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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 23.10.2008
Aktenzeichen: 10 K 1228/07
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

10 K 1228/07

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 14. Juli 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2007 verpflichtet, das Kindergeld für T für die Monate Juli 2004 bis März 2007 zu gewähren.

Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Kindergeld für seine im November 1982 geborene Tochter T als behindertes Kind zusteht, insbesondere darüber, ob diese behinderungsbedingt außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten.

Der Kläger bezog bis Juli 2004 Kindergeld für T, deren Schwerbehindertenausweis einen Grad der Behinderung von 100% mit den Merkzeichen "G", "H" und "RF" ausweist. Gleichwohl hat T im Juli 2004 eine - geförderte - Ausbildung zur Buchbinderin abgeschlossen. Nach Abschluss ihrer Ausbildung bezog sie zunächst Arbeitslosengeld, und zwar für die Zeit vom 13. Juli bis 31. Dezember 2004: 2.155 € (das Jahreseinkommen für 2004 betrug 2.760 €, Kindergeld-Akte, Bl. 48, 52); für die Zeit von Januar bis zum 2. Juli 2005 bezog sie ebenfalls Arbeitslosengeld i.H.v. 2.302 € (Bl. 57, 59). Im Juli 2005 erhielt T zunächst einen Zeitarbeitsvertrag für drei Monate, der im Oktober 2005 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt wurde (Kindergeld-Akte, Bl. 71). Es handelte sich nach den unwidersprochenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung um eine geförderte und bezuschusste Arbeit in einer Behindertenwerkstatt.

Im November 2005 beantragte der Kläger erneut Kindergeld für T als behindertes Kind für die Monate Juli bis Dezember 2004 (Bl. 43) und für 2005 (Kindergeld-Akte, Bl. 57). T sei behinderungsbedingt außer Stande, sich selbst zu unterhalten. Mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 14. Juli 2006 in Form der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2007 lehnte die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab. Ein hoher Grad an Behinderung allein reiche nicht aus. T sei erwerbstätig und aufgrund der von ihr erzielten Einkünfte nicht behinderungsbedingt außer Stande sei sich selbst zu unterhalten.

Nach den ebenfalls unwidersprochenen Angaben des Klägers ist seine Tochter seit Oktober 2006 wieder arbeitslos; bis zum Tag der mündlichen Verhandlung war es ihr nicht gelungen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, obwohl sie gerne einer Berufstätigkeit nachgegangen wäre.

Der Kläger macht geltend, seine Tochter sei zwar einer Beschäftigung nachgegangen, der existenznotwendige Bedarf sei aber jedenfalls unter Berücksichtigung des für T maßgeblichen Behindertenpauschbetrages von 3.700 € für den behinderungsbedingten Mehrbedarf nicht abgedeckt, wie sich aus folgender Berechnung ergebe:

 2005:  
Einnahmen Bruttobezüge im Juli bis Dezember 2006 6.198 €
Arbeitslosengeld 2.302 €
Ausgaben Sozialversicherung 1.314 €
Fahrtkosten (114 x 18 km x 0,30 € x 2 1.231 € gemäß §§ 9 Abs. 2 EStG)
anteiliger AN-Pauschbetrag 460 €
höchstens demnach 5.396 €

 2006: Einnahmen Bruttobezüge 12.502 €
Ausgaben Sozialversicherung 2.689 €
Fahrtkosten (166 x 18 km x 0,30 € x 2 1.793 € gemäß §§ 9 Abs. 2 EStG)
AN-Pauschbetrag 920 €
höchstens demnach 7.100 €

