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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 27.04.2007
Aktenzeichen: 4 K 1819/06 VM
Rechtsgebiete: RL 2003/96/EG, RL 92/81, FGO


Vorschriften:

RL 2003/96/EG Art. 14 Abs. 1 Buchst. a
RL 92/81 Art. 8 Abs. 1 Buchst. b
FGO § 74
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

4 K 1819/06 VM

Tenor:

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird um eine Vorabentscheidung zu folgender Frage ersucht:

Ist Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom dahin auszulegen, dass sich ein Unternehmen, das versteuertes Gasöl der Position 2710 der Kombinierten Nomenklatur zur Stromerzeugung verwendet hat und einen Antrag auf Vergütung der Steuer gestellt hat, unmittelbar auf diese Bestimmung berufen kann?

Gründe:

I.

Die Klägerin ist die Betreiberin des Flughafens X. Zur Bordstromversorgung von Flugzeugen unterhält sie Bodenstromaggregate, mit denen Strom erzeugt wird. Für die Erzeugung des Stroms verwendete sie im Kalenderjahr 2004 insgesamt 585.642 Liter versteuertes Gasöl. Am 30. Dezember 2005 beantragte sie beim beklagten Hauptzollamt die Vergütung der Steuer und bezog sich zur Begründung ihres Antrags auf Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2003/96/EG (Richtlinie 2003/96) des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 283/51). Das beklagte Hauptzollamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18. Januar 2006 ab und führte aus, das noch geltende deutsche Mineralölsteuergesetz sehe für die Verwendung von versteuertem Gasöl zur Stromerzeugung keine Vergütung der Steuer vor. Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2003/96 entfalte keine unmittelbare Wirkung.

Die Klägerin hat nach der erfolglosen Durchführung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens Klage erhoben, mit der sie ihr Vergütungsbegehren weiterverfolgt und vorträgt: Im Gegensatz zu der vom beklagten Hauptzollamt vertretenen Auffassung könne sie sich auf Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2003/96 berufen, weil diese Bestimmung inhaltlich unbedingt sei. Danach gelte der Grundsatz der Steuerfreiheit von zur Stromerzeugung verwendeten Energieerzeugnissen. Ausnahmen hiervon müssten durch den jeweiligen Mitgliedstaat geregelt werden. Habe der Mitgliedstaat keine Ausnahme geregelt, verbleibe es bei der Steuerbefreiung.

Das beklagte Hauptzollamt ist der Klage entgegengetreten und trägt vor: Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2003/96 entfalte keine unmittelbare Wirkung, weil die Bestimmung nicht inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sei. Den Mitgliedstaaten sei die Möglichkeit verblieben, Energieerzeugnisse aus umweltpolitischen Gründen zu besteuern. Was hierunter zu verstehen sei, sei weder in Artikel 14 noch in anderen Bestimmungen der Richtlinie 2003/96 definiert. Einem einzelstaatlichen Gericht sei es allein unter Zugrundelegung des Artikels 14 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2003/96 nicht möglich festzustellen, ob ein bestimmter Tatbestand steuerbefreit sei oder eine Besteuerung aus umweltpolitischen Gründen erfolgen könne.

II.

Für die Entscheidung über die Vorlagefrage sind folgende Vorschriften des deutschen Mineralölsteuergesetzes, das im Jahr 2004 noch gegolten hat, von Bedeutung:

§ 1 Begriffsbestimmungen

(1) Mineralöl unterliegt im Steuergebiet nach Maßgabe des Absatzes 3 der Mineralölsteuer. Steuergebiet ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und ohne die Insel Helgoland...

(2) Mineralöl im Sinne des Gesetzes sind:

...

4. die Waren der Position 2710 der Kombinierten Nomenklatur,

...

§ 2 Regelsteuersätze, Begriffsbestimmungen

(1) Die Steuer beträgt

...

für 1.000 l Gasöle der Unterposition 2710 0069 der Kombinierten Nomenklatur

mit einem Schwefelgehalt von mehr als 10 mg/kg 485,70 EUR,

mit einem Schwefelgehalt von höchstens 10 mg/kg 470,40 EUR...

