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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 01.06.2006
Aktenzeichen: 15 K 5284/04 K
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 4 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Die Klägerin ist "...", die als Anstalt des öffentlichen Rechts mit dem von ihr unterhaltenen Betrieb gewerblicher Art der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterliegt (§§ 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 KStG). Sie hat als zur Buchführung verpflichtete Einrichtung die Gewinnermittlung nach § 8 KStG in Verbindung mit §§ 4 und 5 EStG durch Vermögensvergleich auf der Grundlage von Bilanzen vorzunehmen, die den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechen.

Die Klägerin gewährt einigen ihrer aktiven und ehemaligen Beschäftigten im Krankheitsfall Beihilfen nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. Sie hat hierzu erstmals in der Bilanz zum 31.12.1998 eine Rückstellung für die Gewährung von Beihilfen an Pensionäre gebildet. Im Rahmen einer Betriebsprüfung im Jahre 2000 wurde dieser Rückstellung die Anerkennung versagt. In dem nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 1998 (Streitjahr) vom 02.11.2000 folgte der Beklagte der Auffassung des Prüfers und löste die Rückstellung gewinnerhöhend auf. Gegen diesen Änderungsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte das Ruhen der Einspruchverfahren bis zur Entscheidung über die beim BFH zu dieser Streitfrage unter dem Az. I R 71/00 anhängigen Revisionsverfahren.

Nachdem der BFH in diesem Revisionsverfahren (mit Urteil vom 30.01.2002 I R 71/00, BStBl II 2003, 279) entschieden hat, dass für die Verpflichtung, Pensionären, aber auch aktiven Mitarbeitern während der Zeit ihres Ruhestandstands in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen Beihilfen zu gewähren, eine Rückstellung in der Handels- und Steuerbilanz zu bilden ist, erweiterte die Klägerin ihr Einspruchsbegehren dahingehend, dass auch für ihre noch im aktiven Dienst befindlichen Beschäftigten erstmals eine entsprechend Rückstellung in Höhe von 42.500 DM zu bilden ist. Soweit die Klägerin den erstmaligen Ansatz einer Rückstellung auch für ihre aktiven Beschäftigten begehrte, wies der Beklagte die Einsprüche mit der Begründung zurück, eine Bilanzberichtigung käme mangels eines Bilanzierungsfehlers nicht in Betracht.

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben, die sie wie folgt begründet:

Entgegen der Auffassung des Beklagten sei die Bilanz des Streitjahres fehlerhaft, soweit dort keine Rückstellung für künftige Beihilfeverpflichtungen an aktive Mitarbeiter gebildet worden seien. Der Beklagte verkenne insoweit, dass zwischen objektiver und subjektiver Fehlerhaftigkeit eines Bilanzansatzes zu unterscheiden sei. Zwar sei der Bilanzansatz im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung - also vor der Rechtsprechungsänderung - subjektiv richtig gewesen, weil sie den bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung objektiv bestehenden Erkenntnismöglichkeiten entsprochen hätten. Nach Ergehen des BFH-Urteils in BStBl II 2003, 279 sei diese Bilanz jedoch objektiv falsch geworden, weil ihre Fehlerhaftigkeit durch die höchstrichterliche Rechtsprechung objektiv offenbar geworden sei.

Im Fall einer Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung werde der Bilanzansatz in der Bilanz fehlerhaft, in der die Änderung der Rechtsprechung verfahrensrechtlich noch berücksichtigt werden könne. Auch in der Literatur bestehe Einigkeit darüber, dass im Fall einer Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung der Bilanzansatz des ersten Jahres, dessen Veranlagung noch geändert werden könne, korrigiert werden müsse. Dies müsse erst recht gelten, wenn die Rechtsprechung - wie im Streitfall - neue Bilanzierungsgrundsätze aufstelle.

Die vorgenannten Voraussetzungen seien vorliegend aufgrund der noch offenen Steuerfestsetzungen der streitbefangenen Jahre erfüllt; auf den Veröffentlichungszeitpunkt des BFH-Urteils vom 30.01.2002 I R 71/00 im Bundessteuerblatt komme es ebensowenig an wie auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung der hierzu ergangenen Verwaltungserlasse.

Die Klägerin beantragt, die Körperschaftsteuer 1998 unter Berücksichtigung einer weiteren Rückstellung in Höhe von 42.500 DM herabzusetzen, hilfsweise Zulassung der Revision.

Der Beklagte beantragt Klageabweisung, hilfsweise Zulassung der Revision.

