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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 25.07.2007
Aktenzeichen: 4 K 1174/06 VTa,Z,EU
Rechtsgebiete: ZK, TabStG, UStG, GG


Vorschriften:

ZK Art. 202
ZK Art. 213
TabStG § 21
UStG § 21 Abs. 2
GG Art. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

4 K 1174/06 VTa,Z,EU

Tenor:

Die Steuerbescheide des Beklagten vom 11. August 2004 und die dazu ergangenen Einspruchsentscheidungen vom 2. März 2006 und 3. März 2006 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen Steuerbescheide des Beklagten, mit denen er auf Zahlung von Einfuhrabgaben in Anspruch genommen wird.

Dem Streitfall liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Jahr 2002 fanden aufgrund von Beschlüssen des Amtsgerichts C-Stadt (die sich nicht in den übersandten Verwaltungsakten befinden) Telefonüberwachungsmaßnahmen gegen eine Tätergruppe um Herrn R., Herrn H., Herrn L. und Herrn M. statt.

Im Verlauf der Ermittlungen wurde Herr M. wiederholt vernommen und dabei auch auf den Kläger angesprochen. In seiner Vernehmung vom 10. Oktober 2002 durch das Zollfahndungsamt K-Stadt - ZFA - gab er u. a. an:

... Sie hätten jetzt eine Garage. Wem die Garage gehöre, wisse er nicht. Den Namen der Straße, in der die Garage liege, wisse er nicht. Er könne das aber wie folgt beschreiben:

... am Hühnerstall [Imbiss] vorbei in Richtung Bundesstraße und dann nach 200 bis 300 m komme links eine Einfahrt. Dort seien ca. 20 bis 25 Garagen. Es handele sich um die dritt- oder viertletzte Garage auf der rechten Seite. ...

... Er habe ausschließlich die Zigaretten aus der Garage in D. [Ortsteil von F-Stadt] ausgegeben. ...

... Der Name "Pommes Fritz" sage ihm nichts. ...

...Angesprochen auf einen Fritze: Soweit er wisse, müsse der was mit der Garage zu tun haben. Ob der Zigaretten bekommen habe oder sich Zigaretten selbst genommen habe, wisse er nicht. Er wisse nur, daß in der Garage private Sachen von dem Fritz gewesen seien. ...

... Der Herr L habe Zigaretten der Marke HB bringen sollen. Die hätten für .. und den Fritzos (Fritz) sein sollen. ... Wenn ihm vorgehalten werde, er hätte drei, Herr C. drei und Fritz einen bekommen, so stimme das. ... Auf das Gespräch vom 27.09.2002 um 13.07 Uhr angesprochen: Der Fritz sei in den Urlaub gefahren und er habe von ihm 1.000 EUR für Herrn R. bekommen. ... Von ihm habe der Fritz keine Zigaretten bekommen.

Zur Lage der angesprochenen Garage fertigte Herr M. eine Handskizze an.

In der Vernehmung vom 22. Oktober 2002, ebenfalls vor dem ZFA, sagte Herr M. u. a. aus:

... Er habe den Ermittlern heute ebenfalls die Garage in der T-Straße Ecke L-Straße gezeigt, in der er die Zigaretten angenommen und eingelagert gehabt habe. Es sei die Garage mit der Nummer 1 gewesen.

... Wenn ihm gesagt werde. daß die von Karl gebrachten Zigaretten Originale gewesen seien, so seien das mit Sicherheit 50er Kartons gewesen. Die seien nur ein- oder zweimal gekommen. Von diesen 10 Einheiten, das seien also 500 Stangen, habe der Fritz T. vermutlich 100 Stangen und der Kalli Herr C. vermutlich 400 Stangen bekommen. So sei es geplant gewesen. ...

Im Haftprüfungstermin am 30. Oktober 2002 vor dem Amtsgericht C-Stadt gab Herr M. u. a. an:

... Insgesamt treffe es sicher zu, daß er in dem Tatzeitraum von Februar bis September 2002 11.964 á 200 Stück unverzollter und unversteuerter Zigaretten übernommen habe. Er habe die Menge mit den Zollbeamten berechnet. Man habe das anhand der Telefonüberwachungsprotokolle genau nachvollziehen können.

Der ebenfalls zu der Tätergruppe gehörende Herr L. sagte am 23. Oktober 2002 und am 11. November 2002 gegenüber dem ZFA aus. Die Aussagen enthalten keine Hinweise auf den Kläger.

Herr R. wurde u. a. am 9. Dezember 2002 vom ZFA vernommen und gab an:

... In den Gesprächen sei der Name "Pommes Fritz" gefallen. Damit sei der Fritz T. gemeint, dem die Garagen gehörten. Der T. habe aber nur ein paar Zigaretten bekommen. Auf der Zeichnung von Herrn M. müßte die Garage sein, die er meine. ...

Wenn ihm in diesem Zusammenhang der Name Fritz T. genannt werde, so könne er sagen, auch der habe Zigaretten bekommen. Wie viel der im einzelnen bekommen habe, wisse er nicht.

Herr H. sagte vor dem ZFA am 10. Dezember 2002 u. a. aus:

... Die Zigaretten seien zum Pommes Frites [Fritz] gebracht worden. ... Auf Frage, ob ihm der Name T. etwas sage: Ja genau, der habe T. geheißen.

Der Fritz T. habe eine Garage gehabt, wo sie hätten abladen können. ... Er sei nie dabei gewesen, wenn Zigaretten geliefert worden seien. ...

... Der Herr L. sei manchmal mit dem Bus seiner Lieferanten gekommen. ... Die Zigaretten habe er zum Pommes Frites [Fritz] in die Garage gebracht. ...

... Wenn in dem Haftbefehl stehe, daß er Zigaretten an W. in F-Stadt ausgeliefert habe, so stimme das nicht. Die Zigaretten seien wohl zu der Garage des T. gebracht worden. ...

