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Gericht: Finanzgericht Hessen
Urteil verkündet am 23.09.2004
Aktenzeichen: 4 K 3657/03
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 8 Abs. 3
EStG § 11 Abs. 1 Satz 1
EStG § 19 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Der Kläger und seine Ehefrau werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielt u.a. als Beamter im Ruhestand Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Als ehemaliges Führungsmitglied der X stellt die X-AG ihm weiterhin eine nicht übertragbare Fahrkarte "C" zur Verfügung, welche es ihm gestattete, ein Jahr lang sämtliche Verbindungen der X-AG unentgeltlich zu nutzen. Die Beteiligten streiten darüber, ob im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bereits die Zur-Verfügung-Stellung dieser Fahrkarte "C" als Einnahme zu berücksichtigen ist oder ob auf die Inanspruchnahme der einzelnen Freifahrten abzustellen ist.

Auf der Lohnsteuerkarte für das Jahr 2001 hat die für die Bezügeabrechnung zuständige Stelle des ehemaligen Dienstherrn des Klägers, das Y, bescheinigt, dass in dem Bruttoarbeitslohn in Höhe von DM steuerbegünstigte Versorgungsbezüge in Höhe von DM enthalten waren. Der überschießende Betrag in Höhe von 7.344,-- DM war für die Nutzung der Netzkarte "C" für private Fahrten angesetzt worden.

Diesen Betrag hatte das Y wie folgt ermittelt:

 - Tarifwert einer Jahres-Netzkarte 1. Klasse10.150,-- DM
- abzüglich Bewertungsabschlag gem. § 8 Abs. 3 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) i.H.v. 4 v.H.406,-- DM
- abzüglich Rabattfreibetrag gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG2.400,-- DM
Differenz (geldwerter Vorteil)7.344,-- DM

Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für 2001 begehrte der Kläger, die Versteuerung des geldwerten Vorteils in Gestalt der Nutzung der Netzkarte "C" nicht durch Ansatz eines Tarifwertes für die Karte als solche, sondern auf der Grundlage der tatsächlichen Nutzung durchzuführen. Dazu fügte er eine Einzelaufstellung der Fahrten des Jahres 2001 bei und bot an, eidesstattlich zu versichern, dass die Aufstellung vollständig sei (hinsichtlich der Aufstellung im Einzelnen wird auf das Schreiben vom 27.05.2002, Bl. 10 der Einkommensteuerakte, verwiesen).

Das Finanzamt berücksichtigte das Begehren des Klägers nicht und setzte bei der Durchführung der Veranlagung den von dem Y bescheinigten Bruttoarbeitslohn an. Die Anlage zu dem Einkommensteuerbescheid 2001 vom 17.09.2002 enthielt den Hinweis, die Versteuerung des geldwerten Vorteils sei nach § 8 Abs. 3 EStG zutreffend erfolgt, weil die Fahrkarte ausschließlich für private Fahrten genutzt werde. Eine Kürzung des Arbeitslohnes könne somit nicht erfolgen.

Der Kläger erhob gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch, den das Finanzamt durch Einspruchsentscheidung vom 08.09.2003 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führte das Finanzamt aus, der geldwerte Vorteil der Fahrkarten "C", die von der X-AG kostenlos an die ehemaligen Führungskräfte überlassen würden, sei durch das Bundesamt der Finanzen aufgrund einer koordinierten Lohnsteueraußenprüfung auf 9.744,-- DM (10.150,-- DM abzügl. des Bewertungsabschlages gem. § 8 Abs. 3 Satz 1) festgelegt worden (unter Hinweis auf das BMF-Schreiben IV C 5-S 2334-58/99 vom 13.07.1999). Dabei sei nicht die tatsächliche Nutzung der Fahrkarte "C" im Einzelfall maßgebend, sondern der übliche Endpreis einer Jahresnetzkarte der ersten Klasse. Von diesem Wert sei der Rabattfreibetrag in Höhe von 2.400,-- DM gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG abgezogen worden. Der geldwerte Vorteil sei zutreffend mit 7.344,-- DM der Besteuerung unterzogen worden. Die steuerliche Behandlung der Fahrkarte "C" beruhe auf der Annahme des Bundesamtes für Finanzen, dass die Fahrkarte ausschließlich und in vollem Umfang des geldwerten Vorteils für private Fahrten des Berechtigten verwendet werde. Der Kläger benutze die Fahrkarte "C" ausschließlich zu privaten Zwecken, da er als Pensionär keine dienstlichen Fahrten durchführe.

