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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 09.11.2006
Aktenzeichen: 11 K 1761/05 E
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 169 Abs. 2 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

11 K 1761/05 E

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist, ob nacherklärte Spekulationsgewinne für die Jahre 1992 bis 1996 steuerlich zu erfassen sind.

Die Klägerin ist in den Streitjahren 1992 bis 1996 mit ihrem am 28. Dezember 2003 verstorbenen Ehemann zusammen veranlagt worden. Die Klägerin und ihr verstorbener Ehegatte erzielten in den Streitjahren Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus diversen Beteiligungen, Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und Einkünfte aus Kapitalvermögen. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielten sie aus Sparguthaben, Beteiligungen und in- und ausländischen Aktien.

Am 13. September 1991 beauftragte die Klägerin die A-Bank, die bei der A-Bank auf dem Konto xxx xxxxxx 01, Depotnummer xxx xxxxxx 02 verbuchten Vermögenswerte für sie zu verwalten. Nach dem Vermögensverwaltungsauftrag, den die Klägerin persönlich unterzeichnet hat, ist die A-Bank berechtigt, die Vermögenswerte gemäß den gegebenenfalls mit der A-Bank vereinbarten Anlagerichtlinien nach ihrem Ermessen ohne vorherige Einholung der Weisungen der Klägerin zu verwalten. Die A-Bank ist berechtigt, in jeder Weise über die Vermögenswerte zu verfügen, An- und Verkäufe vorzunehmen, Wertpapiere zu konvertieren oder umzutauschen, Bezugsrechte auszuüben, zu kaufen oder zu verkaufen, Devisen und Gold anzuschaffen oder zu veräußern sowie alle übrigen Maßnahmen zu treffen, die der A-Bank bei der Verwaltung der Vermögenswerte zweckmäßig erscheinen (siehe Ziffer 1 Buchstabe a des Vermögensverwaltungsauftrages vom 13. September 1991). Unter Ziffer 1 Buchstabe b des Vermögensverwaltungsauftrages wird die A-Bank außerdem berechtigt, Börsentermingeschäfte und solche Geschäfte, die gleichen wirtschaftlichen Zwecken dienen, auch wenn sie nicht auf Erfüllung durch Lieferung ausgerichtet sind, zu tätigen, insbesondere Optionsgeschäfte und andere Börsentermingeschäfte in Wertpapieren, Devisen, Edelmetallen, Indizes und synthetischen Gegenständen, und zwar an in- und ausländischen Terminbörsen oder außerbörslichen Terminmärkten. In einer Fußnote zu dem Vermögensverwaltungsauftrag heißt es zu Ziffer 1 Buchstabe b des Vermögensverwaltungsauftrags, dass dieser Absatz ganz - aber nicht teilweise - gestrichen werden kann. Die A-Bank wurde außerdem in dem Vermögensverwaltungsauftrag verpflichtet, jeweils zum 31. Dezember eines jeden Jahres einen Bericht über Vermögensverwaltung zu erstatten und eine Abrechnung zu erteilen.

In den Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1992 bis 1996 erklärte die Klägerin die Einnahmen aus Kapitalvermögen aus diesem Depot in Höhe der in den Erträgnisaufstellungen über Kapitalerträge ausgewiesenen Beträge. Die Erträgnisaufstellungen enthielten keine Angaben zu Spekulationsgewinnen. Lediglich in einer Anlage zur Erträgnisaufstellung für das Jahr 1996 wies die A-Bank darauf hin, dass die in der Erträgnisaufstellung enthaltenen Erträge keine Spekulationsgewinne und -verluste enthalten.

Die Klägerin und ihr verstorbener Ehegatte haben die Einkommensteuererklärungen zu den folgenden Zeitpunkten beim Beklagten abgegeben:

 1992.18.11.1993
1993.03.02.1995
1994.18.12.1995
1995.30.09.1996
1996.23.12.1997

Mit Schreiben vom 21. März 2003 und 29. April 2003 erklärte die Klägerin die Spekulationsgewinne für die Jahre 1997 bis 2001 nach. Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Wuppertal forderte die Kläger darauf hin mit Schreiben vom 4. August 2003 auf, Unterlagen einzureichen, an Hand derer eine Prüfung, ob Spekulationsgewinne in den Jahren 1992 bis 1996 entstanden sind, vorgenommen werden könne. Die Klägerin erklärte darauf hin mit Schreiben vom 31. Oktober 2003 folgende Spekulationsgewinne für die Streitjahre:

 1992.9.987 DM
1993.18.099 DM
1994.3.013 DM
1995.7.808 DM
1996.21.020 DM

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erläuterte zu den erklärten Einkünften, die Einkünfte seien von der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehemann jeweils manuell auf Basis der einzelnen Wertpapierkaufs- und -verkaufsabrechnungen der betreffenden Jahre ermittelt worden.

Der Beklagte erließ am 16. März 2004 nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1992 bis 1996, in denen er die nacherklärten privaten Spekulationsgewinne erstmalig erfasste. Die Änderungsbescheide erließ der Beklagte in Form von zusammengefassten Bescheiden adressiert an "Herrn Klaus T. Frau Monika T.". Die Bescheide enthalten keinen Vermerk mit dem Inhalt, der Bescheid ergeht an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehegatten.

Gegen die Bescheide legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein.

Zur Begründung ihres Einspruchs trug die Klägerin vor, eine Besteuerung von Spekulationsgewinnen komme in den Streitjahren nicht in Betracht, da § 23 Einkommensteuergesetz (EStG) verfassungswidrig bzw. nichtig sei. Auch für den Fall, dass § 23 EStG anwendbar sei, käme eine Besteuerung nicht in Betracht, da die Streitjahre 1992 bis 1996 unter Zugrundelegung der regulären vierjährigen Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO festsetzungsverjährt seien. Die Voraussetzungen für die Zugrundelegung der verlängerten zehnjährigen Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz AO lägen nicht vor. Die Klägerin habe nicht vorsätzlich gehandelt. Sie habe weder Kenntnis von den getätigten Spekulationsgeschäften gehabt, noch habe sie es für möglich gehalten, dass derartige Geschäfte für sie getätigt worden seien. Die Verwaltung des Depots sei ausschließlich durch die Vermögensverwaltung der A-Bank ohne vorherige Einholung von Weisungen der Klägerin erfolgt. Die Klägerin habe sich auch tatsächlich nicht mit der Verwaltung des Depots befasst. Aus den jährlich vorgelegten Erträgnisaufstellungen und Steuerbescheinigungen der Bank seien die getätigten Spekulationsgeschäfte und die daraus erzielten Gewinne und Verluste für die Klägerin nicht ersichtlich gewesen. Die Klägerin habe insoweit davon ausgehen müssen, dass derartige Geschäfte nicht getätigt worden seien. Dies gelte insbesondere, da nach der Lebenserfahrung und den Anlageempfehlungen der Kreditwirtschaft in der Lebensphase der Klägerin die Ertragskraft von sicheren Kapitalanlagen und die Sicherung des Vermögensstammes im Vordergrund stehe und nicht die Erzielung von Spekulationsgewinnen in volatilen Werten.