Bei Herrn R. waren Notizzettel gefunden und am 8. Oktober 2002 sichergestellt worden mit Aufzeichnungen zu Vornamen und Zahlenkolonnen, darunter mehrmals auch zu dem Vornamen Fritz.

In einem Vermerk der Zollfahnderin Z. zu Ermittlungen gegen den Kläger als Beschuldigten (Blatt 78 bis 86 der zollamtlichen Strafakte = Heft 1) ist jeweils angegeben, auf welchen abgehörten Telefongesprächen die Verdachtslage beruhe.

Mit Strafurteilen vom 2. April 2003 und 4. Juli 2003 wurden Herr R., Herr H. und Herr M. wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei zu Freiheitsstrafen verurteilt. In den Urteilen ist der Kläger nicht namentlich erwähnt, wohl aber - ohne nähere Angaben zur Lage und zum Besitzer/Vermieter - die zum Umschlag der unverzollten und unversteuerten Zigaretten benutzte Garage (Urteil vom 2. April 2003: "eine von dem Angeklagten Herrn R. für den Umschlag der Zigaretten genutzte Garage in F-Stadt"; Urteil vom 4. Juli 2003: "Herr R. hatte in der Nähe der Wohnung des Angeklagten M. eine Garage, die auch von einem Weinhändler als Lagerraum genutzt wurde, gemietet."). Weitere benutzte Garagen wurden u. a. dem gesondert Verfolgten U. zugeordnet.

In einem weiteren Vermerk der Zollfahnderin Z. zu Ermittlungen gegen den Kläger als Beschuldigten (Blatt 157 bis 173 der zollamtlichen Strafakte = Heft 1) ist wiederum angegeben, auf welchen abgehörten Telefongesprächen die Verdachtslage jeweils beruhe.

Nach Akteneinsicht übermittelten die Prozeßvertreter des Klägers mit Schreiben vom 1. Juni 2004 der Staatsanwaltschaft F-Stadt folgende wörtliche Angaben des Klägers:

"Ich kenne den Herrn M. und den Herrn R. bereits seit längerem. ... sprach mich der Herr R. auf dem Markt im Hinblick auf meine Garage an. ... der Herr R. erklärte dann irgendwann im Rahmen des Gespräches, daß er mit Zigaretten handele und eine Möglichkeit suche, diese zwischenzulagern.

Ich habe mir damals über diese Angelegenheit keine großen Gedanken gemacht, insbesondere nicht darüber, daß durch den "schwarzen" Handel mit Zigaretten erhebliche Steuerausfälle anfallen würden. Ich war daher mit der Nutzung der Garage einverstanden, zugleich kam ich mit dem Herrn R. überein, daß ich selber auch einige Zigaretten privat vertreiben könne, da ich relativ viele Bekannte habe, die rauchen. Mir war aus dem Bekanntenkreis bekannt, daß sich "schwarze" Zigaretten immer ohne weiteres absetzen lassen, deswegen habe ich mich angeboten, selber welche zu vertreiben. ...

Auf Vorhalt der Berechnung .., der zufolge es 207 Stangen gewesen sein sollen, kann ich sagen, daß dies von der Größenordnung her möglich sein kann. Es können 200, es können auch 250 Stangen gewesen sein, die ich damals aus dieser ersten Lieferung bekommen habe. ... Es handelte sich hierbei um Zigaretten, die "nichts taugten", weil sie wohl nach Diesel schmeckten. ...

Ich habe die Aufzeichnung der Telefonüberwachung mit meinem Verteidiger besprochen. ... (es folgen Ausführungen zu einzelnen Gesprächen) ...

... Am 16.06.2002 kam dann eine neue Lieferung, aus der ich 100 Stangen erhalten habe. ...

Die Stangen aus der Lieferung vom 16.06.2002 konnte ich, im Gegensatz zu den vorherigen Zigaretten, relativ gut verkaufen. ...

Am 22.07.2002 bekam ich dann weitere 264 Stangen ...

... Weitere Zigaretten habe ich nicht abgenommen. Ich habe nach dem 22.07.2002 keine Zigaretten mehr von Herrn R. bezogen.

... Mir wurde dabei klar, daß ich da in eine ziemlich böse Geschichte hereingeraten bin. Ich habe ... dem Herrn R. mitgeteilt, daß ich nicht mehr mitmachen würde und daß ich auch keine weiteren Zigaretten mehr haben wolle. Ich habe in der Folgezeit auch keine Zigaretten mehr bezogen, ich habe nur noch die Zigaretten, die ich aus den Vorlieferungen hatte, abverkauft... um meine Schulden bei Herrn R. ausgleichen zu können.

Ich habe allerdings, das räume ich ein, nicht die Konsequenz besessen, Herrn R. und Herrn M. aufzufordern, mir die Garage wieder herauszugeben. Dazu fehlte mir, ehrlich gesagt, damals der Mut. Ich habe es daher weiterhin geduldet, daß meine Garage dazu genutzt wurde, die Zigaretten dort zwischenzulagern und zu verteilen.

Es ist insbesondere nicht richtig, daß ich am 21.08.2002 weitere 72 Stangen Zigaretten erhalten hätte ... weil sich auf dem Garagenhof ein Kran befand und der Garagenhof nicht befahren werden konnte. ...

(Spätere) Zahlungen dienten dazu, meine Rückstände aus den Lieferungen vom 16.06. und 22.07.2002 auszugleichen. Sie stehen nicht in Zusammenhang mit Lieferungen nach diesem Zeitpunkt.

Wenn ich das jetzt zusammenrechne, also die erste Lieferung über die "schlechten" Zigaretten, die weiteren 100 Stangen vom 16.06.2002 sowie die 264 Stangen vom 22.07.2002, dann hätte ich knapp 600 Stangen Zigaretten erhalten. Dies kann meiner Erinnerung nach vom Umfang her in etwa hinkommen. ... Es könnte auch sein, daß es [beim ersten Mal] 300 waren, dann käme die [von Herrn R. genannte] Zahl 669 in etwa hin. ...