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 14. Juli 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2007 zu verpflichten, das Kindergeld für T für die Monate Juli 2004 bis März 2007 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Tochter des Klägers sei im Stande, sich selbst zu unterhalten. Bereits aus dem Bezug von Arbeitslosengeld ergebe sich, dass sie der Vermittlung durch die Agentur für Arbeit zur Verfügung gestanden habe und dementsprechend tatsächlich auch in der Lage gewesen sei, eine für sie in Frage kommende Arbeit aufzunehmen. Andernfalls wäre der Bezug der Leistungen zu Unrecht erfolgt. Zu Unrecht fordere der Kläger die Berücksichtigung des Pauschbetrags für behinderungsbedingten Mehrbedarf. Die Berücksichtigung als behindertes Kind setze die grundsätzliche Unfähigkeit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit infolge der Behinderung voraus. Nur in einem solchen Fall wäre zu prüfen, ob dass Kind trotz seiner Behinderung über Einnahmen verfüge, die zum Selbstunterhalt ausreichen. Da T trotz ihrer Behinderung unstreitig in der Lage sei, einen Beruf auszuüben, komme eine Berücksichtigung als behindertes Kind nicht in Betracht. Es gebe schließlich viele zu 100 % behinderte Menschen, die voll im Erwerbsleben stünden. Die vom BFH aufgestellte Vermutung sei deshalb widerlegt, wenn das Kind vollschichtig erwerbstätig sei.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Die Beklagte hat das Kindergeld für die schwerbehinderte Tochter des Klägers zu Unrecht abgelehnt, weil diese i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG wegen Behinderung außerstande war, sich selbst zu unterhalten.

1. Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für ein volljähriges Kind Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.

2. Dieser Berücksichtigungstatbestand ist eigenständig und nicht nach den Grundsätzen auszulegen, die das BSG zum Kindergeld nach dem BKGG a.F. und zur Erwerbsunfähigkeit i.S. des § 44 SGB VI a.F. (§ 43 SGB VI n.F.) entwickelt hat. Denn das durch das JStG 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) eingeführte Kindergeld des X. Abschnitts des EStG dient sowohl der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes als auch, soweit es dafür nicht erforderlich ist, der Förderung der Familie (§ 31 Sätze 1 und 2 EStG). Dementsprechend kommt dem einkommensteuerlichen Kindergeld bei steuerpflichtigen Eltern zumindest teilweise dieselbe Funktion zu wie dem zuvor maßgeblichen Kinderfreibetrag. Wie dieser dient das Kindergeld dem Zweck, die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung von Eltern wegen der Belastung mit dem Unterhalt für ihre Kinder herbeizuführen, so dass eine eigenständige Auslegung des Tatbestandsmerkmals "wegen Behinderung außer Stande, sich selbst zu unterhalten" erforderlich ist. Auf die Rechtsprechung des BSG zum BKGG a.F. kann daher nicht zurückgegriffen werden (BFH-Urteile vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72 , vom 26. August 2003 VIII R 58/99, BFH/NV 2004, 326; vom 24. August 2004 VIII R 83/02, BFHE 207, 244, BStBl II 2007, 248).

3. In Jahren 2005 und 2006 ging die Tochter des Klägers jeweils teilweise einer vollschichtigen Berufstätigkeit in ihrem erlernten Beruf nach. Gleichwohl war sie auch in dieser Zeit außer Stande, sich selbst zu unterhalten, weil es sich um eine geförderte und bezuschusste Arbeit gehandelt hat und sie jedenfalls unter Berücksichtigung des Behindertenpauschbetrags von im Streitfall 3.700 € nicht im Stande war, sich selbst zu unterhalten.

a) Für § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG als eigenständigen Kindergeldtatbestand gilt nicht die Einschränkung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG (Entfallen des Kindergeldanspruchs, wenn die Einkünfte des Kindes den Jahresgrenzbetrag von 7.680 € übersteigen). Kann das Kind aufgrund seiner Einkünfte und Bezüge selbst für seinen Unterhalt sorgen, kommt der Behinderung keine Bedeutung zu, mit der Folge, dass kein Kindergeld zu gewähren ist (BFH-Urteil vom 24. August 2004 VIII R 83/02, BFHE 207, 244, BStBl II 2007, 248, BFH/NV 2004, 1717; ebenso BFH-Beschluss vom 15. Februar 2007 III B 145/06, BFH/NV 2007, 1112; weitgehend anders noch BFH-Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72).

