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Gericht: Finanzgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 09.12.2004
Aktenzeichen: IV 61/04
Rechtsgebiete: FGO, (EWG) 2913/92, ZK


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 3
(EWG) 2913/92 Art. 244 Unterabs. 2
(EWG) 2913/92 Art. 244 Unterabs. 3
ZK Art. 201 Abs. 1a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hamburg

IV 61/04

Gründe:

I. Die Antragstellerin (Astin) importierte Anfang Dezember 2001 eine Gesamtmenge von 75.000,00 kg Reis aus Indien. Die Beteiligten streiten darum, ob die Astin die Abfertigung dieser Gesamtmenge (75.000,00 kg) oder nur einer Teilmenge von 25.000,00 kg Reis zum freien Verkehr beantragt hat.

Mit der Einfuhranmeldung vom 02.12.2003 beantragte die Astin beim Antragsgegner (Ag) die Abfertigung zum freien Verkehr. In Feld 44 der Anmeldung ist unter anderem vermerkt: "EL Nr. ...3/03 Teilmenge". Dieser Anmeldung war die Einfuhrlizenz Nr. ...3/03 vom 01.12.2003 beigefügt, welche über eine Teilmenge von 25.000 kg ausgeschrieben war. Die Beantragung erfolgte ferner unter Beifügung des für diese Lieferung von den indischen Behörden ausgestellten "Certificate of Authenticity ... Rice". Auf der Urkunde unten rechts wurde zu einer Teilmenge von 25.000 kg (von der Gesamtmenge 75.000 kg) die angegebenen Lizenznummer vermerkt. Des Weiteren wurde die Sachbearbeiterin des Ag bei Abgabe der Anmeldung auf den Sachverhalt der Teilabfertigung (Abfertigung von 25.000 kg von der Gesamtmenge von 75.000 kg) hingewiesen. Der Ag fertigte am 03.12.2003 die Gesamtmenge von 75.000 kg zum freien Verkehr ab. Als die Astin durch ihre Mitarbeiterin, Frau A, am 03.12.2003 die ausgefertigten Zollunterlagen beim Ag abholte, teilte die Sachbearbeiterin des Ag, Frau B, mit, dass sie aus Versehen nicht nur die beantragte Teilmenge von 25.000 kg, sondern die Gesamtmenge von 75.000 kg zum freien Verkehr abgefertigt habe.

Die nach Abfertigung zum freien Verkehr von der Astin später beigebrachte Lizenz für die restlichen 50.000 kg Reis erkannte der Ag nicht an, weil diese Lizenz zum Zeitpunkt der Abfertigung (03.12.2003) nicht vorlag. Mit Einfuhrabgabenbescheid vom 28.01.2004 setzte der Ag die Einfuhrabgaben für 50.000 kg Reis neu fest und erhob Zollabgaben in Höhe von 12.500 EUR mit der Begründung nach, dass die nachträglich vorgelegte Einfuhrlizenz Nr. ...8/03 vom 09.12.2003 zum Zeitpunkt der Abfertigung (03.12.2003) nicht gültig gewesen sei.

Die Astin legte dagegen mit Schreiben vom 05.02.2004 Einspruch ein, über den bisher nicht entschieden ist. Gleichzeitig beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung. Diesen Antrag lehnte der Ag mit Bescheid vom 10.02.2004 ab. Die Antragstellerin begehrt deshalb vom Gericht die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung trägt sie unter anderem Folgendes vor:

Sie habe nur den Antrag auf Abfertigung zum freien Verkehr für 25.000 kg Reis gestellt. Die vom Ag versehentlich vorgenommene Abfertigung der restlichen 50.000 kg Reis sei deshalb unzulässig bzw. rechtswidrig. Eine Zollanmeldung ohne Vorlage einer entsprechenden Lizenz hätte vom Ag auch schon aus diesem Grunde zurückgewiesen werden müssen.

Die Ast beantragt,

die Vollziehung des Einfuhrabgabenbescheides des Ag vom 28.01.2004 (Registrierkennzeichen: Z 1111 ...) ab Fälligkeit bis einen Monat nach Zustellung der Einspruchsentscheidung in Höhe von 12.500 EUR auszusetzen.

Der Ag beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt er unter anderem Folgendes vor:

Mit dem angefochtenen Einfuhrabgabenbescheid vom 28.01.2004 seien die Einfuhrabgaben für 50.000 kg ... Reis zu Recht unter Anwendung des Drittlandszollsatzes (264 EUR je Tonne) neu berechnet worden, weil nachträglich festgestellt worden sei, dass die von der Astin für diese Menge vorgelegte Einfuhrlizenz Nummer ...8/03 vom 09.12.2003 im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung am 03.12.2003 noch nicht gültig gewesen sei. Die Anwendung des der ursprünglichen Abgabenberechnung zu Grunde gelegten Lizenzkontingentzollsatzes (14 EUR je Tonne) könne deshalb nicht in Betracht kommen.

Entgegen der Darstellung der Astin habe diese mit der Zollanmeldung vom 03.12.2003 zweifelsfrei nicht nur einen Container mit 25.000 kg, sondern drei Container mit insgesamt 75.000 kg ... Reis zur Überführung in den freien Verkehr angemeldet. Das ergebe sich unter anderem aus den Angaben der Astin im Einheitspapier in den Feldern 31, 35, 38 zur Art, Menge und Beschaffenheit der Ware sowie auch in den Feldern 22 und 46 zu den Wertangaben. Zusammengenommen handele es sich bei der Anmeldung vom 03.12.2003 mit dem Einheitspapier zweifelsfrei um eine in sich schlüssige Anmeldung von 75.000 kg Reis zur Überführung in den freien Verkehr. Aus der im Vermerk vom 07.04.2004 (FGA Blatt 41, 42) dokumentierten ergänzenden Stellungnahme der Abfertigungsbeamtin B ergebe sich, dass diese die Zollanmeldung - entgegen der Darstellung der Astin - auch als Zollanmeldung für 75.000 kg verstanden habe. Das "Versehen" der Abfertigungsbeamtin bestünde darin, dass sie - anders als in den vorangegangenen Fällen - am 03.12.2003 durch versehentliches drücken der F3-Taste sofort einen Steuerbescheid erteilt habe.

