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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hessen
Urteil verkündet am 10.06.2009
Aktenzeichen: 6 K 556/03
Rechtsgebiete: AO, UStG


Vorschriften:

AO § 227
UStG § 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat der 6. Senat des Hessischen Finanzgerichts

nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 10. Juni 2009

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Hessischen Finanzgericht ...

des Richters am Hessischen Finanzgericht ...

der Richterin ... sowie

... und

als ehrenamtliche Richter ...

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte (das Finanzamt -FA-) einen Antrag der Klägerin auf Erlass von Umsatzsteuern für die Jahre 1989 bis 1994 in Höhe von insgesamt EUR (= DM) zu Recht abgelehnt hat.

Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der A. Mit Vertrag vom 26.05.1994 wurde die A rückwirkend zum 01.01.1994 auf die Klägerin verschmolzen. Zum Unternehmen der A gehörte unter anderem als Organgesellschaft die B.

Die B erzielte unter anderem Umsätze aus der Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle (Gastronomieumsätze) auf Fährschiffen zwischen Deutschland und Dänemark und anderen Verbindungen zwischen im Inland und im übrigen Gemeinschaftsgebiet belegenen Seehäfen. Diese Umsätze wurden teilweise innerhalb und teilweise außerhalb der deutschen Gewässer bewirkt. Der innerhalb der deutschen Gewässer erbrachte Anteil wurde im Einvernehmen mit dem FA auf 35% der insgesamt erbrachten Gastronomieumsätze geschätzt und von der Klägerin in ihren Umsatzsteuererklärungen - entsprechend der damaligen Rechtslage - als steuerbare und steuerpflichtige Lieferungen der Umsatzbesteuerung unterworfen. Die auf diese Umsätze entfallende Umsatzsteuer betrug im Streitzeitraum insgesamt EUR (= DM).

Mit Urteil vom 02.05.1996 C-231/94 (BStBl II 1998, 282 f.) entschied der EuGH auf einen Vorlagebeschluss des BFH vom 30.05.1994 V R 120/93 (BFHE 175, 151), dass Restaurationsumsätze - entgegen der damaligen deutschen Verwaltungspraxis - keine Lieferungen, sondern sonstige Leistungen darstellten und als Ort der Leistung derjenige Ort gelte, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner Tätigkeit habe.

In der Folgezeit wurde § 4 Nr. 6 Buchst. e in das Umsatzsteuergesetz (UStG) aufgenommen, der Restaurationsumsätze - die im zum gleichen Zeitpunkt neu gefassten § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG nunmehr ausdrücklich als sonstige Leistung normiert wurden - im Verkehr mit Wasserfahrzeugen für die Seeschifffahrt zwischen einem inländischen und einem ausländischen Seehafen und zwischen zwei ausländischen Seehäfen von der Umsatzsteuer befreit. Die Vorschriften traten am 27.06.1998 in Kraft.

Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 12.11.1998 und 17.12.1998 beantragte die Klägerin, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerfestsetzungen für 1993 und 1994 dahingehend zu ändern, dass für die inländischen Gastronomieumsätze keine Umsatzsteuer mehr erhoben wird. Des Weiteren beantragte die Klägerin mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 29.07.1999 die Erstattung der Umsatzsteuer für die Jahre 1989 bis 1992, soweit sie auf die inländischen Gastronomieumsätze entfiel. Zur Begründung bezog sich die Klägerin auf einen Erlass des schleswigholsteinischen Ministeriums der Finanzen und Energie vom 01.12.1997 - VI 320-S 7100-596- (im Folgenden: Erlass der Küstenländer), wonach in Abstimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) und den obersten Finanzbehörden der Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen die Umsatzsteuer für Restaurationsumsätze im Verkehr zwischen einem inländischen Seehafen und einem ausländischen Seehafen und zwischen zwei ausländischen Seehäfen aus sachlichen Billigkeitsgründen in allen noch offenen Fällen nicht erhoben werden soll.