Mit Einspruchsentscheidung vom 24. März 2005 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung erwähnt als Rechtsbehelfsführerin nur den Namen der Klägerin.

Zur Begründung führte der Beklagte aus, im Streitfall sei die zehnjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO maßgebend. Die Klägerin habe durch die Nichterklärung der Spekulationsgewinne vorsätzlich Steuereinnahmen verkürzt. Vorsätzliches Handeln sei bereits gegeben, wenn billigend in Kauf genommen würde, dass durch eine unvollständige Angabe Steuern unzutreffend - weil zu niedrig - festgesetzt würden. Die Klägerin habe bei Abgabe der Steuererklärungen offensichtlich gewusst, dass Angaben zu Spekulationseinkünften zu machen seien. Schließlich habe sie in anderen Zeiträumen Spekulationsverluste geltend gemacht. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Steuerpflicht zu Erträgen aus Kapitalnutzung im weitesten Sinne seit Anfang der 90-iger Jahre in allen Medien stark diskutiert worden sei und die Steuerpflicht zumindest seither allgemein bekannt sei. Selbst bei Annahme einer Steuerfreiheit und Nicht-Steuerbarkeit (ggf. nach Rücksprache mit der Bank) hätte der Sachverhalt gegenüber dem Finanzamt offengelegt werden müssen. Überdies sei die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann bei der Erstellung der Einkommensteuererklärungen durch einen Steuerberater unterstützt worden, sodass etwaige Zweifel der zutreffenden steuerlichen Behandlung hätten geklärt bzw. ausgeräumt werden können und sollen. Der Einwand, die Depotverwaltung sei allein von der beauftragten Bank durchgeführt worden, führe nicht zu einer anderen Beurteilung. Nach der Lebenserfahrung sei davon auszugehen, dass die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann die Kapitalanlagen wertmäßig kontrolliert hätten, um ihr Anlagevermögen dauerhaft zu sichern.

Die Besteuerung entfalle auch nicht wegen einer Nichtigkeit des § 23 EStG und der Unmöglichkeit, eine verfassungswidrige Steuer objektiv tatbestandsmäßig hinterziehen zu können. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG in der für die Veranlagungszeiträume vor 1997 geltenden Fassung bleibe anwendbar, da hierfür keine Nichtigkeit auf Grund Unvereinbarkeit mit Artikel 1 Grundgesetz festgestellt worden sei und es auch ausgeschlossen erscheine, dass das Bundesverfassungsgericht dies für Wertpapiergeschäfte dieser Zeiträume erklären werde. Es sei zwar davon auszugehen, dass auch in den Streitjahren ein vergleichbares Vollzugsdefizit gegeben gewesen sei, wie es das Bundesverfassungsgericht für die Jahre 1997 und 1998 festgestellt habe, dem Gesetzgeber müsse aber eine Übergangsfrist zur Beseitigung der Vollzugsdefizite zugebilligt werden, in diese Übergangsfrist fielen die Streitjahre.

Die Klägerin hat im eigenen Namen und als Rechtsnachfolgerin ihres Ehegatten fristgerecht Klage erhoben.

Zur Begründung trägt sie nochmals vor, dass eine Steuerhinterziehung nicht vorliege, da sie es bereits für ausgeschlossen gehalten habe, dass Spekulationsgeschäfte für sie getätigt worden seien. Über die Steuerpflicht solcher Gewinne habe sie sich deshalb keine Gedanken gemacht. Soweit der Beklagte in der Einspruchsentscheidung ausgeführt habe, dass sie durch die Geltendmachung von Spekulationsverlusten in einem anderen Zeitraum zu erkennen gegeben habe, dass sie von den Spekulationsgewinnen gewusst habe, könne dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Ihr verstorbener Ehegatte und sie hätten noch bei Einreichung der Steuererklärung für das Jahr 2000 keine Kenntnis von etwaigen Einkünften aus § 23 EStG gehabt. Entsprechend seien in der Einkommensteuererklärung 2000 keine Einkünfte nach § 23 EStG erklärt worden. Erst auf Grund einer Anfrage der Veranlagungsstelle vom 15. November 2002 im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Kürzung der Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen seien von der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehegatten bei der A-n Bank AG Auskünfte zu etwaigen Einkünften gemäß § 23 EStG für das Jahr 2000 eingeholt worden. Die Klägerin und ihr verstorbener Ehegatte hätten darauf hin von der A-Bank die Mitteilung vom 27. November 2002 über private Veräußerungsverluste für das Jahr 2000 in Höhe von 85.015,86 EUR erhalten (s. Seite 14 der FG-Akte). Erst daraufhin sei die Berücksichtigung der Spekulationsverluste für das Jahr 2000 erfolgt. In diesem Zusammenhang seien dann auch die Einkünfte für die vorangegangenen Zeiträume ermittelt worden. Soweit der Beklagte ausgeführt habe, dass auch nach der Lebenserfahrung davon auszugehen sei, dass die Klägerin und ihr verstorbener Ehegatte Kapitalanlagen wertmäßig kontrolliert hätten, um ihr Vermögen zu sichern, könne auch aus dieser Annahme nicht gefolgert werden, dass Spekulationsgewinne bekannt gewesen seien. Die Wertermittlung eines Depots könne beispielsweise auch durch den Vergleich der Gesamtdepotwerte zum 31. Dezember eines jeden Jahres mit denen des Vorjahres verfolgt werden, ohne dass daraus Spekulationsgewinne oder -verluste ersichtlich seien. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus der fehlenden Streichung der Ziffer 1 Buchstabe b des Vermögensverwaltungsauftrages vom 13. September 1991. Die Tatsache, dass diese Streichung nicht erfolgte, habe den Beklagten zu der Vermutung geführt, dass die A-Bank in einem Beratungsgespräch ausführlich über die Risiken und möglicheH-ise erreichbaren Gewinne aufgeklärt habe. Dieses Vorbringen erscheine völlig lebensfremd. Die Klägerin und ihr verstorbener Ehegatte hätten die Vermögensverwaltung der A-Bank mit dem Ziel einer langfristigen und sicheren Kapitalanlage übertragen. Gegen die Annahme einer spekulativen Absicht der Klägerin und ihres verstorben Ehegatten spreche auch, dass in den Depotübersichten zum 31. Dezember 1992 und 31. Dezember 1994 (s. Seite 61 ff. der FG-Akte) keine Termingeschäfte ausgewiesen worden seien. Aus dem jährlichen Bericht über die Vermögensverwaltung seien Spekulationsgeschäfte regelmäßig ebenfalls nicht ersichtlich. Vielmehr erfolge in der Regel lediglich eine allgemeine Darstellung der Entwicklung verschiedener Märkte in der Vergangenheit mit einem Ausblick auf die Zukunft. Dieser werde die allgemeine Wertentwicklung des verwalteten Depots, ermittelt aus der Differenz zwischen Depotwert zum Jahresanfang und dem Depotwert zum Jahresende, gegenübergestellt. Ein derartiger Bericht für das von der A-Bank verwaltete Depot liege der Klägerin für den Zeitraum der Streitjahre nicht mehr vor. Als Muster reichte der Prozessvertreter der Klägerin einen Bericht über die Vermögensverwaltung der A-Bank für das Jahr 1995 für eine nicht näher benannte Erbengemeinschaft ein (s. Seite 24 der FG-Akte).

