Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hessen
Urteil verkündet am 08.10.2008
Aktenzeichen: 5 K 836/07
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 37
EStG § 64
EStG § 72
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HESSISCHES FINANZGERICHT

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

Geschäftsnummer: 5 K 836/07

In dem Rechtsstreit

wegen Kindergeld

hat Vorsitzender Richter am Hessischen Finanzgericht als Einzelrichter nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 8.10.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Familienkasse A vom Kläger zu Recht Kindergeldzahlungen zurückfordert.

Der Kläger war seit dem 15.06.2001 verheiratet. Seine Ehefrau brachte den Sohn X, geboren am 13.10.1995, mit in die Ehe. Das Kind gehörte zum gemeinsamen Haushalt der Eheleute. Die Ehefrau bezog seit der Geburt des Kindes X Kindergeld von der Familienkasse B. Auf die entsprechende Bestätigung wird hingewiesen.

Der Kläger, der Lehrer ist, heiratete am 15.06.2006. Das Staatliche Schulamt für ... übersandte mit Schreiben vom 4.10.2001 die Heiratsurkunde sowie die Geburtsurkunde des Stiefsohnes X an das Regierungspräsidium .. - Besoldungsdezernat - zur "weiteren Veranlassung". Dieses forderte den Kläger mit Schreiben vom 15.10.2001 auf, den Vordruck "Angaben zur Festsetzung der Bezüge und des Kindergeldes" auszufüllen und zurückzusenden.

Unter dem 26.10.2001 machte der Kläger auf diesem Vordruck die Angabe, dass seine Ehefrau bei der Firma C als Angestellte beschäftigt sei und unter der Kindergeldnummer Kindergeld beziehe. Das Regierungspräsidium berechnete mit Anordnung vom 13.11.2001 den Familienzuschlag Stufe 2 unter Berücksichtigung des Stiefkindes X.

Eine Festsetzung des Kindergeldes enthält die Anordnung nicht. Der Kläger erhielt nach Aktenlage eine Durchschrift der Anordnung.

Die beklagte Behörde zahlte (ohne Festsetzungsbescheid) seit dem 01.06.2001 an den Kläger Kindergeld.

Mit Bescheid vom 21.11.2006 forderte die Beklagte vom Kläger Kindergeld in Höhe von 8.974,35 € für die Zeit vom 01.06.2001 bis zum 30.04.2006 zurück. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Mit Entscheidung vom 05.02.2007 wies die Beklagte den Einspruch vom 04.12.2006 als unbegründet zurück.

Mit der nunmehr erhobenen Klage trägt der Kläger vor, der Rückforderungsbescheid sei rechtswidrig. Der Kläger sei Beamter und habe am 26.10.2001 der Festsetzungsbehörde (Regierungspräsidium) seine Eheschließung vom 15.06.2001 sowie die gleichzeitige Aufnahme des Stiefsohnes X in den gemeinsamen Haushalt angezeigt. Hierauf sei dem Kläger gemäß § 40 Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes der Familienzuschlag der Stufe 2 gewährt worden. Aufgrund eines nicht näher bekannten Fehlers sei dann irrtümlich auch die Kindergeldzahlung an den Kläger erfolgt. Zu keinem Zeitpunkt habe der Kläger einen Antrag auf Zahlung von Kindergeld gestellt. Der Kläger sei davon ausgegangen, mit der Kindergeldzahlung werde es schon seine Richtigkeit haben. Da er und seine Ehefrau, von der sich der Kläger inzwischen getrennt habe, kein gemeinsames Konto geführt hätten, sei es nicht aufgefallen, dass auch die Ehefrau über die ganze Zeit hinweg Kindergeld bezogen habe. Andernfalls hätte der Kläger kaum der Beklagten am 14.03.2006 mitgeteilt (dies könne eine Frau bezeugen: siehe auch entsprechender Aktenvermerk Bl. 90a der Besoldungsakte), dass das Kindergeld nunmehr direkt an die Ehefrau gezahlt werden solle. Die Beklagte sei erst durch dieses Telefonat auf die Doppelzahlung aufmerksam geworden.