Das FA lehnte den Erlassantrag mit Verfügung vom 25.07.2000 als unbegründet ab. Wegen der Begründung wird auf Bl. 65 f. der vom FA vorgelegten Erlassakte Bezug genommen.

Die Klägerin legte gegen die Ablehnung Einspruch ein, den sie im Wesentlichen wie folgt begründete:

Der EuGH habe mit seiner Entscheidung vom 02.05.1996 klargestellt, dass die deutsche Verfahrensweise zur Besteuerung von Restaurationsleistungen schon seit jeher der 6. EG-Richtlinie widersprochen habe. Aufgrund dieser Entscheidung seien die skandinavischen Fährbetriebe ohne Betriebsstätte in Deutschland von der Besteuerung der in deutschen Gewässern erbrachten Restaurationsumsätze freigestellt worden, und zwar - wegen des Vorrangs der 6. EG-Richtlinie - für alle noch änderbaren Besteuerungszeiträume, also auch für solche vor Ergehen der Entscheidung des EuGH. Da die skandinavischen Länder derartige Umsätze aber nicht der Besteuerung unterwürfen, entstehe für dort ansässige Unternehmer ein nicht hinnehmbarer Wettbewerbsvorteil.

Um dieser Wettbewerbsverzerrung entgegenzuwirken, sei in Abstimmung mit dem BMF der koordinierte Erlass der Küstenländer vom 01.12.1997 ergangen.

Um eine möglichst weitgehende Gleichstellung zu erreichen, sei bewusst darauf verzichtet worden, die Nichterhebung der Umsatzsteuer auf Umsätze nach Ergehen der EuGH-Entscheidung zu beschränken, sondern die Nichterhebung für alle offenen Fälle anzuordnen. Der Ländererlass sei nicht im Vorgriff auf die erst später eingetretene Gesetzesänderung ergangen, sondern unabhängig davon, um Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmer auszugleichen.

Einzig das beklagte FA vertrete die Auffassung, dass der Erlass sich nur auf nach dem 02.05.1996 erbrachte Umsätze beziehe, während die Finanzbehörden der anderen Länder den Erlass - seinem Wortlaut und seiner Intension entsprechend - für alle noch offenen Besteuerungszeiträume angewendet hätten. Dass der Erlass sich nicht allein auf nach dem 02.05.1996 und außerhalb deutscher Gewässer erbrachte Restaurationsumsätze beziehe, ergebe sich zweifelsfrei daraus, dass der deutsche Fiskus wegen fehlender Umsetzung in das nationale Recht gehindert war, die außerhalb deutscher Gewässer erbrachten Restaurationsleistungen zu besteuern. Die national normierte Besteuerung als Lieferung habe zwar der 6. EG-Richtlinie widersprochen, jedoch habe es für eine Besteuerung als sonstige Leistung bis zur Einführung des § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG an einer entsprechenden nationalen Norm gefehlt.

Das FA wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 16.01.2003 als unbegründet zurück.

Zur Begründung führt es im Wesentlichen das Folgende aus:

Die Tatsache, dass der Gesetzgeber erst zum 27.06.1998 ohne Rückwirkung eine Steuerbefreiung für die streitigen Umsätze in das UStG aufgenommen habe, belege, dass der Gesetzgeber keine Veranlassung gesehen habe, auf die Besteuerung vor diesem Zeitpunkt verwirklichter Sachverhalte zu verzichten. Der in Abstimmung mit dem BMF ergangene Erlass der Küstenländer vom 01.12.1997 sei nicht geeignet, einen Erlass zu rechtfertigen. Zum einen sei er für die hessische Steuerverwaltung nicht bindend, zum anderen wäre ein Erlass - selbst wenn andere Finanzbehörden einen solchen ausgesprochen hätten - rechtswidrig und mit den Grundsätzen der §§ 163, 227 der Abgabenordnung (AO) nicht vereinbar. Da es keinen Anspruch auf die Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungsanweisung gebe (keine Gleichheit im Unrecht), könne die Klägerin auch aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) keinen Anspruch auf Erlass herleiten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Bl. 89 ff. der Erlassakte Bezug genommen.

Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Sie macht geltend, die Ablehnung der von ihr begehrten Billigkeitsmaßnahme sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten.

Aufgrund des in Abstimmung mit dem BMF ergangenen koordinierten Ländererlasses der Küstenländer vom 01.12.1997 habe sie einen Anspruch auf Erlass der Steuerbeträge in der beantragten Höhe. Entgegen der vom FA vertretenen Auffassung stehe dieser Erlass - auch soweit er die Anwendung für alle noch offenen Fälle vorsehe - mit den Grundsätzen der §§ 163, 227 AO in Einklang.

Der Erlass verfolge eindeutig das Ziel, Wettbewerbsnachteile für in Deutschland ansässige Fährschiffbetreiber zu beseitigen und deshalb solle er - um eine Gleichstellung der skandinavischen Fährschiffbetreiber zu erreichen - auf alle offenen Fälle angewandt werden. Diese Wettbewerbsverzerrung sei erst durch das EuGH -Urteil vom 02.05.1996 geschaffen worden, da zuvor und in allen bestandskräftigen Fällen alle Fährschiffbetreiber unabhängig von ihrem Sitz mit den in deutschen Gewässern erbrachten Restaurationsleistungen der Umsatzsteuerunterlagen. Für deutsche Unternehmer habe die Entscheidung des EuGH zunächst zu keiner Änderung geführt, da diese sich weiterhin auf das für sie günstigere nationale Recht (Besteuerung nur der in inländischen Gewässern erbrachten Restaurationsleistungen) berufen konnten, jedoch hätten ausländische Unternehmer in allen noch offen Fällen die Umsatzsteuer unter Berufung auf die 6. EG-Richtlinie vom deutschen Fiskus zurückverlangen können, was wegen der Nichtbesteuerung in deren skandinavischen Ansässigkeitsstaaten zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen geführt habe.

Soweit das FA geltend mache, die Wettbewerbslage könne hinsichtlich früherer Umsätze nicht mehr beeinflusst werden, verkenne es, dass durch eine Erstattung an die nicht in Deutschland ansässigen Fährbetriebe diese einen erheblichen Wettbewerbsvorteil erhielten.

Da der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität eine der tragenden Säulen eines einheitlichen Mehrwertsteuersystems innerhalb der Europäischen Union sei, stelle dies auch für den nationalen Gesetzgeber einen verbindlichen Orientierungspunkt dar. Diesen Wertungen liefe es zuwider, den streitigen Steueranspruch gegenüber der Klägerin nicht zu erlassen und sie damit gegenüber Mitbewerbern zu benachteiligen. Da diese Wettbewerbsverzerrung erst durch das EuGH-Urteil aufgetreten ist, könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber diese Wettbewerbsverzerrungen bei Ausgestaltung des früheren gesetzlichen Tatbestandes bewusst in Kauf genommen habe.

Soweit das FA die Auffassung vertrete, es sei an den Erlass vom 01.12.1997 nicht gebunden, verkenne es, dass dieser in Abstimmung mit dem BMF ergangen sei. Dass außer den Küstenländern weitere Bundesländer nicht beteiligt worden seien, könne darin begründet sein, dass nicht erkannt worden sei, dass auch andere Bundesländer betroffen sein könnten.

Selbst wenn man aber annehmen wollte, der o.g. Erlass vom 01.12.1997 binde den Beklagten grundsätzlich nicht, so ergebe sich jedoch aus dem BMF-Schreiben vom 10.09.1998 (koordinierter Ländererlass IV C 3 -S-7100-97/98), dass sich das BMF diesen Erlass zu eigen gemacht habe, wenn dort ausgeführt wird: "Die in dem Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 1. Dezember 1997 getroffene Regelung bleibt unberührt."