Er hält daran fest, dass eine Bilanzberichtigung im Streitjahr mangels Bilanzierungsfehler nicht in Betracht kommt und führt hierzu aus:

Ein Bilanzansatz sei nur dann fehlerhaft, wenn er objektiv gegen ein handelsrechtliches oder steuerrechtliches Bilanzierungsgebot oder -verbot verstoße und der Steuerpflichtige diesen Verstoß im Zeitpunkt der Bilanzerstellung erkennen habe können. Ein Bilanzansatz sei nach Auffassung des BFH dagegen nicht fehlerhaft, wenn er den im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung objektiv bestehenden Erkenntnismöglichkeiten entspreche und subjektiv richtig sei. Der BFH habe im Urteil vom 12.11.1992 IV R 59/91, BStBl II 1993, 392 ausdrücklich klargestellt, dass ein Bilanzansatz nicht fehlerhaft werde, wenn es nach Bilanzaufstellung zu einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung komme. Das BFH-Urteil vom 30.1.2002 habe bei der Erstellung der Bilanz zum 31.12.1998 ersichtlich noch nicht berücksichtigt werden können. Diese Bilanz sei folglich weder fehlerhaft gewesen noch durch die spätere Rechtsprechungsänderung bzw. -klarstellung fehlerhaft geworden, soweit die Klägerin dort keine Rückstellung für künftige Beihilfeverpflichtungen gegenüber ihren aktiven Beschäftigten gebildet habe.

Wenn nach Bilanzerstellung eine Änderung der Rechtsprechung erfolge und der Steuerpflichtige von diesem Umstand nach Bilanzerstellung Kenntnis erlange, so werde der fortbestehende oder unterbliebene Bilanzansatz damit erst in der Bilanz fehlerhaft, in der die Änderung der Rechtsprechung erstmals hätte berücksichtigt werden können. Der (fehlende) Buchansatz werde damit zwar fehlerhaft, aber nicht rückwirkend zum 31.12.1998. Im Streitjahr scheide wegen Beachtung der Grundsätze zur Bilanzberichtigung eine Berücksichtigung der beantragten Rückstellungen damit aus. Das BFH-Urteil vom 30.1.2002 sei erst im Jahr 2002 veröffentlicht worden und könne nach bundeseinheitlicher Verwaltungsauffassung damit frühestens bei der Veranlagung für das Jahr 2001 berücksichtigt werden.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin durfte und musste in ihrer Bilanz zum 31.12.1998 nachträglich eine Rückstellung auch für solche Beihilfen im Krankheitsfall bilden, die an aktive Mitarbeiter nach Eintritt in den Ruhestand zu zahlen sind. Die unterlassene Bildung dieser Rückstellung stellt einen Bilanzierungsfehler dar, der nach den Grundsätzen des formellen Bilanzzusammenhangs in der Bilanzen des Streitjahres richtig zu stellen ist, weil es sich hierbei um die erste Bilanz handelt, der eine noch änderbare Steuerfestsetzung zugrunde liegt. Die Rechtsprechung des BFH zu den Voraussetzungen einer Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 EStG (vgl. insbesondere das BFH-Urteil in BStBl II 1993, 392 sog. subjektive Fehlerbegriff ) stehen der Berichtigung nicht entgegen.

1. Zwischen den Verfahrensbeteiligten besteht Einvernehmen darüber, dass nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung, die auch die Klägerin in ihrem bilanzierungspflichtigen Betrieb gewerblicher Art zu beachten hat, eine Passivierungspflicht für die künftigen Beihilfeverpflichtungen der Klägerin gegenüber den im Streitjahr aktiven Beschäftigen besteht. Soweit der Beklagte zunächst eine Pflicht zur Passivierung von Beihilfeverpflichtungen gegenüber den Pensionären der Klägerin verneint hat, hält er hieran nach Ergehen des BFH-Urteils in BStBl II 2003, 279 nicht mehr fest. Die Verwaltung folgt dieser Entscheidung nunmehr aber auch insoweit, als der BFH dort die Verpflichtung zur Bildung einer Rückstellung erstmals auf aktive Beschäftigte ausgedehnt hat.

2. Sind damit auch nach Auffassung des Beklagten jedenfalls seit Bekanntwerden des BFH-Urteils in BStBl II 2003, 279 die Bilanzen der Klägerin fehlerhaft, soweit sie keine Rückstellung für Beihilfeverpflichtungen gegenüber aktiven Beschäftigten enthalten, so ist dieser Bilanzierungsfehler nach den Grundsätzen des sog. formellen Bilanzenzusammenhangs grundsätzlich in dem Jahr zu berichtigen, in dem diese Rückstellung erstmals zu bilden gewesen wäre. Soweit eine Berichtigung im Fehlerjahr wegen Bestandskraft der Veranlagung nicht (mehr) möglich ist, ist sie in der Schlussbilanz des ersten Jahres vorzunehmen (nachzuholen), in dem die Veranlagung noch geändert werden kann (so die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung; vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 EStG Rdnr. 419). Da die Steuerfestsetzung des Streitjahres noch nicht bestandskräftig war, war die Klägerin nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, den Bilanzierungsfehler in Gestalt der Rückstellungsbildung in den Bilanzen dieser Jahre nachzuholen.

Dass auch die Verwaltung selbst von der grundsätzlichen Möglichkeit bzw. Verpflichtung zur Bilanzberichtigung in früheren Veranlagungszeiträumen ausgeht, macht nicht zuletzt der Erlass von Übergangsregelungen bei (steuerverschärfenden) Rechtsprechungsänderungen deutlich (vgl. z.B. BMF-Schreiben vom 24.8.1999, BStBl I 1999, 822 zur Anwendung der geänderten Rechtsprechungsgrundsätze zur phasengleichen Aktivierung von Dividendenansprüchen).

