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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hamburg
Urteil verkündet am 10.06.2004
Aktenzeichen: IV 313/01
Rechtsgebiete: EWGV Nr. 639/2003, EWGV Nr. 615/98


Vorschriften:

EWGV Nr. 615/98 Art. 2
EWGV Nr. 615/98 Art. 3
EWGV Nr. 639/2003 Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Die Klägerin meldete am 21. bzw. 22.06.1999 bei diversen Abfertigungszollstellen insgesamt 253 Zuchtrinder zur Ausfuhr nach Libyen an und beantragte die vorschussweise Gewährung der Ausfuhrerstattung. Mit den in der Einspruchsentscheidung vom 28.08.2001 auf Seite 3 unter Ziffer 2 genannten Bescheiden gewährte der Beklagte für die Rinder die vorschussweise Bezahlung der Ausfuhrerstattung unter dem Vorbehalt, dass der Anspruch auf die festgesetzte Ausfuhrerstattung entsteht und form- und fristgerecht nachgewiesen wird.

Da die vorgenannten 253 Stück Zuchtrinder - neben weiteren Rindern - in Koper/Slowenien vom LKW auf das Schiff "... MS" zum weiteren Transport nach Libyen umgeladen wurden, reichte die Klägerin mit Schreiben vom 13.06.2000 unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 615/98 für die Ausfuhrsendungen ein Gesundheitszertifikat des libyschen Tierarztes Dr. ... A vom 10. Juli 1999 mit Zusatzerklärung der Kontroll- und Überwachungsgesellschaft (KÜG) "... Control", X-Straße, Hamburg (Control), ein.

Laut Zusatzerklärung der Control und deren Korrektur vom 7.12.2000 wurden die in der Bescheinigung genannten Tiere zwar am 28.06.1999 von dem Schiff ... MS in Bengazi/Libyen entladen, die Kontrolle des Gesundheitszustandes der Tiere fand laut der Control jedoch nicht während der Entladung, sondern im Nachhinein (am 10. Juli 1999) während ihres Aufenthaltes in der Quarantänestation statt. Mit den in der Einspruchsentscheidung vom 28.08.2001 genannten Änderungsbescheiden und Bescheiden über die Freigabe der Sicherheit vom 14.11.2000 forderte der Beklagte aufgrund dessen die vorschussweise gewährte Ausfuhrerstattung unter Hinweis auf Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 615/98 zuzüglich 15 % Zuschlag zurück. Gegen diese Bescheide legte die Klägerin mit Schreiben vom 16.11.2000 Einspruch ein, den der Beklagte mit seiner Einspruchsentscheidung vom 28.08.2001 als unbegründet zurückwies. Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage vom 5. Oktober 2001, zu deren Begründung die Klägerin u.a. Folgendes vorträgt:

Der Beklagte werfe ihr (der Klägerin) zu Unrecht einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Verordnung Nr. 615/98 vor, weil sie die Tiere nicht unmittelbar beim Entladevorgang in Libyen habe untersuchen lassen. Richtig sei zwar, dass eine Kontrolle nach Art. 3 Abs. 1 Verordnung Nr. 615/98 gemäß Art. 3 Abs. 3 Verordnung Nr. 615/98 tatsächlich vorzunehmen gewesen sei, denn die Klägerin habe die Rinder auf dem Transport nach Libyen umgeladen und somit das Transportmittel zwischen der Ausgangsstelle und dem Bestimmungsdrittland gewechselt. Rechtsirrig sei aber die Ansicht des Beklagten, die Rinder seien unmittelbar beim Entladevorgang zu kontrollieren. Mit "erster Entladung" i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Verordnung Nr. 615/98 sei nicht etwa eine Kontrolle des Entladevorgangs gemeint, sondern eine Kontrolle der Tiere als solche nach ihrer ersten Entladung im Drittland. Selbstverständlich könne eine solche Untersuchung nicht beliebig weit hinausgeschoben werden. Irgendwann wäre sicher ein Teil der beim Transport evtl. aufgetretenen Schäden nicht mehr nachweisbar, was den Zweck der Untersuchung vereiteln würde. Eine solche lange Zeitspanne sei im Streitfall aber nicht verstrichen. Dies folge auch schon aus der durch den Tierarzt Dr. A ausgestellten Bescheinigung.