Eine Nichtanwendung des genannten Erlasses mute willkürlich an, da die Zuständigkeiten rein zufällig verteilt sein können und das beklagte FA im Streitfall nur wegen des Vorliegens einer umsatzsteuerlichen Organschaft zuständig sei, während ohne eine solche für die Besteuerung der B ein Finanzamt in Schleswig-Holstein zuständig gewesen wäre.

So habe auch das Finanzamt in Berlin der Klägerin mit Verfügung vom 03.09.2002 (Bl. 112 f. der Gerichtsakte) die für Restaurationsleistungen entrichteten Umsatzsteuerbeträge für den Zeitrum vom 01.08.1994 bis 1996 erlassen.

Soweit eine sachliche Unbilligkeit nach dem Vorbringen des FA voraussetze, dass "nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte, wenn er sie hätte regeln wollen", sei auch diese Voraussetzung im Streitfall erfüllt. Denn aus der im Jahr 1998 erfolgten Gesetzesänderung könne der mutmaßliche Wille des Gesetzgebers zweifellos festgestellt werden. Dass der Gesetzgeber eine Rückwirkung der zum 27.06.1998 eingeführten Steuerbefreiung nicht vorgesehen habe, dürfte seine Ursache darin haben, dass den federführenden Fachverwaltungen der unter Mitwirkung des BMF zustande gekommene Erlass vom 01.12.1997 bekannt gewesen sein dürfte.

Die Klägerin macht geltend, aufgrund des Gleichheitsgebotes und des Willkürverbotes sei die Ablehnung ihres Erlassantrages rechtswidrig, das Ermessen des beklagten FA sei vielmehr dahingehend auf Null reduziert, dass nur ein Erlass rechtmäßig sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Klägerin wird auf den Inhalt der Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten vom 25.04.2003 nebst Anlagen (Bl. 25 ff. der Gerichtsakte) und vom 28.08.2003 (Bl. 127 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 25.07.2000 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 16.01.2003 zu verpflichten, Umsatzsteuer für 1989 in Höhe von EUR ( DM),

1990 in Höhe von EUR ( DM),

1991 in Höhe von EUR ( DM),

1992 in Höhe von EUR ( DM),

1993 in Höhe von EUR ( DM) und

1994 in Höhe von EUR ( DM) zu erlassen

und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA hält unter Verweisung auf die in der Einspruchsentscheidung enthaltenen Ausführungen an seiner im Verwaltungsverfahren vertretenen Auffassung fest.

Es macht geltend, der Erlass der Küstenländer vom 01.12.1997 sei für Hessen weder direkt noch aus Gründen der Gleichbehandlung bindend. Die Finanzverwaltung sei nicht befugt, Regelungen des Gesetzes über den Umweg des Erlassverfahrens zu unterlaufen. Ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit käme vielmehr nur in atypisch gelagerten, vom Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren nicht vorhersehbaren Einzelfällen in Betracht, wenn die Erhebung der Steuer den Wertungen des Gesetzgebers widerspreche. Ein derartiger Ausnahmefall aber liege bei der Besteuerung der Fährunternehmen nicht vor. Die Entscheidung des EuGH habe zu keiner unmittelbaren Änderung der Besteuerung der deutschen Unternehmen geführt. Das FA macht geltend, das Urteil habe auch keine intensiven und nachhaltigen Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen deutschen und skandinavischen Unternehmen gehabt, da die Wahl der jeweiligen Fährschiffe durch die Kunden nicht der Preis der selbständigen Restaurationsleistungen, sondern der Preis der Fährverbindungen und andere Faktoren maßgeblich sein dürften.

Im Übrigen sei ein Erlass nicht geeignet, Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen, sondern es würden zumindest weitere geschaffen. Denn alle inländischen und ausländischen Fährschiffbetreiber, deren Steuerfestsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung des EuGH bereits bestandskräftig war, erlitten durch einen Erlass zumindest dieselben Wettbewerbsnachteile, die für Klägerin nach deren Begehren beseitigt werden sollen.