... Ich selber habe die Stangen, die ich bezogen habe, an Bekannte abgesetzt. ... Ich habe pro Stange nach meiner Erinnerung durchschnittlich 14,50 bis 15,00 EUR erzielen können, also pro Stange einen Gewinn zwischen 0,90 EUR und 1,60 EUR gemacht. Wenn man einmal 600 Stangen zugrundelegt und einen Gewinn von 1,50 EUR, dann ergibt sich ein Betrag in Höhe von 900 EUR, den ich selber an der Sache verdient habe ... mit "Gutschriften vielleicht 1.000 EUR, mehr nicht. ..."

Am 28. Oktober 2004 verfügte die Staatsanwaltschaft F-Stadt in dem gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahren:

1. Vermerk:

Alle Erkenntnisse in diesem Verfahren beruhen letztlich auf den TÜs, die - da keine Katalogtat vorlag - unrechtmäßig waren. Auch die Vernehmungen der anderen Beschuldigten und die geständige Einlassung des Beschuldigten durch seinen Verteidiger beruhen letztlich hierauf, da diese unter Vorhalt der TÜs erfolgten. Auch solche Vernehmungen/Einlassungen sind nicht verwertbar. Eine Anklage wäre letztlich auch nur ein Vorhalt aufgrund rechtswidrig erlangter Erkenntnisse. Zum Ganzen siehe OLG Karlsruhe Wistra 2004, 399 und BGH StV 2003, 425 .

2. Einstellung gem. § 170 II

3. EN an Verteidiger

4. An das ZFA K-Stadt gem. Nr. 11 MiStra mitteilen, daß das Verfahren gem . § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, da die gewonnenen Erkenntnisse letztlich auf unzulässigen Telefonüberwachungen bzw. deren Vorhalt in Vernehmungen beruhen und somit nicht verwertbar sind.

5. Anliegende TÜ-Akte vernichten.

6. Vernichtung zu Ziff. 5 protokollieren.

Mit zwei Steuerbescheiden jeweils vom 11. August 2004 nahm das beklagte Hauptzollamt den Kläger auf Zahlung von Einfuhrabgaben in Höhe von 3.259,07 EUR und 8.760,39 EUR in Anspruch. Zur Begründung ist in den Steuerbescheiden u. a. jeweils angegeben:

"Nach dem Ergebnis der Ermittlungen des ZFA K-Stadt haben Sie in der Zeit von April 2001 bis Oktober 2002 wissentlich Ihre Garage für Herrn R. und Herrn M. zur Lagerung von Schmuggel-Zigaretten und Rauchtabak zur Verfügung gestellt. Außerdem erwarben Sie von diesen Zigaretten auch welche zum Eigenbedarf.

Die Ermittlungsergebnisse beruhen auf den Aussagen des Herrn R., des Herrn M., des Herrn L. und den Aufzeichnungen des Herrn R., die er im Zusammenhang mit seinem illegalen Zigarettenhandel gemacht hat. ..."

Die Abgabenfestsetzung wurde auf Art. 202 des Zollkodex - ZK -, § 21 des Tabaksteuergesetzes - TabStG - und § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - gestützt. Für die gesamtschuldnerische Inanspruchnahme des Klägers neben Herrn R. und Herrn M. wurde Art. 213 ZK angeführt.

Das beklagte Hauptzollamt legte der Steuerberechnung 125 und 264 + 72, insgesamt also 461 Stangen zugrunde.

Im hiergegen gerichteten Einspruchsverfahren ließ der Kläger anfangs vorbringen, der Einspruch richte sich zunächst gegen den Umfang der der Versteuerung zugrunde gelegten Stangen-Anzahl, die bei einem Abgleich mit der vorliegenden Ermittlungsakte nicht habe verifiziert werden können, hinsichtlich einer Eigenerwerbsanzahl von 669 Stangen zu hoch gegriffen sein dürfte und sich auch mit den Ergebnissen des anhängigen Strafverfahrens nicht decke.

Nachdem das Einspruchsverfahren einvernehmlich bis zum Abschluß des Strafverfahrens geruht hatte, ließ der Kläger nach Erhalt einer Kopie der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2005 vortragen, angesichts des Umstandes, daß das Strafverfahren gegen den Kläger eingestellt worden sei, die Verwertung sämtlicher Aussagen im Rahmen des Strafverfahrens, auf die sich die angefochtenen Bescheide stützten, jedenfalls fraglich erscheine, der Kläger seit über einem Jahr regelmäßige Ratenzahlungen erbringe und zudem sein Tatbeitrag, sollten denn die Aussagen zumindest teilweise verwertbar sein, als von deutlich untergeordneter Natur anzusehen wäre, werde angeregt, dem Kläger eine etwaig verbleibende Steuerschuld aus Billigkeitsgründen zu erlassen unter Verzicht des Klägers auf Erstattung der bereits erbrachten Leistungen.

Mit Einspruchsentscheidungen vom 2. und 3. März 2006 setzte der Beklagte die Abgaben auf 2.607,26 EUR und 6.883,27 EUR herab und führte u. a. aus:

Der Kläger habe am 16. Juni 2002 mindestens 100 Stangen und am 22. Juli 2002 mindestens 264 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten aus Zigarettenlieferungen zum Eigenverbrauch und Weiterverkauf übernommen gehabt. ... (Ausführungen zur Entstehung der Abgabenschuld und der Schuldnerschaft des Klägers nach Art. 202 ZK, § 21 Abs. 2 UStG, § 21 TabStG) ... Hinsichtlich der übernommenen Mengen sei steuerrechtlich aufgrund der Einlassung des Klägers im Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 01.06.2004 sowie der Zeugenaussage des Herrn M. jedoch nur von der Mindestmenge von 100 Stangen (20.000 Stück) bzw. 264 Stangen (52800 Stück) Zigaretten auszugehen; ein Nachweis für die im Steuerbescheid berücksichtigten 125 Stangen bzw. für die berücksichtigten weiteren 72 Stangen sei nicht erbracht worden. Die diesem Besteuerungsverfahren zugrunde liegenden Erkenntnisse seien nicht unmittelbar aus der TÜ gewonnen worden. Es handele sich vielmehr um eigenständige Ermittlungsergebnisse, die nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung verwertbar seien (Bundesfinanzhof - BFH - vom 26. Februar 2001 VII B 265/00; Finanzgericht - FG - Düsseldorf vom 17. März 2004 4 V 6699/03 A (VTa, EU)). Die Einlassung des Klägers sei freiwillig erfolgt und in erheblichem Abstand zur TÜ. ...