b) Das Tatbestandsmerkmal "sich selbst zu unterhalten" ist im Gesetz nicht näher umschrieben. Ob ein volljähriges behindertes Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, hängt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung davon ab, ob es mit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln seinen gesamten notwendigen Lebensbedarf bestreiten kann, wobei allerdings das Vermögen des Kindes nicht zu berücksichtigen ist (BFH-Urteil vom 19. August 2002 VIII R 51/01, BFHE 200, 212, BStBl II 2003, 91). Der existentielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich typischerweise aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen, den gesunde Kinder nicht haben.

Hinsichtlich des Grundbedarfs gilt der Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG als Maßstab. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben. Dazu gehören alle mit einer Behinderung zusammenhängenden außergewöhnlichen Belastungen, z.B. Wäsche, Hilfeleistungen, Erholung und typische Erschwernisaufwendungen. Zu diesem Minimum gehören in vertretbarem Umfange auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Werden die behinderungsbedingten Mehraufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, so kann der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG als Anhalt für den Mehrbedarf dienen und deshalb alternativ angesetzt werden (BFH-Urteile vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72 , vom 31. August 2006 III R 71/05, BFHE 214, 544, BFH/NV 2006, 2347 , vom 24. August 2004 VIII R 83/02, BFHE 207, 244, BStBl II 2007, 248, BFH/NV 2004, 1717; BFH-Beschluss vom 15. Februar 2007 III B 145/06, BFH/NV 2007, 1112 für schwerbehinderte Kinder ohne eigene Arbeit mit jeweils ausschließlichen Renteneinkünften). Das bedeutet entgegen der Verwaltungsauffassung, dass ohne Einzelnachweis jedenfalls ein behinderungsbedingter Mehrbedarf in Höhe der Pauschbeträge des § 33b EStG zu berücksichtigen ist (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72).

c) Bei der Prüfung, ob ein volljähriges behindertes Kind behinderungsbedingt außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, ist auf den jeweiligen Kalendermonat abzustellen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass behinderte Kinder von der Jahresgrenzbetragsregelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht erfasst werden. Zum anderen ist das Kindergeld in §§ 66 Abs. 1, 71 EStG als Monatsbetrag bezeichnet und wird nach § 66 Abs. 2 EStG vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen (BFH-Urteile vom 24. August 2004 VIII R 83/02, BFHE 207, 244, BStBl II 2007, 248, BFH/NV 2004, 1717 , vom 4. November 2003 VIII R 43/02, BFHE 204, 120, BFH/NV 2004, 405 , vom 16. Dezember 2002 VIII R 65/99, BFHE 201, 195, BStBl II 2003, 593; a. A. DA-FamEStG DA 63.3.6.3.1 Abs. 3 Satz 3 nach der die Prüfung jedes Jahr aufs neue zu erfolgen hat). Dies hindert bei der Betrachtung kompletter Jahre allerdings nicht daran, den Lebensbedarf insgesamt mit dem Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zuzüglich des jeweils anzuwendenden Behinderten-Pauschbetrages zu bemessen. Denn die Monatsbetrachtung ändert nichts daran, dass eine Jahresberechnung bei gleichbleibenden monatlichen Einnahmen und einem monatlich gleichbleibenden behinderungsbedingten Mehraufwand während des gesamten Kalenderjahres zu dem selben Ergebnis führt wie eine Monatsberechnung (BFH-Urteil vom 14. Dezember 2004 VIII R 59/02, BFH/NV 2005, 1090).