Zur Begründung seiner dagegen erhobenen Klage trägt der Kläger u.a. vor, die Einspruchsentscheidung sei aus mehreren Gründen falsch. Einerseits habe das Finanzamt ohne Rückfrage angenommen, dass alle Fahrten private Hintergründe gehabt haben. Dabei nähmen die 2 Fahrten nach A am...und am...ca. 58 v.H. der gesamten Nutzung (gemessen am Verhältnis der Streckenkilometer ein). Das Finanzamt habe auch nicht dahingehend ermittelt, ob diese Fahrten evtl. dienstlichen Charakter gehabt haben könnten. So befinde sich z.B. die zuständige Pensionsstelle des Klägers in A . Insoweit sei das Finanzamt den Pflichten aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 88 der Abgabenordnung (AO) jedenfalls nicht in vollem Umfang nachgekommen.

Des Weiteren sei das Finanzamt nicht darauf eingegangen, dass die tatsächliche Nutzung der Fahrkarte weit unter dem angerechneten Wert liege. Der Kläger habe in seinem Schreiben vom 27.05.2002 detaillierte Angaben über die Nutzung der Karte gemacht. Da der Nachweis der Inanspruchnahme nur sehr schwer zu führen sei, habe er dem Finanzamt sogar die Abgabe einer Versicherung an Eides Statt nach § 95 AO angeboten.

Dass zur Verfügung gestellte Freifahrten nicht in vollem Umfang genutzt würden, werde auch durch verschiedene Studien der Deutschen Bundesbahn bestätigt. Darin habe man festgestellt, dass der durchschnittliche Wert der Inanspruchnahme von Freikarten der Bahn für die 1. Klasse (inkl. der Ehegatten als Mitfahrer) nur 961,-- DM betrage und somit der Freibetrag von 2.400,-- DM bei weitem nicht überschritten worden sei. Deshalb sei auch eine Versteuerung dieser Vorteile bisher nicht vorgenommen worden. Eine ähnliche Regelung gäbe es für die Mitarbeiter der Z, bei denen auch davon ausgegangen werde, dass die durchschnittliche unentgeltliche Nutzung der Telefonanschlüsse im Mittel nicht den Freibetrag überschreite (unter Hinweis auf BMF-Schreiben vom 08.03.1990, IV B 6-S 2334-64/90, Deutsches Steuerrecht 1990, 250).

Berechne man den Wert, den man für die volle Ausnutzung der Karte benötige, komme man auf utopische Werte. Der Streckenkilometer sei in 2001 mit 0,28 DM angesetzt worden. Bei einem Wert der Karte von 10.150,-- DM müssten über 36.200 km mit der Bahn gefahren werden, um in den Genuss des vollen geldwerten Vorteils zu kommen. Solange der Kläger nicht mehr als 8.570 km im Jahr gefahren sei, übersteige die Nutzung der Freikarte auch nicht den Freibetrag nach § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG. Der Kläger sei über 80 Jahre alt. Es sei daher bereits ohne Berücksichtigung der angebotenen eidesstattlichen Versicherung unwahrscheinlich, dass die tatsächliche Nutzung den Freibetrag übersteige.

Unterstützt werde diese Aussage durch die Tatsache, dass der Kläger üblicherweise Fernreisen zusammen mit seiner Ehefrau unternehme. Diese erhalte als Angehörige einen Berechtigungsausweis, der zu insgesamt 8 Freifahrten pro Jahr berechtige. Aus der noch vorhandenen Kopie für das Jahr 2002 könne ersehen werden, dass noch nicht einmal diese 8 Fahrten pro Jahr ausgenützt worden seien. Dies decke sich mit den Angabe des Klägers für 2001 und den internen Ermittlungen der X.