Das am 1. August 2006 in Kraft getretene deutsche Energiesteuergesetz enthält unter anderem folgende Bestimmung:

§ 53 Steuerentlastung für die Stromerzeugung und die gekoppelte Erzeugung von Kraft und Wärme

(1) Eine Steuerentlastung wird auf Antrag vorbehaltlich Absatz 2 gewährt für Energieerzeugnisse, die nachweislich ... versteuert worden sind und die

1. zur Stromerzeugung in ortsfesten Anlagen oder

2. zur gekoppelten Erzeugung von Kraft und Wärme in ortsfesten Anlagen mit einem Monats- oder Jahresnutzungsgrad von mindestens 70 Prozent

verwendet worden sind. Wenn im Falle von Satz 1 Nr. 1 die in der Anlage erzeugte mechanische Energie neben der Stromerzeugung auch anderen Zwecken dient, wird nur für den auf die Stromerzeugung entfallenden Anteil an Energieerzeugnissen eine Steuerentlastung gewährt...

(2) Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 gilt nur für Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei Megawatt.

(3) Entlastungsberechtigt ist derjenige, der die Energieerzeugnisse verwendet hat.

...

III.

Der Senat setzt das bei ihm anhängige Klageverfahren aus (§ 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 234 Unterabs. 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft die im Tenor formulierte Frage zur Vorabentscheidung vor. Die Entscheidung über die Klage hängt davon ab, wie Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2003/96 auszulegen ist.

Ein Anspruch auf Vergütung der Mineralölsteuer besteht nach dem deutschen Mineralölsteuergesetz, so wie es noch im Kalenderjahr 2004 gegolten hat, nicht. Das Mineralölsteuergesetz sah keine Steuerbefreiung für versteuert bezogenes Gasöl, das zur Stromerzeugung verwendet worden war, vor. 'Hierin könnte ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht liegen, so dass der Klägerin ein Anspruch auf Vergütung der Mineralölsteuer zustehen könnte, weil die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet sind, unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobene Abgaben zu erstatten (EuGH-Urteil vom 17. Juni 2004 Rs. C-30/02, Slg. 2004, I-6051 Rdnr. 15). Überdies sieht Art. 6 Buchstabe c der Richtlinie 2003/96 vor, dass die darin vorgesehenen Steuerbefreiungen gewährt werden können, indem die entrichteten Steuern vollständig oder teilweise erstattet werden. Es stellt sich daher die Frage, ob sich die Klägerin zur Begründung ihres Vergütungsantrags unmittelbar auf Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2003/96 berufen kann.

Nach der Rechtsprechung des EuGH kann sich der einzelne in Ermangelung von fristgemäß erlassenen Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen innerstaatlichen, nicht richtlinienkonformen Vorschriften berufen; er kann sich auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit sie Rechte festlegen, die dem Staat gegenüber geltend gemacht werden können (EuGH-Urteile vom 10. Juni 1999 Rs. C-346/97, Slg. 1999, I-3419 Rdnr. 29; vom 8. Juni 2006 Rs. C-430/04, Rdnr. 28).

