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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 07.11.2006
Aktenzeichen: 9 K 800/06 Kg
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
EStG § 32 Abs. 4
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a
EStG § 70 Abs. 4
EStG § 32 Abs. 4 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 9. Dezember 2005 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 23. Januar 2006 verpflichtet, dem Kläger Kindergeld für seine Tochter für den Zeitraum Januar bis Juli 2004 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist, ob eine bestandskräftige Ablehnung des Kindergeldes für den Zeitraum Januar bis Juli 2004 aufgrund der späteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Ermittlung des Jahresgrenzbetrags (Beschluss vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 2005, Beilage 3, 260) zu ändern ist.

Der Kläger hat eine am 15. Februar 1985 geborene Tochter, die am 1. September 2003 eine Ausbildung zur Industriekauffrau begann. Am 28. Oktober 2003 gelangte der Beklagte in einer Prognoseentscheidung anlässlich der Berechnung der Einkünfte und Bezüge für das Kalenderjahr 2004 zu der Feststellung, dass der Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) überschritten werde, sodass für 2004 kein Anspruch auf Kindergeld bestehe. Die Kindergeldzahlungen für 2004 wurden eingestellt. Am 27. April 2004 reichte der Kläger der Beklagten eine Bescheinigung über die Fortdauer bzw. das Ende der Berufsausbildung seiner Tochter verbunden mit Angaben zur Berücksichtigung zusätzlicher Werbungskosten ein. Nach weiterem Schriftverkehr lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22. Juli 2004 die Gewährung von Kindergeld für 2004 mit der Begründung ab, dass mangels Mitwirkung des Klägers nicht festgestellt werden könne, ob ein Anspruch auf Kindergeld bestehe. Der Bescheid wurde nicht angefochten.

Am 23. August 2005 und am 11. Oktober 2005 stellte der Kläger einen erneuten Antrag auf Bewilligung von Kindergeld und teilte nunmehr erstmals die Höhe der Arbeitnehmeranteile zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag mit. Die anzurechnenden Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit der Tochter für 2004 ermittelte die Beklagte mit 6.784,49 EUR. Mit Bescheid vom 9. Dezember 2005 lehnte die Beklagte die Kindergeldgewährung ab, soweit die Zeit vor August 2004 betroffen ist. Den Einspruch des Klägers wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 23. Januar 2006 als unbegründet zurück.

Mit der Klage trägt der Kläger vor:

Aufgrund der geänderten Rechtsprechung des BVerfG zum Jahresgrenzbetrag wäre der Kindergeldanspruch für 2004 positiv zu bescheiden gewesen. Den in 2004 abgelehnten Kindergeldantrag habe er nur deswegen nicht weiter verfolgt, weil ihm bei Auskunftseinholung zur Einkommenshöhe von der Familienkasse erklärt worden sei, dass sein Antrag nach damaligen Recht keine Aussicht auf Erfolg hätte. Insoweit könne ihm nicht mangelnde Mitwirkung vorgehalten werden.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des Bescheides vom 9. Dezember 2005 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 23. Januar 2006 die Beklagte zu verpflichten, ihm Kindergeld für seine Tochter für den Zeitraum Januar bis Juli 2004 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor:

Die Ausführungen des Klägers seien nicht geeignet, die Bestandskraft des Bescheides vom 22. Juli 2004 zu durchbrechen. Die damalige Ablehnung des Kindergeldanspruchs sei wegen fehlender Mitwirkung des Klägers erfolgt, ohne dass zuvor eine abschließende Überprüfung der Einkünfte und Bezüge möglich gewesen wäre. Im Übrigen verweist die Beklagte auf die Einspruchsentscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 9. Dezember 2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Die Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Änderung des Bescheides vom 22. Juli 2004 bezüglich der Monate Januar bis Juli 2004 nicht mehr möglich ist.