Schließlich sei auch nicht ersichtlich, wie viele skandinavische Unternehmen sich wegen noch nicht bestandskräftiger Veranlagungen für welche Zeiträume auf das EuGH-Urteil berufen konnten und in welcher Höhe dadurch Kapitalzuflüsse bei den skandinavischen Unternehmen angefallen sind.

Da die Gewährung eines Billigkeitserlasses in derartigen Fällen mit den Grundsätzen der §§ 227, 163 AO nicht vereinbar sei, habe die Klägerin keinen derartigen Anspruch. Sie könne auch nicht die Anwendung des nach Ansicht des FA rechtswidrigen Erlasses der Küstenländer vom 01.12.1997 aus Gründen der Gleichbehandlung für sich beanspruchen.

Wegen des weiteren Vorbringens des FA wird auf den Inhalt von dessen Schriftsätzen vom 30.06.2003 (Bl. 116 ff. der Gerichtsakte) und vom 13.11.2003 (Bl. 143 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Ablehnung des von der Klägerin begehrten Erlasses durch das FA ist rechtmäßig und frei von Ermessensfehlern erfolgt und verletzt deshalb die Klägerin nicht in deren Rechten.

1. Gemäß § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

2. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gezogenen Grenzen nachprüfbar ist. Die Nachprüfung einer ablehnenden Erlassentscheidung ist deshalb darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

3. Sachliche Billigkeitsgründe i. S. des § 227 AO, auf die die Klägerin den von ihr geltend gemachten Erlassanspruch stützt, sind im Streitfall nicht gegeben.

a) Unbilligkeit aus sachlichen Gründen i.S. des § 227 AO liegt vor, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, stehen jedoch einem Erlass entgegen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16. August 2001 V R 72/00, BFH/NV 2002, 545 m.w.N.).

Im Streitfall widersprechen die von der Klägerin geltend gemachten Umstände nicht den im Streitzeitraum geltenden umsatzsteuerlichen Regelungen zugrunde liegenden Wertungen.

b) Die Besteuerung des in inländischen Gewässern erbrachten Teils der Restaurationsleistungen bis zur Einführung des § 4 Nr. 6 Buchst. e UStG widersprach auch unter Berücksichtigung des am 02.05.1996 ergangenen EuGH-Urteils nicht den Wertungen des Gesetzes. Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt wurden diese Leistungen - unabhängig von der Ansässigkeit des Leistenden - bei allen Steuerpflichtigen gleich besteuert und es gab keine Veranlassung, diesen Endverbrauch nicht zu besteuern.

Zwar stellt die Wettbewerbsneutralität einen wesentlichen Grundsatz des Umsatzsteuerrechts und des harmonisierten europäischen Mehrwertsteuerrechts dar, jedoch gehört zu den wesentlichen Grundsätzen ebenfalls, dass ein nicht versteuerter Endverbrauch nur dann zulässig ist, wenn im Gesetz in Übereinstimmung mit der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie eine Steuerbefreiung normiert ist.