Anderen Gruppen werde es gestattet, Einzelnachweise zu führen, um die Annahme der pauschalen Nutzung zu widerlegen. So könne der Fahrer eines nicht nur betrieblich genutzten Fahrzeugs die pauschale Abrechnung in Höhe von 1 v.H. pro Monat durch die Führung und die Vorlage eines Fahrtenbuches umgehen. Die Nutzer von verbilligten oder unentgeltlichen Flügen könnten nicht "verflogene" Kilometer zurückgeben, versteuert werde dann nur die tatsächlich zurückgelegte Strecke. Hier werde jeder Flug einzeln bewertet. Es müsse dem Kläger ein der Führung eines Fahrtenbuches bei Fahrzeugen vergleichbarer Einzelnachweis gestattet werden, da er letztlich seine "Nicht-Fahrten" belegen müsste. Da der "negative" Beweis des "Nicht-Fahrens" im Grunde nicht zu erbringen sei, sei hier die Versicherung an Eides Statt nach § 96 AO die letzte Möglichkeit der Beweiserbringung.

In mehreren Entscheidungen habe sich der Bundesfinanzhof (BFH) mit dem Problem des Zuflusses von Sachzuwendungen auseinandergesetzt. In seinem Beschluss vom 23.07.1999 VI B 116/99 (Bundessteuerblatt -BStBl- II 1999, 684) habe er zu der Gewährung von Optionsrechten unter anderem ausgeführt, der Zuflusszeitpunkt sei dann gegeben, wenn die Leistung tatsächlich in Anspruch genommen werde. Wörtlich führe der BFH aus, dass ein zum Vermögen des Arbeitnehmers gehörender Anspruch noch nicht zum Zufluss führen müsse. Dementsprechend knüpfe der Lohnsteuerabzug nicht an das Innehaben von Ansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, sondern an den Zufluss an. Dieser falle regelmäßig mit der Erfüllung des Anspruchs zusammen (weitere Hinweise auf Urteile vom 16.12.1992 I R 32/92, BStBl II 1993, 399; vom 09.03.1990 VI R 48/87, BStBl II 1990, 711 und vom 25.09.1970 VI R 85/68, BStBl II 1971, 55). In seinem Urteil vom 25.09.1970 stelle der BFH fest, dass es sich bei Freifahrten lediglich um die Beförderungsmöglichkeit handele und dass erst im Falle der tatsächlichen Inanspruchnahme eine Versteuerung in Frage käme.

Mit der Versteuerung des gesamten Werts der Netzfahrkarte nehme die Finanzverwaltung eine typisierende Betrachtung vor, die zu eine offensichtlich unzutreffende Besteuerung nach sich ziehe. Eine typisierende Betrachtungsweise dürfe jedoch nicht dazu führen, über die Besonderheiten des Einzelfalles hinweg zu gehen und ungleiche Fälle gleich zu behandeln.

Der Kläger habe in seinem Schreiben vom 27.05.2002 an das Finanzamt die tatsächlich gefahrenen Strecken aufgelistet. Zusammengerechnet sei der Kläger im Jahre 2001 nur 1.402 Streckenkilometer mit der Bahn gefahren. Unter Zugrundelegung des dem ProzessYollmächtigten von der Bahn mitgeteilten Preises von 0,28 DM pro Streckenkilometer ergäbe sich ein geldwerter Vorteil in Höhe von 392,56 DM. Selbst unter großzügiger Aufrundung wegen eines Zuschlags für Kurzstrecken werde der Freibetrag nach § 8 Abs. 3 EStG bei weitem nicht erreicht.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2001 vom 17.09.2002 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.09.2003 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um 7.344,-- DM niedriger angesetzt werden.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Finanzamt ist der Ansicht, dass das Urteil des BFH vom 25.09.1970 hinsichtlich der Behandlung von Freifahrkarten mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar sei, da bei der Nutzung der Fahrkarte "C" ein objektiver Nachweis nicht möglich sei, wann die Fahrten tatsächlich in Anspruch genommen würden. Denn der Kläger müsse - was zutrifft - keine weitere Fahrkarte lösen. Bei der Nutzung einer Freifahrkarte müsse dagegen für jede Fahrt zusätzlich ein Fahrschein gelöst werden.

