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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 15.05.2008
Aktenzeichen: 10 K 1610/06
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 63 Abs. 1 S. 3
AO 1977 § 8
AO 1977 § 9
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

10 K 1610/06

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Kindergeld für seine Tochter M für die Monate ab Oktober 2003 zusteht, insbesondere über die Frage, ob M in den streitbefangenen Monaten einen Wohnsitz in der Bundesrepublik hatte.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und Vater von 4 Kindern. Er bezog Arbeitslosengeld und außerdem eine inländische Rente von der L, die wegen voller Erwerbsminderung des Klägers festgestellt und bis zum 31. Dezember 2006 befristet war (Kindergeld-Akte, Bl. 193). Der Kläger verfügt über einen inländischen Wohnsitz, hält sich aber auch selbst häufiger in der Türkei auf. Selbst der Prozessbevollmächtigte hat im Rahmen des Vorverfahrens Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme zum Kläger wegen dessen Aufenthalten in der Türkei vorgetragen (Kindergeld-Akte, Bl. 186).

Die im Juni 1983 geborene Tochter M besuchte im Anschluss an die allgemeinbildende Schule das Berufskolleg O. Ausweislich einer vom Kläger vorgelegten Schulbescheinigung sollte die Schulzeit planmäßig bis Juli 2003 dauern. M brach die Schulausbildung am Berufskolleg O jedoch bereits im Juli 2002 nach einjähriger Berufsfachschule mit der Fachoberschulreife ab (Kindergeld-Akte, Bl. 104, 131) und setzte ihre Schulausbildung im Anschluss daran in der Türkei fort. Dies wurde vom Kläger allerdings gegenüber der Beklagten zunächst nicht angezeigt, obwohl der Kläger bereits bei der Antragstellung durch die Vordrucke der Bundesagentur für Arbeit über seine Anzeige- und Mitwirkungspflichten informiert worden war. Im Juni 2003 erlangte M in der Türkei den türkischen Gymnasialabschluss. Anschließend nahm sie ab September 2003 ein Studium in der Stadt J (Türkei) auf.

Für die Monate bis einschließlich September 2003 erhielt der Kläger für M das volle Kindergeld ausgezahlt. Im Oktober 2003 übermittelte der Kläger der Beklagten eine Kopie des Studentenausweises von M. Die Beklagte stellte daraufhin die Kindergeldzahlung für M ein. Den anschließenden Nachweis-Anforderungen kam der Kläger zunächst nur schleppend nach. Das Abschlusszeugnis des Berufskolleg O übersandte er erst Ende Mai 2004, nachdem die Beklagte angedroht hatte, die Kindergeldfestsetzung aufzuheben; Nachweise über die Fortsetzung der Schulausbildung in der Türkei übersandte der Kläger erst nach einer weiteren Aufforderung im Juni 2004.

Mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 17. Juni 2004 wurde das Kindergeld für M für die Monate ab Oktober 2003 als Abkommens-Kindergeld in Höhe von 12,78 EUR festgesetzt; im Übrigen wurde der Antrag des Klägers unter Hinweis auf die Fortsetzung der Ausbildung in der Türkei abgelehnt. Insgesamt wurde dem Kläger für die Monate Oktober 2003 bis Mai 2004 ein Nachzahlungsbetrag von 302,24 EUR angewiesen (Kindergeld-Akte, Bl. 155).

Mit weiterem Bescheid vom 19. Juli 2004, gegen den im Anschluss an die Einspruchsentscheidung allerdings keine Klage erhoben wurde, hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für M für die Monate August 2002 bis September 2003 auf der Grundlage von § 70 Abs. 2 EStG, weil M ihre Ausbildung ab August 2002 in der Türkei fortgesetzt und ab diesem Zeitpunkt keinen Wohnsitz mehr im Inland gehabt habe. Gleichzeitig wurde der Kläger zur Erstattung des nach Ansicht der Beklagten für die Monate August 2002 bis September 2003 überzahlten Betrags von 1.977,08 EUR aufgefordert (14 x 141,22 EUR, Kindergeld-Akte, Bl. 170, 204; die Nennung des Monats August 2003 ist nach der Einspruchsentscheidung ein Schreibfehler).

Mit den Einsprüchen machte der Kläger geltend, dass M ihre Schulausbildung zwar ab August 2002 in der Türkei fortgesetzt habe, der Wohnsitz in der elterlichen Wohnung jedoch beibehalten worden sei. M habe sich dort während jeder ausbildungsfreien Zeit und ebenso in den Ferien bzw. den Semesterferien aufgehalten. Außerdem habe M die Absicht, nach dem Studium wieder nach Deutschland zurückzukehren.

Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens erläuterte die Familienkasse dem Bevollmächtigten die Wohnsitz-Rechtsprechung und bat um eine Schilderung der Wohnverhältnisse von M. Ausweislich der nachfolgenden Erklärung des Bevollmächtigten hat sich M in den Jahren 2003 und 2004 wie folgt in Deutschland aufgehalten, wobei die Stempelaufdrucke in den eingereichten Pass-Kopien allerdings nur teilweise leserlich sind:

 31. Januar bis 15. Februar 2003 15 Tage
26. Juli bis 27. August 200332 Tage
18. bis 31. Dezember 200313 Tage
 60 Tage
1. bis 4. Januar 20044 Tage
15. Juli bis 11. August 200427 Tage
 31 Tage

Zur Wohnsituation von M wurde nunmehr vorgetragen, dass sie bei Ihren Aufenthalten in Deutschland ein Zimmer in der "F-Straße" (Stadt X) bei der bekannten/verwandten Familie K bewohnt habe, die nur wenige Meter von der elterlichen Wohnung entfernt wohne. Dieses Zimmer habe sie auch während der Zeit des Studiums in der Türkei beibehalten. Im Jahr 2005 habe sich M im Februar für 2 Wochen in Deutschland aufgehalten sowie in den türkischen Semesterferien von Juli bis Anfang September 2005, ohne dass dies allerdings näher belegt ist. Die Ablichtung des Reisepasses zur Verifizierung dieser Angaben ist unleserlich. Auf weitere Nachfrage der Beklagten teilte der Bevollmächtigte mit, dass M nicht unter der Anschrift "F-Straße" gemeldet gewesen sei; auch ein schriftlicher Mietvertrag über das angemietete Zimmer bestehe nicht. Vorgelegt wurde lediglich eine handschriftliche sog. "Mietbestätigung" des Herrn K vom 21. Februar 2006 über die Überlassung eines - nicht näher bestimmten - Zimmers an M. In der Türkei habe M eine Wohnung bei ihrer Tante angemietet (Kindergeld-Akte, Bl. 206 ff., 212).

Der Einspruch des Klägers gegen den vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 17. Juni 2004, mit dem dem Kläger ab Oktober 2003 lediglich Abkommens-Kindergeld in Höhe von 12,78 EUR monatlich zugebilligt wurde, wies die Beklagte am 21. März 2006 als unbegründet zurück. Diese Einspruchsentscheidung verhält sich ausdrücklich nicht zum Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid betreffend das für die Monate August 2002 bis einschließlich September 2003 ausgezahlte Kindergeld vom 19. Juli 2007; auch die Vorschrift des § 37 Abs. 2 AO 1977 ist nicht erwähnt. Zur Begründung für die Zurückweisung des Einspruchs verweist die Beklagte auf die Wohnsitzverlagerung von M in die Türkei. Daran ändere auch nichts eine etwaige Absicht von M, nach Abschluss ihres Studiums in der Türkei nach Deutschland zurückzukehren. Auch ein gewöhnlicher Aufenthalt von M im Inland sei nicht feststellbar. Daher bestehe für den Kläger als Arbeitnehmer i.S. Art. 33 Abs. 1 des dt.-türk. Abkommens über soziale Sicherheit lediglich Anspruch Kindergeld i.H. des Abkommens-Satzes von 12,78 EUR.

Eine weitere, nicht vom Kläger angefochtene und deshalb inzwischen bestandskräftige Einspruchsentscheidung betrifft den Bescheid vom 19. Juli 2007 über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Monate August 2002 bis September 2003 und die Rückforderung des Betrags von 1.977,08 EUR.

Mit weiterem, vorliegend nicht streitgegenständlichem Bescheid vom 22. März 2006 hob die Beklagte auch die Festsetzung des Abkommens-Kindergelds für die Monate ab September 2004 auf der Grundlage von § 70 Abs. 2 EStG auf. Der Kläger habe Arbeitslosengeld nur bis zum 31. August 2004 bezogen. Da er Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung habe, sei der Kindergeldanspruch für die Monate ab September 2004 weggefallen. Über den dagegen eingelegten Einspruch ist nach Aktenlage noch nicht entschieden.