Die Klägerin beantragt, die Änderungsbescheide und Bescheide über die Freigabe der Sicherheit Nummer ...27/01, ...29/01, ...32/01, ...33/01, ...34/01, ...35/01, ...36/01, und ...47/01 des Beklagten vom 14.11.2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung Nr. ...1/00 vom 28.08.2001 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf seine Einspruchsentscheidung, worauf Bezug genommen wird. Ergänzend trägt er u.a. Folgendes vor:

Nach Art. 1 Verordnung (EG) Nr. 615/98 seien die Bedingungen der Art. 2 ff, insbesondere Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 der genannten Verordnung (Kontrolle der ersten Entladung der Tiere) während des Transportes von lebenden Rindern bis zu ihrer ersten Entladung einzuhalten. Aus diesem räumlich und zeitlich beschränktem Geltungsbereich der Verordnung ergebe sich, dass die Tiere grundsätzlich bei der Entladung im Bestimmungsland - und nicht zu einem späteren Zeitpunkt, z.B. an ihrem ersten Aufenthaltsort - zu kontrollieren seien. Könne die erste Entladung der Tiere im Bestimmungsland aus Gründen, die dem Ausführer nicht anzulasten seien, nicht vorgenommen werden, könne die zuständige Behörde auf Antrag des Ausführers andere Dokumente anerkennen, die den Schluss zuließen, dass die Richtlinie über den Schutz von Tieren beim Transport eingehalten worden sei (Art. 5 Abs. 6 der genannten Verordnung). Ein entsprechender Antrag liege dem Beklagten jedoch nicht vor und hätte auch keine Aussicht auf Erfolg, da die verspätete Kontrolle auf Versäumnisse der Klägerin zurückzuführen sei. Die verspätete Kontrolle führe zum vollständigen Verlust des Erstattungsanspruchs.

Die Sachvorgänge des Beklagten (8 Ordnerbescheide, insgesamt 25 Bescheide, inklusive 5 Hefte II) haben vorgelegen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Beklagte hat zu Unrecht die vorschussweise gewährte Ausfuhrerstattung zurückgefordert.

1. Wird Ausfuhrerstattung gemäß Art. 22 Abs. 1 Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 (Abl. EG Nr. L 351/1 vom 14.12.87 mit späteren Änderungen) vorschussweise gewährt, liegt aber der Vorschuss über dem für die betreffende Ausfuhr geschuldeten Betrag, so hat der Ausführer nach Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 11 Abs. 3 Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 den Unterschied zwischen diesen beiden Beträgen, erhöht um 15 %, zurückzuzahlen. Die Voraussetzungen für eine Rückzahlung nach dieser Vorschrift sind im Streitfall nicht erfüllt.

2. Gemäß Art. 13 Abs. 9 der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates vom 27.06.1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (Abl. EG Nr. L 148/24, im Folgenden: Verordnung Nr. 805/68) i.d.F. der Verordndung (EG) Nr. 2634/97 des Rates vom 18.12.1997 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (Abl EG Nr. L 356/13) setzt die Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr von lebenden Tieren die Einhaltung der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zum Wohlbefinden der Tiere, insbesondere zum Schutz der Tiere während des Transports, voraus. Vor diesem Hintergrund ist mit der Verordnung (EG) Nr. 615/98 der Kommission vom 18.03.1998 mit Durchführungsbestimmungen zur Ausfuhrerstattungsregelung in Bezug auf den Schutz lebender Rinder beim Transport (Abl EG Nr. L 82/19, im Folgenden: Verordnung Nr. 615/98) ein Überwachungssystem mit systematischen Kontrollen bei der Ausfuhr aus der Gemeinschaft und Kontrollen aufgrund einer Risikoanalyse beim Entladen im Bestimmungsdrittland eingeführt worden (vgl. zum Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 615/98). Die Zahlung der streitgegenständlichen Erstattung für die von der Klägerin ausgeführten Rinder hat mithin gemäß Art. 1 Verordnung Nr. 615/98 zur Voraussetzung, dass während des Transports der Tiere bis zu ihrer ersten Entladung im Bestimmungsdrittland die Richtlinie91/628/EWG des Rates vom 19.11.1991 über den Schutz von Tieren beim Transport (Abl EG Nr. L 340/17) sowie die Regelung der Verordnung Nr. 615/98 eingehalten worden sind.