Mit der hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger geltend:

Im Besteuerungsverfahren könne nicht zu Lasten des Klägers davon ausgegangen werden, daß dieser im Zeitraum von April 2001 bis Oktober 2002 eine Garage zur Lagerung unversteuerter Zigaretten zur Verfügung gestellt habe, ebenso wenig könne davon ausgegangen werden, daß der Kläger in einem Falle 100, in einem anderen Falle 264 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten zum Eigenverbrauch und Weiterverkauf übernommen habe, schließlich könne im Besteuerungsverfahren nicht zu Lasten des Klägers davon ausgegangen werden, daß Zigaretten von unbekannten Dritten vorschriftswidrig in das Gebiet der Gemeinschaft verbracht worden seien.

Sämtliche den angegriffenen Bescheiden zugrunde gelegten tatsächlichen Umstände und Erkenntnisse beruhten letztlich auf mangels Katalogtat rechtswidrigen Telefonüberwachungsmaßnahmen. Auch die Vernehmungen der Zeugen Herrn M. und Herrn R. im Strafverfahren hätten ebenso wie die Einlassung des Klägers darauf beruht, daß sie unter Vorhalt der Telefonüberwachungsmaßnahmen erfolgt seien. Die Staatsanwaltschaft F-Stadt habe daher zu Recht auch diese Vernehmungen und die Einlassung des Klägers für nicht verwertbar gehalten. ...

Eigenständige Ermittlungsergebnisse des ZFA, die nicht auf die Erkenntnisse der rechtswidrigen Telefonüberwachungsmaßnahmen zurückzuführen wären, seien weder im Besteuerungsverfahren noch im Strafverfahren ersichtlich. Insgesamt seien die aus den Telefonüberwachungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse ebenso wie die Einlassung und Vernehmungen, die unter Vorhalt dieser Telefonüberwachungsmaßnahmen erfolgt seien, auch im Besteuerungsverfahren nicht verwertbar. ... Daher habe die Staatsanwaltschaft F-Stadt zu Recht das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der Beklagte sei hieran zwar nicht zwingend gebunden, könne allerdings der Besteuerung keine Erkenntnisse zugrunde legen, die in dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren getroffen worden seien, nachdem die Ermittlungsbehörde selber das Verfahren wegen Unverwertbarkeit der gewonnen Erkenntnisse eingestellt habe.

Den Aktenvorgängen sei kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß verfahrensgegenständliche Zigaretten verbotswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden sein könnten.

Ebenso wenig lasse sich der Aktenlage ein Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß Personen, die diese Zigaretten erworben oder in Besitz gehabt hätten, vernünftigerweise hätten wissen müssen, daß sie vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden seien. Eine Grundlage für die Festsetzung von Einfuhrumsatzsteuer sei daher nicht ersichtlich.

Schließlich seien die angegriffenen Bescheide auch ermessenfehlerhaft, denn der Beklagte habe sein Auswahlermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt. ... Der Beklagte übersehe, daß das gegen den Kläger gerichtete Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei und damit für ihn die Unschuldsvermutung gelte. Es sei daher im Rahmen der Ermessenbetätigung davon auszugehen, daß sich der Kläger keiner vorsätzlichen Steuerstraftat schuldig gemacht habe. ... Es wären daher Ausführungen zu erwarten gewesen, weshalb es für erforderlich gehalten werde, auch den steuerstrafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Kläger in Anspruch zu nehmen.

Der Kläger beantragt,

die Steuerbescheide des Beklagten vom 11. August 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 02. März 2006 (RBL 133/04) und vom 03. März 2006 (RBL 134/04) aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bringt vor, die Verwertung der nicht unmittelbar aus der TÜ gewonnenen eigenständigen Erkenntnisse aus den Aussagen des Herrn R. und des Herrn M., den Aufzeichnungen sowie den Einlassungen des Klägers in der Stellungnahme seines Verteidigers vom 01.06.2004 sei nach der in der Einspruchsentscheidung zitierten finanzgerichtlichen Rechtsprechung zulässig gewesen. ...

Die Verfahrenseinstellung der Staatsanwaltschaft ändere an dem ermittelten steuerlichen Sachverhalt durch den Beklagten nichts. Im übrigen sei der Beklagte an die Feststellungen im Strafverfahren nicht gebunden.

Die Zigaretten seien nach den Erkenntnissen aus dem Gesamtverfahren und den Strafurteilen gegen Herrn R. und Herrn M. vorschriftswidrig in das Gebiet der Gemeinschaft verbracht (eingeschmuggelt) worden; hierfür sprächen auch die fehlenden deutschen Steuerzeichen.

Nach den Gesamtumständen und aufgrund der fehlenden deutschen Steuerzeichen und des günstigen Preises habe der Kläger gewußt, daß die Zigaretten hätten vorschriftswidrig verbracht sein müssen.

