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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 20.08.2009
Aktenzeichen: 10 K 1180/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 2 Abs. 2
EStG § 32 Abs. 4
EStG § 32 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten jetzt noch darüber, ob der Beklagte im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für 2004 Kinderfreibeträge zu Unrecht nicht berücksichtigt hat.

Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger sind die Eltern der im ... 0000 geborenen Tochter B und des im ... 0000 geborenen Sohnes K. Beide Kinder befanden sich unstreitig während des ganzen Jahres 2004 in Berufsausbildung. Der Beklagte hatte die Gewährung der Kinderfreibeträge in dem vorliegend streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid gleichwohl abgelehnt, weil die Einkünfte und Bezüge der Kinder den für sie gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 7.680 € überschritten. Dabei hatte der Beklagte die Einkünfte der Kinder lt. den für sie jeweils unter den Steuer-Nr. ... (B) bzw. ... (K) abgegebenen Einkommensteuererklärungen erklärungsgemäß angesetzt. Zur Überschreitung des Jahresgrenzbetrags war es unstreitig nicht durch die laufenden Einkünfte der Kinder gekommen, sondern aufgrund eines Veräußerungsgewinns im Rahmen der gewerblichen Beteiligungseinkünfte. Der Beklagte begründete die Versagung der Kinderfreibeträge damit, an die ertragsteuerlichen Regeln der Einkunftsermittlung gebunden zu sein.

Dem Veräußerungsgewinn liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Ursprünglich hatte sich der Kläger in den neuen Bundesländern an der beim Finanzamt H geführten gewerblichen Mitunternehmerschaft "U - zweite atypisch stille Beteiligung" mit einer Einlage von ... € atypisch still beteiligt. Die Beteiligung wurde treuhänderisch von der T GmbH gehalten, deren Geschäftsführer ebenfalls der Kläger war. Der Kläger wurde mit seiner Beteiligung im Register des Treuhänders unter der Zeichner-Nr. ... geführt. Die atypisch stille Gesellschaft sollte nach § 3 des Gesellschaftsvertrags am 1. Dezember 1992 beginnen und für die Zeit bis zum 31. Dezember 2004 fest vereinbart sein. Das Auseinandersetzungsguthaben sollte nach § 12.4 des Gesellschaftsvertrags unabhängig von dem Zeitpunkt und den Gründen des Ausscheidens aus der stillen Gesellschaft bzw. ihrer Beendigung in jedem Fall erst zum 31. Dezember 2005 zahlbar sein. Es handelte sich dabei nach den Prospekt-Angaben um eine Verlustzuweisungsgesellschaft, für die in der Investitionsphase (1. Dezember 1992 bis 31. Dezember 1993) ein Verlust von ca. 150 % zugewiesen wurde. Die Kündigung der stillen Beteiligung zum Ende des Jahres 2004 bei einer Auszahlung des Darlehens im Jahr 2005 war in dem Prospekt von Beginn an vorgesehen (ebenso § 3 des Gesellschaftsvertrags und § 5 des Treuhandvertrags).

Mit Vereinbarung vom 1. Januar 2003 hatte er diese Beteiligung vor dem Hintergrund des für 2004 anstehenden Veräußerungsgewinns je zur Hälfte auf seine Kinder übertragen. Die Schenkung wurde durch Eintragung in das Verzeichnis der Gesellschafter vollzogen. Zum 31. Dezember 2004 wurde die stille Beteiligung nach den Regeln des Gesellschaftsvertrags durch die Geschäftsinhaberin gekündigt. Die atypisch stillen Beteiligungen wurden ausweislich der Bestätigung des Treuhänders vom 12. Juli 2005 dann gemäß 12.4 des Gesellschaftsvertrags am 31. Dezember 2005 ausgezahlt. Nach der Mitteilung des Treuhänders entfiel auf beide Kinder ein Auseinandersetzungsguthaben von jeweils ... €. Die Veräußerungsgewinne wurden zum 31. Dezember 2004 als Aufgabegewinne der Kinder des Klägers erklärt.

Die Kläger haben bisher unter Bezug auf den Beschluss des FG München vom 7. Oktober 2001 9 V 4001/01 vorgetragen, die unstreitig für 2004 zu erfassenden Veräußerungsgewinne resultierten aus Vermögenswerten, die den Kindern nicht für den Konsum, sondern zum Zwecke des Vermögensaufbaus übertragen worden seien. Der Kläger habe aus dem Vorgang sämtliche steuerlichen Konsequenzen für die laufende Besteuerung der Jahre 2003 und 2004 gezogen. Das Geld habe den Kindern nie zu Unterhaltszwecken zur Verfügung gestanden. Er - der Kläger - habe da den Daumen drauf gehabt. Inzwischen habe er sich das Geld von den Kindern als Darlehen zurückgewähren lassen.