Dass der Gesetzgeber - wenn ihm die in der EuGH-Entscheidung dargestellte - der bisherigen deutschen Gesetzespraxis widersprechende - Rechtslage bekannt gewesen wäre, mutmaßlich von einer Besteuerung der von inländischen Unternehmern erbrachten Restaurationsleistungen abgesehen hätte, um Wettbewerbsverzerrungen zu ausländischen und insbesondere skandinavischen Konkurrenzunternehmen zu vermeiden, vermag das Gericht nicht anzunehmen. Gerade aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber bei Einführung des § 4 Nr. 6 Buchst. e UStG dessen Anwendbarkeit auf nach dem 26.06.1998 ausgeführte Restaurationsleistungen beschränkt und keine Rückwirkung angeordnet hat, lässt sich der mutmaßliche Wille des Gesetzgebers erkennen. In der amtlichen Begründung des Finanzausschusses in seiner Beschlussempfehlung zur Einführung des § 4 Nr. 6 Buchst. e UStG, wird ausgeführt, dass nunmehr - entgegen der früheren deutschen Praxis - auch die Umsätze in Deutschland ansässigen Unternehmer, die außerhalb inländischer Hoheitsgewässer erbracht werden, der deutschen Umsatzsteuer unterliegen. "Zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen und Abgrenzungsschwierigkeiten aus Vereinfachungsgründen" sollten deshalb die im internationalen Seeverkehr ausgeführten Restaurationsumsätze von der Umsatzsteuer befreit werden. Hieraus wird ersichtlich, dass der Gesetzgeber in einer - ohne Einführung einer Steuerbefreiung sonst erforderlichen - Besteuerung der außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer erbrachten Restaurationsleistungen die Gefahr von Wettbewerbsnachteilen für deutsche Unternehmer sah und die übrigen Umsätze vordringlich aus Vereinfachungsgründen zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten von der Steuerpflicht ausgenommen hat. Hätte er dagegen die von der Klägerin angeführte Wettbewerbsverzerrung auch hinsichtlich der in den inländischen Hoheitsgewässern als einen erheblichen Wettbewerbsnachteil angesehen, so hätte der Gesetzgeber eine Rückwirkung der Steuerbefreiung angeordnet.

Soweit die Klägerin dagegen einwendet, hierfür habe aufgrund des Erlasses der Küstenländer vom 01.12.1997 kein Anlass bestanden, vermag dies nicht zu überzeugen, da es allein die Aufgabe des Gesetzgebers ist, die Anwendbarkeit und den Anwendungszeitraum von Gesetzen zu bestimmen und die Verwaltung grundsätzlich nicht befugt ist, bestehende Gesetze nicht anzuwenden.

4. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf den in Abstimmung mit dem BMF ergangenen Erlass der Küstenländer berufen, wonach die Umsatzsteuer für Restaurationsumsätze im Verkehr zwischen einem inländischen Seehafen und einem ausländischen Seehafen und zwischen zwei ausländischen Seehäfen aus sachlichen Billigkeitsgründen in allen noch offenen Fällen nicht erhoben werden soll.

a) Einer unmittelbaren Berufung auf diesen Erlass steht entgegen, dass allgemeine Verwaltungsanweisungen eines Landes oder mehrerer Länder nicht zu einer Selbstbindung des Ermessens der Verwaltung eines anderen Landes führen können (BFH-Urteil vom 23. Juli 1985 VIII R 197/84, BStBl II 1986, 36 ff. und BFH-Beschluss vom 19. März 2003 X B 121/01, BFH/NV 2003, 934 f.), da dies im Widerspruch zum im Grundgesetz normierten föderativen Prinzip steht.

Der BFH führt aus, auch aus dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, dem in der deutschen Rechtsordnung ein hoher Stellenwert zukomme, ergebe sich eine solche Bindung nicht, da dieser gegebenenfalls hinter dem föderativen System zurücktreten müsse. Fehle es in Einzelfällen an einer bundeseinheitlichen Koordinierung, müssten mögliche Ungleichbehandlungen als Folge des bundesstaatlichen Aufbaus der Bundesrepublik hingenommen werden.

b) Soweit die Klägerin geltend macht, aufgrund der erfolgten Abstimmung mit dem BMF könne dies für den genannten Erlass nicht gelten, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Denn der BMF hat zweifelsfrei keine eigene Anweisung an alle Bundesländer erlassen, sondern nur die oben genannten Küstenländer haben den ihnen nachgeordneten Behörden entsprechende ermessenslenkende Anweisungen gegeben.

c) Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, durch das BMF-Schreiben vom 21. Juli 1998 -IV c 3 - S 7100 - 84/98 habe sich das BMF den o.g. Ländererlass zu eigen gemacht, wenn dort ausgeführte werde, "die in dem Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 1. Dezember 1997 getroffene Regelung bleibt unberührt", hält der Senat dies für unzutreffend.