Die Inanspruchnahme des Klägers als Gesamtschuldner sei ermessensfehlerfrei. Es stehe im Auswahlermessen der Verwaltung, einen Gesamtschuldner zur möglichst raschen und sicheren Befriedigung des Abgabenanspruchs in Anspruch zu nehmen. Die Inanspruchnahme des Klägers innerhalb des Auswahlermessens als Gesamtschuldner sei ermessensgerecht, da er als Täter einer Steuerhehlerei und als Erwerber oder Besitzer der übernommenen Zigaretten die Verantwortung für sein Handeln tragen müsse (vgl. BFH, Urteile vom 02.12.2003 VII R 17/03 und vom 20.07.2004 VII R 38/01), eine strafgerichtliche Verurteilung sei nicht erforderlich.

Das Auswahlermessen des Beklagten sei angesichts der vorsätzlich begangenen Steuerstraftat durch den Kläger vorgeprägt und bedürfe keiner besonderen Begründung.

Der Hinweis auf die weiteren Gesamtschuldner in den Bescheiden und den Einspruchsentscheidungen mache die Ausübung des Auswahlermessens in ausreichender Weise deutlich und zeige, daß der Beklagte eine Ermessensentscheidung getroffen habe und den Kläger aufgrund seines Tatbeitrages und zur sichereren Befriedigung und Realisierung des Abgabenanspruchs der Verwaltung habe in Anspruch nehmen wollen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Akteninhalt verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne vorherige mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die angegriffenen Verwaltungsakte sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten ( § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das beklagte Hauptzollamt hat die angefochtenen Steuerfestsetzungen auf Art. 202 ZK, § 21 TabStG und § 21 Abs. 2 UStG i. V. m. Art. 213 ZK gestützt. Daß die Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage vorliegen, ist indessen nicht mit rechtsstaatlich zulässigen Mitteln festgestellt worden und steht damit nicht fest.

Es steht nicht fest, daß es sich bei den Gegenständen der Besteuerung um einfuhrabgabenpflichtige Waren handelt, die vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft und das deutsche Steuergebiet verbracht worden sind (Art. 202 Abs. 1 und 2 ZK). Den angefochtenen Verwaltungsakten zufolge soll es sich um unverzollte und unversteuerte Zigaretten gehandelt haben. Den vorgelegten Verwaltungs- und Strafakten läßt sich indessen nicht entnehmen, daß derartige Zigarettenstangen, die nicht mit deutschen Steuerbanderolen und den vorgeschriebenen Warnhinweisen versehen waren, im Verlauf des Ermittlungsverfahrens aufgefunden und ggf. sichergestellt wurden. Aus der vorgelegten Strafakte (Bl. 50 f.) geht eine Durchsuchung der Wohnung des Herrn M. und der Garage Nr. 1 im Garagentrakt T-Straße/Ecke L-Straße am 14. Oktober 2002 hervor, die u. a. Pakete mit Tabak "Black Cavendish" mit fremdländischen Steuerbanderolen, aber keine Zigaretten zutage förderte. Bei einer Durchsuchung der Wohnung des Klägers und erneut der Garage Nr. 1 am 18. März 2004 wurden ebenfalls keine Zigaretten gefunden (Bl. 149 ff der Strafakte: "Verdächtiges wurde nicht gefunden"). Soweit der Beklagte seine diesbezüglichen Erkenntnisse aus den Angaben der im Ermittlungsverfahren Beschuldigten herleitet (z. B. Aussage Herrn M. vom 30. Oktober 2002, Bl. 16 f. der Strafakte), können diese aus rechtsstaatlichen Gründen im vorliegenden Verfahren nicht verwertet werden, wie noch auszuführen ist. Allenfalls könnte der Beklagte sich auf die in den Strafurteilen des Landgerichts Bochum vom 2. April 2003 und 4. Juli 2003 (gegen Herrn R., Herrn H., Herrn M. u. a.) enthaltenen Feststellungen berufen. Den Gründen dieser Urteile läßt sich diesbezüglich jedoch nichts zwingend entnehmen. Zwar ist dort von "unverzollten und unversteuerten Zigaretten" die Rede. Hinsichtlich der dort behandelten Zigaretten sind indessen für den Senat nachvollziehbare Feststellungen, die ihren Charakter als "Schmuggelware" ergeben (z. B. aufgefundene Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen und ohne Warnhinweise), nicht wiedergegeben; die Feststellungen beruhen lt. den Urteilen auf den "Einlassungen der Angeklagten sowie den übrigen laut Hauptverhandlungsprotokoll erhobenen Beweisen".

Das Finanzgericht ist zwar befugt, in (rechtskräftigen) Urteilen enthaltene strafgerichtliche Feststellungen zu übernehmen, wenn es die Feststellungen für zutreffend hält und die Beteiligten keine substantiierten Einwendungen gegen die Feststellungen erheben und keine verfahrenserheblichen Beweisanträge stellen; dies gilt auch, wenn der Betroffene des finanzgerichtlichen Verfahrens an dem Strafverfahren nicht beteiligt war (vgl. z. B. BFH, Urteil vom 29. Januar 1999 V R 112/97, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV 1999, 1103; Beschluß vom 7. Juni 2001 VII B, juris Dok.- Nr: STRE200150761; ständige Rechtsprechung). Die Finanzgerichte sind indessen an derartige Feststellungen nicht gebunden (vgl. z. B. BFH, Urteil vom 2. Dezember 2003 VII R 17/03, BFH/NV 2004, 597; Beschluß vom 9. Dezember 2004, VII B 17/04, BFH/NV 2005, 935). Eine Übernahme derartiger Feststellungen scheidet z. B. aus, wenn die Wiedergabe der Feststellungen in strafgerichtlichen Urteilen für das Finanzgericht nicht nachvollziehbar ist oder an ihrem Zustandekommen rechtliche Bedenken bestehen.

Der Senat läßt diese Frage des zutreffenden Besteuerungsgegenstands i. S. des Art. 202 Abs. 1 ZK dahinstehen, denn jedenfalls ist nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln festgestellt worden, daß der Kläger Zoll- und Abgabenschuldner nach Art. 202 Abs. 3 3. Anstrich ZK geworden ist.