Das Finanzamt bringt des Weiteren vor, es sei nicht plausibel, die behauptete objektive Unmöglichkeit einer vollständigen Ausnutzung der Fahrkarte "C" daran festzumachen, dass der Kläger die Bahn zu diesem Zweck täglich nutzen und bei dieser Gelegenheit eine Strecke von täglich 100 km verfahren müsse und dass er dies aufgrund seines hohen Alters nicht könne. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung würden auch mehrere längere Reisen mit dem ICE mit einem nicht ermäßigten Fahrpreis der 1. Klasse in große deutsche Städte eine weitergehende Ausnutzung der Fahrkarte "C" bewirken können. Nach Auskunft der X-AG koste beispielsweise eine ICE-Fahrkarte von Kassel nach München und zurück heute 222,-- Euro, eine gleichartige nach Berlin heute 192,80 Euro. Die Notwendigkeit, täglich zur Ausnutzung der Fahrkarten "C" Bahn fahren zu müssen, sei angesichts dieser Preise bzw. der Pendants im Jahre 2001 somit sicher nicht gegeben. Auch das Alter des Klägers allein sei kein Beweis für das Nichtvorliegen einer Reisetätigkeit mit der Bahn, da verglichen mit einer Pkw-Benutzung gerade Bahnreisen bequem und entspannend sein könnten. Auch seien zumindest aus der Steuererklärung keine besonderen Anhaltspunkte für eine plausible Unmöglichkeit des Reisens ersichtlich (wie z.B. ein Grad der Behinderung, erhöhte Krankheitskosten oder gar Kosten eine Heimunterbringung).

Auf telefonische Anfrage hin ist dem Gericht durch die X-AG mitgeteilt worden, dass Bahnkunden im Jahre 2001 Jahresnetzkarten hätten erwerben können, dass diese Netzkarten aber übertragbar waren.

Auf die an die Prozessbevollmächtigten des Kläger gerichtete Anregung des Gerichts, die Ehefrau des Klägers zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung mitzubringen, haben diese mitgeteilt, das dies der Gesundheitszustand von Frau...nicht zulasse.

Dem Gericht haben die das Jahr 2001 betreffenden Einkommensteuerakten vorgelegen.

Gründe

1. Die Klage ist begründet.

Der Einkommensteuerbescheid 2001 ist insoweit rechtswidrig, als das Finanzamt allein für die Zur-Verfügung-Stellung der Netzkarte "C" einen geldwerten Vorteil in Höhe von 7.344,-- DM im Rahmen des Einkommensteuerbescheides 2001 bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit i.S.d. § 19 Abs. 1 EStG berücksichtigt hat. Es können grundsätzlich lediglich die einzelnen in Anspruch genommenen Freifahrten als Einnahmen berücksichtigt werden. Deren Wert liegt jedoch im vorliegenden Falle unterhalb des Freibetrages i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG.

Nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Wartegelder, Ruhegelder, Witwen- und Waisengelder und andere Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen. Dabei ist es nach § 19 Abs. 1 Satz 2 EStG gleichgültig, ob es sich um laufende oder um einmalige Bezüge handelt und ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG werden die Einkünfte bei den Einkunftsarten im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4-7 in der Weise erfasst, dass der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu ermitteln ist. Nach § 8 Abs. 1 EStG sind Einnahmen alle Güter, die in Geldeswert bestehen und im Rahmen einer der genannten Einkunftsarten zufließen.

a) Sowohl die Netzkarte C als auch die aufgrund der Netzkarte in Anspruch genommenen Freifahrten werden dem Kläger zwar auf Grund seines früheren Dienstverhältnisses gewährt. Entgegen der Ansicht des Finanzamtes fließt dem Kläger jedoch allein durch die Zur-Verfügung-Stellung der Netzkarte C noch kein geldwerter Vorteil zu. Dieser fließt vielmehr erst bei Inanspruchnahme der einzelnen kostenlosen Fahrten zu.