Die Kläger beantragen,

die Kinderfreibeträge gemäß § 32 EStG für die im Jahr 2004 noch in Ausbildung befindlichen Kinder zu gewähren, hilfsweise die Zulassung der Revision.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

die Zulassung der Revision.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Die Einkünfte und Bezüge der Kinder des Klägers überschreiten den für sie maßgeblichen Jahresgrenzbetrag, sodass der Beklagte die Kinderfreibeträge zu Recht versagt hat.

1. Unter weiteren - hier nicht streitigen - Voraussetzungen ist ein Kinderfreibetrag für jedes zu berücksichtigende Kind abzuziehen, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 € hat (§ 32 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 EStG in der für das Streitjahr 2004 geltenden Fassung).

a) Der Begriff der Einkünfte ist in § 2 Abs. 2 EStG je nach Einkunftsart gesetzlich definiert als Gewinn (Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbstständige Arbeit, § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG) oder - bei den anderen Einkunftsarten - als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Diese Begriffsbestimmung gilt nach dem BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) grundsätzlich auch für den Begriff der Einkünfte in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG (BFH-Urteil vom 28. Mai 2009 III R 8/06, zur Veröffentlichung bestimmt; ferner BFH-Urteile vom 26. September 2007 III R 4/07, BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738, vom 25. September 2008 III R 29/07, BFH/NV 2009, 372).

b) Die Vorschrift des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG begrenzt sowohl den Anspruch auf Kinderfreibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG als auch den Kindergeldanspruch gemäß §§ 62 ff. EStG, so dass durch die Auslegung im Regelfall eine Gleichbehandlung von Kindergeld und Kinderfreibeträgen zu gewährleisten ist. Beim Zweck der Jahresgrenzbetragsregelung ist jedoch hinsichtlich der Freibeträge zu berücksichtigen, dass es dort um die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Verschonung des Familienexistenzminimums geht, während die Kindergeldregelungen, soweit es für die steuerliche Freistellung des Existenzminimums nicht erforderlich ist, der Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG) dienen und damit eine von den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die steuerrechtliche Belastung unabhängige sozialrechtliche Funktion haben. Soweit es - wie auch im Streitfall - um die Steuerfreistellung des Familienexistenzminimums geht, unterliegt der Gesetzgeber tendenziell strikteren Bindungen als bei sozialrechtlichen Regelungen zur Förderung der Familie (BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260).

Auch im Rahmen der Kinderfreibetragsregelung hält es das BVerfG jedoch für bedenkenfrei, dass die Jahresgrenzbetragsregelung diejenigen Eltern von finanziellen Entlastungen ausschließt, deren Kinder über eigene Einkünfte und Bezüge in einer das Existenzminimum übersteigenden Höhe verfügen, so dass sich die Unterhaltspflicht der Eltern entsprechend mindert. Die Anknüpfung an den einkommensteuerrechtlichen Begriff der Einkünfte bewertet das BVerfG grundsätzlich als ein in sich stimmiges Konzept von Grund- und Folgeentscheidung. Maßgeblich für die Auslegung des Begriffs der Einkünfte ist daher die "tradierte steuerrechtliche Terminologie" des Begriffs (BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260; BFH-Urteil vom 25. September 2008 III R 29/07, BFH/NV 2009, 372; ferner BFH-Beschluss vom 18. Mai 2006 III R 1/06, BFH/NV 2006, 1825, nachdem es sich bei der Anknüpfung des Gesetzgebers um eine bewusste Entscheidung gehandelt hat).

c) Auslegungsspielraum bietet lediglich der Relativsatz, "die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind", der nach inzwischen ständiger Rechtsprechung auch auf die Einkünfte des Kindes zu beziehen ist. Entscheidend für die Einbeziehung von Mitteln des Kindes in die Einkünfte und Bezüge ist nach diesem Konzept die mögliche Entlastungswirkung bei den unterhaltspflichtigen Eltern. Dabei stellt das BVerfG allerdings ausdrücklich nicht auf den reinen Zufluss ab und geht deshalb entgegen der Ansicht des Klägers nicht davon aus, dass nur zugeflossene, also tatsächlich vorhandene Mittel als Einkünfte zu berücksichtigen sind. Das BVerfG bleibt vielmehr grundsätzlich bei der einkommensteuerrechtlichen Terminologie und lässt ausdrücklich offen, in welchen Fällen der Relativsatz im Einzelfall auf Einkünfte anzuwenden ist und unterstellt dies einer wertenden Betrachtung im Einzelfall (BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260: keine Einbeziehung der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge; dem gleichgestellt sind Beiträge zu einer freiwilligen gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sowie unvermeidbare Beiträge für eine private Kranken- und Pflegeversicherung, BFH-Urteil vom 26. September 2007 III R 4/07, BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738, während Beiträge für eine private Zusatzkranken- bzw. Rentenversicherung sowie Lohnsteuer und sonstige Versicherungsprämien - etwa Kfz-Haftpflichtversicherung - die kindergeldschädlichen Einkünfte nicht mindern, weil derartige Aufwendungen zur aktuellen Existenzsicherung nicht erforderlich und somit für das Kind vermeidbar sind; auch der Verpflichtung einer Kfz-Haftpflichtversicherung könne das Kind dadurch ausweichen, dass es auf das Halten eines Kfz verzichte; offengelassen hat der BFH bisher, ob die Einkünfte des Kindes um unvermeidbare Krankheitskosten zu mindern sind, die bei der Einkommensteuerveranlagung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen wären; ferner BFH-Urteil vom 25. September 2008 III R 29/07, BFH/NV 2009, 372 für die Nichtberücksichtigung von Lohn- und Kirchensteuer sowie des Solidaritätszuschlags im Rahmen der Einkunftsermittlung).

