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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 17.05.2006
Aktenzeichen: 15 K 9/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 70 Abs 4
EStG § 32 Abs 4 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Streitig ist die Kindergeldfestsetzung für das Jahr 2003 für den am 00.00.1984 geborenen Sohn W des Klägers.

Der Kläger bezog zunächst Kindergeld bis Dezember 2002 für seinen Sohn W, der sich in Ausbildung befand. Die Festsetzung des Kindergeldes wurde mit Bescheid vom 9.12.2002 ab Januar 2003 aufgehoben, weil die Beklagte die Ansicht vertrat, dass die Einkünfte nach damaliger Rechtsauffassung den Grenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG für das Jahr 2003 überschreiten würden. Unter dem 18.12.2003 beantragte der Kläger erneut Kindergeld für das Jahr 2003. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.12.2003 mit der Begründung ab, dass die Einkommensgrenze nach den vorliegenden Unterlagen für das Jahr 2003 überschritten werde. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 27.5.2005 beantragte der Kläger unter Hinweis auf die Entscheidung des BVerfG vom 11.1.2005 2 BvR 167/02 die Korrektur des Ablehnungsbescheids und die rückwirkende Auszahlung des Kindergeldes für das Jahr 2003.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.11.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.12.2005 ab.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Mit der Klage begehrt der Kläger die Festsetzung von Kindergeld für seinen Sohn für das Jahr 2003. Die Beklagte habe in dem bestandskräftigen Bescheid vom 18.12.2003 das für die Einkunftsgrenze maßgebliche Einkommen falsch berechnet, da es die Sozialversicherungsbeiträge nicht berücksichtigt habe. Es könne auch nicht angehen, dass diejenigen Kindergeld nachgezahlt bekämen, die gar keinen Antrag gestellt hätten. Dies führe zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung ohne erkennbaren sachlichen Grund.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10.11.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.12.2005 zu verurteilen, dem Kläger Kindergeld für das Kind W für das Jahr 2003 zu zahlen.

Hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Nach Ansicht der Beklagten komme vorliegend eine Korrektur des bestandskräftigen Bescheids nicht in Betracht. § 173 AO greife nicht, da keine neuen Tatsachen oder Beweismittel bekannt geworden seien.

In der mündlichen Verhandlung zweifelt der Beklagtenvertreter auch an, ob es sich vorliegend überhaupt um eine Prognoseentscheidung handeln könnte. Zum einen müsse man bedenken, dass schon eine Prognoseentscheidung vom 9.12.2002 vorliege. Die zweite ablehnende Entscheidung sei zum anderen Ende erst des Jahres 2003, am 18.12.2003, ergangen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 10.11.2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO). Die Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Änderung des Bescheids vom 18.12.2003 bezüglich des Jahres 2003 nicht mehr möglich ist.

1. Für ein Kind, das - wie im Streitfall der Sohn des Klägers - das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wird auf Antrag Kindergeld gewährt, wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG vorliegen. Danach besteht ein Anspruch auf Kindergeld u.a. dann, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG). Im Streitfall lagen die Kindergeldvoraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG während des gesamten Jahres 2003 vor. Weiterhin ist für die Gewährung von Kindergeld Voraussetzung, dass die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind, den Jahresgrenzbetrag von 7.188 EUR im Jahr 2003 nicht überschreiten.

Auch diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall unstreitig erfüllt. Die im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigenden Einkünfte lagen, wenn man die Sozialversicherungsbeiträge abzieht (Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, HFR 2005, 692), unter der maßgeblichen Einkunftsgrenze.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht die Bestandskraft des Bescheids vom 18.12.2003 der Kindergeldgewährung für das Jahr 2003 nicht entgegen.