Ein Sachvorgang des Beklagten (RBL ...7/04) hat vorgelegen.

II. Der zulässige Antrag auf Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung führt zum Erfolg.

1. Im Geltungsbereich des Zollkodex sind auch im finanzgerichtlichen Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO die Vorschriften des Artikel 244 Unterabsatz 2 und 3 der Verordnung (EWG) Nummer 2913/92 (Zollkodex -ZK-) des Rates vom 12.10.1992 (Amtblatt EG Nr. 1 302/1) über die Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung im Verwaltungsverfahren anzuwenden. In Artikel 244 Unterabsatz 2 ZK ist bestimmt, dass die Zollbehörden die Vollziehung der Entscheidung ganz oder teilweise aussetzen, wenn sie begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung haben oder wenn den Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte. Begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit im Sinne des Artikel 244 Unterabsatz 2 ZK bestehen, wenn die summarische Prüfung anhand präsenter Beweismittel ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die eine Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechtslage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (BFH, Beschluss vom 22.11.1994, Aktenzeichen VII B 140/94, Juris Doc. Nr. STRE 951001550).

Gemäß Artikel 244 Unterabsatz 3 Satz 1 ZK ist die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen. Gemäß Artikel 244 Unterabsatz 3 Satz 2 ZK braucht diese Sicherheitsleistung jedoch nicht gefordert zu werden, wenn eine derartige Forderung aufgrund der Lage des Schuldners zu ernsten Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art führen könnte.

Artikel 244 ZK gilt auch für die Aufhebung der Vollziehung (Alexander in Witte, Zollkodex, 3. Auflage, Artikel 244 Randziffer 12 m.w.N.).

2. Es bestehen begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Eine Einfuhrzollschuld für die am 03.12.2003 zum freien Verkehr abgefertigten 50.000 kg Reis dürfte nicht entstanden sein.

a) Die einzige im Streitfall in Betracht kommende Anspruchsgrundlage für die Entstehung einer Einfuhrzollschuld ist Artikel 201 Abs. 1a ZK. Nach dieser Vorschrift entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine Einfuhrabgabenpflichtige Ware in den zollrechtlich freien Verkehr überführt wird. Die Entstehung einer Einfuhrzollschuld setzt die wirksame Annahme einer entsprechenden Zollanmeldung voraus. Eine Einfuhrzollschuld gemäß Artikel 201 Abs. 1a ZK kann für eine gestellte Ware nicht entstehen, wenn ohne Zollanmeldung irrtümlich eine Annahme (rechtswidrig) nach Artikel 63 ZK und eine Abfertigung zum freien Verkehr erfolgt (Witte, ZK, Artikel 201, Randnummer 2). Zwar dürften unzureichende Angaben in einer Zollanmeldung nicht deren wirksame Annahme durch die Zollbehörde und damit das Entstehen einer Einfuhrzollschuld hindern. (vgl. BFH, Beschluss v. 8. April 2004, VII B 110/03, juris.doc. Nr. STRE200450698, Rz. 22). Wird aber überhaupt keine Zollanmeldung abgegeben, dann kann eine Einfuhrzollschuld nicht entstehen. Denn eine Zollschuld entsteht nach Art. 201 Abs. 2 ZK (in dem Zeitpunkt), in dem die betreffende Zollanmeldung (Art. 4 Nr. 17 ZK) angenommen wird.

b) Im Streitfall bestehen in tatsächlicher Hinsicht erhebliche Zweifel daran, dass die Astin eine Zollanmeldung für die Abfertigung von 50.000 kg ... Reis zum freien Verkehr abgegeben hat. Zwar ist dem Ag zuzugeben, dass man in dem eingereichten Einheitspapier, wenn man dieses für sich allein betrachtet, möglicherweise eine Zollanmeldung nicht nur für 25.000 kg Reis, sondern auch für die weiteren 50.000 kg Reis sehen könnte. Die Astin hat aber unwidersprochen vorgetragen - die Aufklärung im Einzelnen muss ggf. dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben -, dass sie bei Abgabe der Anmeldung auf den Sachverhalt der Teilabfertigung hingewiesen und damit klargestellt habe, dass für die in Frage stehenden 50.000 kg Reis eine Zollanmeldung nicht abgegeben werden solle. Bei dieser Sachlage durfte die Abfertigungsbeamtin des Ag die Erklärung der Astin nicht dahingehend verstehen, dass die Gesamtpartie Reis (75.000 kg) zum freien Verkehr abgefertigte werden sollte.

Die Vollziehung des angefochtenen Bescheides war deshalb auszusetzen und hinsichtlich der verwirkten Säumniszuschläge aufzuheben (vgl. BFH/NV 1994, 4, 6).

3. Der Senat hat die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung angeordnet, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein Ausnahmefall im Sinne des Artikel 244 Abs. 3 Satz 2 ZK vorliegt. Die Astin hat nicht substantiiert vorgetragen, dass sie trotz zumutbarer Anstrengungen ohne Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Lage zur Sicherheitsleistung nicht imstande ist.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 135 Abs. 1, 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO.

Ende der Entscheidung

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