4. In den Streitjahren 2005 an 2006 war jedenfalls unter der danach gebotenen Berücksichtigung des Behindertenpauschbetrags als Teil des existenznotwendigen Lebensbedarfs die Tochter des Klägers außer Stande, sich selbst zu unterhalten. Dies würde auch dann gelten, wenn man im Jahr 2005 die Monate Juli bis Dezember isoliert betrachten würde. Denn dann ergäbe sich folgendes Bild:

 Finanzielle Mittel Juli bis Dezember 2006:  
Bruttobezüge 6.198 €
Ausgaben Sozialversicherung 1.314 €
Fahrtkosten (114 x 18 km x 0,30 € x 2 1.231 € gemäß §§ 9 Abs. 2 EStG)
AN-Pauschbetrag (Jahresbetrag) 920 €
höchstens demnach 3.913 €

 Lebensbedarf Juli bis Dezember 2006:  
Grundbedarf (6/12 x 7.680 €) 3.840 €
Behindertenmehrbedarf (6/12 x 3.700 €) 1.850 €
 5.690 €

Das Gericht folgt nicht der Ansicht der Beklagten, nach der für den Ansatz des Behindertenpauschbetrags immer dann kein Raum ist, wenn das Kind einer vollschichtigen Tätigkeit nachgeht. Es mag zwar durchaus Fälle geben, in denen ein zu 100 % schwerbehinderter Mensch das Glück hat, einer Berufstätigkeit nachgehen zu können, mit der er sich selbst unterhalten kann. Die Bewertung, ob eine solche Berufstätigkeit vorliegt, kann aber entgegen der Ansicht der Beklagten nicht bloß danach vorgenommen werden, ob es sich um eine vollschichtige Tätigkeit handelt. Vielmehr sind immer die Art der Tätigkeit und die bezogenen Einkünfte einzubeziehen. Dies gilt erst recht, wenn es sich bei der vollschichtigen Tätigkeit um eine geförderte und bezuschusste Arbeit handelt, die im Anschluss an eine - ebenfalls geförderte - Ausbildung aufgenommen wird und die Einkünfte aus dieser Tätigkeit nicht den notwendigen Lebensbedarf einschließlich des behinderungsbedingten Mehrbedarfs decken. Erst wenn aus den finanziellen Mitteln des Kindes eine ausreichende Leistungsfähigkeit erwächst, kann davon ausgegangen werden, dass den Eltern kein zusätzlicher Aufwand erwächst, der ihre steuerrechtliche Leistungsfähigkeit mindert.

Auch im Streitfall war das Existenzminimum von T nicht durch ihre Berufstätigkeit abgedeckt. Sie war unter Betrachtung ihres Gesamt-Lebensbedarfs vielmehr auf Zuwendungen ihrer Eltern angewiesen. Das Gericht hält es hinsichtlich der Berücksichtigung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs nicht für zulässig, den Kläger auf die Geltendmachung außergewöhnlicher Belastungen (§ 33 EStG) oder die Übertragung des Behinderten-Pauschbetrags (§ 33b Abs. 5 EStG) zu verweisen. Denn bei der Ermittlung des notwendigen Unterhaltsbedarfs des behinderten Kindes selbst bzw. seiner Fähigkeit zum Selbstunterhalt können anderweitige steuerrechtliche Entlastungsmöglichkeiten der Eltern keine Berücksichtigung finden. Derartige Entlastungen können daher nicht in die Bemessung des Grundbedarfs eines behinderten Kindes einbezogen werden. Im übrigen setzt die Übertragung des Behinderten-Pauschbetrags auf die Eltern gerade einen Kindergeldanspruch voraus (§ 33b Abs. 5 EStG; BFH-Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72).