Zum Nachweis der fehlenden Kenntnis von den Spekulationsgewinnen reichte der Prozessvertreter außerdem eine Stellungnahme des Sohnes der Kläger, Herrn Peter T., vom 7. Dezember 2005 ein, auf deren Inhalt verwiesen wird (S. Seite 47 ff. der FG-Akte).

Zu den Ausführungen des Beklagten, die Kläger hätten an Hand der einzelnen Kontoauszüge ersehen können, welche Wertpapiere wann an- und verkauft worden seien, führte die Klägerin aus, die Beauftragung der A-Bank mit der Vermögensverwaltung sei erfolgt, um sich gerade nicht mit den Details der Vermögensverwaltung beschäftigen zu müssen. Auch wäre aus den einzelnen Verkaufsabrechnungen ein etwaiger Spekulationsgewinn nicht ersichtlich gewesen. Hierzu hätten die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann jeweils den Zeitpunkt des EH-rbs der verkauften Wertpapiere ermitteln müssen. Es wäre gegebenenfalls eine Bestandsführung für die einzelnen Wertpapiere erforderlich gewesen.

Hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 23 EStG sei zwar davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist zuzubilligen sei, der BFH habe dies aber nur für die Jahre bis einschließlich Veranlagungszeitraum 1994 entschieden. Insoweit sei die Frage der Nichtigkeit des § 23 EStG zumindest für die Jahr 1995 und 1996 noch offen.

Auf rechtlichen Hinweis des Gerichts haben die Beteiligten das Klageverfahren der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehegatten in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt,

1.) die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1992 bis 1996 jeweils vom 16. März 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. März 2005 aufzuheben,

2. sowie das Urteil hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären

3. und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigen für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt der Beklagte ergänzend aus, der Vermögensverwaltungsauftrag umfasse nach Ziffer 1 Buchstabe b hoch riskante (spekulative) Geschäfte. Auf Grund der fehlenden Streichung dieses Absatzes sei davon auszugehen, dass die A-Bank vor Unterzeichnung dieses weitgehenden Vertrages die Kläger in einem Beratungsgespräch ausführlich über die Risiken und über die möglicheH-ise erreichbaren Gewinne aufgeklärt habe. Zwar habe die A-Bank das Vermögen der Klägerin ohne vorherige Einholung von Weisungen verwaltet, dies bedeute aber nicht, dass die Klägerin nicht regelmäßig über die getätigten Geschäfte informiert worden sei. Denn die Transaktionen würden über ein Verrechnungs- oder Girokonto abgewickelt. Spätestens aus den entsprechenden Kontoauszügen sei ersichtlich, welche Wertpapiere wann an- und verkauft worden seien. Außerdem seien unstreitig nicht unerhebliche Spekulationsgewinne erzielt worden. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die entsprechend gewinnbringend arbeitende Bank diese Erfolge verheimlicht habe. Vielmehr könne angenommen werden, dass die Bank ihre Kunden über die erzielten Erfolge informiert habe, um sich deren Zufriedenheit mit ihrem Vermögensverwalter zu sichern. Auf Grund der Größenordnung des verwalteten Vermögens sei es auch nicht glaubhaft, dass die Klägerin und ihr verstorbener Ehegatte weder durch die A-Bank noch durch ihren Steuerberater auf die Steuerpflicht von Veräußerungsgewinnen im Sinne des § 23 EStG hingewiesen worden seien.

Die Klägerin ist mit Schreiben vom 17. Mai 2006 aufgefordert worden,

1. mitzuteilen, ob die von ihr erklärten Spekulationsgewinne für die Jahre 1992 bis 1996 ausschließlich aus der Vermögensverwaltung der A-Bank (Kto-Nr. xxx xxxxxx 01, Depot-Nr. xxx xxxxxx 02) entstanden seien; falls dies nicht der Fall sei, wurde sie um Erläuterung gebeten, in welchem Umfang Spekulationsgeschäfte der A-Bank aus der o.g. Vermögensverwaltung und in welchem Umfang andere Spekulationsgeschäfte getätigt wurden,

2. den vollständigen Vermögensverwaltungsauftrag zwischen der Klägerin und der A-Bank (Kto-Nr. xxx xxxxxx 01, Depot-Nr. xxx xxxxxx 02) einschließlich der vereinbarten Anlagerichtlinien, aus denen sich die von der A-Bank zu verfolgende Anlagestrategie (ganz oder teilweise risikoreich, risikolos, unter Vermeidung von Spekulationsgewinnen etc.) ergibt, einzureichen,

3. die Rechenschaftsberichte der A-Bank über die Vermögensverwaltung in den Jahren 1992 bis 1996 vorzulegen, aus denen zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt Wertpapiere im Laufe der Jahre an- und verkauft wurden, und

4. den Namen und die ladungsfähige Adresse des/der Mitarbeiter(s) der A-Bank mitzuteilen, der/die den Vermögensverwaltungsauftrag vom 13.09.1991 (Kto-Nr. xxx xxxxxx 01, Depot-Nr. xxx xxxxxx 02) mit der Klägerin vor dem Abschluss besprochen hat/haben und die Vermögensverwaltung in den Jahre 1992 bis 1996 vorgenommen hat/haben.

Die Klägerin reichte daraufhin zwei Aktennotizen der A-Bank vom 19. März 1992 und 26. Mai 1993 über die von der Klägerin gewünschte Anlagestrategie ein. Auf der Aktennotiz der A-Bank vom 19. März 1992 ist unter Typ III.) mit dem Inhalt: "Der relativ hohen Risikobereitschaft des Kunden entsprechend soll das Vermögen schwerpunktmäßig in in- und ausländischen Aktienmärkten investiert werden, der Aktienanteil soll mindestens 60 % ausmachen, sehr hoch spekulative Geschäfte sind dabei jedoch zu unterlassen." handschriftlich vermerkt "Aktienanlage bis 100 % möglich". Die Eingliederung Typ III. ist auf der Aktennotiz vom 26. Mai 1993 umkreist. Unter dem Text zu Typ III.) ist handschriftlich vermerkt "weiterhin Aktien um 100 %". Der Klägervertreter führte dazu aus, ausweislich der Aktennotizen sei eine Anlage in Aktien gewünscht. Ein Hinweis dahingehend, dass die gewählte Anlagestrategie mit kurzfristigen Umschichtungen der Aktien verbunden sei, sei den Protokollen nicht zu entnehmen. Auch sei kein Hinweis auf mit der gewählten Anlagestrategie gegebenenfalls verbundene, steuerliche Spekulationsgeschäfte erfolgt.

