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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Gerichtsbescheid verkündet am 31.07.2008
Aktenzeichen: 5 K 40/07
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

5 K 40/07

Tatbestand:

Streitig ist die Besteuerung von Optionsgeschäften (sog. Stillhalterprämien) nach § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Veranlagungszeitraum 1997.

Der Beklagte berücksichtigte im Bescheid zum 31.12.1997 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer vom 18.07.2001 (aus hier nicht interessierenden Gründen am 16.09.2003, 31.08.2005, 30.12.2005, 25.01.2006 und während des Klageverfahrens am 12.06.2007 geändert) sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG von ... DM. Bei diesem der Höhe nach unstreitigen Betrag handelt es sich um sog. Stillhalterprämien. Mit Einspruch vom 28.09.2005 gegen den Änderungsbescheid vom 31.08.2005, mit dem der verbleibende Verlustabzug von ... DM auf ... DM herabgesetzt worden war, berief sich der Kläger auf die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Spekulationsgeschäften.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Vorlage des Finanzgerichts (FG) Münster u.a. zur Frage der Verfassungswidrigkeit von § 22 Nr. 3 EStG im Jahre 1996 (Beschluss vom 05.04.2005, 8 K 4710/01 E, EFG 2005, 1117) mitEntscheidung vom 18.04.2006 (2 BvL 8/05, BFH/NV 2006, Beil. 3, 364) verworfen hatte, hat der Beklagte den Einspruch am 05.03.2007 zurückgewiesen.

Mit der Klage vom 27.03.2007 beruft sich der Kläger weiterhin darauf, dass die Besteuerung von Stillhalterprämien im Jahre 1997 wegen struktureller Erhebungsdefizite verfassungswidrig sei (Wegen der Einzelheiten wird auf die Klageschrift Bezug genommen).

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid zum 31.12.1997 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer vom 12.06.2007 mit der Maßgabe zu ändern, dass sonstige Einkünfte in Höhe von ... DM/... Euro nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden und der (festzustellende) verbleibende Verlustvortrag entsprechend erhöht wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Grundsätze zur Besteuerung der privaten Spekulationsgeschäfte bei Wertpapieren i. S. von § 23 Abs. 1 Nr. 1b EStG in den Veranlagungszeiträumen 1997 und 1998 nicht auf die Besteuerung privater Optionsgeschäfte übertragbar seien.

Die den Kläger betreffenden Steuerakten nebst Rechtsbehelfsakte zur Steuer.Nr. .../... haben vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht entscheidet gem. § 90a Abs. 1 FGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid.

I. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Stillhalterprämien unterliegen als Einkünfte aus Leistungen gem. § 22 Nr. 3 EStG der Besteuerung (dazu 1.). Der Senat hat keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung im Veranlagungszeitraum 1997 (dazu 2.).

1.) Nach § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG sind sonstige Einkünfte auch Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten noch zu den Einkünften i. S. von § 22 Nr. 1, 1a, 2 oder 4 der Vorschrift gehören. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind dies auch Entgelte, die der Stillhalter als Entschädigung für die Bindung und die Risiken, die er durch das Begeben des Optionsrechts eingeht, unabhängig vom Zustandekommen des Basisgeschäfts allein für das Stillhalten erhält (vgl. BFH-Urteile vom 13.02.2008, IX R 68/07, DStR 2008,765;vom 17.04.2007, IX R 40/06, BStBl II 2007,608;vom 29.06.2004 - IX R 26/03, BStBl II 2004, 995, m.w.N.). Dabei trennt der BFH zwischen Eröffnungs-, Basis- und Gegengeschäft (so BFH-Urteile vom 24.06.2003 IX R 2/02, BStBl II 2003, 752, vom 18.12.2002 I R 17/02, BStBl II 2004, 126). Deshalb bilden das die Prämie auslösende Begeben einer Option und das nachfolgende Geschäft (z.B. Glattstellung oder Basisgeschäft) kein einheitliches Termingeschäft. Der Optionsgeber erhält die Prämie als Gegenleistung für eine wirtschaftlich und rechtlich selbständige Leistung, nämlich für seine vertraglich eingegangene Bindung und das damit verbundene Risiko, in Anspruch genommen zu werden. Er behält sie auch dann, wenn er aus der Option nicht in Anspruch genommen wird und ein Basisgeschäft nicht durchführen muss (siehe auch BFH-Urteil vom 28.11.1990 X R 197/87, BStBl II 1991, 300). Über diese rechtliche Einordnung der im Streitfall erzielten Stillhalterprämien besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.

Unter Beachtung dieser rechtlichen Gegebenheiten hat der Beklagte die vom Kläger erzielten Stillhalterprämien als sonstige Leistungen i. S. von § 22 Nr. 3 EStG bei der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31.12.1997 berücksichtigt.

2. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers an der Besteuerung der Stillhalterprämien im Jahre 1997 auf der Grundlage von § 22 Nr. 3 EStG teilt der Senat nicht und sieht folglich von einer Vorlage an das BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. § 80 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) ab.

a) Das BVerfG hat mit Urteil vom 09.03.2004 (2 BvL 17/02, BStBl II 2005,56) entschieden, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in der für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 geltenden Fassung mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig ist, soweit sie Veräußerungsgeschäfte bei Wertpapieren betrifft. Nach dieser Entscheidung gebietet Art. 3 Abs. 1 GG für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch das Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen. Verfassungsrechtlich verboten ist der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts. An diesen Maßstäben gemessen, hat das BVerfG bei der Besteuerung von Spekulationsgewinnen aus privaten Wertpapiergeschäften im Zeitraum 1997 und 1998 ein gleichheitswidriges Erhebungsdefizit erkannt.

b) Die Übertragung dieser Grundsätze auf die Besteuerung der in diesem Verfahren streitigen Optionsgeschäfte ist nicht ohne weiteres möglich und im Ergebnis jedenfalls für das Streitjahr abzulehnen. Wie das BVerfG in seinemBeschluss vom 18.04.2006 (2 BvL 8/05, a.a.O., zum Veranlagungszeitraum 1996) selbst ausgeführt hat - ohne sich allerdings mangels Zulässigkeit der Vorlage in der Sache verbindlich zu äußern - spricht gegen eine mögliche, allein unter dem Gesichtspunkt eines Erhebungsdefizits zu erwägende (so auch FG Münster im Vorlagebeschluss vom 05.04.2005 - 8 K 4710/01 E, EFG 2005,1117) Verfassungswidrigkeit von § 22 Nr. 3 EStG, dass die Fragen möglicher struktureller Erhebungsdefizite bei den Einkünften aus Stillhaltergeschäften - anders als bei den Wertpapierspekulationsgeschäften - weder im Schrifttum noch in der Rechtsprechung aufgeworfen worden waren und sie deshalb dem Gesetzgeber nicht zuzurechnen sind.

Auch der erkennende Senat ist der Auffassung, dass selbst dann, wenn für Optionsgeschäfte im Jahr 1997 kein normatives Umfeld bestanden haben sollte, das die tatsächliche Lastengleichheit der Steuerpflichtigen gewährleistete, wie der Kläger behauptet, dieses mögliche Erhebungsdefizit dem Gesetzgeber jedenfalls nicht zuzurechnen ist und deshalb die Norm - im Streitjahr 1997 - nicht wegen eines Erhebungsdefizits verfassungswidrig ist.

Im Rahmen der privaten Wertpapiergeschäfte hat das BVerfG dem Gesetzgeber das Erhebungsdefizit zugerechnet, weil sich hier bereits 1997 die Erkenntnis aufdrängen musste, dass für die in Rede stehende Spekulationssteuer mit Blick auf die Form der Erhebung sowie die nähere Regelung des Erhebungsverfahrens das von Verfassungs wegen vorgegebene Ziel der Gleichheit im Belastungserfolg "prinzipiell" nicht zu erreichen sein würde. Sowohl die ermittlungsbeschränkende Wirkung des früheren Bankenerlasses als auch die Voraussetzungen für die Gleichheit im Belastungserfolg waren im Zinsurteil des Zweiten Senats des BVerfG vom 27.06.1991 (2 BvR 1493/89, BVerfGE 84,239) klargestellt. Dem Gesetzgeber war demnach deutlich, welchen gleichheitsrechtlichen Anforderungen der Vollzug der materiellen Steuernorm des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG zu genügen hatte. Die Kritik am Vollzug dieser Norm war nicht erst in den Jahren nach 1997 immer deutlicher artikuliert worden, sondern bereits in dem 1994 vorgelegten Abschlussbericht der vom Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen eingesetzten Arbeitsgruppe "Steuerausfälle" war unter "Einzelbeispiele zur Missbrauchsbekämpfung" ausgeführt, dass Spekulationsgewinne weitgehend nicht erklärt würden. Nach Auffassung des BVerfG musste sich die Frage der Verifikation von Spekulationsgewinnen aus privaten Wertpapiergeschäften für den Gesetzgeber zudem in besonderer Weise angesichts deutlich steigender Börsenkurse stellen. Entgegen seiner Verantwortlichkeit für eine Nachbesserung hatte der Gesetzgeber jedoch an der Nachfolgeregelung des Bankenerlasses (§ 30a AO) festgehalten, die Erhebungsform der Einkommensteuer auf private Veräußerungsgewinne bei Wertpapieren nicht geändert und jedenfalls für die Zeit der Gültigkeit der Steuernorm keine Instrumente für eine wirksame Kontrolle der Besteuerung von privaten Veräußerungsgewinnen bei Wertpapieren zur Verfügung gestellt. Weder die seit 1997 bestehenden Differenzen in der Rechtsprechung des VII. und VIII. Senats des BFH zur Zulässigkeit von Kontrollmitteilungen anlässlich einer Bankenprüfung noch den Umstand, dass der VII. Senat des BFH die Voraussetzungen von Sammelauskunftsersuchen im Ergebnis nur für einen besonderen Einzelfall formuliert hatte, hatte der Gesetzgeber zum Anlass genommen, die dadurch bewirkten Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber den Vorwurf gemacht, dass das in seine Verantwortlichkeit fallende maßgebliche Verfahrensrecht keine Regelungen enthalten habe, durch die eine wirksame Kontrolle von Spekulationsgewinnen aus privaten Wertpapiergeschäften gewährleistet werden konnte, sondern die anzuwendenden verfahrensrechtlichen Regelungen einer solchen Kontrolle sogar entgegen wirkt hätten (BVerfG Urteil vom 09.03.2004, 2 BvL 17/02, BStBl II 2005,56).