Die Klage richtet sich nach der fett gedruckten Bezeichnung des Gegenstands gegen "die Entscheidung ... vom 17. Juni 2004 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 21. März 2006", mit der der Kindergeldantrag des Klägers abgelehnt und das Kindergeld für M lediglich nach dem deutsch-türkischen Abkommen über soziale Sicherheit bewilligt wurde. Dabei wurde auch nur die Einspruchsentscheidung betreffend diesen Bescheid übersandt, nicht aber die Einspruchsentscheidung betreffend den Bescheid vom 19. Juli 2004. Der Kläger macht geltend, M bewohne in der Türkei ausweislich der vorgelegten Vermieterbescheinigung ein Zimmer in der Wohnung einer Tante. In Deutschland unterhaltene M einen weiteren Wohnsitz in Form eines Zimmers bei der Familie K in der Stadt X. M wolle nach Abschluss ihrer Ausbildung nach Deutschland zurückkehren und dieses Zimmer bis auf weiteres als Wohnung nutzen. Sie könne über dieses Zimmer jederzeit verfügen. Es handle sich um ein abgetrenntes Zimmer innerhalb der Wohnung der Familie K. Der Lebensmittelpunkt von M befinde sich nach wie vor in der Stadt X. M nutze jede sich bietende Gelegenheit, um nach Deutschland zu ihrer Familie zurückzukehren. Dies werde dokumentiert durch die regelmäßigen Aufenthalte während des Hochschulstudiums in Deutschland.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17. Juni 2004 und der Einspruchsentscheidung vom 21. März 2006 zu verpflichten, das Kindergeld für M in voller Höhe für die Monate ab Oktober 2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte führt ergänzend aus: M halte sich über 10 Monate des Jahres in der Türkei bei Verwandten auf, also nicht isoliert, sondern eingebunden in den türkischen Familien- und Kulturkreis. Die bis Juli 2002 bestehende familiäre Wohn- und Lebensgemeinschaft mit den Eltern in Deutschland bestehe nicht mehr. Dies werde im Streitfall auch dadurch bestätigt, dass M bei ihren Besuchskontakten in Deutschland nicht in der Wohnung der Eltern lebe, sondern in einem Zimmer einer bekannten/verwandten Familie.

In der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 2008 hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die angeblichen Aufenthalte im Inland bei der Familie K nicht überzeugend vorgetragen seien und auch nicht das Verhältnis, in welchem die Familie K zum Kläger stehe. Auch auf die weitgehende Unleserlichkeit der Reisepass-Kopien wurde hingewiesen und darauf, dass die Bestätigung vom 21. Februar 2006 (Kindergeld-Akte, Bl. 212) von Herrn K auf eine reine Gefälligkeitsbescheinigung hindeute. Der Prozessbevollmächtigte hat dazu erklärt, keine weiteren Informationen über die Familie K und die Aufenthalte der Tochter des Klägers in der Bundesrepublik zu haben.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Die Tochter des Klägers ist sich zwar ein grundsätzlich berücksichtigungsfähiges Kind i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 32 Abs. 1 EStG. Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden jedoch solche Kinder nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, es sei denn, sie leben im Haushalt eines Berechtigten i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Die Tochter des Klägers hatte jedoch ab August 2002 (Fortsetzung ihrer Ausbildung in der Türkei) ihren ausschließlichen Wohnsitz und auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei, die nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten zählt.

1. M hatte ab August 2002 keinen Wohnsitz mehr im Inland.

a) Einen Wohnsitz hat jemand nach § 8 der Abgabenordnung (AO 1977) dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

b) Aufgrund des Erfordernisses, dass das Innehaben der Wohnung unter Umständen erfolgen muss, die darauf schließen lassen, dass die Person die Wohnung beibehalten und benutzen wird, besteht in der Rechtsprechung der BFH-Senate Einigkeit über die Geltung eines besonderen steuerrechtlichen Wohnsitzbegriffs. Es handelt sich um einen objektivierten Wohnsitzbegriff, bei dem aus äußeren objektiven Tatsachen Schlüsse auf das zukünftige tatsächliche Verhalten einer Person gezogen werden. Melderechtliche Normen sowie bürgerlich-rechtliche Vorschriften zur Begründung, Beibehaltung und Aufgabe eines Wohnsitzes sind deshalb unmaßgeblich (BFH-Urteile vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 und vom 23. November 1988 II R 139/87, BFHE 155, 29, BStBl II 1989, 182).

c) Ein Wohnsitz in diesem Sinne setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus. Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zur entsprechenden Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Nutzung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH-Urteile vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279 , vom 22. April 1994 III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887; ferner Urteile vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 und VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279; ebenso BFH-Urteil vom 23. November 1988 II R 139/87, BFHE 155, 29, BStBl II 1989, 182).