Der Klägervertreter reichte außerdem ergänzend zu den bisher eingereichten Unterlagen die Performancerechnung und Vermögensentwicklung zum 31. Dezember 1993 sowie die Vermögensaufstellung zum 31. Dezember 1992 und die Performancerechnung und Depotübersicht zum 31. Dezember 1994 ein. Rechenschaftsberichte mit Umsatzlisten, denen zu entnehmen sei, zu welchen Zeitpunkten Wertpapiere im Laufe des Jahres an- und verkauft worden seien, seien nicht Bestandteil der Berichterstattung der A-Bank.

Der mit der Vermögensverwaltung betraute Mitarbeiter der A-Bank sei Herr B. gewesen, der über die A-Bank zu laden sei.

Herr B. wurde in der mündlichen Verhandlung vom 14. August 2006 als Zeuge vernommen. Der Inhalt der Zeugenaussage ist dem Protokoll zur mündlichen Verhandlung zu entnehmen, auf das Bezug genommen wird.

Die mündliche Verhandlung wurde zur Gewährung des rechtlichen Gehörs vertagt. Im anschließenden Schriftsatz weist die Klägerin darauf hin, dass der Beklagte die Feststellungslast für die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung trage. Für die Feststellung einer Steuerhinterziehung durch das Gericht sei zwar nach ständiger Rechtsprechung des BFH kein höherer Grad an Gewissheit erforderlich als für andere steuerbegründende Tatsachen, aber auch kein geringerer Grad an Gewissheit.

Nach der Rechtsprechung des BFH bestehe kein Vorsatz, wenn ein steuerlicher Berater mit der Erstellung der Steuererklärung beauftragt worden sei. Durch die Übertragung von Pflichten auf den Berater entlaste sich der Steuerpflichtige straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlich. Etwas anderes könne nur gelten, wenn der Steuerpflichtige seinem Berater wesentliche Unterlagen vorenthalten habe. Dies sei nicht geschehen. Alle steuerrelevanten Unterlagen (Steuerbescheinigungen, Erträgnisaufstellungen) seien dem Berater ausgehändigt worden und Nachfragen stets beantwortet worden. Man könne der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehegatten auch nicht voH-rfen, die Arbeit des Steuerberaters nicht genügend überprüft zu haben. Dieser Vorwurf würde allenfalls Fahrlässigkeit oder Leichtfertigkeit, keinesfalls aber Vorsatz begründen.

Auch ohne die dargestellte Entlastung müsse eine vorsätzliche Steuerhinterziehung im vorliegenden Fall aus den im Folgenden aufgeführten Gründen verneint werden. Vorsatz könne nur angenommen werden, wenn feststünde, dass Herr T. gewusst habe, dass die Spekulationsfrist bei bestimmten Wertpapierverkäufen unterschritten gewesen sei. Aus der Aussage des Herrn B. könne nur abgeleitet werden, dass Herr T. den in Bezug auf Wertpapiere wesentlichen Inhalt des § 23 EStG gekannt habe. Offen bleibe dabei aber, ob die Bank bei bestimmten Veräußerungsgeschäften die Spekulationsfrist tatsächlich unterschritten habe. Herr B. habe Herrn T. auch nicht im Einzelfall darauf hingewiesen. Es sei auch unwahrscheinlich, dass Herr B. sich selbst Kenntnis von dem Vorliegen konkreter steuerpflichtiger Spekulationsgeschäfte verschafft habe.

Ein grundsätzliches Bewusstsein des Inhalts, dass unter den im laufenden Jahr getätigten Wertpapiergeschäften sicherlich auch einige steuerpflichtige gewesen sein könnten, könne nicht unterstellt werden. Die seinerzeit relativ kurze Spekulationsfrist von sechs Monaten spreche vielmehr dafür, dass ein Vermögensverwalter im Interesse seiner Kunden diese Frist bei einer Verkaufsentscheidung mit berücksichtigt habe. Nach der Aussage des Herrn B. sei der Wertpapierbestand in der Regel einmal jährlich umgeschichtet worden. Eine Unterschreitung der Spekulationsfrist sei bei dieser Anlagepolitik nicht zwingend. Die Quote der steuerpflichtigen Transaktionen im Verhältnis zu den gesamten Transaktionen sei dementsprechend sehr gering. Für die Jahre 1998 bis 2001 ergebe sich ein jährlicher Durchschnitt von 70 Geschäftsvorfällen und somit von 35 An- und 35 Verkäufen. Unter diesen 35 Käufen und Verkäufen pro Jahr befänden sich im Jahr 1994 nur ein und im Jahr 1995 nur zwei steuerpflichtige Verkäufe.

Ein wirtschaftlich versierter Kunde hätte vielleicht mit steuerlich relevanten Verkäufen gerechnet. Allein daraus einen Vorsatz abzuleiten, ließe die Tatsache unberücksichtigt, dass die Bank jährlich über die Erträge aus der Vermögensverwaltung unterrichte. Herr T. habe aus dem Fehlen von Angaben über steuerpflichtige Spekulationsgewinne auf deren Nicht-Vorliegen geschlossen.

Eine Vorsatztat würde außerdem zumindest voraussetzen, dass die Steuerpflicht einzelner Transaktionen nachgeprüft worden und dabei steuerpflichtige Tatbestände ermittelt worden seien. Bankseitige Mitteilungen hätten nicht vorgelegen. Auch aus den Wertpapierabrechnungen könne nur der betreffende Ankauf oder Verkauf erkannt werden. Auf Nachfrage des Klägervertreters habe der Zeuge bestätigt, dass zur Ermittlung von Spekulationsgewinnen eine Bestandsübersicht erforderlich sei, um Ankauf- und Verkaufsdatum abgleichen zu können. Die Ermittlung sei somit ein sehr komplexer Vorgang. Dies ergebe sich auch daraus, dass die A-Bank im Jahre 2003, also im fortgeschrittenen Computerzeitalter, noch nicht in der Lage gewesen sei, die steuerpflichtigen Tatbestände zuverlässig zu dokumentieren und keine Gewähr für die Richtigkeit der Berechnung der Spekulationsgewinne übernehme.

Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass Herr T. die steuerpflichtigen Veräußerungsvorgänge ermittelt und somit Kenntnis von ihrem Vorliegen gehabt habe. Nach der Zeugenaussage habe Herr T. keinen Einfluss auf Anschaffungs- und Veräußerungsgeschäfte genommen. Auch habe der Zeuge nicht ausgesagt, dass Herr T. im nachhinein kritische Rückfrage gestellt habe, wenn dies angebracht gewesen wäre. Herr T. habe von den Wertpapierumschichtungen nur durch die Abrechnungen erfahren. Dies lasse nicht den Schluss zu, dass er die Steuerpflicht einzelner Geschäfte erkannt habe. Dazu hätte er in einem aufwendigen Verfahren mit steuerlichem Bewusstsein und steuerlicher Zielsetzung die einzelne Transaktion prüfen müssen. Eine rein wirtschaftliche Betrachtung hätte Erkenntnisse über die Steuerpflicht einzelner Vorgänge nicht zutage fördern können. Über das erforderliche steuerliche Wissen habe Herr T. nicht verfügt. Darüber hinaus habe er nicht gewusst, dass die Bank die steuerpflichtigen Spekulationsgewinne nicht ermittelt und mitgeteilt habe. Er sei von der Vollständigkeit der jährlichen Steuerunterlagen ausgegangen. Erst in der Erträgnisaufstellung 1996 sei der Hinweis enthalten, dass Spekulationsgewinne in der Aufstellung nicht erfasst seien. Hiervon habe weder Herr T. noch der Bearbeiter der Steuererklärung Kenntnis genommen. Dies sei verständlich, da der Hinweis sich in einem einzigen Satz eines neunseitigen Konvoluts niederschlage. Es habe kein Anlass bestanden, die Erträgnisaufstellung Satz für Satz zu lesen, da es für die Steuererklärung alleine auf die Steuerbescheinigung ankomme und die Erträgnisaufstellung sich äußerlich nicht erkennbar von den Vorjahresaufstellungen unterscheide. Anhaltspunkte dafür, dass Herrn T. die Unvollständigkeit der Steuerbescheinigung bewusst gewesen sei, seien nicht erkennbar.

Die Annahme einer Vorsatztat setze überdies nicht nur voraus, dass Herr T. die Transaktionen - und zwar gerade die steuerrelevanten - im Hinblick auf die Spekulationsfrist positiv untersucht haben müsste sondern auch, dass er von der Steuerpflicht zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung noch gewusst habe.

Der Beklagte verzichtete auf eine weitere Stellungsnahme.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1992 bis 1996 jeweils von 16. März 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. März 2005 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten ( § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung). Der Beklagte konnte am 16. März 2004 die Einkommensteuer-Änderungsbescheide für die Jahre 1992 bis 1996 noch erlassen. An dem Erlass war der Beklagte nicht durch den Ablauf der Festsetzungsfrist gehindert. Denn im zu beurteilenden Fall lagen die Voraussetzungen für die Anwendung der 10-jährigen Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO vor.

1. Die Einkommensteuer-Änderungsbescheide 1992 bis 1996 vom 16. März 2004 sind gegenüber der Klägerin wirksam bekannt gegeben worden. Für die Wirksamkeit der Änderungsbescheide gegenüber der Klägerin ist es unerheblich, dass die zusammengefassten, an beide Eheleute adressierten Änderungsbescheide nach dem Tod des Herrn T. ergangen sind und somit Herrn T. nicht mehr wirksam bekannt gegeben wurden ( § 124 Abs. 1 Satz 1 AO) (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Juli 1998 II R 64/95, BFH/NV 1998, 1455 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung; Tipke/Kruse, AO/FGO Kommentar, § 122 Rd.Nr. 24). Bei einem Einkommensteuerbescheid, der im Rahmen einer Zusammenveranlagung an beide Ehegatten adressiert ist, handelt sich um zwei inhaltlich und verfahrensrechtlich selbstständige, nur der äußeren Form nach zusammengefasste Steuerbescheide ( § 155 Abs. 3 Satz 1 Abgabenordnung (AO)). Daraus folgt, dass die Wirksamkeit des jeweiligen Steuerbescheides gegenüber den Ehegatten getrennt zu prüfen ist. Die Einkommensteuer-Änderungsbescheide sind für die Klägerin als Inhaltsadressatin bestimmt gewesen und an die Klägerin als Bekanntgabeadressatin gerichtet worden ( § 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1 Satz 1 und § 119 Abs. 1 AO). Sie sind somit gegenüber der Klägerin wirksam geworden.

2. An dem Erlass der Änderungsbescheide war der Beklagte nicht durch den Ablauf der Festsetzungsfrist gehindert.

a) Nach der Beweisaufnahme durch die Vernehmung des Zeugen B. in der mündlichen Verhandlung vom 14. August 2006 steht zwar zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin nicht durch die fehlende Erklärung der Spekulationsgewinne Steuern vorsätzlich hinterzogen hat ( § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).

b) Dies gilt aber nach der Überzeugung des Senats nicht für ihren verstorbenen Ehegatten.

Steuern werden u.a. dann hinterzogen, wenn der Steuerpflichtige gegenüber der Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder diese pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt oder sonst nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt ( § 370 AO). Steuern sind dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Die Verkürzung muss vorsätzlich, d. h. mit Wissen und Wollen desjenigen, der die unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben gemacht oder steuererhebliche Angaben unterlässt, geschehen. Vorsätzlich handelt, wer es für möglich hält, dass er den Tatbestand verwirklicht, das billigt oder in Kauf nimmt (sog. bedingter Vorsatz, vgl. BFH-Urteil vom 19.3.1998 V R 54/97, BStBl II 1998, 466). Der Wille muss sich dabei auf die Verwirklichung des Tatbestandes in Kenntnis seiner Tatbestandsmerkmale beziehen. Hierbei reicht es - da sonst nur die Strafbarkeit von Steuerfachleuten in Betracht käme - aus, dass der Täter anhand einer u. U. laienhaften Bewertung der Umstände erkennt, dass ein Steueranspruch existiert, auf den er einwirkt. In diesem Zusammenhang ist auf die konkreten Fähigkeiten des Betroffenen zur möglichen steuerrechtlichen Wertung von Tatbeständen abzustellen. Es genügt daher für die Annahme einer Steuerhinterziehung, wenn sich der Steuerpflichtige aufgrund dieser sog. Parallelwertung in der Laiensphäre des sozialen Sinngehalts seines Verhaltens bewusst ist.

Für die Frage, ob die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung vorliegen, trägt die Finanzbehörde die Feststellungslast. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist, obwohl der strafverfahrensrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" auch im finanzgerichtlichen Verfahren gilt, das Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung nicht nach der Strafprozessordnung, sondern nach den Vorschriften der AO und der FGO zu beurteilen. Für die Feststellung einer Steuerhinterziehung ist danach kein höherer Grad von Gewissheit notwendig, als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt (vgl. BFH Urteil vom 19. März 1998 V R 54/97, BStBl II 1998, 466 m.w.N.).