Zoll- und Abgabenschuldner i. S. des Art. 202 Abs. 3 3. Anstrich ZK ist, wer die vorschriftswidrig in das Zoll-/Steuergebiet verbrachten Waren (Abs. 1 i. V. m. § 21 TabStG und § 21 Abs. 2 UStG) erworben oder in Besitz gehabt hat, obwohl er im Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Waren wußte oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, daß diese vorschriftswidrig in das Zoll-/Steuergebiet verbracht worden waren.

Es müßte also festgestellt worden sein, daß der Kläger vorschriftswidrig in das Zoll-/Steuergebiet verbrachte Zigaretten, also Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen und Warnhinweise, erworben oder im Besitz gehabt hat.

Derartige Feststellungen, die einen Bezug zum Kläger dieses Verfahrens ergeben, sind in den erwähnten Strafurteilen wiederum nicht enthalten; der Kläger ist vielmehr in den beiden Strafurteilen überhaupt nicht erwähnt worden, weder namentlich noch von seiner Funktion im Geschehensablauf her (Mieter/Vermieter der Garage, Abnehmer/Verteiler der Zigaretten etc.). Die von dem Täterkreis benutzte Garage wird von ihrer Lage her nur vage beschrieben und Herrn R. zugeordnet: "Herr R. hatte in der Nähe des Angeklagten Herrn M. eine Garage" (Urteil vom 4. Juli 2003); Erwähnung einer "von dem Angeklagten Herrn R. für den Umschlag der Zigaretten benutzten Garage in F-Stadt" (Urteil vom 2. April 2003). Eine Beziehung zum Kläger läßt sich hieraus nicht herleiten.

Seine Annahme, der Kläger sei Zoll- und Abgabenschuldner hinsichtlich der der Besteuerung zugrunde gelegten "Schmuggelzigaretten" geworden, stützt der Beklagte in erster Linie auf Aussagen der vom Zollfahndungsamt im Ermittlungsverfahren vernommenen Personen (Steuerbescheide) sowie auf die schriftliche Einlassung des Klägers vom 1. Juni 2004 (Einspruchsentscheidungen). Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse sind indessen nicht verwertbar.

Die Erkenntnisse des Beklagten (und möglicherweise auch des Strafgerichts, wenn etwa - dies ist den vorgelegten Strafakten nicht zu entnehmen - die Telefonüberwachungsprotokolle in der Beweisaufnahme eine Rolle gespielt haben sollten) beruhen letztlich auf den abgehörten und aufgezeichneten Telefongesprächen zwischen den Mitgliedern der Tätergruppe um Herrn R. (oder jedenfalls unter deren Beteiligung).

Im Rahmen der Telefonüberwachungsaktion und der weiteren Ermittlungen ist die Zollfahndung offenbar erstmals und wesentlich auf den Kläger gestoßen infolge der Aussagen und der Kooperation des Herrn M., der zunächst bei seiner im Tatbestand teilweise wiedergegebenen Vernehmung am 10. Oktober 2002 die zum Umschlag der Zigaretten benutzte Garage und den Vornamen Fritze (Fritzos, Fritz) ins Gespräch brachte, den Weg zur Garage beschrieb und hierzu eine Skizze anfertigte. Am 22. Oktober 2002 hatte Herr M. den Ermittlern die Garage sodann auch vor Ort gezeigt. Bei seiner Vernehmung am 10. Oktober 2002 sind ihm offensichtlich entweder abgehörte und aufgezeichnete Telefongespräche vorgespielt oder diesbezügliche Protokolle vorgelesen und vorgehalten worden, denn lt. Vernehmungsniederschrift wurde er ausdrücklich auf das Gespräch vom 27. September 2002 um 13.07 Uhr angesprochen. Hierfür spricht weiter, daß Herr M. anläßlich des Haftprüfungstermins am 30. Oktober 2002 gegenüber dem Haftrichter des Amtsgerichts C-Stadt angegeben hat, er habe die Menge der von ihm übernommenen Zigaretten mit den Zollbeamten berechnet; man habe das anhand der Telefonüberwachungsprotokolle genau nachvollziehen können.

Gleiches gilt für die von Herrn R. gemachten Aussagen. Diesem wurden offenbar ebenfalls zunächst Telefonüberwachungsaufzeichnungen oder -protokolle vorgehalten, denn im Rahmen seiner Vernehmung am 9. Dezember 2002 sind die aufgezeichneten Telefongespräche mehrfach erwähnt (Seite 2 - Bl. 24 der Strafakte: "Aus den Telefongesprächen geht hervor, ..."; Seite 3/4 - Bl. 25 f. der Strafakte: "Wir sind gemeinsam die Gespräche durchgegangen"; in Beziehung zu dem Kläger Seite 4 - Bl. 26 der Strafakte: "In den Gesprächen ist der Name "Pommes Fritz" gefallen. Damit ist der Fritz T. gemeint"; weitere TÜ-Vorhalte finden sich nochmals auf Bl. 26, sodann Bl. 27 der Strafakte). Die Vorhalte wirkten offenbar bei der weiteren Vernehmung am 16. Januar 2003 fort, wenn auch auf den Kläger bezogene TÜ-Vorhalte hierbei nicht protokolliert wurden. Diese weitere Aussage des Herrn R. ist ohne die vorherige vom 9. Dezember 2002 nicht denkbar.

Die Angaben des Klägers selbst beruhen ebenfalls auf dem Vorhalt der Telefonüberwachung. So sind ihm anläßlich der Durchsuchung am 18. März 2004 ausdrücklich die überwachten Telefongespräche vorgehalten worden (Vermerk der Zollfahnderin Z. vom 19. März 2004, Bl. 154 der Strafakte). Die im Schreiben seines Prozeßvertreters vom 1. Juni 2004 enthaltenen umfangreichen Angaben des Klägers wurden nach Einsicht in die Akten der Staatsanwaltschaft F-Stadt gemacht, in denen offenbar die Telefonüberwachungsprotokolle vorhanden waren, denn der Kläger erklärte hierzu ausdrücklich: "Ich habe die Aufzeichnung der Telefonüberwachung mit meinem Verteidiger besprochen" (Bl. 203 der Strafakte) und machte dann Ausführungen zu den einzelnen aufgezeichneten Gesprächen.

