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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 07.09.2007
Aktenzeichen: 3 K 49/07
Rechtsgebiete: EStG, GG, AO


Vorschriften:

EStG § 63 Abs. 1 S. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 3
GG Art. 6 Abs. 1
AO § 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

3 K 49/07

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung und Kindergeldrückforderung.

I. 1. Der Kläger und seine Ehefrau stammen aus Mazedonien und haben zusammen drei Kinder, die 1995, 1997 und 2000 geboren wurden. Der Kläger arbeitet selbständig im Baugewerbe und zwar auf wechselnden Baustellen im gesamten Bundesgebiet.

Die Familie wohnte in Hamburg in einer Mietwohnung und der Kläger erhielt Kindergeld. Das Mietverhältnis besteht über den Tag der mündlichen Verhandlung fort.

2. Nachdem das Schuljahr 2002/2003 geendet hatte, fuhr die Familie nach Mazedonien in den Heimatort des Klägers, in dem auch seine Mutter lebt.

Nach Ende der Schulferien blieben die Kinder mit der Ehefrau des Klägers in Mazedonien. Die beiden schulpflichtigen Kinder wurden von der Schule in Hamburg abgemeldet und gingen sodann bis zum Sommer 2005 in Mazedonien zur Schule.

3. Die Familie kam im Juli 2005 nach Hamburg und die beiden älteren Kinder wurden wieder in Hamburg zur Schule angemeldet, die sie bis zum Dezember 2005 besuchten.

Ende Dezember 2005 kehrten Ehefrau und Kinder wieder nach Mazedonien zurück und hielten sich seitdem nur über den Jahreswechsel 2006/2007 noch in Deutschland auf. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung waren sie in Mazedonien.

II. 1. Mit Bescheid vom 23. Juni 2006 hob der Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes auf und forderte das für den Zeitraum September 2003 bis Juli 2005 gezahlte Kindergeld in Höhe von EUR 10.626 zurück.

2. Den am 10. Juli 2006 eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2007, an den Prozessbevollmächtigten des Klägers abgesendet am 5. Februar 2007, als unbegründet zurück, weil die Kinder im streitigen Zeitraum ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland gehabt hätten. Wegen der Begründung wird auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

III. Hiergegen erhob der Kläger am 7. März 2007 Klage.

Der Kläger trägt vor, dass sich die Familie im Sommer 2003 nach Mazedonien begeben habe, um dort ihren Urlaub zu verbringen. Während ihres Aufenthalts sei seine in Mazedonien lebende Mutter schwer erkrankt und sei zum Pflegefall geworden. Ehefrau und Kinder des Klägers hätten sich daraufhin entschlossen, für einige Wochen bei der Mutter des Klägers zu bleiben, damit die Mutter gepflegt werde. Der Kläger sei nach Deutschland zurückgekehrt und habe seine Arbeit wieder aufgenommen.

Weil die Mutter des Klägers früher nicht hätte allein gelassen werden können, seien Ehefrau und Kinder erst nach Beginn der mazedonischen Schulferien Mitte Dezember 2003 nach Deutschland gekommen. Zum Schluss der mazedonischen Schulferien Ende Januar 2004 seien sie wieder nach Mazedonien zurückgekehrt, weil es die Krankheit der Mutter des Klägers erfordert habe.

Die Pflegebedürftigkeit seiner Mutter sei auch der Grund gewesen, warum seine Ehefrau mit den Kindern, nachdem sie im Juli 2005 nach Deutschland gekommen waren, im Dezember 2005 wieder nach Mazedonien zurückgekehrt seien.

Der Kläger trägt vor, im April 2007 habe er bei der deutschen Botschaft in Skopje für die Kinder einen Visaantrag gestellt, der derzeit bearbeitet werde, damit sie wieder nach Deutschland kommen könnten.

Der Kläger behauptet, die Kinder hätten den gesamten streitigen Zeitraum von September 2003 bis Juli 2005 ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland gehabt, zumal das jüngste Kind auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Nur aufgrund der ganz außerordentlichen Situation, dass seine kranke Mutter in Mazedonien durch seine Ehefrau habe gepflegt werden müssen und er selbst wegen seiner Montagetätigkeit die Kinder nicht habe betreuen können, hätten sich die Kinder in dem streitigen Zeitraum und für einen bloß vorübergehenden Zweck nicht in Deutschland, sondern in Mazedonien aufgehalten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 23. Juni 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2007 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt der Beklagte auf seine Einspruchsentscheidung Bezug.

Dem Gericht lag die Kindergeldakte der Beklagten zur KG-Nr. ... vor.

Ergänzend wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 7. September.