Ein Rückzahlungsanspruch bestehe nicht, da der Kläger das gezahlte Geld in voller Höhe für den Kindesunterhalt verbraucht habe. Auch sei der Beklagten bekannt gewesen, dass kein Festsetzungsbescheid gegen den Kläger erlassen worden sei. Deshalb stehe § 814 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) der Rückforderung entgegen. Jedenfalls sei der Erstattungsanspruch gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) zu erlassen. Der Kläger habe ein monatliches Nettoeinkommen von 2.948,98 €. Dem stünden monatliche Belastungen von 2.763,-- € entgegen.

Im Übrigen habe der Kläger natürlich die an ihn geleisteten Zahlungen von Kindergeld erkannt. Er sei jedoch davon ausgegangen, dass im Zusammenhang mit dem Ausfüllen des Fragebogens vom 26.10.2001 nunmehr er an die Stelle seiner Ehefrau als Bezieher des Kindergelds getreten sei. Wegen des gemeinsamen Haushalts sei es für den Kläger auch ohne Bedeutung gewesen, ob er persönlich oder seine Ehefrau Empfänger des Kindergelds gewesen sei. Die Doppelzahlung sei jedenfalls unbemerkt geblieben.

Auch die Lohnsteuerbescheinigung des Klägers habe (zum Beispiel im Jahr 2003) ein ausgezahltes Kindergeld in Höhe von 1.848,-- € ausgewiesen, die Lohnsteuerbescheinigung seiner Ehefrau dagegen einen Betrag von 0,-- Euro. Der Kläger sei im fraglichen Zeitraum auch persönlich und beruflich stark abgelenkt gewesen. Er habe eine neue Stelle angetreten, habe geheiratet sowie ein Haus erworben und ausgebaut.

Verständlicherweise habe er sich so keine Zweifel daran auferlegt, ob die Kindergeldzahlungen ordnungsgemäß erfolgten oder nicht. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.

Der Kläger beantragt,

den Rückforderungsbescheid vom 21.11.2006 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 05.02.2007 ersatzlos aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass das Kindergeld zwar auf Grund eines Fehlers der Beklagten ausgezahlt worden sei. Der Kläger habe aber erkennen müssen, dass auch seine Ehefrau Kindergeld erhielt. Jedenfalls hätte der Kläger nachfragen müssen, ob die Zahlung des Kindergelds an ihn selbst auch zu einer Einstellung der Zahlungen gegenüber seiner Ehefrau geführt hätte.

Dem Gericht lag ein Hefter mit Auszügen sowie die Besoldungsakte des Klägers vor.

Die Einkommensteuerakten des Klägers für die Jahre 2001 bis 2005 zu Steuernummer, auf deren Inhalt verwiesen wird, wurden vom Gericht beigezogen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

1. Die Familienkasse A hat den Kläger zu Recht gemäß § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) in Anspruch genommen. Ist hiernach eine Steuervergütung (Kindergeld: § 31 S. 3 Einkommensteuergesetz -EStG-) ohne rechtlichen Grund an einen Steuerpflichtigen gezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, einen Erstattungsanspruch gegen den Zahlungsempfänger. Dies ist gemäß § 72 Abs. 1 EStG der Dienstherr des Klägers, vertreten durch die Familienkasse A.

In diesem Sinne hat der Kläger die Kindergeldzahlungen vom 01.06.2001 bis zum 30.04.2006 in einer Gesamthöhe von 8.974,35 € ohne rechtlichen Grund erhalten.