Der BFH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Arbeitslohn in der Regel dann nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen ist, wenn er in den Herrschaftsbereich des Arbeitnehmers gelangt, dieser also über den Lohn wirtschaftlich verfügen kann. Dabei richtet es sich stets nach den Umständen des Einzelfalles, wie die wirtschaftliche Verfügungsmacht durch Zufluss übergegangen ist (vgl. dazu nur Beschluss des Großen Senats des BFH vom 09.06.1997 GrS 1/94, BStBl II 1998, 307, 311, unter C. II. 1. a), BFH-Urteil vom 17.11.1998, VIII R 24/98, BStBl II 1999, 223 und BFH-Beschluss vom 23.07.1999 VI B 116/99, BStBl II 1999, 684 m.w.N.). Für Fälle, in denen ein Zufluss nicht in der Übertragung von Barmitteln besteht, hat der BFH allgemeine Grundsätze entwickelt: Bei Sachbezügen, die die allgemeine Lebensführung des Arbeitnehmers betreffen, geht die Rechtsprechung davon aus, dass sie dem Arbeitnehmer in dem Augenblick zugeflossen sind, in dem er sie tatsächlich in Anspruch nimmt (vgl. dazu insbesondere BFH-Urteil vom 09. 03. 1990 VI R 48/87, BStBl II 1990, 711 m.w.N.). Auf dieser Grundlage hat der BFH bei Freiflügen für Bedienstete einer Fluggesellschaft (BFH-Urteil vom 20. 08. 1965 VI 54/64 U, BStBl III 1966, 101), bei Freifahrkarten (sogenannte "Wochendienst-Fahrkarten") für Bundesbahnbedienstete (BFH-Urteil vom 25. 9. 1970 VI R 85/68, BStBl II 1971, 55) und hinsichtlich des kostenlosen Führens von Ferngesprächen durch Bedienstete der Deutschen Bundespost (BFH-Urteil vom 22. 10. 1976 VI R 26/74, BStBl II 1977, 99) auf die tatsächliche Inanspruchnahme abgestellt.

Dementsprechend hat der BFH auch für den Entstehungszeitpunkt der Lohnsteuer (vgl. § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG) entschieden, dass der Lohnsteuerabzug nicht an das Innehaben von Ansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber anknüpft, sondern an den Zufluss, der regelmäßig mit der Erfüllung des Anspruchs zusammenfällt. In Übereinstimmung hiermit hat die Rechtsprechung die Zusage des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer künftig Leistungen zu erbringen, noch nicht als Zufluss angesehen, selbst wenn der Arbeitgeber interne Maßnahmen getroffen hat, mittels deren der Anspruch, der dem Arbeitnehmer eingeräumt wurde, finanziell abgesichert wird. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitgeber mit seinen Leistungen dem Arbeitnehmer einen unmittelbaren und unentziehbaren Rechtsanspruch gegen einen Dritten verschafft. Aber auch in diesem Fall wird letztlich nicht auf den Anspruch, sondern auf einen Zufluss abgestellt. Denn der Lohnzufluss liegt in den gegenwärtigen Beiträgen des Arbeitgebers, mit denen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer am Markt Leistungen verschafft (vgl. zum Ganzen BFH-Beschluss BStBl II 1999, 684 zur Einräumung von Optionsrechten auf Aktien m.w.N.).

Unter Beachtung dieser Rechtsprechungsgrundsätze ist dem Kläger allein durch die Gewährung der Netzkarte noch kein geldwerter Vorteil zugeflossen. Denn ohne eine Inanspruchnahme von Freifahrten ist die Netzkarte für ihn wertlos. Bei der in der Netzkarte verkörperten Möglichkeit, Freifahrten in Anspruch zu nehmen, handelt es sich auch um typische Sachbezüge i.S.d. der oben aufgezeigten Rechtsprechung, die die allgemeine Lebensführung des Arbeitnehmers betreffen. Die Verfügungsmacht über die Karte verschafft ihrem Inhaber zunächst nur einen Anspruch gegenüber seinem Arbeitgeber. Erst bei der Inanspruchnahme der kostenlosen Freifahrten wird dieser Anspruch erfüllt. Ob eine andere rechtliche Beurteilung geboten wäre, wenn die Netzkarte übertragen werden könnte, kann offen bleiben. Denn die dem Kläger zur Verfügung gestellte Netzkarte ist nicht übertragbar. Ihm ist gerade nicht die ihm Angebot der X-AG für das Jahr 2001 vorhanden gewesene übertragbare Jahresnetzkarte zur kostenlosen Nutzung überlassen worden.