d) Die Anlehnung an die einkommensteuerrechtlichen Grundsätze der Einkunftsermittlung ist danach prinzipiell verfassungskonform und sowohl für die Kinderfreibeträge als auch für das Kindergeld maßgeblich. Daher sind auch - positive oder negative - gewerbliche Beteiligungseinkünfte zu berücksichtigen, mit der Folge, dass auch die Grundsätze der Verrechenbarkeit von Verlusten und ebenso die gesetzlichen Beschränkungen des Verlustausgleichs im Rahmen der unterschiedlichen Einkunftsarten gelten (BFH-Beschluss vom 18. Mai 2006 III R 1/06, BFH/NV 2006, 1825). Ob es sich um einmalige oder laufende Einkünfte handelt, ist unmaßgeblich, so dass auch Veräußerungsgewinne einzubeziehen sind (vgl. Schmidt/Loschelder, EStG, § 32 Rz. 51, 53); ergänzend bestimmt § 32 Abs. 4 S. 4 EStG, dass der steuerfreie Teil eines Veräußerungsgewinns zu den Bezügen gehört.

Soweit es danach im Rahmen der Gewinneinkunftsarten zu einer Berücksichtigung von noch nicht zugeflossenen Beträgen kommt, ist diese unterschiedliche Behandlung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Ungleichheit der typisiert geregelten und an der Einkunftsart ausgerichteten Ermittlung der Einkünfte überschreitet nicht den "gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum vertretbarer Typisierung", mit der Folge, dass diese Ungleichheiten auch hinsichtlich der Einbeziehung als Einkünfte des Kindes in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG hinzunehmen sind (Beschluss des BVerfG vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, BStBl II 1997, 518, unter II.2.,; BFH-Urteil vom 26. September 2007 III R 4/07, BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738 für Lohnsteuer und Versicherungsprämien, die die kindergeldschädlichen Einkünfte nicht mindern).

e) Der erkennende Senat schließt sich dem an und berücksichtigt bei der Ermittlung der Einkünfte der Kinder des Klägers im Streitjahr 2004 auch die unstreitig erst Ende 2005 zugeflossenen Veräußerungsgewinne. Bei seiner Wertentscheidung berücksichtigt das Gericht auch, dass es sich beim Kindergeldrecht um ein Massenverfahren handelt und von den Familienkassen schon deshalb nicht verlangt werden kann, etwa jede Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich unter Zufluss-Gesichtspunkten um noch nicht zugeflossenen Forderungen bzw. noch nicht abgeschlossene Verbindlichkeiten zu korrigieren. In dieser Wertung sieht sich das Gericht auch durch das zur Veröffentlichung bestimmte BFH-Urteil vom 28. Mai 2009 III R 8/06 bestätigt, in welchem der BFH eine nach den Grundsätzen des § 7g Abs. 3 EStG gebildete Ansparrücklage einkunftsmindernd anerkennt und es - mangels gesetzlicher Vorschrift - auch ablehnt, eine solche Rücklage entsprechend § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG 2002 als Bezug anzusetzen.

Zwar hat das FG München in dem nicht veröffentlichten Beschluss vom 7. Oktober 2001 9 V 4001/01 die Auffassung vertreten, dass Barvermögen, welches einem Kind im Wege einer Schenkung zufließt, im Jahr des Zuflusses jedenfalls dann nicht zu den Bezügen des Kindes im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zählt, wenn der Schenker das Geld ausdrücklich mit der Zweckbestimmung des langfristigen Vermögensaufbaus und nicht zu Konsumzwecken zur Verfügung stellt. Eine dem vergleichbare Sachverhaltskonstellation ist im Streitfall jedoch nicht gegeben. Denn vorliegend hatte der Kläger seinen Kindern bereits im Jahr 2003 die stille Beteiligung, also die Einkunftsquelle selbst übertragen, aus welcher dann im Streitjahr 2004 nach den Gewinnermittlungsgrundsätzen die Einkünfte zu erfassen waren. Der erkennende Senat kann deshalb offen lassen, ob er dem FG München uneingeschränkt folgen könnte.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

3. Der erkennende Senat lässt die Revision zu, weil der BFH noch nicht ausdrücklich über die Frage entschieden hat, ob nach Gewinnermittlungsgrundsätzen zu erfassende, nach den zugrunde liegenden vertraglichen Regelungen aber erst in einem späteren Jahr zufließende Veräußerungsgewinne im Rahmen der Jahresgrenzbetragsregelung zu berücksichtigen sind.

Ende der Entscheidung

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