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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 15.11.2007
Aktenzeichen: 14 K 2815/07 Kg
Rechtsgebiete: EStG, VO 1408/71/EWG, VO 574/72/EWG


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 62 Abs. 2
EStG § 63 Abs. 1 S. 3
EStG § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
VO 1408/71/EWG vom 14.06.1971
VO 574/72/EWG vom 21.03.1972
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

14 K 2815/07 Kg

Tenor:

Der Bescheid vom 9. Oktober 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 20.Juni 2007 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Kindergeld für seinen Sohn Anton unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Seine Ehefrau und das gemeinsame, am 21. Januar 1992 geborene Kind Anton leben in Polen.

Unter dem 8. Oktober 2004 meldete der Kläger ein Gewerbe "Hausmeisterservice" in A-Stadt an. Betriebstätte und Wohnanschrift gab der Kläger mit "B-Strasse Nr. 1" in A-Stadt an.

Unter dem 24. November 2005 beantragte der Kläger die Gewährung von Kindergeld für seinen Sohn Anton.

Mit Schreiben vom 6. März 2006 bat die Beklagte um Vorlage einer Haushaltsbescheinigung.

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2006 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 18. Oktober 2006 Einspruch ein und bat um Verlängerung der Frist zur Einreichung der angeforderten Unterlagen.

Zugleich teilte er mit, dass er seit dem 8. Oktober 2004 als Unternehmer in Deutschland tätig sei und bat darum, ihm das zustehende Kindergeld für seine "beiden" Kinder ab diesem Datum zu gewähren. Seit dem 8. Oktober 2005 sei er Einzelunternehmer in A-Stadt.

Unter dem 30. August 2006 beantragte der Kläger sodann die Gewährung von Kindergeld sowohl für seinen Sohn Anton als auch für seinen am 7. März 1984 geborenen Sohn Bruno, der sich in Schul- bzw. Berufsausbildung befunden habe und zwar in der Zeit von 2003 bis zum 1. Juli 2005.

Zugleich verneinte er die Frage, ob er, ein Ehegatte oder eine andere Person in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung Kindergeld für die Kinder erhalten habe, ergänzte diese vorgedruckte Frage jedoch um die Worte "in Polen". Darüber hinaus gab er an selbständig erwerbstätig zu sein als "Trockenbau/ Hausmeisterservice".

Dazu überreichte er u.a. eine in polnischer Sprache verfasste Bescheinigung über die Ausbildung seines Sohnes Bruno.

Am 2. Januar 2007 ging bei der Beklagten die ausgefüllten, in polnischer Sprache gehaltenen Formulare "E 411" und "E 401" ein.

Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Kläger unter dem 9. März 2007 mit, dass er weder in einer Versicherung der selbständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig, noch in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sei.

Auf weitere Nachfrage gab der Kläger unter dem 20. März 2007 an, dass er in Polen einer Pflichtversicherung für den Fall des Alters unterliege.

Mit Einspruchsentscheidung vom 20. Juni 2007 wies die Beklagte den Einspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 9. Oktober als unbegründet zurück.

Zur Begründung führte sie aus, der Kläger erfülle die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 1 des EStG für einen steuerrechtlichen Kindergeldanspruch in Deutschland.

Für das Kind Anton bestehe jedoch zugleich in einem anderen Staat der EU ein Anspruch auf Kindergeld.

Welcher Anspruch vorrangig sei, bestimme sich im Verhältnis zu anderen EU-/EWR Staaten und der Schweiz nach den Regelungen der Verordnung (EWG) 1408/71 VO bzw. der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung (EWG) 574/72 (DVO). Diese Verordnungen gingen als überstaatliche Vorschriften der deutschen Rechtsordnung vor und seien in Deutschland unmittelbar geltendes Recht.

Der Kläger übe zwar in Deutschland eine selbständige Tätigkeit aus, sei jedoch nicht in einem gesonderten Alterssicherungssystem der Selbständigen oder in der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland versicherungspflichtig. Vielmehr bestehe eine Pflichtversicherung in Polen. Damit unterliege er den Rechtsvorschriften Polens, ein Anspruch auf deutsches Kindergeld scheide aus.

Mit der am 23. Juli 2007 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Ergänzend macht er geltend, selbstverständlich habe er für seine Kinder auch Anspruch auf Kindergeld in Polen. Dieser Anspruch sei jedoch deutlich geringer und von dem deutschen Kindergeldanspruch abzuziehen. Die Differenz sei dann in jedem Fall zu bewilligen.

Allein der Umstand, dass er in Deutschland nicht gesetzlich rentenversicherungspflichtig sei und auch keinem gesonderten Alterssicherungssystem der Selbständigen angehöre, führe nicht dazu, dass ein Anspruch auf Kindergeld ausscheide.