Nach der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin gewusst hat, dass Spekulationsgewinne steuerpflichtig sind und dass Spekulationsgewinne bei der Umschichtung des Depots der Klägerin entstanden sind. Durch die fehlende Erklärung der Spekulationsgewinne in den Jahren 1992 bis 1996 hat er zumindest billigend in Kauf genommen, dass er die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch Steuern verkürzt hat.

aa) Die Überzeugung, dass Herr T. die Steuerpflicht von Spekulationsgewinnen kannte, hat der Senat auf Grund der glaubhaften Aussage des Zeugen B. erlangt, er sei sich 100 %ig sicher, dass er Herrn T. über die Verpflichtung, Spekulationsgewinne zu versteuern, unterrichtet habe. In dieser auf Grund der Aussage des Zeugen B. gewonnenen Überzeugung sieht der Senat sich durch die ausführliche Darstellung des Zeugen B. zur Persönlichkeit des Herrn T. bestätigt. Herr B. stellte Herrn T. als eine in wirtschaftlichen und finanziellen Dingen sehr erfahrene Person dar, die sich umfassend aus überregionalen Zeitungen informiert habe. Dem interessierten Leserkreis überregionaler Zeitungen war bereits zu Beginn der 90er Jahre die Steuerpflicht von Spekulationsgewinnen bekannt.

bb) Der Senat ist außerdem davon überzeugt, dass Herr T. wusste, dass Wertpapiere aus dem Depot der Klägerin in den Streitjahren gewinnbringend innerhalb von sechs Monaten gekauft und wieder verkauft wurden und somit steuerpflichtige Spekulationsgewinne entstanden sind. Nach der glaubhaften Zeugenaussage ist die Anlagestrategie des Depots mit Herrn T. besprochen worden, und Herr B. hat mit ihm geklärt, dass Wertpapiere innerhalb der Spekulationsfrist verkauft werden durften. Über alle An- und Verkäufe hat die Klägerin umgehend Abrechnungen der A-Bank per Post zugesendet bekommen. Auf Grund eines einfachen Abgleichs dieser An- und Verkaufsabrechnungen war ohne Schwierigkeiten oder größeren Aufwand leicht erkennbar, dass Verkäufe innerhalb der Spekulationsfrist stattgefunden hatten und wie hoch der im Einzelnen erzielte Spekulationsgewinn war. Im vorliegenden Streitfall handelt es sich bei dieser Ermittlung nicht um einen komplexen Vorgang, da die Aktien zu 100 % an- und wieder verkauft wurden. Lediglich die Aktien an der C-AG wurden in zwei Tranchen gekauft, dann aber in einer Tranche wieder verkauft. Aus der Tatsache, dass die A-Bank auch im Jahre 2003 noch keine Gewährleistung für die Richtigkeit der von ihr ermittelten Spekulationsgewinne übernimmt, lässt sich - entgegen der Auffassung der Prozessvertreter der Klägerin - nicht schließen, dass die Ermittlung für den einzelnen Kunden ein schwieriger, sehr komplexer Vorgang ist. Die Schwierigkeiten der Ermittlung sind für jedes Depot einzeln zu prüfen. Im vorliegenden Fall sind keine Schwierigkeiten erkennbar. Die Schwierigkeiten der A-Bank bestehen - wie vom Zeugen B. ausgeführt - darin, dass Millionen von Wertpapieren gekauft und veräußert werden und bei der Ermittlung der Spekulationsgewinne auch entstandene Bezugsrechte und Kapitalerhöhungen berücksichtigt werden müssen. Diese Aspekte waren im vorliegenden Fall aber gerade nicht gegeben. Dies wird auch durch das Schreiben der Prozessvertreter vom 31. Oktober 2003 an den Beklagen bestätigt. Darin teilten die Prozessvertreter mit, dass die Klägerin und ihr verstorbener Ehegatte die nacherklärten Spekulationsgewinne selbst auf Basis der einzelnen Wertpapierkaufs- und -Verkaufsabrechnungen der betreffenden Jahre ermittelt hätten. Sie waren somit selber in der Lage, die steuerpflichtigen Spekulationsgewinne zu berechnen.

Den Abgleich der An- und Verkaufsrechnungen hat Herr T. nach der Überzeugung des Senates auch durchgeführt. Der Einwand der Prozessvertreter, die Vermögensverwaltung sei der A-Bank AG übertragen worden, damit die Klägerin und ihr verstorbener Ehegatte sich nicht mit den Details der Vermögensverwaltung hätten beschäftigen müssen, eine wertmäßige Kontrolle der Depotumschichtungen hätten die Ehegatten nicht durchgeführt, ist unter Berücksichtigung der Darstellung des Zeugen B. nicht glaubhaft. Denn nach der Darstellung des Zeugen B. hat zwar die Klägerin kein Interesse an der Vermögensverwaltung gezeigt, Herr T. hat sich aber um die Anlagestrategie und das Depot gekümmert. Herr B. hat Herrn T. als einen gut unterrichteten Diskussionspartner bezüglich der Vermögensanlagen der Eheleute dargestellt. Mit Herrn T. seien die Aktienan- und -verkäufe besprochen worden. Diese Gespräche hätten bei den sehr zahlreichen Bankbesuchen des Herrn T. stattgefunden. Herr B. führte in diesem Zusammenhang aus, dass er selten Kunden gehabt hätte, die ein so weitreichendes Interesse an ihren Anlagen gezeigt hätte, wie Herr T. dies getan habe. Auch im Rahmen von Verhandlungen sei Herr T. ein gut vorbereiteter Verhandlungspartner gewesen, der alle Diskont- und Lombardsätze sowie die Konditionen der Bankkonkurrenz gekannt und sich auf diese berufen habe. Er habe bei Verhandlungen oft versucht, zu seinen Gunsten mit den alten Sätzen zu rechnen. Die wirtschaftlichen und finanziellen Erfahrungen des Herrn T. sind nicht nur durch die detailreiche und dadurch glaubhafte Aussage des Herrn B. bestätigt worden, sondern auch aus den Einkommensteuerakten der Streitjahre erkennbar. Die Eheleute hatten in den Streitjahren eine Vielzahl von steueroptimierten Anlageformen (z.B. Beteiligung an der D-Schifffahrts KG), deren Abschluss ihnen - nach der Aussage der Prozessvertreter - nicht durch die Prozessvertreter nahe gelegt wurde und an denen Herr T. sich nach der Aussage des Herrn B. sehr interessiert gezeigt habe. Unter Berücksichtigung dieser Umstände wäre es nach Ansicht des Senates lebensfremd, anzunehmen, dass Herr T. als eine auf wirtschaftlich vorteilhaftes Handeln bedachte, genaue und in Punkto Vermögensanlagen bestens informierte Persönlichkeit, nicht zeitnah das konkrete Ergebnis der für ihn getätigten Transaktionen ermittelt hat.

