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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 11.03.2009
Aktenzeichen: 7 K 3215/08 E
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin erhält seit dem 1. Juni 2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß Rentenbescheid vom 18. Januar 2006. Die Rentenbeträge für die Zeit ab dem 1. Juli 2004 wurden ihr erst im Jahr 2006 ausbezahlt. Von der in 2006 insgesamt gezahlten Rente von 35.489 EUR entfielen 20.804 EUR auf die Nachzahlung für 2004 und 2005.

Im Einkommensteuerbescheid 2006 vom 9. Mai 2007 berücksichtigte der Beklagte die Rente mit einem Ertragsanteil von 50 %, auch hinsichtlich der auf die Vorjahre entfallenden Beträge. Am 23. Mai 2007 änderte der Beklagte den Bescheid nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO, da die Rente für Januar und Februar 2006 versehentlich doppelt erfasst worden war. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und trugen vor, die Rentenbeträge für 2004 und 2005 beliefen sich auf 20.520,51 EUR, für 2006 auf 14.685,60 EUR. Es handle sich um eine Erwerbsminderungsrente, welche unter § 22 Nr. 1 Satz 3 a) bb) EStG falle. Schließlich handle es sich um eine abgekürzte Leibrente i.S. von § 55 Abs. 2 EStDV, da die Laufzeit bis zum Eintrittsalter der Klägerin bei der Altersrente beschränkt sei. Damit betrage die Laufzeit 18 Jahre und der Ertragsanteil 19 %. Der Beklagte änderte den Einkommensteuerbescheid am 20. Juni 2007 erneut, da der Nachzahlungsbetrag 20.804 EUR betrage und die für 2006 gezahlte Rente 14.685 EUR. Den Einspruch wies er am 22. Juli 2007 zurück und führte zur Begründung aus, die Rente gehöre zu den sonstigen Einkünften nach § 22 Nr. 1 S. 3 a) aa) EStG und unterliege der Besteuerung mit 50 %. Unstreitig handle es sich um eine abgekürzte Leibrente i.S. von § 55 Abs. 2 EStDV. Voraussetzung für die Besteuerung nach § 22 Nr. 1 S. 3 a) aa) EStG sei, dass die Zahlungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen geflossen seien. Nach dem BMF-Schreiben vom 30. Januar 2008 (BStBl I 2008 S. 390 Tz. 90) erfasse § 22 Nr. 1 S. 3 a) aa) EStG alle Leistungen, egal ob Rente, Teilrente oder einmalige Leistung. Dem § 22 Nr. 1 S. 3 a) bb) EStG seien abgekürzte Leibrenten zuzuordnen, die nicht unter § 22 Nr. 1 S. 3 a) aa) EStG fielen, wie private selbständige Erwerbsminderungsrenten (Tz. 109 des o.a. BMF-Schreibens).

Hiergegen richtet sich die Klage.

Die Kläger tragen vor:

Die Auffassung des Beklagten treffe nicht zu. Es liege eine abgekürzte Leibrente vor. Der Ertragsanteil richte sich nach § 55 Abs. 2 EStDV und betrage 19 %. Für die vom Beklagten vorgenommene höhere Besteuerung fehle die gesetzliche Grundlage. Soweit § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG auf Vorschlag des Finanzausschusses um die Worte "und andere Leistungen" ergänzt worden sei, sei dies nicht in der Absicht geschehen, eine veränderte Besteuerung für abgekürzte Leibrenten herbeizuführen. Dies ergebe sich aus dem Bericht des Finanzausschusses vom 29. April 2004 (BT-Drs. 15/3004). Dort heiße es, dass der Begriff "Leibrenten" um den Begriff "andere Leistungen" erweitert werde, weil z.B. bei berufsständischen Versorgungseinrichtungen und Pensionskassen Teilkapitalisierungen zulässig seien, die andernfalls nicht steuerbar wären. An der Besteuerung der abgekürzten Leibrenten habe nichts geändert werden sollen. Zudem sei ein Teil des Rentenbetrags für das Jahr 2004 nachgezahlt worden. Deshalb könnten nicht später geänderte Vorschriften zu Lasten der Klägerin angewandt werden. Eine höhere Besteuerung abgekürzter Leibrenten verstoße gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, da den Stpfl. durch die Erwerbsunfähigkeit keine zusätzliche Leistungsfähigkeit zuwachse.

Die Kläger beantragen,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2006 vom 20. Juni 2007 die Einkommensteuer um 2.850 EUR herabzusetzen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte trägt vor:

Auch gesetzliche Renten wegen Erwerbsminderung unterlägen bei Rentenbeginn in 2005 oder früher nach § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG einem Besteuerungsanteil von 50 %. Abgekürzte Leibrenten würden wie die gesetzlichen Altersrenten besteuert. Auch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Hinterbliebenenrente unterlägen der nachgelagerten Besteuerung. Maßgeblich sei die zur Zeit des Zuflusses geltende Fassung des § 22 Nr. 1 Satz 3 a EStG. In 2006 zugeflossene Nachzahlungen seien nach der 2006 geltenden Rechtslage zu versteuern.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2006 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten ( § 100 Abs. 1 FGO).

Der Beklagte hat die der Klägerin im Jahr 2006 zugeflossene Erwerbsminderungsrente steuerlich zutreffend mit einem Ertragsanteil von 50 % berücksichtigt.