Es gebe auch eine Vielzahl von Deutschen, die nicht rentenversichert seien und trotzdem einen Anspruch auf Kindergeld hätten. Dabei mache es keinen Unterschied, ob das Kind in Deutschland lebe oder in einem anderen EU-Land.

Mit Schriftsatz vom 24. August 2007 hat der Kläger sodann vorgetragen, seine Ehefrau beziehe eine Rente in Höhe von ca. 100 EUR monatlich. Er selbst beziehe ebenfalls eine Rente in Höhe von ca. 200 EUR monatlich. Von diesen Rentenbeiträgen werde lediglich ein Abzug für die Krankenkasse vorgenommen, in Höhe von etwa 2 %. Eine Pflichtversicherung für die Alterssicherung bestehe in Polen nicht.

Für das Kind Anton werde in Polen kein Kindergeld bezogen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 9. Oktober 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 20. Juni 2007 zu verpflichten, ihm ab November 2005 für seinen Sohn Anton Kindergeld in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung macht sie geltend, da der Kläger zu beiden Ländern einen Bezug aufweise, sei zu überprüfen, ob er den deutschen oder den polnischen Rechtsvorschriften unterliege. Diese Frage sei zwingend zu klären, da nach Art. 13 Abs. 1 EG-VO Personen immer nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterlägen. Nach DA 203.131 Abs. 1 und 2 unterliege die Person immer den Rechtsvorschriften des Landes, in dem sie erwerbstätig sei, wobei ggf. die abhängige Beschäftigung der Selbständigen vorgehe. Man könne nun der Ansicht sein, der Kläger sei aufgrund seiner Tätigkeit als Trockenbauer in Deutschland erwerbstätig und unterliege damit den deutschen Rechtsvorschriften. Zu beachten sei allerdings, dass dem Begriff der Erwerbstätigkeit i.S. der DA 203.131 Abs. 1 und 2 der Gedanke zugrunde liege, dass die Person allein den Rechtsvorschriften desjenigen Mitgliedstaates unterliegen soll, in dem er seine Sozialversicherungsbeiträge abführe. Dies ergebe sich daraus, dass in der gesamten EGVO bei der Definition der Begriffe der Selbständigkeit und der Arbeitnehmerschaft immer darauf abgestellt werde, ob Beiträge in einen Sozialversicherungszweig geleistet würden.

Aus Anhang I der VO und der DA 203.25 ergebe sich, dass der Begriff der Erwerbstätigkeit i.S. der DA 203.131 Abs. 1 und 2 stets an die Leistung von Sozialversicherungsbeiträgen geknüpft werde. Unstreitig sei vorliegend, dass in Deutschland keine Sozialversicherungsbeiträge durch den Kläger entrichtet würden und darüber hinaus Leistungen aus dem polnischen Sozialversicherungssystem bezogen würden.

Nach DA 203.131 sei in diesen Konstellationen der deutsche Kindergeldanspruch allein schon aus diesem Grunde vollständig ausgeschlossen, ohne dass es noch darauf ankäme, ob in dem Land, in dem die Sozialversicherungsbeiträge abgeführt würden, ein Kindergeldanspruch bestehe oder nicht.

Unter dem 5. Oktober 2007 hat die Handwerkskammer C-Stadt auf Nachfrage des Gerichts mitgeteilt, dass der Kläger weder mit einem zulassungsfreien noch mit einem zulassungspflichtigen Handwerk in der Handwerksrolle verzeichnet ist.

Mit Schriftsätzen vom 26. September 2007 und vom 6. November 2007 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO).

Die Klage ist begründet, soweit sich der Kläger dagegen wendet, dass die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für den Sohn Anton mit der Begründung verweigert hat, er gehöre nicht zum Kreis der Personen, die nach § 62 EStG Anspruch auf Kindergeld hätten. Insoweit ist der angefochtene Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 Finanzgerichtsordnung FGO).

Die Beklagte hat den Antrag auf Gewährung von Kindergeld für Anton zuletzt mit der Begründung abgelehnt, man gehe davon aus, dass sich die Frage der Anwendbarkeit deutschen Kindergeldrechts nach den Regelungen der Verordnung (EWG) 1408/71 VO bzw. der dazu ergangenen Durchführungsverordnung (EWG) 574/72 DVO bestimme. Da der Kläger nicht von dem persönlichen Geltungsbereich der VO erfasst werde, sei deutsches Kindergeldrecht mithin nicht anwendbar.

