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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 30.09.2009
Aktenzeichen: 15 K 3701/07 Kg
Rechtsgebiete: EStG, AufenthG


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 2
AufenthG § 28 Abs. 1
AufenthG § 81 Abs. 3
AufenthG § 81 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Kindergeld für den Zeitraum Mai bis November 2006.

Die Klägerin ist brasilianische Staatsangehörige. Sie reiste erstmalig am 10.12.2003 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach Überschreiten einer dreimonatigen Aufenthaltsdauer reiste die Klägerin auf entsprechende Aufforderung der Ausländerbehörde der Stadt "W-Stadt" am 26.03.2004 wieder aus.

Nachdem die Klägerin am 29.07.2005 erneut in das Gebiet der Bundesrepublik eingereist war, beantragte sie am 18.10.2005 eine Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen. Gleichzeitig legte sie eine ärztliche Schwangerschaftsbescheinigung vom 29.09.2005 sowie eine Verpflichtungserklärung des späteren Kindesvaters, Herrn "H" , vom 19.10.2005 über dessen Verpflichtung, für die Kosten ihres Lebensunterhaltes und einer etwaigen Ausreise aufzukommen, vor. Am 01.09.2005 meldete die Klägerin ihren Wohnsitz unter der Anschrift des Kindesvaters an.

Am 19.10.2005 stellte der Landrat des "S"-Kreises der Klägerin eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 Aufenthaltsgesetz -AufenthG- aus. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit war ihr hierdurch nicht gestattet.

Am 03.01.2006 teilte der Kindesvater dem Ausländeramt des "S"-Kreises mit, dass die Klägerin am 04.12.2005 wieder aus seinem Haushalt ausgezogen und zu ihrer Schwester in "W-Stadt" zurückgekehrt sei. Die behördliche Ummeldung erfolgte zum 20.01.2006.

Die Fiktionsbescheinigung wurde in der Folgezeit mehrfach verlängert, und zwar am 24.01.2006 bis zum 23.04.2006, am 27.04.2006 bis zum 23.07.2006 und am 18.07.2006 bis zum 23.10.2006.

Am 08.05.2006 wurde die Tochter der Klägerin, "B", geboren. Am 24.11.2006 erkannte Herr "H" die Vaterschaft des Kindes an. Die Klägerin stimmte der Anerkennung der Vaterschaft zu.

Am 14.12.2006 erteilte die Stadt "W-Stadt" eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des AufenthG (gültig bis 13.12.2007).

Daraufhin bewilligte die Beklagte der Klägerin Kindergeld ab Dezember 2006.

Den am 04.04.2007 gestellten Antrag der Klägerin auf Bewilligung des Kindergeldes auch für den Zeitraum Januar bis November 2006 lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 20.04.2007 ab.

Den hiergegen eingelegten Einspruch der Klägerin vom 16.05.2007 wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 22.08.2007 als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie darauf, dass ein Anspruch eines Ausländers auf Kindergeld nach § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes -EStG- nur ab dem Zeitpunkt bestehe, ab dem dieser im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei. Dieses Erfordernis sei im vorliegenden Fall erst ab dem Monat Dezember 2006 erfüllt gewesen. Auf die Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG könne insoweit nicht abgestellt werden.

Die Klägerin hat am 24.09.2007 Klage erhoben.

Sie trägt vor:

Sie habe ab dem Zeitpunkt der Geburt ihrer Tochter am 08.05.2006 einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gehabt, da der Kindesvater die deutsche Staatsangehörigkeit besitze und daher ihre Tochter ebenfalls deutsche Staatsbürgerin sei. Auf das Datum der Ausstellung der Aufenthaltserlaubnis könne es nicht ankommen. Ansonsten hätte es die Ausländerbehörde in der Hand, durch eine verzögerte Ausstellung der Aufenthaltserlaubnis auch die Kindergeldansprüche zu verkürzen.

Die Klägerin beantragt nach Rücknahme der Klage für die Monate Januar bis April 2006 sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 20.04.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.08.2007 zu verpflichten, ihr Kindergeld für ihre Tochter "B" für den Zeitraum Mai bis November 2006 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich zur Begründung im Wesentlichen auf ihre Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt sie vor: Der Gesetzeswortlaut des § 62 Abs. 2 EStG sei eindeutig. Die Vorschrift knüpfe zur Beurteilung der Kindergeldgewährung bei einem nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer an den Aufenthaltstitel an, den der Ausländer besitze, d.h. tatsächlich in den Händen halte. Eine Ausnahme gelte lediglich für die Zeit zwischen dem Ablauf einer bereits erteilten Aufenthaltserlaubnis und seiner erneuten Erteilung. Diese Regelung sei auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Kindergeldakte sowie der Ausländerakte der Stadt "W-Stadt" Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten auf deren Durchführung verzichtet haben, § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO-.

