Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hessen
Urteil verkündet am 27.03.2008
Aktenzeichen: 1 K 1104/07
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HESSISCHES FINANZGERICHT

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

Geschäftsnummer: 1 K 1104/07

In dem Rechtsstreit

wegen Einkommensteuer 2003

hat der 1. Senat des Hessischen Finanzgerichts

mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung

in der Sitzung vom 27. März 2008

unter Mitwirkung

des Richters am Hessischen Finanzgericht als Vorsitzender

des Richters am Hessischen Finanzgericht

des Richters am Hessischen Finanzgericht

des ehrenamtlichen Richters

der ehrenamtlichen Richterin

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitjahr erzielte die Klägerin Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Sie ist seit 19.. bei der Stadt ... als Erzieherin beschäftigt. Ab 2001 wird sie als sogenannte Personalreserve je nach Bedarf bei krankheitsbedingten oder urlaubsbedingten Ausfällen in den verschiedenen Kindergärten der Stadt ... eingesetzt.

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin für die Fahrten von ihrer Wohnung zu den jeweiligen Kindergärten lediglich die Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung oder aber Fahrtkosten nach den für Dienstreisen geltenden Grundsätzen beanspruchen kann.

Im Rahmen ihrer Steuererklärung 2003 machte die Klägerin 3.874 € als Werbungskosten nach den für Dienstreisen geltenden Grundsätzen für ihre Fahrten vom Wohnort zu den verschiedenen Kindertagesstätten der Stadt ... (6.456 Entfernungskilometer x 2 x 0,30 €) geltend. Die einzelnen Entfernungen zwischen dem Wohnort der Klägerin und den Kindergärten betrugen zwischen ... und ... Kilometer ( mehr als 20 Km bis 40 Km ). Im Einzelnen wird auf die mit der Steuererklärung vorgelegten monatlichen Arbeitszeitzusammenstellungen verwiesen. Aus diesen Zusammenstellungen ergibt sich, dass die Klägerin z. T. für mehrere Wochen in einem Kindergarten eingesetzt wurde, gelegentlich aber auch nach nur einem oder zwei Tagen wieder in einem anderen Kindergarten ihre Arbeitsleistung zu erbringen hatte. Im Streitjahr hat die Klägerin an 89 Tagen im Kindergarten ... , an 47 Tagen im Kindergarten ... und an jeweils 24 Tagen im Kindergarten ... und ... gearbeitet ( jeweils Ortsteile von ...).

Im Steuerbescheid vom 27. Dezember 2004 berücksichtigte der Beklagte lediglich 2.197 € als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach den Regelungen der Entfernungspauschale. Auf die Zusammenstellung der Fahrten im Steuerbescheid wird Bezug genommen.

Der hiergegen gerichtete Einspruch der Kläger wurde durch Einspruchsentscheidung vom 17. November 2005 als unbegründet zurückgewiesen. Der Beklagte begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Kindergärten, die die Klägerin aufgesucht habe, als regelmäßige nebeneinander bestehende Arbeitsstätten zu beurteilen seien. Der Klägerin stehe für die Fahrten vom Wohnort zu den unterschiedlichen Arbeitsstätten daher nur die Entfernungspauschale zu. Dass im Vorjahr der Sachverhalt bei der Veranlagung anders gehandhabt worden sei, führe zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung.

Wegen der Abschnittsbesteuerung sei man an die Handhabung in 2002 nicht gebunden. Im Einzelnen wird auch auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung verwiesen.

Hiergegen richtet sich die Klage, mit der nach wie vor geltend gemacht wird, für die Fahrten zwischen Wohnung und den verschiedenen Kindergärten Werbungskosten nach den für Dienstreisen geltenden Grundsätzen steuerlich anzuerkennen.

Die Kläger sind der Ansicht, dass die Klägerin wegen des immer wechselnden Tätigkeitsortes keine regelmäßige Arbeitsstätte habe, sondern vielmehr einer Einsatzwechseltätigkeit nachgegangen sei. Auf Grund der immer wechselnden Beschäftigung in den verschiedenen Kindergärten der Stadt ... habe sie nicht die Möglichkeit gehabt, die Fahrtaufwendungen durch eine entsprechende Wohnungssuche zu bestimmen. Als Mitarbeiterin der Personalreserve sei der Einsatzort immer davon abhängig, an welchen Kindergärten Personalengpässe entstünden und daher eine Vertretung erforderlich sei. Insoweit sei sie einem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterworfen, welches dazu führe, dass sie sich einem ständigen Wechsel ihres Einsatzortes nicht entziehen könne. Der Wechsel des Einsatzortes sei für die von ihr ausgeübte Tätigkeit geradezu typisch.

