni 1996 X R 73/94 (BStBl II 1996, 646) stützen, weil diese Entscheidung zu einem Fall ergangen sei, in dem die Kirchenmitgliedschaft zweifelhaft und deshalb klärungsbedürftig gewesen sei. Bei Erlass des Bescheides vom 5. Januar 2005 sei zudem nicht beachtet worden, dass eine Änderung der Rechtsprechung des BFH nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden dürfe (§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977).

Der Beklagte wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2005 als unbegründet zurück. Er hielt daran fest, dass die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 aufgrund der Erstattung der Kirchensteuer im Jahr 2001 gegeben seien. Dadurch habe sich gezeigt, dass der Kläger durch die im Streitjahr gezahlte Kirchensteuer nicht endgültig wirtschaftlich belastet sei. Der erstmalige Einkommensteuerbescheid sei auch nicht fehlerhaft gewesen, weil er, der Beklagte, durch den Abzug der Lohnkirchensteuer lediglich dem Begehren des Klägers entsprochen habe. Ihr Ansatz habe weder für den Fall der Rechtsgrundlosigkeit des Einbehalts noch aufgrund der zu erwartenden Erstattung unterbleiben dürfen. Der Rechtsgrund sei keine Tatbestandsvoraussetzung für den Abzug. Er sei im Übrigen in der Eintragung der Kirchenmitgliedschaft auf der Lohnsteuerkarte zu sehen. Die Erstattung habe erst abgewartet werden müssen. Bis dahin habe in Höhe des strittigen Betrags von 11.753 DM eine Zahlung vorgelegen.

Mit seiner Klage hält der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens im Vorverfahren an seinem Begehren fest. Wegen der Einzelheiten wird auf die Klageschrift und den Schriftsatz vom 25. August 2005 verwiesen.

Der Kläger beantragt,

1. den Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 5. Januar 2005 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2005 aufzuheben,

2. hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

1. die Klage abzuweisen,

2. hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Wegen seines Vorbringens im Klageverfahren wird auf den Schriftsatz vom 1. Juli 2005 Bezug genommen.

II.

1. Die Klage ist unbegründet. Der Einkommensteuerbescheid vom 5. Januar 2005 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil er rechtmäßig ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Beklagte hat in der Kirchensteuererstattung, zu der es aufgrund der erstmaligen Veranlagung des Klägers und seiner Ehefrau zur Einkommensteuer für 2000 gekommen ist, zu Recht ein rückwirkendes Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 gesehen.

Der Beklagte durfte die im Einkommensteuerbescheid vom 8. November 2001 abgezogene Kirchensteuer gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 um die aufgrund des Einkommensteuerbescheides vom 4. April 2001 erstattete Kirchensteuer in Höhe von 11.753 DM vermindern.

Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Die Erstattung von Sonderausgaben i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist ein solches rückwirkendes Ereignis. Aus der Verwendung des Begriffs "Aufwendungen" in § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG folgt, dass nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 1996, 646). An einer endgültigen Belastung fehlt es, wenn Sonderausgaben erstattet werden. Das gilt auch, wenn erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums geklärt wird, ob Sonderausgaben erstattet werden.

Erstattungen von Sonderausgaben werden zwar aus Praktikabilitätsgründen üblicherweise im Jahr der Erstattung mit Sonderausgaben der gleichen Art verrechnet, d. h. bereits im Jahr der Erstattung ausgabenmindernd berücksichtigt. Eine derartige Verrechnung ist im Streitfall jedoch nicht möglich. Bei einer solchen Sachverhaltsgestaltung bleibt es dabei, dass es sich bei der Erstattung in vollem Umfang um ein rückwirkendes Ereignis handelt, das eine Änderung der Steuerfestsetzung des Veranlagungszeitraums gebietet, in dem der erstattete Betrag gezahlt wurde.