Die Klägerin hat mit der ihr im Jahr 2006 zugeflossenen Erwerbsminderungsrente sonstige Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG bezogen. Zu den in § 22 Nr. 1 Satz 1 bezeichneten Einkünften gehören nach Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG auch Leibrenten und andere Leistungen, die aus den gesetzlichen Rentenversicherungen, den landwirtschaftlichen Alterskassen, den berufsständischen Versorgungseinrichtungen und aus Rentenversicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b EStG erbracht werden, soweit sie jeweils der Besteuerung unterliegen. Der Besteuerungsanteil beträgt nach der Tabelle in § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG bei einem Rentenbeginn bis 2005 50 %.

Die Vorschrift des § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG erfasst alle Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen unabhängig davon, ob sie als Rente oder Teilrente (z.B. Altersrente, Erwerbsminderungsrente) oder als einmalige Leistung ausgezahlt werden (BMF vom 30. Januar 2008 BStBl I S. 390 Tz. 90). Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, nach der der Regelungsgehalt des § 22 Satz 1 Nr. 3 a) aa) sämtliche Rentenarten, auch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Hinterbliebenenrenten umfasst, die bisher als abgekürzte Leibrenten nach der Ertragsanteilstabelle in § 55 Abs. 2 EStDV besteuert wurden (BT-Drucks. 15/2150 S. 40). Zudem enthält die Neuregelung auch keinen Verweis auf § 55 Abs. 2 EStDV (vgl. Risthaus in H/H/R § 22 EStG Tz. 280; Risthaus DB 2004,1329 ff., 1336; Korn/Strahl KÖSDI 2004,14360 ff., 14365). Die vorliegende Rente wegen Erwerbsminderung, die von der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wird, unterliegt damit der Besteuerung mit einem Anteil von 50 %, und zwar auch soweit sie auf Zeiträume vor 2005 entfällt (vgl. auch Schmidt/Weber-Grellet § 22 EStG Tz. 101).

Ein Anwendungsfall des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a) Doppelbuchst. bb) EStG liegt nicht vor. Darunter fallen nur diejenigen Leibrenten und anderen Leistungen, die nicht bereits unter Satz 3 Buchst. a) Doppelbuchst. aa) EStG einzuordnen sind.

Soweit die Kläger die Verfassungswidrigkeit der Neuregelung der Rentenbesteuerung in Bezug auf die hier streitige Erwerbsminderungsrente rügen, folgt der Senat den Entscheidungen des Bundesfinanzhofes vom 26. November 2008 (X R 15/07 BFH/NV 2009,278), des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2008 (3 K 266/06 EFG 2009,185) und des Finanzgerichts Münster vom 14. Oktober 2008 (14 K 3990/06 E EFG 2009,110). Danach ist die seit 2005 geltende Rentenbesteuerung nach dem Alterseinkünftegesetz verfassungsgemäß.

Der Bundesfinanzhof hat hierzu ausgeführt:

"Durch die Ausgestaltung der Besteuerung des gesamten Komplexes der Alterseinkünfte nach dem Konzept der nachgelagerten Besteuerung, durch die die Alterseinkünfte von vormaligen Arbeitnehmern und von vormals Selbständigen im Gegensatz zu den Renten aus privaten nicht von § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG n.F. erfassten Lebensversicherungen unterschiedslos besteuert werden, hat der Gesetzgeber eine folgerichtige und den Gleichheitssatz nicht verletzende Regelung geschaffen. Im Bereich des Steuerrechts, insbesondere des Einkommensteuerrechts, wird die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (BVerfG-Entscheidungen in BVerfGE 105, 73, 125; vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, 433; vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27, 46; vom 21. Juni 2006 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164, 180, und vom 7. November 2006 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1, 30). Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Besteuerung niedrigerer Einkommen angemessen ausgestaltet werden muss (vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 107, 27, 47; vom 16. März 2005 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268, 279, jeweils m.w.N.). Dabei muss eine gesetzliche Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne von Belastungsgleichheit umgesetzt werden (vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 107, 27, 47; in BVerfGE 116, 164, 180). Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 30. September 1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88, 95; vom 11. November 1998 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, 290; in BVerfGE 107, 27, 47; in BVerfGE 116, 164, 180; BVerfG-Urteil in BVerfGE 105, 73, 126). Der Gesetzgeber hat den im BVerfG-Beschluss vom 24. Juni 1992 1 BvR 459/87, 467/87 (BVerfGE 86, 369) erteilten und im BVerfG-Urteil in BVerfGE 105, 73 konkretisierten Gesetzgebungsauftrag jedoch zutreffend so verstanden, dass eine gleichheitsgerechte Besteuerung der Altersbezüge nur möglich ist, wenn bei der Neuregelung die Besteuerung aller bestehenden Altersvorsorgesysteme aufeinander abgestimmt wird (so auch BVerfG-Beschluss in HFR 2008, 507, 508; vgl. auch den Abschlussbericht der Sachverständigenkommission, a.a.O., S. 9 f.). Infolgedessen ist das Ziel des Gesetzgebers, mit dem AltEinkG eine "steuerrechtssystematisch schlüssige und folgerichtige Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen" zu erreichen (BTDrucks 15/2150, S. 1 und 22), in angemessener Weise umgesetzt."

Nach Auffassung des Senats gelten diese Grundsätze auch für den hier vorliegenden Fall der Erwerbsminderungsrente, die vor der Änderung der Rentenbesteuerung als abgekürzte Leibrente beurteilt und mit dem Ertragsanteil nach § 55 Abs. 2 EStDV besteuert wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war nach § 115 Abs. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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