Der EuGH hat in seinem Urteil in der Rechtsache C-346/97 (Rdnr. 30) zu Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 92/81/EWG (Richtlinie 92/81) des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Mineralöle (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 316/12) entschieden, dass die Richtlinie 92/81 den Mitgliedstaaten zwar einen mehr oder weniger weiten Gestaltungsspielraum zur Durchführung einiger ihrer Bestimmungen lasse. Dennoch könne dem einzelnen nicht verwehrt werden, sich auf diejenigen Bestimmungen zu berufen, die nach ihrem Gegenstand geeignet seien, aus dem Gesamtzusammenhang gelöst und gesondert angewendet zu werden. Dies hat der EuGH hinsichtlich der Regelung des Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 92/81 angenommen, weil sie den Mitgliedstaaten eine klare und genaue Verpflichtung auferlege, Kraftstoff, der für die Luftfahrt mit Ausnahme der privaten nichtgewerblichen Luftfahrt verwendet werde, nicht der harmonisierten Verbrauchsteuer zu unterwerfen (Urteil in der Rechtssache C-346/97 Rdnr. 31). Dabei hat der EuGH klargestellt, dass der den Mitgliedstaaten durch Artikel 8 Absatz 1 erster Satzteil der Richtlinie 92/81 eingeräumte Gestaltungsspielraum, wonach die Befreiungen von den Mitgliedstaaten "unter den Voraussetzungen (gewährt werden), die sie zur Sicherstellung der korrekten und einfachen Anwendung solcher Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und -vermeidung oder Missbrauch festlegen", nicht die Unbedingtheit der in dieser Bestimmung vorgesehenen Befreiungsverpflichtung in Frage stellen könne. Artikel 8 Absatz 1 erster Satzteil der Richtlinie 92/81 entspricht Artikel 14 Absatz 1 erster Satzteil der Richtlinie 2003/96. Ferner lässt sich nach Auffassung des Senats dem Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a Satz 1 der Richtlinie 2003/96 die klare und genaue Verpflichtung der Mitgliedstaaten entnehmen, Energieerzeugnisse, die zur Stromerzeugung verwendet worden sind, von der Steuer zu befreien. Dieser Verpflichtung ist der deutsche Gesetzgeber nicht innerhalb der ihm nach Artikel 28 Absatz 1 der Richtlinie 2003/96 gesetzten Frist nachgekommen, weil erst das am 1. August 2006 in Kraft getretene Energiesteuergesetz in § 53 eine Steuerentlastung für Energieerzeugnisse vorsieht, die zur Stromerzeugung verwendet worden sind.

Zweifelhaft ist, ob die inhaltliche Unbedingtheit und hinreichende Genauigkeit der Bestimmung des Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a Satz 1 der Richtlinie 2003/96 dadurch in Frage gestellt wird, dass es den Mitgliedstaaten nach Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a Satz 2 der Richtlinie freisteht, die Energieerzeugnisse "aus umweltpolitischen Gründen" zu besteuern. Es trifft zwar zu, dass dieser Begriff - im Gegensatz zu der Begriffsbestimmung der "privaten nichtgewerblichen Luftfahrt" in Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 92/81 - in der Richtlinie 2003/96 nicht definiert worden ist. Ferner mag dem beklagten Hauptzollamt einzuräumen sein, dass das Tatbestandsmerkmal der "umweltpolitischen Gründe" die Annahme nahelegt, dass der Gesetzgeber über ein Ermessen verfügt, ob und in welchem Umfang er von der ihm verbliebenen Befugnis, zur Stromerzeugung verwendete Energieerzeugnisse zu besteuern, Gebrauch macht. Gleichwohl neigt der Senat zu der Ansicht, dass es zumindest feststellbar ist, ob der einzelstaatliche Gesetzgeber überhaupt von der ihm nach Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a Satz 2 der Richtlinie 2003/96 eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht hat. An der grundsätzlich nach Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a Satz 1 der Richtlinie 2003/96 unbedingt bestehenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Steuerbefreiung dürfte sich daher nichts ändern, solange und soweit ein Mitgliedstaat nicht die Besteuerung von zur Stromerzeugung verwendeten Energieerzeugnissen gerade aus umweltpolitischen Gründen angeordnet hat. Dies ist indessen in der Bundesrepublik Deutschland nicht geschehen. Das deutsche Mineralölsteuergesetz ist zwar noch nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 2003/96 am 31. Oktober 2003 (Artikel 31 der Richtlinie) mehrfach bis zu seiner Aufhebung durch Artikel 3 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes vom 15. Juli 2006 (Bundesgesetzblatt I, 1534) geändert worden. Den Gesetzen, mit denen das Mineralölsteuergesetz in diesem Zeitraum geändert worden ist und den Gesetzesmaterialien hierzu lassen sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der deutsche Gesetzgeber die Besteuerung von Gasöl, das zur Stromerzeugung verwendet worden ist, aus umweltpolitischen Gründen aufrechterhalten wollte. Der deutsche Gesetzgeber ist insoweit schlicht untätig geblieben und hat die Bestimmung des Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2003/96 nicht fristgemäß in einzelstaatliches Recht umgesetzt.



Ende der Entscheidung

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