Ihre Rechtsansicht werde durch die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. November 1987 VI R 6/86 in Bundessteuerblatt (BStBl) II 1988, 443 bestätigt, in der der BFH von einer Einsatzwechseltätigkeit eines Mitarbeiters einer Betriebsreserve einer Bank ausgegangen sei. Außerdem könne auch nicht von einem nachhaltigen und dauerhaften Aufsuchen der Kindergärten ausgegangen werden, da nicht feststehe, in welchen Kindergärten der Stadt ... die Klägerin demnächst eingesetzt werde. Da es sich weder bei einem Stadtgebiet noch bei einem gesamten Hafengebiet, so die Rechtsprechung des BFH, um ein einheitliches weiträumiges Arbeitsgebiet handele, übe die Klägerin als Springerin eine Einsatzwechseltätigkeit aus. Die Kläger verweisen insoweit auch auf die Urteile des BFH vom 5. Mai 1994 VI R 6/92, BStBl II 1994, 534 und vom 7. Februar 1997 VI R 61/96, BStBl II 1997, 333).

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 17. November 2005 und Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2003 vom 27. Dezember 2004 die Einkommensteuer für 2003 auf ... € herabzusetzen,

hilfsweise für den Fall der Klageabweisung, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach Ansicht des Beklagten liege bei der Klägerin keine Einsatzwechseltätigkeit vor. Für ihre Fahrten könne daher nur die Entfernungspauschale steuerlich berücksichtigt werden. Die Klägerin, die seit 2001 als Urlaubs- oder Krankheitsvertretung in den Kindergärten der Stadt ... eingesetzt werde, sei vertraglich verpflichtet, auf Dauer und nicht nur vorübergehend, ihre Arbeitsleistung an mehreren Betriebstätten ihres Arbeitgebers zu erbringen. Die einzelnen Kindertagesstätten habe sie regelmäßig und nachhaltig aufgesucht, um dort tätig zu werden. Der Betriebssitz oder ein sonstiger Ort, den ein Arbeitnehmer nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit mit dem Ziel aufsuche, dort seine Arbeitsleistung zu erbringen, sei stets als Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG zu beurteilen. So habe auch der BFH in seinem Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 15/04, BStBl II 2005, 788 die Fahrten eines Linienbusfahrers zwischen seiner Wohnung und den unterschiedlich anzufahrenden Busdepots, um dort die Arbeit aufzunehmen, als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte qualifiziert. Die Fahrten der Klägerin könnten steuerlich nicht anders beurteilt werden. Sie habe vorliegend mehrere Arbeitsstätten, da sie die verschiedenen Kindergärten nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit und Regelmäßigkeit aufgesucht habe und auch in Zukunft aufsuchen werde. Die Klägerin sei ihren verschiedenen Einsatzorten dauerhaft zugeordnet, auch wenn sie eine sog. Springertätigkeit zu erbringen habe.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Dem Senat lag ein Band Einkommensteuerakten 2003 die Kläger betreffend vor.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin kann keine höheren als die vom Beklagten bereits anerkannten Fahrtkosten als Werbungskosten geltend machen. Der Beklagte hat zutreffend entschieden, dass die Fahrten der Klägerin von ihrem Wohnort zu den jeweiligen Kindergärten als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG zu qualifizieren sind.

Zur Abgeltung dieser Fahrten kann nur die Entfernungspauschale gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2 EStG steuerlich abgezogen werden.

Arbeitsstätte im Sinne dieser Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des BFH die regelmäßige Arbeitsstätte. Regelmäßige Arbeitsstätte ist dabei der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung zu erbringen hat (vgl. Urteil des BFH vom 14. September 2005 VI R 93/04 in Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidung des BFH - BFH / NV 2006, 53).

