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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 09.10.2009
Aktenzeichen: 2 K 142/09
Rechtsgebiete: SpStG, GG, BVerfGG


Vorschriften:

SpStG § 1
SpStG § 3 Abs. 1
SpStG § 4 Abs. 1 Nr. 1
GG Art. 3 Abs. 1
BVerfGG § 31 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Die Klägerin betrieb zwei Spielhallen in der x-Straße in Hamburg. Von Januar bis Juli 1999 hatte sie dort 18 und ab August 1999 16 automatische Spielgeräte mit Geldgewinnmöglichkeit aufgestellt. Zum 15.02.2000 verkaufte die Klägerin die Doppelspielhalle mit Inventar für 100.000 DM.

Die Klägerin gab am 08.06.1999 eine Spielgerätesteueranmeldung für Januar 1999 über 10.800 DM (18 Geräte mal 600 DM) ab. Am 03.08.1999 meldete sie für den Zeitraum ab August 1999 Spielgerätesteuer von 9.600 DM (16 Geräte mal 600 DM) an. Auf den beiden Formularen hatte sie den gesondert von ihr unterzeichneten Zusatz hinzugefügt: "Hiermit erhebe ich Einspruch gegen die Spielgerätesteuer." Mit Einspruchsentscheidung vom 04.10.1999 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück.

Am 29.10.1999 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, dass die Erhebung der Spielgerätesteuer als Pauschalsteuer verfassungswidrig und aus Praktikabilitätsgründen auch nicht geboten sei. Die pauschale Erhebung der Steuer pro Spielgerät führe je nach Nutzung des Gerätes durch die Spieler zu einer sehr unterschiedlichen Belastung der Roheinnahmen aus dem Gerät. (Im Einzelnen wird auf die von der Klägerin hierzu eingereichten Erhebungen und Auswertungen Bezug genommen). Darüber hinaus führe die Pauschalbesteuerung dazu, dass es sich bei der Spielgerätesteuer um eine verdeckte "Maschinensteuer" handle. Denn durch die Festlegung des Einsatzes, der Spieldauer, der Gewinnquote und der Nutzungsdauer der Geräte in der Spielverordnung (vgl. BGBl. I 1962, 153 in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.12.1985, BGBl. I 1985, 2245 - SpielVO) habe der Spielgeräteaufsteller keinen Spielraum, die Steuer von dem Spielgast zu erheben. Die in der Rechtsprechung entwickelte kalkulatorische Abwälzbarkeit der Spielgerätesteuer auf den Spielgast sei tatsächlich nicht gegeben. Schließlich sei die Spielgerätesteuer auch deshalb verfassungswidrig, weil sie erdrosselnd sei und gegen Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstoße.

Mit Beschluss vom 26.04.2005 hat der damals zuständige VII. Senat des Finanzgerichts eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber eingeholt, ob § 4 Abs. 1 Hamburgisches Spielgerätesteuergesetz (SpStG) vom 29.06.1988 in der Fassung der Änderung vom 07.12.1994 mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb ungültig sei.

Das BVerfG hat am 04.02. 2009 entschieden, dass § 4 Abs. 1 SpStG mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sei. Die Vorschrift bleibe für den Zeitraum bis zum Außerkrafttreten des Spielgerätesteuergesetzes am 01.10.2005 weiter anwendbar (1 BvL 8/05) (auf die Entscheidungsgründe wird im einzelnen Bezug genommen).

Die Klägerin führt im Anschluss an dem Beschluss vom 04.02.2009 aus, dass das BVerfG keine überzeugende Begründung geliefert habe. Die Feststellung, dass das SpStG mit Art. 3 GG nicht vereinbar sei, erwachse in Rechtskraft. Die Entscheidung über die Fortgeltung des SpStG hingegen nicht. Dies sei auch nicht Gegenstand der Vorlagefrage gewesen. Der Ausspruch zur Fortgeltung sei auch rechtswidrig. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) gestatte dem BVerfG weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Sinn und Zweck, die Fortgeltung eines verfassungswidrigen Gesetzes über viele Jahre hinweg anzuordnen. Auch die Entstehungsgeschichte zeige, dass dem BVerfG nicht die Kompetenz habe eingeräumt werden sollen, die Fortgeltung von Gesetzen anzuordnen, und dass ein solcher Ausspruch trotz Veröffentlichung im Gesetzesblatt nicht Gesetzeskraft entfalte. Das BVerfG sei nicht ermächtigt, mehr Rechte für sich in Anspruch zu nehmen, als ihm vom Gesetzgeber eingeräumt worden seien. Das BVerfG habe mit seiner Entscheidung zur Fortgeltung seine Kompetenz überschritten mit der Folge, dass das Finanzgericht Hamburg hieran nicht gebunden sei. Es gebe insbesondere keine haushälterischen Gründe für einen Fortgeltungsanspruch, weil die Freie und Hansestadt Hamburg in ihrem Haushalt die zu erstattenden Steuerbeträge zurückgestellt habe.