Daraus, dass die BFH-Rechtsprechung bei einem beherrschenden Gesellschafter einer GmbH einen Zufluss der Ausschüttungen bereits zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Gewinnverwendung annimmt, kann nichts anderes abgeleitet werden, weil diese Rechtsprechung ihren Grund in dem besonderen zwischen GmbH und beherrschendem Gesellschafter bestehenden Verhältnis hat (vgl. dazu BFH-Urteil v. 17. 11. 1998 VIII R 24/98, BStBl II 1999, 223). Sie kann nicht zu Beantwortung der Frage herangezogen werden, wann geldwerte Vorteile im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zugeflossen sind (BFH-Beschluss v. 23. 07. 1999 VI B 116/99, BStBl II 1999, 684). Darüber hinaus handelt es sich bei dem Gewinnanspruch eines GmbH-Gesellschafters nicht um einen Sachbezug, der die allgemeine Lebensführung betrifft.

Aus der Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg vom 30. 05. 1991 II 103/88 (EFG 1992, 129) betreffend die kostenlose Überlassung von Konzert- und Theaterkarten ergibt sich bereits deswegen keine andere rechtliche Beurteilung, weil dies Karten übertragbar waren und z.T. nicht Dienstleistungen bzw. Veranstaltungen des Arbeitgebers betrafen.

Letztlich kann sich das Finanzamt für die von ihm vertretene Ansicht (Zufluss bereits durch die Zur-Verfügung-Stellung der Netzkarte C als solcher) auch nicht darauf berufen, dass ein objektiver Nachweis der in Anspruch genommenen Fahrten nicht möglich sei. Schwierigkeiten im Bereich der Sachverhaltsermittlung oder im Bereich der Bewertung sind grundsätzlich nicht geeignet, eine unzutreffende Besteuerung zu rechtfertigen (vgl. auch BFH-Beschluss BStBl II 1999, 684: es kommt weder darauf an, ob ein Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber ein Wirtschaftsgut darstellt, noch darauf, wie schwer er zu bewerten ist).

b) Im vorliegenden Falle ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger lediglich die von ihm in der Anlage zu seiner Einkommensteuererklärung angegebenen Fahrten in Anspruch genommen hat.

Grundsätzlich trägt das Finanzamt die Feststellungslast für alle Tatsachen, die zu einer höheren Steuer führen, so auch für die Feststellung von Einnahmen im Bereich der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Hinsichtlich der Frage, inwieweit der Kläger Freifahrten in Anspruch genommen hat, stehen dem Finanzamt jedoch keine Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Vielmehr handelt es sich um Umstände, die allein in der Sphäre des Klägers liegen. Andererseits stehen dem Kläger bei der Ausgestaltung der ihm überlassenen Netzkarte C als Beweismittel lediglich - mit Einschränkungen - die Aussage der mit ihm zusammen lebenden Ehefrau oder die Abgabe einer eidesstattliche Versicherung zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es für ihn keine Möglichkeit nachzuweisen, dass er keine weiteren als die von ihm angegebenen Fahrten in Anspruch genommen hat.