Art. 3 Abs. 3 erster Spiegelstrich i.V.m. Abs. 1 Verordnung Nr.615/98 bestimmt, dass die erste Entladung der Tiere im Bestimmungsdrittland zu kontrollieren ist, wenn - wie im Streitfall - das Transportmittel zwischen dem Ort, an dem die Kontrolle nach Art. 2 Verordnung Nr. 615/98 vorzunehmen ist, und den Ort der Entladung im Bestimmungsdrittland gewechselt wurde. Diese Kontrolle im Bestimmungsdrittland hat gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 1 Verordnung Nr. 615/98 durch eine internationale Kontroll- und Überwachungsgesellschaft, die von einem Mitgliedstaat oder von der Kommission zu diesem Zweck zugelassen wurde, oder eine amtliche Stelle des Mitgliedstaates zu erfolgen.

Die Verordnung (EWG) Nr. 615/98 verfolgt das Ziel, die Einhaltung der geltenden Tierschutzbestimmungen durch - u.a. - Kontrollen beim Entladen im Bestimmungsdrittland zu überwachen (vgl. zweiter Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 615/98). Der von der mit der Kontrolle beauftragten Person zu erstellende Kontrollbericht muss u.a. Angaben über die Zahl der aus dem Transportmittel entladenen lebenden Tieren enthalten, deren Zustand und/oder Gesundheit den Schluss rechtfertigen, dass die Gemeinschaftsvorschriften über den Schutz von Tieren beim Transport nicht eingehalten worden sind. Ob indes die Tiere während des Transportes entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben behandelt worden sind, lässt sich zur Überzeugung des Senates verlässlich nur feststellen, wenn die Kontrolle am Entladeort entweder noch auf den Transportmitteln oder zeitnah im unmittelbaren Anschluss an die Entladung erfolgt. Was "zeitnah im unmittelbaren Anschluss an die Entladung" ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalles. Eine Kontrolle, die etwa erst zwei Monate nach Ankunft und Entladung der Tiere im Bestimmungsdrittland durchgeführt wird, ist es jedenfalls nicht. Eine solche Kontrolle ist nicht (mehr) geeignet, als Grundlage für einen Kontrollbericht i.S.d. Art. 3 Abs. 2 Verordnung Nr. 615/98 zu dienen (Urteil des Senates vom 10. Dezember 2003, Aktenzeichen IV 139/01, Juris doc StRE 200470184).

3. Im Streitfall ist die Entladung der Tiere am 28.06.1999 in Bengasi/Libyen und die Kontrolle dort in der Quarantänestation am 10. Juli 1999 erfolgt. Der zwischen Entladung und Untersuchung liegende Zeitraum ist nicht so groß, dass verlässliche Feststellungen über den Zustand der Tiere bzw. die Einhaltung der tierschutzrechtlichen Bestimmungen nicht mehr verlässlich erfolgen können, wie sich dieses auch aus der Bescheinigung des Tierarztes Dr. A vom 10. Juli 1999 ergibt.

4. Entgegen der Auffassung des Beklagten muss eine Kontrolle nicht bereits bei der Entladung der Tiere aus dem Transportmittel (Schiff) erfolgen. Das dürfte häufig - und so auch im Streitfall - praktisch aufgrund der räumlichen Gegebenheiten des Transportmittels und in Anbetracht der Vielzahl der transportierten Zuchtrinder (765 Stück) nicht möglich sein. Eine ärztliche Untersuchung kann hier zwangsläufig erst nach Sortierung und Verbringung der Tiere in eine Quarantänestation erfolgen, wie dieses im Streitfall geschehen ist. Für die Auffassung, dass eine Kontrolle nicht bereits bei der ersten Entladung der Tiere im Bestimmungsdrittland zu erfolgen hat, spricht auch die Nachfolgeverordnung (EG) Nr. 639/2003 zu der Verordnung (EG) Nr. 615/98. In Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 639/2003 heißt es nunmehr ausdrücklich, dass der Ausführer dafür Sorge zu tragen hat, dass die Tiere am Ort der ersten Entladung im Endbestimmungsdrittland kontrolliert werden. In diesem Sinne ist nach Auffassung des Senats auch Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 615/98 zu verstehen.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 151, 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 ZPO. Das Gericht hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 115 FGO nicht gegeben sind. Die Entscheidung beruht auf den Umständen des Einzelfalles.

Ende der Entscheidung

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