Die vorstehend behandelten Aussagen und Angaben sind nicht verwertbar. Sie beruhen letztlich auf den im Rahmen der Überwachungsaktion aufgezeichneten Telefongesprächen. Schon die Telefonüberwachung als solche war rechtlich nicht zulässig.

Indem Art. 10 GG das Fernmeldegeheimnis als Grundrecht garantiert, statuiert er hinsichtlich solcher Erkenntnisse, die unter Verletzung dieses Geheimnisses erlangt wurden, grundsätzlich ein Verwertungsverbot (Grundsatz des Art. 10 Abs. 1 GG).

Telefonüberwachungsmaßnahmen tangieren dieses Grundrecht, stellen eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses dar, verstoßen damit gegen den Grundsatz des Art. 10 Abs. 1 GG und unterliegen damit grundsätzlich hinsichtlich der daraus gewonnenen Erkenntnisse dem in Art. 10 Abs. 1 GG enthaltenen Verwertungsverbot.

Etwas anderes gilt nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann, wenn und soweit derartige Maßnahmen durch ein förmliches Gesetz ausdrücklich zugelassen sind (Beschränkung nach Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG), wobei es sich um ein allgemeines und nicht nur für den Einzelfall geltendes Gesetz handeln muß ( Art. 19 Abs. 1 GG).

Eine gesetzliche Beschränkung des Fernmeldegeheimnisses besteht in §§ 100 a und 100 b StPO. Diese Vorschriften lassen auf richterliche Anordnung Abhörmaßnahmen zu, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß eine (oder mehrere) der enumerativ aufgeführten Straftaten (sog. Katalogstraftaten) begangen wurden.

Im vorliegenden Tatkomplex lagen derartige Katalogstraftaten aber nicht vor; Steuerhehlerei ist im Katalog des § 100 a Nr. 2 StPO nicht enthalten. Demgemäß hätte eine Telefonüberwachung nicht angeordnet werden dürfen. Die durchgeführte Telefonüberwachung war unzulässig.

Dies hat zur Folge, daß die unmittelbar aus der Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse weder im Strafverfahren noch im Besteuerungsverfahren verwertet werden dürfen (vgl. u. a. BFH, Beschluß vom 19. Februar 2004 VII B 260/03, BFH/NV 2004, 807). Dies verkennt auch der Beklagte nicht (mehr).

Soweit der Beklagte aber unter Berufung auf den Beschluß des BFH vom 26. Februar 2001 VII B 265/00, BFH/NV 2001, 824 und den nicht veröffentlichten Beschluß des erkennenden Senats vom 17. Februar 2004 - 4 V 6699/03 A (VTa, Z, EU) meint, sich in zulässiger Weise auf die vom Zollfahndungsamt durchgeführten Vernehmungen, Aufzeichnungen und die Einlassung des Klägers stützen zu können, geht er fehl.

Zwar hat der BFH in dem zitierten Beschluß vom 21. Februar 2001 die Möglichkeit einer mittelbaren Verwertung in der Weise, daß aufgrund der (unzulässig) erlangten Erkenntnisse weitere Ermittlungen durchgeführt und dabei andere Beweismittel gewonnen werden, angedeutet und beispielhaft Niederschriften über Beschuldigtenvernehmungen erwähnt.

Die vom Beklagten durch das Zollfahndungsamt durchgeführten weiteren Ermittlungen haben u. a. die von Herrn R. geführte Liste zutage gefördert, vermutlich Namen und Anschriften von weiteren tatbeteiligten Personen ergeben und zu den oben erwähnten (und weiteren) Beschuldigtenvernehmungen geführt. Die Niederschriften über diese Beschuldigtenvernehmungen stellen aber kein weiteres verwertbares Beweismittel dar, denn hierbei handelt es sich nicht um lediglich mittelbare Verwertung der aus der Telefonüberwachung in unzulässiger Weise erlangten Kenntnisse, sondern die Gesprächsaufzeichnungen wurden unmittelbar verwertet, indem sie den Beschuldigten vorgelesen, vorgespielt oder in anderer Weise vorgehalten wurden, um diese zu wahrheitsgemäßen Angaben zu veranlassen. Diese Vorhalte sind, da auf unzulässigen Überwachungsmaßnahmen beruhend, ebenfalls unzulässig. Der beispielhafte Hinweis des BFH im Beschluß vom 21. Februar 2001 auf Niederschriften über Beschuldigtenvernehmungen ist so zu verstehen, daß etwa Hinweisen aus den abgehörten Gesprächen auf die Namen von Tatbeteiligten nachgegangen wird und die sodann ermittelten Personen in der Folgezeit zum Geschehenshergang vernommen werden, wobei aber jeglicher Hinweis auf die stattgefundene Abhöraktion zu unterbleiben hat. Machen die Personen daraufhin Aussagen zur Sache, handelt es sich um weitere Erkenntnisse, die nur mittelbar auf der Telefonüberwachung beruhen. Werden ihnen hingegen - wie hier geschehen - die Gesprächsaufzeichnungen vorgehalten und beugen sie sich diesen Vorhalten und sagen daraufhin zur Sache aus, so handelt es sich um unmittelbare Verwertung der Erkenntnisse aus der Abhöraktion, mit der Folge, daß die Niederschriften über derartig gewonnene Aussagen nicht verwertet werden dürfen.

Die Anordnung der Staatsanwaltschaft F-Stadt vom 28. Oktober 2004 erweist sich daher in vollem Umfang als zutreffend.