Das BMF-Schreiben enthält im Wesentlichen Ausführungen zu der ab dem 27. Juni 1998 in Kraft getretenen geänderten Rechtslage der Besteuerung von Restaurationsleistungen und führt zunächst aus, die Gesetzesänderung sei auf nach dem 26. Juni 1998 ausgeführte Umsätze anzuwenden. Aus dem anschließenden Hinweis, die in dem o.g. Erlass getroffene Regelung bleibe unberührt, kann nicht gefolgert werden, dass diese Länderanweisung nun für alle Bundesländer gelten solle. Ein solcher Wille, der die bisherigen Ländererlasse zu einer bundesweiten Anweisung "umgewandelt" hätte, hätte klar zum Ausdruck kommen müssen, um eine Selbstbindung der Verwaltung aller Länderbehörden zu begründen.

d) Unabhängig davon hat der Senat im Übrigen erhebliche Zweifel daran, dass der Erlass der Küstenländer und das genannte BMF-Schreiben, wollte man dieses - entgegen den obigen Ausführungen - als ermessenslenkende Anweisung ansehen, geeignet wären, zu einer Selbstbindung der Verwaltung zu führen.

Denn eine derartige Bindung besteht nur dann, wenn sich die in ihnen getroffenen Regelungen innerhalb der Grenzen halten, die das Grundgesetz und die Gesetze der Ausübung des Ermessens setzen, d.h. bei einer Billigkeitsrichtlinie -wie hier - muss die getroffene Regelung Recht und Billigkeit entsprechen (BFH-Urteil vom 19. März 2009 V R 48/07, DStR 2009, 1143 ff., m.w.N.).

Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Denn eine Erstattung der auf die dem Streitfall zugrunde liegenden Restaurationsumsätze entfallenden Umsatzsteuerbeträge ohne eine zeitliche Begrenzung, aber begrenzt auf alle offenen Verfahren, entspricht bereits nicht Recht und Billigkeit. Sie ist nicht geeignet, Wettbewerbsverzerrungen, soweit diese durch die EuGH-Entscheidung überhaupt in nennenswertem Umfang eingetreten sein sollten, zu beseitigen. Es entspricht bereits nicht der Billigkeit, einen Erlass von der Bestandskraft der jeweiligen Steuerfestsetzungen abhängig zu machen. Durch einen Billigkeitserlass, wie ihn die Klägerin begehrt, würden die inländischen Fährunternehmer zwar teilweise ihren ausländischen Konkurrenten gleichgestellt, jedoch nur für die Jahre, in denen im Zeitpunkt des Ergehens der EuGH-Entscheidung die Veranlagungen ausländischer Fährunternehmen noch abänderbar waren und diese bis zum Ablauf der Festsetzungsverjährung Rechtsbehelfe eingelegt oder Änderungsanträge gestellt haben. Dagegen würden durch einen Erlass in einer Vielzahl von Fällen gleichzeitig neue Ungleichheiten geschaffen. Denn die ausländischen Fährunternehmer, deren Veranlagungen im Zeitpunkt des Ergehens der EuGH-Entscheidung und die inländischen Fährunternehmer, deren Veranlagungen im Zeitpunkt des Erlasses der Küstenländer bereits unabänderbar waren, wären im Gegensatz zu den durch einen Erlass Begünstigten dadurch schlechter gestellt, dass sie mit den entsprechenden Umsatzsteuerbeträgen endgültig belastet blieben.

Gerade am Fall der Klägerin, in dem aufgrund verschiedener Umstände im Zeitpunkt des Erlasses vom 01.12.1997 die Umsatzsteuerfestsetzungen ab dem Jahr 1989 noch "offen" waren, wird dies besonders deutlich. Denn gerade für die ersten Jahre dürfte bei einer Vielzahl von - insbesondere auch inländischen - Konkurrenzunternehmen zu diesem Zeitpunkt bereits die Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen sein. Durch einen Erlass würde die Klägerin in nicht zu rechtfertigender Weise gegenüber diesen Konkurrenzunternehmen bessergestellt.

Die Klage war deshalb mit der sich aus § 135 Abs. 1 FGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen.

Ende der Entscheidung

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