Denn gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur an einen Berechtigten Kindergeld gezahlt. Lebt das Kind, wie im Streitfall, im gemeinsamen Haushalt der Eltern, so gelten zwar grundsätzlich beide Elternteile als anspruchsberechtigt. Für die Auszahlung ist jedoch gemäß § 64 Abs. 2 S. 2 EStG ein Bezugsberechtigter (Ehemann oder Ehefrau) zu bestimmen. Unterbleibt dies, so entscheidet auf Antrag das Vormundschaftsgericht (§ 64 Abs. 2 S. 3 EStG). Dagegen war die beklagte Behörde nicht ermächtigt, eine Berechtigtenbestimmung im genannten Sinne vorzunehmen (s.a. Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 24.01.2006 2 K 205/01, DStRE 2006, 1187).

Im Streitfall erfolgten die Kindergeldzahlungen an den Kläger ohne dessen Antrag gemäß § 67 EStG, ohne Berechtigtenbestimmung, ohne Festsetzungsbescheid des Dienstherrn i.S. des § 72 EStG und doppelt wegen der parallelen Zahlungen einer anderen Familienkasse an die Ehefrau, also ohne rechtlichen Grund. Hieraus ergibt sich die Rückzahlungsverpflichtung des Klägers.

Soweit sich der Kläger im Vorverfahren auf eine Gesamtschuldnerschaft der Eheleute berief, brauchte hierüber nicht entschieden zu werden. Denn auch und gerade im Falle der Gesamtschuldnerschaft der Eheleute hätte die Beklagte den gesamten Rückforderungsbetrag gegenüber dem Kläger geltend machen können (§ 44 Abs. 1 S. 2 AO).

Der Kläger kann sich entgegen seiner Auffassung nicht auf eine Entreicherung i.S. des § 818 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berufen. Die Vorschriften der §§ 812 ff. BGB finden auf den öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO keine Anwendung. Denn der Rückforderungsanspruch ist Ausdruck eines übergeordneten und allgemein herrschenden Prinzips, dass derjenige, der vom Staat auf Kosten der Allgemeinheit etwas erhalten hat, grundsätzlich verpflichtet ist, das Erhaltene zurückzugewähren (Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 37 AO Rz. 102, 103, 121a m.w.N.). Damit entfällt entgegen der Auffassung des Klägers auch eine Anwendung der §§ 813, 814 BGB.

Der Rückforderungsanspruch ist nicht verjährt. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, also auch der streitige Erstattungsanspruch, verjähren gemäß § 228 AO in fünf Jahren (Zahlungsverjährung). Der streitige Anspruch der Beklagten wurde mit der ersten rechtsgrundlosen Zahlung des Kindergeldes (Juni 2001) fällig. Die Verjährungsfrist begann so mit Ablauf des 31.12.2001, weshalb der Rückforderungsbescheid am 06.11.2006 noch ergehen konnte (§ 229 AO). Letztlich kann sich der Kläger auch nicht auf die Grundsätze von Treu und Glauben berufen, um den Rückzahlungsanspruch der Beklagten abzuwehren.

Zwar können Vertrauensschutzgesichtspunkte im vorliegenden Zusammenhang grundsätzlich zur Anwendung kommen (Tipke/Kruse a.a.O., § 37 AO Rz. 104 ff.). Die Verdrängung des gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben kann indes nur in besonders liegenden Fällen in Betracht kommen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssen. Hatte der Kläger Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der Kindergeldzahlungen, so steht dies einem Vertrauenstatbestand entgegen (z.B. BFH-Urteile vom 31.10.1990 I R 3/86, BStBl II 1991, 610 und vom 09.08.1989 I R 181/85, BStBl II 1989, 990). Insbesondere enthält die AO keine Regelung, wonach das Vertrauen in eine gewährte Leistung nur deshalb schutzwürdig ist, weil der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (anders § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG und § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X). Dies gilt sogar im Falle der Weiterzahlung von Kindergeld trotz positiver Kenntnis der Behörde von deren Rechtswidrigkeit (BFH-Urteil vom 14.10.2003 VIII R 56/01, BStBl II 2004, 123). Denn bei einem Massenverfahren wie im Kindergeldrecht ist zur Vertrauensbildung ein besonders eindeutiges Verhalten der Familienkasse zu fordern, dem zu entnehmen sein muss, dass sie z.B. nach Prüfung des Falles auch unter Berücksichtigung geänderter Umstände von einem Bestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger nicht entstehen kann. Dem Verhalten der Familienkasse muss quasi "die konkludente Zusage" zu entnehmen sein, dass der Kindergeldempfänger mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen braucht.