Die Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 20.04.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.08.2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten.

Die Beklagte hat der Klägerin die beantragte Gewährung des Kindergeldes ab Mai 2006 zu Recht versagt. Die Voraussetzungen der allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden Vorschrift des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG liegen im Streitfall nicht vor.

1. Nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, es liegen die einschränkenden Voraussetzungen der § 62 Abs. 2 Nr. 2 a) - c) EStG vor, die bei bestimmten Aufenthaltstiteln nach dem AufenthG eingreifen.

§ 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG macht die Gewährung des Kindergeldes an nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer damit davon abhängig, dass der Betroffene die Aufenthaltserlaubnis besitzt, d.h. tatsächlich in den Händen hält (sog. Tatbestandswirkung, vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 18.12.1998 VI B 221/98, BFHE 187, 562, BStBl II 1999, 140; vom 20.02.1998 VI B 205/97, BFH/NV 1998, 963; vom 01.12.1997 VI B 147/ 97, BFH/NV 1998, 696 und vom 14.08.1997 VI B 43/97, BFH/NV 1998, 169). Der bloße Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begründet nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut noch keinen Kindergeldanspruch. Vielmehr ist hierfür das ausdrückliche Zubilligen des Aufenthaltsrechts durch Verwaltungsakt erforderlich. Es kann daher im Streitfall dahinstehen, ob die Klägerin bereits ab der Geburt ihrer Tochter im Mai 2006 trotz der zu diesem Zeitpunkt noch nicht geklärten Frage der Vaterschaft eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, die zum Bezug von Kindergeld berechtigt, hätte beanspruchen können.

Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist es nach Auffassung des Senates auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, vom Gesetzeswortlaut des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG abzuweichen. Soweit die Klägerin auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- verweist, vermag dies eine solche über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Auslegung nicht zu begründen. Zwar hat der 1. Senat des BVerfG (vgl. Beschluss vom 06.07.2004 1 BvL 4-6/97, BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) die Vorgängerregelung des § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes 1993 als insoweit unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG angesehen, als die Gewährung von Kindergeld allein von der Art der ausländerrechtlichen Genehmigung nach dem AuslG 1990 abhing. Allerdings trifft diese Rechtsprechung nicht auf die hier entscheidungserhebliche Fassung des § 62 Abs. 2 EStG, der für Zeiträume ab 2005 gilt, zu. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH hat der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG vielmehr im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums gehandelt, als er die Kindergeldberechtigung von Ausländern vom Besitz bestimmter Aufenthaltstitel nach dem AufenthG abhängig machte und bei einzelnen Titeln, die einen schwächeren aufenthaltsrechtlichen Status vermitteln, darüber hinaus von einem dreijährigen, rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im Bundesgebiet sowie von der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt, § 62 Abs. 2 Nr. 2 c), Nr. 3 EStG (BFH-Urteile vom 15.03.2007 III R 93/03, BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234; vom 22.11.2007 III R 54/02, BFH/NV 2008, 457 und vom 17.04.2008 III R 16/05, BFHE 221, 43, BFH/NV 2008, 629).

Dieser Rechtsprechung des BFH schließt sich der Senat an. Anhaltspunkte dafür, dass es entgegen dieser Rechtsprechung im Streitfall geboten wäre, die Anknüpfung von § 62 Abs. 2 EStG an die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis durch die Ausländerbehörde aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beanstanden, liegen nach Auffassung des Senates nicht vor. Für die Tatbestandswirkung ausländerrechtlicher Verwaltungsakte für das Kindergeldrecht bestehen vielmehr vernünftige Gründe. Es erscheint weder sinnvoll noch praktikabel, wenn die Familienkassen zu prüfen hätten, ob die Ausländerbehörde einen bestimmten Aufenthaltstitel früher hätte erteilen können und sollen (vgl. Urteil des FG Düsseldorf vom 09.11.2007 18 K 1580/06 Kg, EFG 2008, 388). Die Auffassung der Klägerin, wonach anstelle der tatsächlichen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auf die materielle ausländerrechtliche Rechtslage für die Kindergeldberechtigung abzustellen sei, führte im Ergebnis dazu, dass die Familienkassen auch zu prüfen hätten, ob die Ausländerbehörden einen bestimmten Titel möglicherweise zu Unrecht erteilt haben. Die Familienkassen besitzen jedoch weder die personelle Ausstattung noch regelmäßig die fachliche Qualifikation, um ausländerrechtliche Sachverhalte besser beurteilen zu können als die Ausländerbehörden (vgl. Urteil des FG Düsseldorf vom 09.11.2007, a.a.O.).