Der Ausspruch über die Fortgeltung widerspräche dem Rechtsstaatsgebot. Aufgabe des BVerfG sei es, die Einhaltung der Verfassung zu garantieren. Eine eigenmächtige Ausweitung der Kompetenzen sei schon deshalb nicht akzeptabel, weil das BVerfG keiner weiteren Kontrolle unterliege. Auch sei die Begründung für die Fortgeltung nicht nachvollziehbar, denn das Gericht begründe die Fortgeltung u.a. mit der Gerechtigkeit gegenüber den Spielgästen.

Es lägen inzwischen mehrere Entscheidungen aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit vor, die keine Fortgeltung wie das BVerfG anordneten und insoweit keine Bindungswirkung sähen.

Die Klägerin beantragt,

die Spielgerätesteuerbescheide vom 08.06.1999 und vom 03.08.1999 sowie die Einspruchsentscheidung vom 04.10.1999 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte führt zur Begründung aus, dass die pauschale Erhebung der Spielgerätesteuer trotz unterschiedlicher Kasseneinnahmen und daraus resultierender unterschiedlicher Leistungsfähigkeit der Spielgeräteaufsteller sachgerecht und zumutbar sei und nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße.

Der Beklagte führt ergänzend aus, dass sich die Steuerfestsetzungen des Streitjahres an die gesetzlichen Vorgaben halten, die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für eine Übergangszeit bis zum 01.10.2005 weiter angewendet werden dürften. Die Klage sei daher abzuweisen.

Dem Gericht hat die Spielgerätesteuer-Hauptakte und die Spielgerätesteuer-Nebenakte zu der Steuernummer .../.../... vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Die festgesetzte Spielgerätesteuer ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Nach § 1 SpStG unterliegt das Halten von automatischen Spielgeräten mit Geldgewinnmöglichkeit in Örtlichkeiten, die einer wenn auch begrenzten Öffentlichkeit zugänglich sind, der Spielgerätesteuer, wenn die Benutzung der Geräte von der Zahlung eines Entgelts abhängig ist. Die Steuer beträgt bei Spielgeräten in Spielhallen 600 DM je Spielgerät (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 SpStG). Nach § 3 Abs. 1 SpStG ist Schuldner der Halter des Spielgeräts. Halter ist derjenige, für dessen Rechnung das Spielgerät aufgestellt wird (Aufsteller).

Die Klägerin hat nach diesen Vorschriften die Spielgerätesteuer angemeldet. Die als unbefristete Steuerfestsetzung wirkende Steueranmeldung (§ 5 Abs. 3 SpStG) ist nicht aufzuheben, obwohl das BVerfG auf die Vorlage des VII. Senats des Finanzgerichts Hamburg mit Beschluss vom 04.02.2009 entschieden hat, dass § 4 Abs. 1 SpStG mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. In der Entscheidungsformel heißt es weiter, dass die Vorschrift für den Zeitraum bis zum Außerkrafttreten des SpStG am 01.10.2005 weiter anwendbar bleibt.

Die Entscheidung über die Unvereinbarkeit des § 4 Abs. 1 SpStG mit Art. 3 Abs. 1 GG entfaltet nach § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft. Es kann dahinstehen, ob auch die Anordnung der Weitergeltung Gesetzeskraft nach § 31 Abs. 2 BVerfGG hat (ablehnend Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Kommentar § 31 Rn 248; Heusch in Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG Mitarbeiterkommentar, 2. Auflage 2005, § 31 Rn. 82; a. A. BFH, 24.05.200 - II R 25/99, BStBl II 2000, 378), denn jedenfalls erlangt diese Entscheidung Verbindlichkeit nach § 31 Abs. 1 BVerfGG (Bethge in Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 31 Rn 248; Heusch in Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG § 31 Rn. 55) und löst damit Bindungswirkung für den entscheidenden Senat aus. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Bindungswirkung der Entscheidung nicht durch die Vorlagefrage begrenzt, denn das BVerfG hat unabhängig davon das Gesetz umfassend zu prüfen (vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 80 Rn 115). Es kommt ferner nicht darauf an, dass verschiedene Verwaltungsgerichte sich nicht an der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts für ihre Entscheidung über eine Satzung zur Spielgerätesteuer gebunden sehen. Wie das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in der von der Klägerin vorgelegten Entscheidung 6 B 10561/09.OVG zu Recht ausführt, ist die Übergangsregelung einfaches Gesetzesrecht bezogen auf das SpStG der Stadt Hamburg.