Das Gericht ist der Auffassung, dass die Beklagte die Frage der Gewährung von deutschem Kindergeld ausgehend von den Regelungen des Einkommensteuergesetzes zu prüfen hat und lediglich in diesem Zusammenhang die Frage zu klären ist, ob die Ausschlussklausel des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG von speziellem europäischen Recht (hier der EG-VO Nr. 1408/71 i.V.m. VO (EWG) Nr. 574/72) verdrängt wird, was im Ergebnis auszuschließen ist, weil der Kläger - was auch die Beklagte zuletzt eingeräumt hat überhaupt nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der vorgenannten Verordnung fällt.

Das Gericht ist nicht verpflichtet, bis zur Spruchreife aufzuklären, ob der Kläger für den Streitzeitraum nach inländischem Recht einen Anspruch auf Kindergeld für seinen Sohn Anton hat. Es darf sich vielmehr darauf beschränken, die von der Beklagten für die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung angeführten Gründe auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen (BFH-Urteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2006, 184). Das Gericht macht von dieser Befugnis Gebrauch, weil es weiterer Aufklärung bedarf, ob der Kläger sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Danach war lediglich der angefochtene Bescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die Beklagte hat gemäß § 101 Satz 2 FGO über den Antrag des Klägers nach Maßgabe der nachfolgenden Ausführungen erneut zu entscheiden.

Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG hat für Kinder i.S. des § 63 EStG Anspruch auf Kindergeld, wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dass der Kläger diese Voraussetzung erfüllt, ist nicht streitig. Der Kläger ist nach § 1 Abs. 1 EStG in der Bundesrepublik Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Die Meldebescheinigung der Stadt A-Stadt und die Gewerbe-Anmeldung lassen insoweit auch keinen Zweifel zu.

Nach § 62 Abs. 2 EStG ergibt sich für den Kindergeldanspruch des Klägers ebenfalls keine Einschränkung. Der Kläger genießt seit dem Beitritt Polens zur EU am 1. Mai 2004 gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügigkeitsG/EU) Freizügigkeit (vgl. DA 62.4.3 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes DA-FamEStG vom 5. August 2004, BStBl I 2004, 742, i.d.F. vom 13. Juni 2007).

Da der in Polen bei der Ehefrau des Klägers lebende Sohn Anton seit dem Beitritt Polens zur EU am 1. Mai 2004 in einem EU-Mitgliedsstaat lebt, scheitert der Anspruch auch nicht an § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG.

Ausgeschlossen sein könnte der Anspruch jedoch durch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, wenn der Kläger oder seine Ehefrau während des Streitzeitraumes in Polen (teilweise) Anspruch auf Leistungen für den Sohn hatten, die dem Kindergeld oder einer der in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Leistungen vergleichbar sind.

Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das Leistungen, die dem Kindergeld vergleichbar sind, im Ausland gewährt werden oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären.

Dabei regelt § 65 EStG die Anspruchskonkurrenz zwischen kindbezogenen innerstaatlichen Leistungen und vergleichbaren kindbezogenen ausländischen Leistungen, sofern für Letztere nicht spezielles europäisches Recht oder Abkommensrecht gilt. Dementsprechend gilt § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der Regel nicht für Leistungen von EU-Mitgliedstaaten und EWR-Staaten; der grundsätzliche Ausschluss nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG tritt in Fällen, in denen ein Kindergeldanspruch sowohl im Inland als auch in einem anderen EU-Staat in Betracht kommt, gegenüber vorrangigen zwischenstaatlichen Regelungen zurück. Für EU-Bürger, zu denen die polnischen Staatsangehörigen seit dem 1. Mai 2004 gehören, richtet sich die Frage des Kindergeldanspruchs folglich in erster Linie nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern -VO (EWG) 1408/81 (aktualisierte Gesamtfassung in der Verordnung (EG) Nr. 118/797 des Rates vom 2. Dezember 1996 -VO (EG 1118/97 , Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -ABIEG- Nr. L 28 vom 30. Januar 1997) i.V.m. der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO (EWG) Nr. 1478/71 -VO (EWG) 574/72- (aktualisierte Gesamtfassung in der VO (EG) Nr. 118/97, ABIEG Nr. L 28 vom 30. Januar 1997, zum Anwendungsvorrang der VO vor § 65 EStG vgl. auch BFH-Urteile vom 13. August 2002 VIII R 54/00, BFH/NV 2002, 1581; FG Brandenburg, Urteil vom 19. Juni 2002 6 K 2219/01, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG 2002, 1314; FG Köln, Urteil vom 23. Juni 2005, 10 K 5712/04, EFG 2005, 1704).