Dies ist im Regelfall der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers. Entscheidend ist insoweit, ob der Arbeitnehmer den Betriebssitz des Arbeitgebers oder die sonstige betriebliche Einrichtung, der er zugeordnet ist, nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, das heißt fortdauernd und immer wieder aufsucht (vgl. Urteil des BFH vom 11. Mai 2005 VI R 25/04, BFH / NV 2005, 1694 sowie Urteil vom 14. September 2005 VI R 93/04 a.a.O.). Dabei ist es nicht von Belang, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer an dieser Arbeitsstätte beruflich tätig wird. Der Betrieb oder eine ortsfeste Betriebsstätte des Arbeitgebers stellt auch dann eine regelmäßige Arbeitsstätte dar, wenn der Arbeitnehmer diesen Ort nur aufsucht, um dort die täglichen Arbeitsaufträge entgegenzunehmen, abzurechnen oder Bericht zu erstatten. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann ein Arbeitnehmer auch mehrere regelmäßige Arbeitsstätten innehaben (vgl. Urteil des BFH vom 11. Mai 2005 VI R 15/04, BStBl II 2005, 788).

Dementsprechend hat der BFH auch entschieden, dass keine Einsatzwechseltätigkeit vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer mehrere ortsfeste Betriebsstätten seines Arbeitgebers ständig und regelmäßig aufsucht (vgl. Urteil des BFH vom 14. September 2005 VI R 93/04 a.a.O.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist der erkennende Senat der Ansicht, dass die Fahrten der Klägerin zu den verschiedenen Kindergärten ihres Arbeitgebers im Stadtgebiet von ... , ... hat einschließlich aller Ortsteile etwa ... ( unter 20.000 ) Einwohner, als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einzuordnen sind. Auch wenn die Klägerin keinem festen Kindergarten zugewiesen war, sondern in verschiedenen Kindergärten eingesetzt wurde, war sie doch nachhaltig und regelmäßig an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung ihres Arbeitgebers tätig und vollzog somit Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Nach dem vorliegenden Arbeitsvertrag der Klägerin vom ... 19.. war sie von Anfang an bei der Stadt ... als Erzieherin beschäftigt. Sie hatte daher ihre Arbeitsleistung in den Kindergärten der Stadt ... zu erbringen. Für den Senat sind keine durchgreifenden Gesichtspunkte erkennbar, die es rechtfertigen könnten, die Klägerin, die in verschiedenen Kindergärten ihre Arbeitsleistung zu erbringen hatte, hinsichtlich der steuerlichen Einordnung der Fahrten zur Arbeitsstelle, anders zu beurteilen als die Fahrten eines Linienbusfahrers zu den verschiedenen Busdepots, der dort seine Arbeit aufzunehmen hat (vgl. dazu Urteil des BFH vom 11. Mai 2005 VI R 15/04 a.a.O.).

Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil sich die Kindergärten sämtlich im Gebiet der Kleinstadt ... befinden und lediglich zwischen einer Entfernung zur Wohnung der Klägerin von ... km und ... km ( mehr als 20 Km bis 40 Km ) variieren. Insoweit ist der vorliegende Sachverhalt auch nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, bei dem der BFH für Fahrten eines Bankangestellten, der in verschiedenen Städten und in verschiedenen Filialen seines Arbeitgebers eingesetzt wurde, von einer Einsatzwechseltätigkeit ausgeht (vgl. dazu Urteil des BFH vom 20. November 1987 VI R 6/86 a.a.O.).

Die Tatsache, dass die Klägerin als "Springerin" eingesetzt wird und daher unter Umständen erst kurzfristig erfährt, in welchem städtischen Kindergarten sie ihre Arbeitsleistung zu erbringen hat, rechtfertigt bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation keine andere rechtliche Wertung.

Auch wenn die Fahrten im Vorjahr nicht als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, sondern als Fahrten zu wechselnden Einsatzstellen angesehen wurden, kann die Klage keinen Erfolg haben.

Nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung ist der Beklagte berechtigt und verpflichtet, die Besteuerungsgrundlagen in jedem Veranlagungszeitraum erneut zu prüfen und rechtlich zu beurteilen (vgl. Beschluss des BFH vom 29. Mai 2005 III B 37/06, BFH/NV 2007, 1865).

Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen.

Da der BFH in seiner Entscheidung vom 11. Mai 2005 VI R 15/04 a.a.O. angedeutet hat, dass der Fall des Busfahrers unter Umständen anders zu beurteilen wäre, wenn dieser als Springer für Notdienste eingesetzt worden sei, und er für einen Mitarbeiter der Betriebsreserve eines Bankinstituts, der in verschiedenen Städten bei Personalengpässen eingesetzt wurde, Fahrten zu ständig wechselnden Einsatzstellen angenommen hat (vgl. Urteil des BFH vom 20. November 1987 VI R 6/86 a.a.O.) ist die Revision auf der Grundlage des § 115 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

Zurück