Angesichts dieser Umstände verzichtet der Senat auf eigene Feststellungen durch Vernehmung der bekannten Mitglieder des Täterkreises. Selbst wenn diese ungeachtet des ihnen bei ihren Äußerungen offenbar nicht bekannten Grundrechtsverstoßes durch die unzulässige Telefonüberwachung nunmehr freiwillig Aussagen zum Geschehenshergang machen wollten und würden, würde dies die vorausgegangene Grundrechtsverletzung nicht ungeschehen oder unerheblich machen. Die diesbezüglichen Erkenntnisse liegen in Form der von den damaligen Beschuldigten gemachten Aussagen gegenüber der Zollfahndung (z. T. auch gegenüber dem Haftrichter) bereits vor. Diese Erkenntnisse wurden unrechtmäßig erlangt. Eine Wiederholung der Aussagen vor dem Finanzgericht vermag den Mangel nicht zu beseitigen. Im übrigen ist nicht nur das Fernmeldegeheimnis der von der Zollfahndung vernommenen und mit den Ergebnissen der Telefonüberwachung konfrontierten Tatbeteiligten verletzt worden, sondern auch dasjenige ihrer jeweiligen (Fern-) Gesprächsteilnehmer, also auch derjenigen, die möglicherweise an dem Tatgeschehen nicht (wissentlich) beteiligt waren.

Die weiteren Erkenntnisse des Beklagten, isoliert (ohne Bezug zu den unzulässigen Telefonüberwachungen) betrachtet, rechtfertigen die Steuerfestsetzungen gegen den Kläger nicht.

Die bei Herrn R. vorgefundenen Aufzeichnungen mit Vornamen und Zahlen, lassen zwar vermuten, daß es sich bei den Vornamen um Abnehmer/Kunden und bei den Zahlen um Geldbeträge oder Mengen handelt, wie dies aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt ist. Aber einen sicheren Schluß aus der Vornamensangabe "Fritz" auf den Kläger kann man ohne die weiteren Erkenntnisse aus den unzulässigen Beweiserhebungen nicht ziehen.

Aus den Aussagen des Herrn L. vom 23. Oktober und 11. November 2002, die als Erkenntnismittel in den Steuerbescheiden angeführt worden waren, lassen sich hinreichend sichere Bezüge zu dem Kläger nicht herstellen, zumal dessen Name hierbei nicht gefallen ist. Der Beklagte hat sich in seinen Einspruchsentscheidungen auch nicht mehr auf die von Herrn L. gemachten Aussagen gestützt.

In den Strafakten ist auch eine Aussage des Tatbeteiligten Herrn H. vorhanden. Abgesehen davon, daß der Beklagte sich weder in den angegriffenen Steuerbescheiden noch in den dazu ergangenen Einspruchsentscheidungen auf dieses Erkenntnismittel berufen hat, ist diese Aussage - sollte sie in rechtsstaatlich zulässiger Weise, insbesondere entgegen der bei den übrigen Tatbeteiligten geübten Praxis ohne Vorhalt von Telefonüberwachungsprotokollen zustande gekommen sein - in den entscheidenden Punkten wenig ergiebig. In Beziehung zum Kläger hat sich Herr H. ausgesprochen vorsichtig geäußert und z. B. angegeben, daß er selbst nie zugegen gewesen sei, wenn bei der bewußten Garage Zigaretten angeliefert worden seien. Sodann äußerte Herr H. etwas, was er nur vom Hörensagen erfahren haben konnte, da er selbst nie zugegen war, wenn er angab, der Herrn L. habe die Zigaretten zum Pommes Frites in die Garage gebracht. Wenn er weiter angegeben hat, die Zigaretten seien wohl zu der Garage des T. gebracht worden, handelt es sich schon dem Wortlaut nach um eine Vermutung.

Im übrigen ist angesichts der detaillierten Aufzeichnungen der Zollfahnderin zu den einzelnen abgehörten Telefongesprächen auch zum Tatbeteiligten Herrn H. in ihren Vermerken vom 12. September 2003 und 24. März 2004 schlechterdings nicht vorstellbar, daß ausgerechnet im Fall Herrn H. auf deren Vorhalt verzichtet worden sein soll.

Der Umstand, daß insbesondere aufgrund der geständigen Einlassung des Klägers selbst innerhalb des Schreibens seines Prozeßvertreters vom 1. Juni 2004 unzweifelhaft ist, daß der Kläger in der ihm vorgeworfenen Weise an dem Tatgeschehen beteiligt war, muß hinter der Tatsache zurückstehen, daß das in diesem Schreiben enthaltene Eingeständnis offenbar von der Unkenntnis des Klägers und seines Prozeßvertreters von der Unzulässigkeit der Telefonabhöraktion und ihrer unmittelbaren Verwertung maßgeblich beeinflußt war. Der geschehene Grundrechtsverstoß kann nicht geheilt werden; der Vorhalt der Zollfahnderin und die in den Strafakten vorhandenen und dem Kläger über seinen Verteidiger/Prozeßvertreter im Rahmen der Akteneinsicht zugänglich gemachten Abhörprotokolle können nicht hinweggedacht werden; sie sind bestehendes Unrechtsgeschehen. Der Schutz des Grundrechts des Art. 10 GG hat Vorrang vor dem Bedürfnis, aus den vorliegenden Erkenntnissen die (hier abgabenrechtlichen) Konsequenzen zu ziehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Der Senat läßt gegen diese Entscheidung die Revision zu, um zu ermöglichen, daß der vom BFH erwähnte Begriff der mittelbaren Verwertung von durch unzulässige Abhörmaßnahmen erlangten Erkenntnissen höchstrichterlich geklärt werden kann.

Der Streitwertbeschluß beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes. Der Streitwert ergibt sich aus der Summe der in den Einspruchsentscheidungen des Beklagten vom 2. und 3. März 2006 noch aufrecht erhaltenen Abgabenbeträge.



Ende der Entscheidung

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