Der Senat hat auch deshalb keine Zweifel daran, dass Herr T. wusste, dass Aktienpakete innerhalb von sechs Monaten an- und verkauft wurden, weil die Frage, ob die Aktien innerhalb von sechs Monaten angekauft und verkauft wurden und somit die Gewinne durch die Einkommensteuer von durchschnittlich ca. 39 v. H. in den Jahren 1992 bis 1996 erheblich geschmälert werden würden, von großer wirtschaftlicher Bedeutung war. Den Verkauf innerhalb von sechs Monaten kann Herr T. nach Ansicht des Senates auch nicht übersehen haben. Denn der An- und Verkauf der Aktienpakete ist im vorliegenden Fall überwiegend innerhalb von zwei bis vier Monaten abgewickelt worden; in allen Fällen sind zwischen An- und Verkauf deutlich weniger als sechs Monate vergangen. Damit war die nicht eingehaltene Spekulationsfrist ohne weitere Berechnung auf einen Blick erkennbar. Im Jahre 1992 wurden beispielsweise am 20. Februar 1992 E-Konzern Aktien veräußert. Sie waren nur 4 1/2 Monate vorher, nämlich am 2. Oktober 1991 gekauft worden. Eine weitere Umschichtung aus dem Jahre 1992 betraf den F-Fonds France, an dem am 15. Januar 1992 Anteile gekauft und ca. 4 Monate später, am 11. Mai 1992 verkauft wurden. Im Streitjahr 1993 wurden Anteile an "junge" G-Konzern am 4. Juni 1993 gekauft und ca. 2 Monate später wieder veräußert. Ebenso verblieben die Aktien der H-AG, der I-Bank und der ABC-Holding im Jahre 1993 nur ca. 3 Monate im Depot der Klägerin und die Aktien der L-AG sowie der C-AG im Streitjahr 1995 sogar weniger als 2 Monate im Depot der Klägerin. Im Streitjahr 1996 wurden Aktien der M-AG und der N-AG innerhalb von ca. 1 Monat, Aktien der O-AG innerhalb von 1 1/2 Monaten, Aktien der P-AG sowie der Q-NV innerhalb von ca. 2 Monaten angekauft und wieder verkauft. Unabhängig von dem zum Teil sehr geringen Zeitablauf zwischen An- und Verkauf fielen die Transaktionen auch wegen ihres nicht unerheblichen Wertes auf. Die Aktien des E-Konzern wurden zu einem Kurswert von 65.497,28 DM, die Anteile an dem F-Fonds France zu einem Kurswert von 41.643,00 DM, die Aktien von der "junge" G-Konzern zu einem Kurswert von 43.078,97 DM, der ABC-Holding zu einem Kurswert von 46.136,22 DM und der C-AG zu einem Kurswert von 32.581,44 DM verkauft. Die Größenordnung dieser An- und Verkäufe ist gemessen an dem Aktienvermögen zum 31. Dezember 1992 in Höhe eines Kurswertes von 608.164,83 DM, zum 31. Dezember 1993 in Höhe eines Kurswertes von 931.113,14 DM und zum 31. Dezember 1994 in Höhe von 1.058.936,00 DM nicht unbeachtlich, so dass nichts für die Annahme spricht, dass Herr T. die An- und Verkäufe und den geringen Zeitablauf zwischen den An- und Verkäufen übersehen haben könnte.

Es spricht auch nichts für die Annahme, dass Herr T. die Spekulationsgewinne übersehen haben könnte, weil die Spekulationsgewinne - gemessen an der Vielzahl von An- und Verkäufen im Rahmen der Vermögensverwaltung des Depots (ca. 30 im Jahr) - nur aus einer geringen Anzahl von Aktienan- und -verkäufen entstanden sind. Zwar resultiert der Spekulationsgewinn für das Jahr 1992 lediglich aus dem An- und Verkauf von drei Aktienpaketen, für das Jahr 1993 aus dem An- und Verkauf von 6 Aktienpaketen, für das Jahr 1994 aus dem An- und Verkauf von einem Aktienpaket, für das Jahr 1995 aus dem An- und Verkauf von zwei Aktienpaketen und für das Jahr 1996 aus dem An- und Verkauf von fünf Aktienpaketen. Die angekauften und verkauften Aktienpakete sind Herrn T. jedoch nach der Überzeugung des Senats - wie bereits oben dargestellt - auf Grund der Höhe der An- und Verkaufspreise aufgefallen.

cc) Darüber hinaus steht zur Überzeugung des Senates fest, dass Herr T. gewusst hat, dass die Spekulationsgewinne nicht in den jährlichen Erträgnisaufstellungen, die die A-Bank an die Klägerin gesandt hat, enthalten waren. Für das Jahr 1992 weist die Erträgnisaufstellung Zinsen, Dividenden und Erträge aus Investmentanteilen aus. Auf Grund der guten finanziellen und wirtschaftlichen Kenntnisse des Herrn T. sowie seiner Informationsgewinnung aus überregionalen Zeitungen ist der Senat davon überzeugt, dass Herr T. wusste, dass Zinsen und Dividenden keine Erträge aus dem Verkauf von Aktien darstellen. Zumal diese Kenntnis zum wirtschaftlichen Grundwissen gehört. Somit konnten die Spekulationsgewinne nur als Erträge aus Investmentanteilen in der Erträgnisaufstellung enthalten sein. Die Erträge aus Investmentanteilen betrugen laut Erträgnisaufstellung für das Jahr 1992 aber nur 1.100,00 DM und waren somit erheblich geringer als die entstandenen Spekulationsgewinne in Höhe von 9.987,09 DM. Herr T. wusste somit nach Ansicht des Senates, dass die Erträgnisaufstellung für das Jahr 1992 die entstandenen Spekulationsgewinne nicht enthielt. Wenn er dies für das Jahr 1992 wusste, wusste er es auch in den folgenden Jahren, zumal in der Erträgnisaufstellung für das Jahr 1996 auch ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Erträgnisaufstellung keine Spekulationsgewinne enthält.

dd) Die positive Kenntnis, dass steuerpflichtige Spekulationsgewinne entstanden sind, die nicht in den Erträgnisaufstellungen der Bank enthalten sind und somit nicht versteuert wurden, hatte Herr T. nach der Überzeugung des Senates auch zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung. Denn es handelte sich insoweit nicht um einen einmaligen, leicht in Vergessenheit geratenen Vorgang sondern um immer wiederkehrende steuerpflichtige Verkäufe, die auch in den Jahren, in denen die einzelnen Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1992 bis 1996 abgegeben wurden, noch anfielen.

ee) Der Vorsatz des Herrn T. kann auch nicht im Hinblick darauf verneint werden, dass er die steuerlichen Pflichten auf einen Steuerberater übertragen hat. Denn Herr T. hat den Steuerberater nicht über das Entstehen der steuerpflichtigen Spekulationsgewinne aufgeklärt, obwohl ihm das Entstehen und der fehlende Ausweis der Spekulationsgewinne in den Erträgnisaufstellungen, die er dem Steuerberater übergeben hat, bekannt waren.

Die 10-jährige Festsetzungsfrist greift gem. § 169 Abs. 2 Satz 3 AO auch dann ein, wenn die Steuerhinterziehung nicht durch die Steuerschuldnerin oder eine Person begangen worden ist, deren sie sich zur Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten bedient. Im vorliegenden Fall ist es somit bedeutungslos, dass die Klägerin nach der Überzeugung des Senates selbst keine Steuerhinterziehung begangen hat. Allein entscheidend ist, dass die Steuer objektiv hinterzogen worden ist, unerheblich, wer die Steuerhinterziehung begangen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 30. März 2005 IV B 161/03, Juris-Nr. STRE 200550724; BFH-Urteil vom 4. März 1980 VII R 88/77, BFHE 130,131 und vom 23. März 1982 VII R 68/81, BFHE 135, 563; FG-Düsseldorf - Beschluss vom 26. Juni 2000 13 V 556/00 A (E), EFG 2000, 1168).