Aus den gewechselten Schriftsätzen und den dem Gericht vorliegenden Akten ergeben sich keine Umstände, die die Angaben des Klägers hinsichtlich der von ihm in Anspruch genommenen Freifahrten zweifelhaft erscheinen lassen. Aufgrund des Eindrucks, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung von der Person des Klägers gewinnen konnte, geht es davon aus, dass der Kläger tatsächlich lediglich die in seinem - der Steuererklärung als Anlage beigefügten - Schriftsatz vom 27.05.2002 aufgeführten Freifahrten in Anspruch genommen hat. Anzahl und Umfang der Fahrten entsprechen zudem der Größenordnung nach den von der Ehefrau des Klägers - die aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht als Zeugin gehört werden konnte - in dem Jahr 2002 nachweislich in Anspruch genommenen Freifahrten. Diesem Umstand misst das Gericht durchaus Bedeutung zu, weil nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass zumindest über den Bereich des Nahverkehrs hinausgehende Fahrten in dem Alter des Klägers (Geburtsdatum:) bzw. seiner Ehefrau (Geburtsdatum:) eher gemeinsam unternommen werden. Darüber hinaus geht das Gericht entgegen der Ansicht des Finanzamtes davon aus, dass Personen in dem Alter des Klägers sich tendenziell den Anstrengungen einer längeren Bahnreisen nur noch in Ausnahmefällen aussetzen werden. Insoweit ist z.B. auf die Beschwerlichkeiten im Zusammenhang mit dem Gepäcktransport und die Anstrengungen bei Umsteigeerfordernissen hinzuweisen. Letztlich werden die Angaben des Klägers auch durch die von dem Prozessbevollmächtigten zitierten internen Untersuchungen der X-AG bestätigt.

c) Die nach § 8 Abs. 3 EStG vorzunehmende Bewertung der von dem Kläger in Anspruch genommenen Fahrten führt unter Berücksichtigung der Rabattregelung des § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG zu dem Ergebnis, dass i.R.d. Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2001 für dies Fahrten kein geldwerter Vorteil anzusetzen ist.

Einnahmen, die nicht in Geld bestehen, sind nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG mit den um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen. Darüber hinaus enthält § 8 Abs. 3 EStG eine Sonderregelung für Waren- oder Dienstleistungen, die ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses erhält und die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt werden. Für sie gelten nach § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG abweichend von Abs. 2 die um 4 v.H. geminderten Endpreise, zu denen der Arbeitgeber oder der dem Abgabeort nächst ansässige Arbeitnehmer die Waren oder Dienstleistungen fremden Letztverbrauchern im allgemeinen Geschäftsverkehr anbietet. Die sich nach Abzug der vom Arbeitnehmer gezahlten Entgelte ergebenden Vorteile sind nach dieser Regelung steuerfrei, soweit sie aus dem Dienstverhältnis insgesamt 2.400,-- DM im Kalenderjahr nicht übersteigen.

Die von dem Kläger im Jahr 1992 in Anspruch genommenen Fahrten sind mit dem um 4 v.H. geminderten Fahrkarten-Preisen 1. Klasse zu bewerten, die ein Bahnkunde im Jahre 2001 für die von dem Kläger in Anspruch genommenen Freifahrten zu zahlen gehabt hätte. Bei Zugrundelegung des von der Bahn mitgeteilten Preises von 0,28 DM pro Streckenkilometer ergibt sich bei 1.402 Streckenkilometern ein geldwerter Vorteil in Höhe von 392,56 DM. Damit wird der Freibetrag in Höhe von 2.400,-- DM gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG selbst dann nicht überschritten, wenn man in Rechnung stellt, dass in den von dem Kläger in Anspruch genommenen Freifahrten auch Kurzstrecken enthalten sind, für die u.U. ein höherer Preis pro Streckenkilometer anzusetzen wäre.

d) Die Einkommensteuer 2001 war mit DM (bei einem zu versteuernden Einkommen von DM) festzusetzen, weil einerseits (aus den obengenannten Gründen) bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens eine Verringerung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit um 7.344 -- DM zu berücksichtigen war, dadurch aber gleichzeitig eine Verringerung des Altersentlastungsbetrages gem. § 24a EStG von DM (lt. Einkommensteuerbescheid vom ) auf DM eintritt.

1. Die Kosten des Verfahrens waren auf der Grundlage des § 135 Abs. 1 FGO dem Finanzamt aufzuerlegen.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung.

4. Die Revision war auf der Grundlage des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen, da von dem 9. Senat des Hessische Finanzgerichts unter dem Aktenzeichen 9 K 2448/02 eine inhaltlich abweichende Entscheidung getroffen wurde, gegen die mittlerweile unter dem Aktenzeichen VI B 186/03 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden ist.

Ende der Entscheidung

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