Hiermit ist die Situation bei der Besteuerung der Stillhalterprämien im Bereich der Optionsgeschäfte nicht vergleichbar. Ungeachtet des spekulativen Charakters des Optionsgeschäftes sieht die Rechtsprechung seit den 1980er Jahren die erhaltenen Stillhalterprämien als sonstige Leistungen gem. § 22 Nr. 3 EStG an (BFH-Urteile vom 28.11.1984, I R 290/81, BStBl II 1985, 264; vom 28.11.1990, X R 197/87, BStBl II 1991, 300; vom 29.06.2004, IX R 26/03, BStBl II 2004,995; siehe auch BMF v. 10.11.1994, Tz.15, BStBl I 1994,816). Die für die Besteuerung der Spekulationsgeschäfte i. S. von § 23 EStG entwickelten Grundsätze sind daher nicht ohne weiteres zu übertragen, weil sie eine andere Eingriffsgrundlage betreffen. Zwar hat der BFH mit Urteil v. 01.06.2004 (IX R 35/01, BStBl II 2005,26) im Zusammenhang mit der Begrenzung des Verlustabzugs auf die systematische Verknüpfung von § 22 Nr. 3 EStG mit § 23 hingewiesen, als sie jeweils "sonstige Einkünfte" i. S. der sieben Einkunftsarten definieren und auf gleichartigen historischen Wurzeln beruhen. Gleichwohl bestehen für die Frage der Zurechenbarkeit des Vollzugsdefizits entscheidende Unterschiede.

Verfassungsrechtliche Zweifel sind erstmals durch die Vorlage des FG Münster aufgeworfen worden. Bis dahin waren, soweit ersichtlich, verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 22 Nr. 3 EStG bezogen auf ein Vollzugsdefizit im Schrifttum nicht geltend gemacht. Auch der Vorlagebeschluss selbst zitiert lediglich den allgemein gehaltenen Hinweis von Felix (FR 1991,375,389 ff.) in seiner Anmerkung zum Zinsurteil des BVerfG, dass das Urteil präjudizielle Wirkung für weitere steuervollzugs-defizitäre Bereiche entfalten könne, u.a. für Wertpapier-Spekulationsgewinne.

Das BVerfG hatte dem Gesetzgeber nach Maßgabe des Zinsurteils von 1991 hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit der Besteuerung der privaten Wertpapiergeschäfte eine gewisse Übergangszeit zugebilligt, weil die Frage des gleichheitswidrigen Vollzugsdefizits in der Fachwelt für § 20 EStG deutlich früher aufgeworfen worden sei als für § 23 EStG (vgl. dazu auch BFH vom 29.06.2004, IX R 26/03, BStBl II 2004,995). Aus Sicht des Senates muss Entsprechendes auch für eine mögliche Verfassungswidrigkeit von § 22 Nr. 3 EStG gelten. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten ist, dass die deutsche Terminbörse ihren Betrieb erst im Januar 1990 aufgenommen hatte und damit der Handel mit Optionen erst ab diesem Zeitpunkt einen deutlich breiteren Raum einnahm. Dem Gesetzgeber wird insoweit ein Zeitraum des Zuwartens und der Beobachtung zuzubilligen sein, der nach Auffassung des Senates im Streitjahr 1997 noch nicht abgelaufen war.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 FGO zugelassen.

Ende der Entscheidung

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