Dass eine etwaige Ungleichbehandlung zwischen Ausländern, die trotz ihrer materiell-rechtlichen Berechtigung zum unbefristeten Aufenthalt in Deutschland noch nicht im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung sind, und denen, die ebenfalls materiell-rechtlich berechtigt sind und darüber hinaus auch die ausländerrechtliche Aufenthaltserlaubnis rechtzeitig in Besitz haben, bereits als solche als ein mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbarer gleichheitswidriger Verstoß anzusehen ist, vermag nicht zu überzeugen. Es lassen sich unterschiedliche sachliche Gründe für eine solche Ungleichbehandlung anführen. Auch im Streitfall konnte die Ausländerbehörde der Klägerin nicht bereits ab dem Zeitpunkt der Geburt ihrer Tochter eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG gewähren, solange nicht die Vaterschaft des Kindes durch einen deutschen Staatsangehörigen festgestellt war. Soweit die Klägerin vorträgt, dass es die Ausländerbehörde bei der gegenwärtigen Gesetzeslage damit in der Hand habe, durch eine verzögerte Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auch den Kindergeldanspruch zu verkürzen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Liegen die Voraussetzungen einer schuldhaften Verzögerung bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels vor (wofür es im Streitfall keine Anhaltspunkte gibt), kann der Kindergeldberechtigte einen eingetretenen Schaden in Form verloren gegangenen Kindergeldes nach den Grundsätzen des Amtshaftungsrechts geltend machen.

2. Auch aus der Rechtsnatur der der Klägerin erteilten Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG lässt sich kein anderes Ergebnis ableiten.

Nach § 81 Abs. 3 AufenthG gilt der Aufenthalt eines Ausländers, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, bis zur Entscheidung über einen gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als erlaubt.

§ 81 Abs. 3 AufenthG vermittelt damit zwar ab Antragstellung einen rechtmäßigen Aufenthalt. Der Ausländer wird aber nicht so gestellt, als besitze er eine Aufenthaltserlaubnis. Denn es soll lediglich der vor dem Antrag bestehende Zustand erhalten, nicht aber - was eine zusätzliche Besserstellung wäre - der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis fingiert werden (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 8, Rz. 27). Aus diesem Grund überzeugt auch der Hinweis der Klägerin auf die Regelung des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht. Denn diese Vorschrift regelt den Fall der Verlängerung einer bereits erteilten Aufenthaltserlaubnis oder die Erteilung einer anderen Aufenthaltserlaubnis, setzt also den Besitz eines Aufenthaltstitels voraus. Eine solche Situation liegt im Streitfall nicht vor, denn die Klägerin macht einen Kindergeldanspruch gerade für einen Zeitraum geltend, in dem sie noch nicht über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG verfügte. Solange jedoch ein Ausländer nicht erstmals im Besitz eines entsprechenden ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels ist, kann er auch aus § 81 Abs. 3 AufenthG keinen Anspruch auf Kindergeld für sich ableiten. Insoweit entspricht die Rechtslage der Situation unter der Geltung der Vorgängerregelung von § 81 Abs. 3 AufenthG, d.h. von § 69 Abs. 3 AuslG 1990 (vgl. hierzu: BFH-Urteil vom 17.04.2008 III R 165/05, BFHE 221, 43, BFH/NV 2008, 629 sowie BFH-Beschlüsse vom 18.12.1998 VI B 221/98, BFHE 187, 562, BStBl II 1999, 140; vom 14.08.1997 VI B 43/97, BFH/NV 1998, 169 und vom 01.12.1997 VI B 147/97, BFH/NV 1998, 696). Der Senat sieht im Streitfall keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben und war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache sowie im Hinblick auf das beim BFH unter dem Aktenzeichen III R 1/08 anhängige Revisionsverfahren zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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