3. Der nachträglichen Bildung der streitigen Rückstellung im Streitjahr steht das BFH-Urteil in BStBl II 1993, 392 nicht entgegen. Nach der dort vom IV. Senats des BFH vertretenen Auffassung, der der in der Literatur wohl überwiegend abgelehnte subjektiven Fehlerbegriff zugrunde liegt (vgl. hierzu Stapperfend, a.a.O., § 4 EStG Rdnr. 409-411 mit weiteren Nachweisen), soll allerdings ein Bilanzansatz nicht fehlerhaft sein, wenn er den im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung objektiv bestehenden Erkenntnismöglichkeiten und der höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht und somit subjektiv richtig ist. Kommt es nach der Bilanzaufstellung zu einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, so soll der (fortbestehende) Bilanzansatz erst in der Bilanz fehlerhaft werden, in der die Änderung der Rechtsprechung erstmals hätte berücksichtigt werden können. Der BFH legt seiner Entscheidung hierbei den subjektiven Fehlerbegriff zugrunde.

Die vorgenannte Entscheidung befasst sich jedoch, was der Beklagte und die Verwaltung in ihren bundeseinheitlichen Erlassen (z.B. Verfügungen der Oberfinanzdirektionen - OFD - München/Nürnberg vom 22.9.2004, Der Betrieb - DB - 2004, 2242 und der OFD Düsseldorf vom 10.5.2005,DB 2005 1083) verkennen, nicht mit der Fehlerberichtigung im Rahmen des formellen Bilanzenzusammenhangs, sondern lediglich mit der Frage der - isolierten - Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG. Diese Entscheidung ist damit nur in Fällen von Bedeutung, in denen sich ein Bilanzierungsfehler ausschließlich auf Bilanzen beschränkt, die vor Bekanntwerden der Rechtsprechungsänderung erstellt worden sind. Dauert jedoch der Bilanzierungsfehler wie im Streitfall fort und wird damit die Bilanz auch unter Zugrundelegung des subjektiven Fehlerbegriffs unrichtig, so ist dieser Bilanzierungsfehler nach den vorstehenden Grundsätzen in den Bilanzen aller früheren Jahre richtig zu stellen, in denen er sich auswirkt, soweit die Steuerfestsetzung noch geändert werden kann.

Dem Beklagten ist einzuräumen, dass sich die hierin liegende Einschränkung des subjektiven Fehlerbegriffs nicht ohne weiteres aus dem BFH-Urteil in BStBl II 1993, 392 selbst entnehmen lässt. Sie ergibt sich jedoch eindeutig im Kontext mit der BFH-Rechtsprechung zur Berechtigung bzw. Verpflichtung und zum zeitlichen Umfang von Bilanzberichtigungen im Rahmen des formellen Bilanzenzusammenhangs. So hat der BFH schon im Urteil vom 16.2.1967 IV R 62/66, BStBl III 1967, 222 die rückwirkender Aberkennung einer zunächst zulässigerweise gebildeten Rückstellung infolge Rechtsprechungsänderung für mit dem Grundsatz von Treu und Glauben vereinbar gehalten. Des Weiteren hat der I. Senat des BFH im Urteil vom 25.4.1990 I R 78/85, BFH/NV 1990, 630 ausdrücklich klar gestellt, dass die infolge Rechtsunkenntnis oder -irrtums subjektiv richtige Bilanzierung einer späteren Berichtigung nach dem Grundsatz des Bilanzzusammenhangs nicht entgegensteht. Schließlich wird selbst nach Auffassung des IV. Senats ein zunächst richtiger Bilanzansatz fehlerhaft, wenn sich die höchstrichterliche Rechtsprechung in der Weise ändert, dass der Bilanzansatz nunmehr als fehlerhaft erscheint (Urteil vom 21.9.1995 IV R 50/93, BFH/NV 1996, 460). Für die Berichtigung eines gewinnwirksamen Bilanzierungsfehlers nach den Grundsätzen formellen Bilanzenzusammenhangs ist damit im Ergebnis ausschließlich auf den objektiven Fehlerbegriff abzustellen.

4. Weiterer Ermittlungen bedarf es im Streitfall nicht. Insbesondere besteht über die Höhe der Rückstellung zwischen den Beteiligten kein Streit.

5. Die Übertragung der Steuerberechnung auf den Beklagten ergibt sich aus § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Kostenentscheidung aus § 135 Abs. 1 FGO.

6. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die aufgeworfene Rechtsfrage bedarf jedenfalls aus Gründen der Rechtsklarheit einer Beantwortung durch den BFH, dem damit zugleich Gelegenheit gegeben wird, die unter Berücksichtigung des Grundsatzes des formellen Bilanzenzusammenhangs missverständliche Aussage im BFH-Urteil in BStBl II 1993, 392 zur Auswirkung einer nachträglichen Rechtsprechungsänderung auf die Richtigkeit der Bilanz klar zu stellen.

Ende der Entscheidung

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