Vorliegend wird die Vorschrift des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG jedoch nicht durch die Verordnung Nr. 1408/71 sowie die Verordnung Nr. 574/72 verdrängt, denn das deutsche Kindergeld fällt zwar in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 (vgl. dazu BFH-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 54/00, Bundessteuerblatt BStBl II 2002, 869; Bundesverfassungsgericht -BVerfG-, Beschluss vom 8. Juni 2004, 2 BvL 5/00, Amtliche Sammlung von Entscheidungen des BVerfG -BVerfGE 110, 412), da die Verordnung gemäß ihres Art. 4 Abs. 1 lit h) Familienleistungen wie das deutsche Kindergeld umfasst. Der Kläger wird aber nach im Übrigen unstreitiger Auffassung der Beteiligten nicht vom persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung erfasst. Denn die Verordnung ist auf Selbständige nur anwendbar, wenn sie in einer alle Erwerbstätigen umfassenden Altersversicherung versicherungs- oder beitragspflichtig sind (vgl. dazu BFH-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 54/00, BStBl II 2002, 869; FG Münster, Urteil vom 26. Mai 2004, 1 K 2067/01, EFG 2004, 1849; Hessisches FG, Urteile vom 10. Oktober 2006 2 K 958/06, n.v. und vom 23. Mai 2007, 3 K 3143/06, n.v.).

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Kläger ist im Streitzeitraum zwar in der Bundesrepublik Deutschland selbständig tätig gewesen, er unterliegt aber unstreitig nicht der Versicherungspflicht der deutschen Rentenversicherung.

Nach dem danach maßgeblichen § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist der Anspruch auf Festsetzung von Kindergeld nach dem EStG hier ausgeschlossen, wenn und soweit dem Kläger in Polen Leistungen gewährt wurden bzw. werden oder bei entsprechender Antragstellung zu gewähren (gewesen) wären, die dem Kindergeld vergleichbar sind.

Die Frage lässt sich zur Zeit nicht abschließend beantworten.

Der Kläger selbst hat zunächst vorgetragen, er habe "selbstverständlich auch einen Anspruch auf Kindergeld in Polen". Mit Schriftsatz vom 24. August 2007 hat er sodann ohne Erläuterung, wie es zu dieser Aussage gekommen ist, behauptet, weder er noch seine Frau erhielten Kindergeld für das Kind Anton. Gegebenenfalls wird bei der zuständigen polnischen Behörde eine ausführliche Auskunft einzuholen sein, der die Gewährung der dem Kindergeld entsprechenden Leistungen nach Zeiträumen gestaffelt (November 2005 bis August 2006, ab September 2006) zu entnehmen ist.

Sollte dem vorgelegten, bislang nicht übersetzten Formular "E 411" die Aussage zu entnehmen sein, dass der Kläger und seine Ehefrau einen Kindergeldanspruch in Polen nicht geltend gemacht haben, wird die Beklagte durch Einholung einer Auskunft der zuständigen polnischen Behörde zu klären haben, ob dem Kläger oder seine Ehefrau Kindergeld zugestanden hätte, wenn sie es beantragt hätten und falls nicht, worauf die Verweigerung polnischen Kindergeldes ggf. beruht (womöglich zu hohes Familieneinkommen etc.).

Sollten dem Kläger oder seiner Ehefrau entgegen ihrer widersprüchlichen Behauptung auch im Streitzeitraum polnische Familienleistungen gezahlt worden sein, müsste die Beklagte folgendes klären:

Zunächst wäre eine Entscheidung dahingehend zu fällen, ob die polnischen Familienleistungen und das deutsche Kindergeld auch vergleichbar sind.

Die Vergleichbarkeit mehrerer kindbezogener Leistungen richtet sich nicht nach der rechtlichen Ausgestaltung des Anspruchs, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Zur Vermeidung von Doppelleistungen kommt es lediglich darauf an, ob die zu vergleichende Leistung wirtschaftlich die gleiche Zielrichtung verfolgt wie das Kindergeld (BFH-Beschluss vom 30. Juni 2005 III B 9/05, BFH/NV 2005, 2007 m.w.N.).

Im Anschluss daran wird in diesem Zusammenhang zu überlegen sein, ob die Aussage des BVerfG, wonach es denkbar wäre, dass bei ganz geringfügigen ausländischen Leistungen die funktionelle Vergleichbarkeit entfallen könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 2004, 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 142 unter C.II 3.b)aa) (1)(a), letzter Satz), für das vorliegende Verfahren Relevanz hat, d.h. ausnahmsweise womöglich trotz des Bezuges polnischen Kindergeldes die Gewährung deutschen Kindergeldes nicht nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen ist.

Nur zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass der Antrag des Klägers auf Gewährung von Kindergeld für seinen Sohn Bruno vom 30. August 2006 nach Lage der vorliegenden Akten bislang nicht beschieden worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO (vgl. BFH-Urteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04, BStBl II 2006, 184).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.



Ende der Entscheidung

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