ff) Der Vortrag der Prozessvertreter zur Darstellung der Persönlichkeit des Herrn T. und die Ausführungen der Prozessvertreter über die Kenntnis des Herrn T. von dem Entstehen und der Steuerpflicht der Spekulationsgewinne erscheint außerdem im Hinblick auf die in entscheidenden Teilen unzutreffende Sachverhaltsdarstellung der Prozessvertreter unglaubwürdig. So haben die Prozessvertreter vorgetragen, die Klägerin hätte die Vermögensverwaltung der A-Bank mit dem Ziel einer langfristigen und sicheren Kapitalanlage übertragen. Dies ergebe sich bereits aus der Lebensphase, in der die Klägerin sich befände. Aus der Aktennotiz der A-Bank über die gewünschte Anlagestrategie vom 19. März 1992 ergibt sich aber, dass wegen der relativ hohen Risikobereitschaft des Kunden das Vermögen schwerpunktmäßig in in- und ausländische Aktienmärkte investiert werden sollte.

gg) Die 10-jährige Festsetzungsfrist würde nur dann für die Steuerfestsetzung gegenüber der Klägerin keine Anwendung finden, wenn die Klägerin nachweisen könnte, dass sie durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass die Steuerhinterziehung auch nicht darauf beruht, dass sie die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat (Exkulpationsmöglichkeit des § 169 Abs. 2 Satz 3 AO). Diese Voraussetzungen liegen im zu beurteilenden Fall nicht vor, da sich die Steuerhinterziehung auf Spekulationsgewinne der Klägerin selbst bezieht.

hh) Die Festsetzungsfrist für das Jahr 1992 begann am 31. Dezember 1993, da die Klägerin und ihr verstorbener Ehegatte die Einkommensteuererklärung für das Jahr 1992 am 18. November 1993 abgegeben hatten. Nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist dann, wenn eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Sie dauerte - wie oben ausgeführt - 10 Jahre ( § 169 Abs. 2 Satz 2 AO) und hätte somit am 31. Dezember 2003 geendet. Durch die Mitteilung der entstandenen Spekulationsgewinne in dem Schreiben vom 31. Oktober 2003, eingegangen beim Beklagten am 3. November 2003, haben die Prozessvertreter aber im Namen der Klägerin eine Anzeige im Sinne des § 153 AO erstattet mit der Folge, dass die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige endete ( § 171 Abs. 9 AO).

Eine Anzeige im Sinne des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt voraus, dass der Steuerpflichtige nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Steuerverkürzung gekommen ist. Die Klägerin, die nach der Überzeugung des Senats zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung für 1992 nicht gewusst hat, dass Spekulationsgewinne entstanden sind, hat dies nachträglich durch die an sie persönlich adressierte Aufforderung des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Wuppertal vom 4. August 2003, die Entstehung von Spekulationsgewinnen in den Jahren 1992 und 1996 zu prüfen, sowie die daran anschließende Prüfung erlangt. Diese Kenntnis hat sie auch vor Ablauf der Festsetzungsfrist erhalten. Denn die Festsetzungsfrist lief erst am 31. Dezember 2003 ab.

Nach Ansicht des Senates ist die 10-jährige Festsetzungsfrist und nicht die regelmäßige, vierjährige Festsetzungsfrist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen. Denn das Gesetz sieht nach seinem Wortlaut keine Einschränkung auf die regelmäßige Festsetzungsfrist von vier Jahren vor. Dies folgt ebenfalls daraus, dass § 171 Abs. 9 AO auch den Fall erfasst, dass vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach § 371 AO, also wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung, erstattet wird. Würde § 171 Abs. 9 AO lediglich eine Ablaufhemmung hinsichtlich der regelmäßigen Festsetzungsfrist regeln, würde die Vorschrift insoweit leer laufen. Denn es ist ausgeschlossen, dass die durch § 171 Abs. 9 AO gewährte Ablaufhemmung von einem Jahr unter Berücksichtigung der regelmäßigen, vierjährigen Festsetzungsfrist länger als die zehnjährige Festsetzungsfrist für vorsätzlich hinterzogene Steuern ist. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht nach dem Sinn der §§ 171 Abs. 9 und 153 AO. Der Finanzbehörde soll im Interesse einer materiell richtigen Steuerfestsetzung Gelegenheit gegeben werden, die berichtigten Angaben auszuwerten, die ihr auf Grund von Umständen in der Sphäre des Steuerpflichtigen bisher nicht bekannt waren. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteuer-Änderungsbescheides 1992 vom 16. März 2004 war die Festsetzungsfrist somit noch nicht abgelaufen.

Die Festsetzungsfristen für die Jahre 1993 und 1994 begannen am 31. Dezember 1995 (Abgaben der Erklärungen am 3. Februar und 18. Dezember 1995), für das Jahr 1995 am 31. Dezember 1996 (Abgabe der Erklärung am 30. September 1996) und für das Jahr 1996 am 31. Dezember 1997 (Abgabe der Erklärung am 23. Dezember 1997). Sie endeten somit für diese Jahre nach Erlass der Einkommensteuer-Änderungsbescheide.

3. Die Versteuerung der Gewinne aus Spekulationsgeschäften mit Wertpapieren entfällt nach Ansicht des Senates nicht wegen der Nichtigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b) EStG in der für die Jahre 1995 und 1996 gültigen Fassung. Dies kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus dem Urteil des BVerfG vom 9. März 2004 2 BvL 17/02 (BFH/NV Beilage 2004, 293) abgeleitet werden. Darin hat das BVerfG die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG in der für die Jahre 1997 und 1998 geltenden Fassung für mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklärt, soweit sie Veräußerungsgeschäfte mit Wertpapieren betrifft. Zwar geht der Senat davon aus, dass auch in den Jahren 1995 und 1996 ein vergleichbares Vollzugsdefizit gegeben ist, wie es das BVerfG in den Jahren 1997 und 1998 festgestellt hat. Ebenso wie der BFH für die Jahre 1993 und 1994 (vgl. BFH-Urteile vom 1. Juni 2004 IX R 35/01, BStBl II 2005, 26, und vom 29. Juni 2004 IX R 26/03, BStBl II 2004, 995) und nach summarischer Prüfung im Rahmen eines Verfahrens über die Aussetzung der Vollziehung für das Jahr 1995 (vgl. BFH-Beschluss vom 29. November 2005 IX B 80/05, BFH/NV 2006, 719) hält es der hier entscheidende Senat für das Jahr 1995 und 1996 für ausgeschlossen, dass das BVerfG § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG für Wertpapiergeschäfte für nichtig erklären würde. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist vielmehr davon auszugehen, dass trotz gleichheitswidrigen Vollzugsdefizits dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist zugebilligt würde, die die Jahre 1995 und 1996 mit umfasst und innerhalb der die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG wegen des rechtsstaatlichen Kontinuitätsgebots noch anzuwenden ist (vgl. Urteil des BVerfG vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BStBl II 1991, 654 und zur Geltung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG für das Streitjahr 1995: BFH-Beschluss vom 29. November 2005 IX B 80/05, BFH/NV 2006, 719; siehe auch BVerfG Vorlagebeschluss vom 18. April 2006 2 BvL 8/05, BFH/NV 2006, 1166).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.

Ende der Entscheidung

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