IV. Nicht streitgegenständlich ist der Bescheid des Beklagten vom 7. Februar 2007, mit dem die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum von Januar 2006 bis Januar 2007 aufgehoben wurde.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid vom 23. Juni 2006 über die Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld für die drei Kinder des Klägers für die Zeit ab September 2003 und die Rückforderung des Kindergeldes bis Juli 2005 in Höhe von 10.626 EUR sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2006 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Denn der Beklagte hat die Festsetzung des Kindergelds zu Recht aufgehoben und das im Streitzeitraum bereits ausgezahlte Kindergeld zurückgefordert. Die Kinder des Klägers hatten im Streitzeitraum weder einen inländischen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG hat derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt, einen Kindergeldanspruch nur für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben.

Mazedonien zählt nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten.

§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG ist verfassungsgemäß. Die Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes als Ausprägung des Territorialitäts-Prinzips (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG ) ist sachgerecht ist und verstößt nicht gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (vgl. FG Köln, Urteil vom 22. Februar 2007 15 K 3039/04, [...], m.w.N.).

Dass die Kinder des Klägers im Streitzeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hatten, ist unstreitig. Sie hatten aber auch keinen Wohnsitz im Inland.

Der Wohnsitzbegriff i.S. des § 8 der Abgabenordnung (AO) setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Betreffende tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken oder ein Aufenthalt, der nur Besuchscharakter hat, reicht nicht aus (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294 mit weiteren Nachweisen).

Im Einzelfall können auch zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen, wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind (vgl. BFH-Urteile vom 10. August 1983 I R 241/82, BFHE 139, 261, BStBl II 1984, 11, 12, und in BFHE 182, 296 , BStBl 1997, 447; BSG-Urteil in SozR 3-5870 § 2 Nr. 36). Eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort steht der Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht entgegen.

Dient ein Auslandsaufenthalt ausschließlich der Durchführung einer bestimmten Maßnahme (wie z.B. der Schul- oder Berufsausbildung), ist er deshalb von vornherein zeitlich beschränkt, und hat der Betroffene die Absicht, nach dem Abschluss der Maßnahme wieder an den bisherigen Wohnort oder gar in die elterliche Wohnung zurückzukehren, reicht dies allein jedoch nicht dafür aus, um vom Fortbestand des bisherigen Wohnsitzes während des Auslandsaufenthalts auszugehen. Die Feststellung der Rückkehrabsicht besagt grundsätzlich nichts darüber, ob der Inlandswohnsitz während des vorübergehenden Auslandsaufenthaltes beibehalten oder aber aufgegeben und nach der Rückkehr neu begründet wird. Der Inlandswohnsitz wird in solchen Fällen nur dann beibehalten, wenn der Betroffene entweder seinen Lebensmittelpunkt weiterhin am bisherigen Wohnort hat (keine Wohnsitzbegründung am Orte des Auslandsaufenthalts) oder er zwar keinen einheitlichen Lebensmittelpunkt mehr hat, er aber nunmehr über zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse (zwei Wohnsitze) verfügt, von denen einer am bisherigen Wohnort liegt (FG Hamburg, Beschluss vom 20. Juni 2007 1 V 81/07, [...]).

Für ein Kind, das für mehrere Jahre im Ausland einer Ausbildung nachgeht, verlangt die Rechtsprechung für einen inländischen Aufenthalt grundsätzlich besuchsweise Aufenthalte in allen unterrichtsfreien Zeiten, also den Schulferien, mindesten aber für drei Monate pro Kalenderjahr. Der BFH hat mit Urteil vom 23. November 2000 VI R 165/99 (BStBl II 2001, 279) die besuchsweisen Aufenthalte des Kindes in der elterlichen Wohnung von insgesamt nicht einmal drei Monaten im Jahr auch dann nicht für die Annahme einer Beibehaltung des Wohnsitzes ausreichen lassen, wenn die Rückkehr des Kindes nach Deutschland nach Erreichen des Schulabschlusses beabsichtigt ist (FG Hamburg, Beschluss vom 20. Juni 2007 1 V 81/07, [...], m.w.N.).

Die Beurteilung im Einzelfall liegt weitgehend auf tatrichterlichem Gebiet. § 8 AO knüpft an die tatsächlichen Gegebenheiten an. Der Wohnsitz als (zumindest ein) räumlicher Schwerpunkt der Lebensinteressen setzt bei minderjährigen Kindern grundsätzlich voraus, dass die Kinder eine familiäre Wohn- und Lebensgemeinschaft mit Eltern oder vergleichbaren Bezugspersonen eingehen, dass sie dort auch kulturell (in sprachlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht) verwurzelt sind und dass der Aufenthalt erkennbar nicht lediglich besuchsweise erfolgt (vgl. Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 14. März 2005 Az. 6 K 331/03, [...], m.w.N.).