Für ein Kind, das wie im Streitfall die Tochter des Klägers das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wird auf Antrag Kindergeld gewährt, wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG vorliegen (§§ 62 Abs. 1, 63 Abs.1 S. 2, 67 Abs. 2, 72 Abs. 7 EStG). Danach besteht ein Anspruch auf Kindergeld u.a. dann, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a EStG). Im Streitfall liegen die Kindergeldvoraussetzungen nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a EStG während des gesamten Jahres 2004 vor. Die Tochter des Klägers befand sich in dem gesamten Zeitraum in einer Ausbildung zur Industriekauffrau.

Gemäß § 32 Abs. 4 S. 2 EStG setzt der Kindergeldanspruch zusätzlich voraus, dass die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, den Jahresgrenzbetrag von 7.680 EUR im Jahr 2004 nicht überschreiten. Mit zu berücksichtigenden Einkünften von 6.784,49 EUR wird der Jahresgrenzbetrag nicht überschritten, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, zumal die Beklagte Kindergeld für die Monate August bis Dezember 2004 bereits gewährt hat.

Entgegen der Auffassung der Beklagten hindert die Bestandskraft des Bescheides vom 22. Juli 2004 die Kindergeldgewährung für die Monate Januar bis Juli 2004 nicht, da § 70 Abs. 4 EStG eine entsprechende Berichtigung ermöglicht.

Nach § 70 Abs. 4 EStG ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG über- oder unterschreiten. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass eine Kindergeldfestsetzung für ein volljähriges Kind auch nach Ablauf des Kalenderjahres korrigiert werden kann, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG entgegen einer früheren Prognose der Familienkasse über- oder unterschreiten. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass eine steuerliche Entscheidung wegen des Jährlichkeitsprinzips grundsätzlich rückblickend erfolgt, die Steuervergütung Kindergeld jedoch bereits im Laufe des Kalenderjahres monatlich gezahlt wird. Im Streitfall hat sich nach Erlass des Bescheides vom 22. Juli 2004 herausgestellt, dass die Einkünfte und Bezüge der Tochter unter Berücksichtigung der nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG einzubeziehenden gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge (vgl. BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005, a.a.O.) den Grenzbetrag unterschreiten.

Der Auffassung der Beklagten, § 70 Abs. 4 EStG komme hier bereits deshalb nicht zum Tragen, weil die aufgrund der Entscheidung des BVerfG geänderte Rechtsauffassung bezüglich der Behandlung der Sozialversicherungsbeiträge kein nachträgliches Bekannt werden im Sinne des § 70 Abs. 4 EStG darstelle, vermag der Senat nicht zu folgen. Die Vorschrift des § 70 Abs. 4 EStG trägt wie bereits erwähnt dem Umstand Rechnung, dass eine abschließende Entscheidung darüber, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag überschreiten oder nicht, regelmäßig erst nach Ablauf des betroffenen Kalenderjahres getroffen werden kann. Vor Ablauf des Kalenderjahres steht die tatsächliche Höhe der Einkünfte und Bezüge zwangsläufig (noch) nicht fest, vielmehr ist insoweit nur eine mehr oder weniger sicherere Prognose möglich, nach der die Familienkasse die Entscheidung über die Gewährung oder Nichtgewährung des Kindergeldes für das noch laufende Kalenderjahr trifft. Insofern wird die tatsächliche Höhe der Einkünfte und Bezüge nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahres gegenüber der Prognoseentscheidung zwangsläufig nachträglich bekannt.

Damit eröffnet § 70 Abs. 4 EStG stets eine Berichtigungsmöglichkeit, soweit die abschließende Überprüfung nach Ablauf des Jahres ein Unter- oder Überschreiten des Grenzbetrages abweichend von der Prognoseentscheidung ergibt. Insofern tragen derartige Prognoseentscheidungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht den Charakter der Vorläufigkeit in sich. Anders, als wenn die Festsetzung von Kindergeld für ein abgelaufenes Kalenderjahr abgelehnt worden ist, kann ein die Festsetzung von Kindergeld ablehnender Bescheid, der auf einer vor oder während des Kalenderjahres getroffenen Prognoseentscheidung beruht, nachträglich geändert oder aufgehoben werden (so im Ergebnis auch BFH-Urteil vom 28. Juni 2006 III R 13/06, Deutsches Steuerrecht -DStR- 2006, 1836).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.



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