4. In den Monaten Juli bis Dezember 2004 hatte die Tochter des Klägers nach dem Abschluss ihrer - geförderten - Ausbildung keine Arbeit. Sie war deshalb auch in dieser Zeit außerstande, sich selbst zu unterhalten. Gleiches gilt für die Monate Januar bis März 2007.

a) Eine nachweislich schwerbehinderte Person mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung kann sowohl wegen ihrer Behinderung als auch wegen der allgemeinen ungünstigen Situation auf dem Arbeitsmarkt arbeitslos und damit außerstande sein, sich selbst zu unterhalten. Nach den einschlägigen Verwaltungsanweisungen ist die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes, sich selbst zu unterhalten, grundsätzlich zu verneinen, wenn der Grad der Behinderung weniger als 50 beträgt und besondere Umstände dafür, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden kann, nicht ersichtlich sind (DA-FamEStG DA 63.3.6.3.1 Abs. 1, BStBl I, 2004, 742). Grundsätzlich angenommen werden kann die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt, wenn im Schwerbehindertenausweis oder im Feststellungsbescheid das Merkmal "H" (hilflos) eingetragen ist oder der Grad der Behinderung 50 v.H. oder mehr beträgt und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint (z.B. Unterbringung in einer Werkstatt für behinderte Menschen). Allein die Feststellung eines sehr hohen Grades der Behinderung rechtfertigt die Annahme der Ursächlichkeit danach nicht (DA-FamEStG DA 63.3.6.3.1 Abs. 2 Satz 1, BStBl I, 2004, 742).

b) Der BFH akzeptiert dieser Auslegungsgrundsätze als sachgerecht mit der Maßgabe, dass bei einem arbeitslosen und zu 100 v.H. behinderten Kind eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass das Außerstandesein zum Selbstunterhalt auf der Behinderung und nicht auf der ungünstigen Situation am allgemeinen Arbeitsmarkt beruht, wenn das Kind - wie im Streitfall - bereits keine Lehrstelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern eine Berufsausbildung nur im Rahmen einer staatlich geförderten Berufsbildungsmaßnahme abgeschlossen hat und im Anschluss daran arbeitslos ist. Zwar seien Ausnahmen von dieser Regel denkbar, allerdings nicht schon dann anzunehmen, wenn Kind außerhalb des allgemeinen Arbeitsmarktes im Rahmen einer staatlich geförderten Berufsbildungsmaßnahme eine Berufsausbildung abgeschlossen habe. Es dränge sich die Annahme auf, dass dieselben Gründe, die die Arbeitgeber des allgemeinen Arbeitsmarktes bereits davon abgehalten hätten, dem behinderten Kind einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, sie auch davon abhielten, ihm eine Beschäftigung in dem nunmehr erlernten Beruf anzubieten (BFH-Urteil vom 26. August 2003 VIII R 58/99, BFH/NV 2004, 326: Querschnittslähmung).

c) Bei Anwendung dieser Grundsätze steht dem Kläger das Kindergeld für die Monate Juli bis Dezember 2004 und für die Monate Januar bis März 2007 schon deshalb zu, weil im Schwerbehindertenausweis des Kindes des Merkmal "H" (hilflos) eingetragen ist. Die Schlussfolgerung der Beklagten, die Tochter des Klägers sei bereits wegen ihrer vollschichtigen Erwerbstätigkeit in den Jahren 2005 und 2006 nicht außer Stande gewesen, sich selbst zu unterhalten, teilt der erkennende Senat nicht. Dies ergibt sich bereits aus der nach Ansicht des BFH notwendigen Monatsbetrachtung (s.o. 3 c). Jedenfalls in den Fällen, in denen das behinderte Kind in einem anderen als dem zu beurteilenden Jahr einer geförderten und bezuschussten Tätigkeit nachgegangen ist, bleibt es unverändert bei der Vermutung aus dem BFH-Urteil vom 26. August 2003 VIII R 58/99 (BFH/NV 2004, 326), nach der davon auszugehen ist, dass das Kind nicht wegen der ungünstigen Situation auf dem Arbeitsmarkt, sondern wegen seiner Behinderung keine Anstellung finden konnte. Der Beklagte hat demgegenüber im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass die Tochter des Klägers am regulären Arbeitsmarkt vermittelbar gewesen wäre.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

6. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zuzulassen, ob der Behinderten-Pauschbetrag auch bei teilweiser vollschichtiger Erwerbstätigkeit des Kindes berücksichtigt werden kann.

Ende der Entscheidung

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