Diese Grundsätze sprechen dafür, dass im vorliegenden Fall die Kinder des Klägers in dem streitigen Zeitraum einen Wohnsitz in Mazedonien, nicht aber auch im Inland gehabt haben. In den immerhin knapp zwei Jahren des Streitzeitraums haben sie zusammen mit ihrer sie betreuenden Mutter bei der Großmutter in Mazedonien gelebt, die beiden Schulkinder sind dort auch zur Schule gegangen. Während dieser Zeit sind sie nach den Angaben des Klägers lediglich einmal, nämlich während der mazedonischen Winterferien für wenige Wochen in Deutschland gewesen. Dass sie gleichwohl einen Schwerpunkt ihrer Lebensinteressen im Inland behalten haben, kann nicht erkannt werden, insbesondere auch vor dem Hintergrund des eher geringen Alters der Kinder - sie waren zum Zeitpunkt der Ausreise nach Mazedonien 8, 6 und 3 Jahre alt. Der Vortrag des Klägers zu den inländischen Lebensinteressen beschränkt sich darauf, dass die Familienwohnung noch vorhanden gewesen sei und eine dauerhafte Rückkehr ins Inland gewollt gewesen sei. Aus dem oben Ausgeführten ergibt sich, dass das Beibehalten einer Wohnung nicht hinreichend ist, wobei die inländische Wohnung hier außerdem ganz überwiegend unbelebt gewesen ist, denn der allein im Inland sich aufhaltende Kläger übte seine Berufstätigkeit an wechselnden Orten auswärts aus. Auch das subjektive Moment des Rückkehrwillens ist nicht entscheidend, zumal es zu einer dauerhaften Rückkehr der Kinder nach Deutschland bis jetzt nicht gekommen ist.

Nichts anderes ergibt sich auch bei Würdigung des Vortrags des Klägers, der Verbleib in Mazedonien sei ungeplant gewesen. Er sei nur wegen der Erkrankung seiner Mutter notwendig geworden und habe zunächst nur vorübergehend sein sollen. Daraus, dass die schulpflichtigen Kinder sogleich von der Schule in Deutschland abgemeldet worden sind und stattdessen die Schule in Mazedonien besucht haben, ist zu folgern, dass jedenfalls zum Schluss der Sommerfeien 2003 nicht nur die Entscheidung gefallen ist, vorerst in Mazedonien zu bleiben, sondern auch die Bereitschaft bestand, sich dort längerfristig aufzuhalten und einzurichten - wie sodann auch geschehen. Es kann auch nicht erkannt werden, dass die einzige Reise, die während dieser Zeit nach Deutschland führte, zu dem Zweck unternommen wurde, sodann im Inland zu bleiben. Dass der einzige Inlandsaufenthalt genau und nur während der mazedonischen Schulferien stattfand und die Kinder nicht wieder in Deutschland die Schule besuchten, spricht vielmehr dafür, dass es sich um eine bloße Besuchsreise gehandelt hat, mit der weder ein Schwerpunkt der Lebensinteressen aufrecht erhalten noch neu begründet wurde

Auch der Umstand, dass die Kinder ab Juli 2005 wieder im Inland gewesen und hier zur Schule gegangen sind, führt zu keiner anderen Beurteilung des Streitzeitraums, zumal sie nur wenige Monate im Inland blieben und seit Dezember 2005 bis auf weiteres wieder in Mazedonien wohnen.

Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung erfolgte gemäß § 70 Abs. 2 EStG zu Recht rückwirkend; die Erstattungspflicht des Klägers folgt aus § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO). Haben sich - wie im Streitfall durch die Verlagerung des Wohnsitzes und Lebensmittelpunktes nach Mazedonien der Kinder spätestens zum 1. September 2003 - die Verhältnisse, die für die Zahlung des Kindergeldes erheblich sind, geändert, ist die Festsetzung des Kindergeldes vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, § 70 Abs. 2 EStG. Die Verwaltung hat insoweit keinen Entscheidungsspielraum (BFH-Beschluss vom 18.12.1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231). Die Veränderung der Lebensumstände der Kinder des Klägers ist der Beklagten auch erst nach Auszahlung des Kindergeldes bekannt geworden. Eine Berücksichtigung der Kinder nach dem deutsch-mazedonischen Abkommen kommt nicht in Betracht, weil sie voraussetzen würde, dass der Kläger im Inland Arbeitnehmer gewesen ist.

Fällt der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes an den bisherigen Berechtigten weg, ist das gezahlte Kindergeld von diesem zurückzufordern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 FGO sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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