Im Übrigen ergibt sich aus den von der Klägerin in Bezug genommenen Gesetzesmaterialien nicht, dass der Gesetzgeber dem BVerfG nicht die Befugnis einer Weitergeltungsanordnung gewähren wollte. In der von der Klägerin zitierten Bundestagsdrucksache VI/1471 wird die Befugnis des BVerfG, eine Weitergeltung anzuordnen lediglich für die Fälle abgelehnt, in denen - anders als im Streitfall - ein Gesetz für nichtig erklärt wird. Diese Entscheidung wird u.a. damit begründet, dass das Gericht bisher jeweils praktikable Lösungen finden konnte, "in denen das Gericht verfassungsrechtlich beanstandete Rechtsvorschriften nicht für nichtig erklärte, sondern jeweils eine Verpflichtung des Gesetzgebers feststellte, innerhalb eines bestimmten Zeitraums tätig zu werden und verfassungsrechtliche Mängel zu beseitigen" (Bt-Drs VI/1471 S. 6).

Eine erneute Befassung des BVerfG durch eine weitere Vorlage des Senats kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil eine Entscheidung des BVerfG mit Gesetzeskraft nicht wiederum Gegenstand von Rechtssatzverfassungsbeschwerden wie überhaupt von Normenkontrollverfahren werden kann (Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 31 Rn 160).

Eine erneute Befassung des Bundesverfassungsgerichts aufgrund einer Richtervorlage nach Art. 100 GG ist lediglich dann nicht ausgeschlossen, wenn tatsächliche oder rechtliche Veränderungen eingetreten sind, die die Grundlage der früheren Entscheidung berühren oder deren Überprüfung nahe legen (vgl. BFH, Urteil vom 21.07.2004 - X R 72/01 BFH/NV 2005, 513). Der Klägerin geht es jedoch nicht um die erneute Überprüfung der bereits mit Art. 3 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärten Pauschalbesteuerung der Spielgeräte, sondern um die mit der Entscheidung angeordnete Weitergeltung der Norm. Für eine erneute Vorlage dieser Entscheidung gibt es keine verfahrensrechtliche Grundlage (vgl. BFH, Urteil vom 21.07.2004 - X R 72/01, a.a.O.).

Das Gericht kann nachvollziehen, dass es für die Klägerin schwer verständlich ist, dass eine verfassungswidrige Norm für einen bestimmten Zeitraum weiterhin Anwendung finden soll. Das BVerfG hat seine Entscheidung mit mehreren Argumenten begründet. Insbesondere hat es aus Sicht des erkennenden Senats zutreffend darauf hingewiesen, dass die Spielgeräteaufsteller grundsätzlich mit der Belastung durch die Aufwandsteuer rechnen mussten.

Der § 4 Abs. 1 SpStG ist auch nicht im Hinblick auf einen Verstoß gegen weitere Verfassungsgrundsätze in Frage zu stellen und gegebenenfalls zur erneuten Überprüfung dem BVerfG vorzulegen. In der Entscheidung vom 04.02.2009 (1 BvL 8/05) führt das BVerfG aus, dass weder ein Verstoß gegen die Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers nach Art. 105 Abs. 2a GG vorliegt noch eine Abwälzbarkeit der Steuer nicht möglich ist. Das BVerfG prüft das vorgelegte Landesgesetz umfassend und wird nicht durch die Vorlagefrage beschränkt (vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 80 Rn 115). Im Hinblick darauf, dass der Vorlagebeschluss die Frage eines Verstoßes gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit nicht aufwirft und das BVerfG bereits einen Verstoß des § 4 Abs. 1 SpStG gegen den allgemeinen Gleichheitssatz festgestellt hat, trifft das BVerfG in dieser Entscheidung allerdings keine Feststellung zu der Vereinbarkeit von § 4 Abs. 1 SpStG mit Art. 12 Abs. 1 GG. Es verweist lediglich auf Entscheidungen, in denen Ausführungen zu den Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit der Erhebung von Vergnügungssteuer auf Geldspielautomaten im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG gemacht worden sind.

Der entscheidende Senat hat keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Spielgerätesteuer in Bezug auf die freie Berufswahl, denn diese Frage ist inzwischen auch höchstrichterlich durch den Bundesfinanzhof (BFH) entschieden worden. Insoweit wird auf das Urteil des BFH vom 29.03.2006 (II R 59/04, BFH/NV 2006, 1354), das auf die Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 30.06.2004 (VII 4/01, DStRE 2004, 1309) ergangen ist, Bezug genommen. Der VII. Senats des Finanzgerichts Hamburg ist aufgrund einer Beweiserhebung und der Auswertung umfangreicher Daten zu dem Ergebnis gekommen, dass die Steuer keine erdrosselnde Wirkung hat. Diese Entscheidung ist von dem BFH bestätigt worden (II R 59/04, a.a.O.). Eine dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde (1 BvR 1686/06) hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Klägerin hat nach § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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