Die Dinge im Streitfall liegen anders. Der Kläger hatte zwar auf Initiative der Beklagten im übersandten Vordruck Angaben gemacht, die sowohl für den erhöhten Familienzuschlag gemäß § 40 Abs. 2 BBesG als auch für die Gewährung von Kindergeld Bedeutung haben konnten (der Vordruck trug die Überschrift "Angaben zur Festsetzung der Bezüge und des Kindergeldes"). Der Kläger trägt aber selbst vor, ein Antrag auf Kindergeldzahlung an ihn selbst sei nicht beabsichtigt gewesen. Eine Berechtigtenbestimmung wurde von den Eheleuten unterlassen. Der Kläger räumt insoweit ein, wegen des gemeinsamen Haushaltes sei es ihm "egal" gewesen, welcher der beiden Eheleute als Bezugsberechtigter anzusehen gewesen sei.

Es mag dem Kläger zugestanden werden können, dass er wegen einer Unkenntnis des Einkommensteuergesetzes die Abläufe, die eine Gewährung des Kindergeldes erfordert, nicht kannte. Es mag auch zutreffen, dass dem Kläger unbekannt war, dass seine Lohnsteuerkarte die Kindergeldzahlungen bei Beamtenbezügen auszuweisen hatte, die Lohnsteuerkarte seiner Ehefrau bei Bezügen aus dem Angestelltenverhältnis dagegen nicht, weil die Familienkasse B die Beträge auszahlte und nicht - wie beim Kläger - ebenfalls der Arbeitgeber. Zudem mag die berufliche und private Situation des Klägers dazu beigetragen haben, dass dieser sich um die Rechtmäßigkeit der Kindergeldzahlungen im fraglichen Zeitraum keine Sorgen machte.

Sollte infolge dieser Umstände ein subjektives Vertrauen des Klägers in die Richtigkeit der Zahlungen vorgelegen habe, wäre dieses jedenfalls nicht schutzwürdig im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung. Denn die Anwendbarkeit der Grundsätze von Treu und Glauben ist (auch) nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Der Kläger muss sich fragen lassen, ob er vernünftigerweise Zweifel an der Richtigkeit der Kindergeldzahlungen hätte haben müssen. Dies ist nach Auffassung des Gerichts zu bejahen. Der Kläger wusste positiv, dass seine Frau ursprünglich Kindergeld erhielt.

Er wollte diesen Zustand nach eigenen Angaben nicht verändern. Gleichwohl erhielt er, im Gegensatz zu seiner Erwartungshaltung, "plötzlich" Kindergeldzahlungen von seinem Arbeitgeber, und zwar ohne die denknotwendig (hierfür sind keine Gesetzeskenntnisse erforderlich) vorzunehmende Berechtigtenbestimmung und ohne den entsprechenden Antrag. Das Gericht geht in diesem Zusammenhang davon aus, das es zum Allgemeinwissen gehört, dass Kindergeld auf Antrag und nur jeweils einmal für dasselbe Kind gewährt wird.

Alles in allem beurteilt das Gericht das Verhalten des Klägers damit dergestalt, dass dieser sich (z.B. zur Vermeidung weiterer Unannehmlichkeiten) damit beruhigte, die Bezügestelle werde schon keine Fehler gemacht haben. Dies reicht indes nicht aus, um das von der zitierten Rechtsprechung geforderte besonders hohe Maß an Schutzwürdigkeit des Klägers zu begründen.

Die Klage war daher insgesamt mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.

Ende der Entscheidung

Zurück