Gemäß § 70 Abs. 4 EStG ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG über- oder unterschreiten. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass eine Kindergeldfestsetzung für ein volljähriges Kind auch nach Ablauf des Kalenderjahres korrigiert werden kann, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG entgegen einer früheren Prognose der Familienkasse unter- oder überschreiten. (BT-Drucks. 14/6160 vom 29. Mai 2001, 14). Mit der Vorschrift wird dem Umstand Rechnung getragen, dass auf der einen Seite das Kindergeld gemäß § 31 Satz 3 EStG und § 71 EStG laufend (monatlich) gezahlt werden kann, auf der anderen Seite hingegen die in § 32 Abs. 4 EStG geregelte Einkunftsgrenze eindeutig als Jahresgrenzbetrag ausgestaltet worden ist. Diese gesetzliche Konzeption "Jahreseinkunftsgrenzbetrag/laufende monatliche Zahlung" führt dazu, dass letztendlich erst nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahres festgestellt werden kann, ob die der laufenden monatlichen Kindergeldzahlungen zugrundeliegende rechtswirksame Festsetzung endgültig Bestand hat. Soweit die Familienkasse während oder vor Ablauf des laufenden Jahres Kindergeld festsetzt, beruht die Entscheidung lediglich auf einer Prognose. Mangels feststehenden Sachverhalts liegt damit auch nicht lediglich eine Änderung der rechtlichen Beurteilung vor, selbst wenn der Familienkasse im Zeitpunkt ihrer Entscheidung alle Einnahmen, Werbungskosten und Sozialversicherungsbeiträge bekannt waren und insoweit die Einkünfte im Endeffekt nicht von dem der Prognose zugrundeliegenden Sachverhalt abweichen. Insoweit ist vorliegend auch nicht entscheidend, dass die Beklagte schon erstmalig am 9.12.2002 das Kindergeld für das Jahr 2003 abgelehnt hat. Auch dass die letztmalige bestandskräftige Ablehnung zum Ende des Prognosezeitraums (18.12.2003) erlassen worden ist, ändert nichts daran, dass es sich um eine Entscheidung während des laufenden Prognosezeitraums handelt. Denn Entscheidungen, die während des laufenden Jahres über die Kindergeldfestsetzung entscheiden, tragen insofern in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht den Charakter der Vorläufigkeit in sich (FG Düsseldorf vom 12. Januar 2006 14 K 4078/05 Kg, nv juris).

Über § 70 Abs. 4 EStG wird somit eine Berichtigungsmöglichkeit eröffnet, soweit eine bestandskräftige Kindergeldfestsetzung vorliegt, die vor oder während des Prognosezeitraums getroffen wurde (so auch Urteile des FG Düsseldorf vom 12.1.2006 14 K 4361/05 Kg, EFG 2006, 506 und 14 K 4078/05 Kg, nv juris; Urteil des FG Niedersachsen vom 21. März 2006 13 K 398/05, nv). Für diese Ansicht kann auch der Wortlaut des § 70 Abs. 4 EStG, der systematische Zusammenhang, in den der Gesetzgeber die Norm hineingestellt hat und der Normzweck herangezogen werden (s. hierzu ausführlich Wüllenkemper, Anmerkung zum Urteil des FG Düsseldorf vom 12. Januar 2006 14 K 4361/05 Kg, EFG 2006, 509 mwN).

Unerheblich für die Berichtigungsmöglichkeit ist auch, ob sich lediglich die Verhältnisse geändert haben, der Berechtigte unvollständige Angaben gemacht hat oder die Familienkasse die Einkünfte falsch ermittelt hat (vgl. BFH-Urteil vom 30. November 2004 VIII R 6/03, BFH/NV 2005, 890). Die Bestandskraft des Aufhebungs- oder Ablehnungsbescheids, die grundsätzlich bis um Ende des Monats seiner Bekanntgabe reicht, steht in einem solchen Fall einer Änderung für das gesamte Jahr nicht entgegen.

Da vorliegend zwischen den Beteiligten unstreitig die Voraussetzungen für die Kindergeldgewährung vorliegen (§§ 32, 62, 63 EStG), war die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Kindergeld für das Jahr 2003 zu bewilligen, § 70 Abs. 4 EStG.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

5. Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache im Hinblick auf die Frage der Anwendbarkeit des § 70 Abs. 4 EStG grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Ende der Entscheidung

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