Für die Beurteilung, ob "Aufwendungen" i. S. von § 10 EStG vorliegen, ist der Rechtsgrund der Erstattung unerheblich. Der Steuerpflichtige ist in Höhe der Erstattung nicht endgültig wirtschaftlich belastet, und zwar unabhängig davon, ob Kirchensteuer mangels Kirchensteuerpflicht oder aufgrund einer Herabsetzung von Einkommensteuer erstattet wird (BFH-Entscheidungen in BStBl II 1996, 646; vom 5. Mai 2004 XI B 27/04, BFH/NV 2004, 1365, und in BStBl II 2004, 1058). Sonderausgaben i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG liegen vor, wenn der Steuerpflichtige - sei es auch im Wege des Lohnkirchensteuerabzugs - Zahlungen an eine steuererhebungsberechtigte Religionsgemeinschaft leistet. Ob für diese Leistungen ein Rechtsgrund besteht, ist unbeachtlich. Ob bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 4 EStG) anzusetzende Besteuerungsgrundlagen vorliegen, hängt - wie bei den für die Ermittlung der Einkünfte (§ 2 Abs. 2 EStG) maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen - nicht davon ab, ob dafür ein Rechtsgrund vorhanden ist. Dies ist in § 19 Abs. 1 Satz 2 EStG für Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit ausdrücklich geregelt und ergibt sich allgemein aus § 41 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 (vgl. Wüllenkemper, Rückfluss von Aufwendungen im Einkommensteuerrecht, S. 11 f.). Erst die Erstattung der Sonderausgaben nimmt der vorangegangenen Zahlung den Charakter der Aufwendung. Bis dahin liegt eine Ausgabe vor, die die Voraussetzungen des jeweiligen Abzugstatbestands erfüllt. In diesem Sinne hat der BFH im Urteil in BStBl II 2004, 1058 (a. E.) ausgeführt, dass erst die "gezahlte" Erstattung von Kirchensteuer die "gezahlte" Kirchensteuer mindert. Der Senat kann sich deshalb der Auffassung der Kläger nicht anschließen, der erstmalige Einkommensteuerbescheid vom 4. April 2001 sei insoweit rechtswidrig gewesen, als die in der Lohnsteuerbescheinigung ausgewiesene Kirchensteuer zum Abzug gelangt sei, und dürfe deshalb nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 geändert werden.

Die Änderung war auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil bereits bei der erstmaligen Veranlagung Anhaltspunkte dafür bestanden, dass es zu einer Erstattung der Lohnkirchensteuer kommen werde (so auch BFH-Urteil in BStBl II 2004, 1058). Erst der Eintritt des rückwirkenden Ereignisses schafft die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, wie die Formulierung "Eintritt" deutlich zeigt. Hinzu kommt, dass eine Änderung insoweit zu unterbleiben hat, als eine Verrechnung mit gleichartigen Sonderausgaben im Jahr der Erstattung möglich ist. Dass dies im Streitfall nicht möglich war, stand im Rechtssinne erst mit Ablauf des Jahres 2001 fest. Bis dahin hätte der Kläger - z. B. durch erneuten Eintritt in die Kirche - erneut eine Kirchensteuerpflicht begründen können (vgl. auch Finanzgericht - FG - Münster, Urteil vom 30. September 2005 4 K 4598/03, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2006, 10).

a) § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 stand der Änderung nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist.

Es kann dahinstehen, ob der BFH seine Rechtsprechung zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 durch das Urteil in BStBl II 2004, 1058 i. S. von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 geändert hat oder ob die steuerliche Behandlung erstatteter, aber im Erstattungsjahr nicht anrechenbarer Kirchensteuer bis dahin lediglich noch nicht abschließend geklärt war (vgl. BFH-Beschluss vom 16. August 2006 XI B 168/05, BFH/NV 2006, 2033), weil er im Urteil in BStBl II 1996, 646 die Frage, ob in Fällen wie dem Streitfall § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 anzuwenden ist, offengelassen hat (gegen Rechtsprechungsänderung FG Münster in EFG 2006, 10). Jedenfalls hat der Beklagte im Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 8. November 2001 keine anders lautende Rechtsprechung des BFH angewandt. Er hat in diesem Bescheid nicht zum Ausdruck gebracht, dass er von einer weitergehenden Änderung als nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 deshalb abgesehen habe, weil eine Änderung hinsichtlich des Kirchensteuerabzugs als Sonderausgabe gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 nach damaliger Rechtsprechung nicht zulässig gewesen wäre. Der Bescheid vom 4. April 2001 kann insoweit schon deshalb keinen Vertrauensschutz entfalten, weil es sich dabei um einen Erst- und nicht um einen Änderungsbescheid handelt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen. Die OFD Frankfurt am Main vertritt in ihrer Verfügung vom 6. Juli 2005 - S 2221 - A - 8 St 111.08 (Deutsche Steuer-Zeitung 2005, 684) die Auffassung, dass eine Änderung des Sonderausgabenabzugs nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 insoweit ausgeschlossen ist, als es um Sonderausgaben geht, deren Erstattung absehbar war, weil es insoweit von vornherein an einer endgültigen wirtschaftlichen Belastung gefehlt habe, diese mithin nicht erst durch ein rückwirkendes Ereignis, nämlich die Erstattung, entfallen konnte. Heger (juris PR-Steuer 32/2004 Anm. 3) hat sich dieser Beurteilung angeschlossen. Der Senat hält es deshalb für geboten, dem Kläger Gelegenheit zu geben, eine Klärung dieser Frage durch den BFH herbeizuführen.



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