d) Zwar setzt ein inländischer Wohnsitz ausdrücklich nicht voraus, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen dort befindet. Denn das Gesetz geht sowohl in § 8 AO 1977 als auch in § 1 EStG erkennbar von der Gleichwertigkeit aller Wohnsitze einer bestimmten Person aus, sodass sich die Annahme verbietet, dass nur ein "qualifizierter" Wohnsitz - etwa in Abhängigkeit einer bestimmten Anzahl von Nutzungstagen - ein solcher i.S. des Einkommensteuerrechts ist (BFH-Urteile vom 28. Januar 2004 I R 56/02, BFH/NV 2004, 917 , vom 16. Dezember 1998 I R 40/97, BFHE 187, 544, BStBl II 1999, 207 m.w.N.; ferner BFH-Urteil vom 24. Januar 2001 I R 100/99 BFH/NV 2001, 1402). Ebenso wenig gibt es einen "allgemeinen Grundsatz des internationalen Steuerrechts", dass Familienleistungen nur in dem Staat bezogen werden dürfen, in dem sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Kindes befindet (vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 2004 I R 56/02, BFH/NV 2004, 917). Allerdings führen besuchsweise Aufenthalte des Kindes in der elterlichen Wohnung während der Ferienzeit auch dann nicht zur Beibehaltung des Inlandswohnsitzes, wenn die Rückkehr des Kindes nach Deutschland nach Erreichen des Schulabschlusses beabsichtigt ist.

aa) So behalten Kinder, die zum Zwecke einer zeitlich begrenzten Ausbildung ins Ausland gehen (Ausbildungsaufenthalt) und am Studienort oder in der Nähe des Studienortes in einem möblierten Zimmer oder Studentenheim wohnen, ihren Wohnsitz bei ihren Eltern in der BRD nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in der Regel bei, wenn durch die auswärtige Unterbringung ihre Bindung zum Elternhaus bestehen bleibt. Eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort bedingt keine Auflösung der familiären Bindungen und steht der Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht entgegen. Dabei sind von der Rechtsprechung Zeiträume von drei und auch von fünf Jahren als unbedenklich angesehen worden (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 unter Hinweis auf BSG-Urteil vom 28. Mai 1997 14/10 RKg 14/94, SozR 3-5870 § 2 Nr. 36; ferner BSG-Urteil vom 25. April 1984 10 RKg 2/83, SozR 5870 § 2 Nr. 32; Urteil des Reichsfinanzhofs -RFH- vom 17. April 1940 IV B 6/40, RStBl I 1940, 514; Urteil des Niedersächsischen FG vom 23. Juli 1992 XI 187/88, EFG 1993, 135; Urteil des Hessischen FG vom 10. Dezember 1997 9 K 726/97, EFG 1998, 882; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 8 AO 1977 Tz. 4; Buciek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 8 AO 1977 Rz. 33).

bb) Allerdings reicht die Rückkehrabsicht an den bisherigen Wohnsitz oder gar in die elterliche Wohnung auch bei einem von vornherein zeitlich beschränkten Auslandsaufenthalt (etwa zur Durchführung einer Schul- oder Berufsausbildung) allein nicht aus, um vom Fortbestand des (bisherigen) inländischen Wohnsitzes ausgehen zu können. Denn der Wille zur Rückkehr besagt grundsätzlich nichts darüber, ob der Inlandswohnsitz während des vorübergehenden Auslandsaufenthaltes beibehalten oder aber aufgegeben und nach der Rückkehr neu begründet wird. Der Inlandswohnsitz wird in solchen Fällen nur dann beibehalten, wenn der Betroffene entweder seinen Lebensmittelpunkt weiterhin am bisherigen Wohnort hat (keine Wohnsitzbegründung am Ort des Auslandsaufenthalts) oder er zwar keinen einheitlichen Lebensmittelpunkt mehr hat, er aber nunmehr über zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse (zwei Wohnsitze) verfügt, von denen einer am bisherigen Wohnort liegt (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294).

cc) So reichen etwa bei von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalten kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken, die einem Aufenthalt mit Wohncharakter nicht vergleichbar sind und daher nicht "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen Wohnung bedeuten, nicht dazu aus, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen. Zum einen müssen die objektiven Wohnverhältnisse so geartet sein, dass sie die Möglichkeit eines längeren Wohnens des Kindes bieten. Zum anderen darf die Anwesenheit des Kindes in der elterlichen Wohnung nicht nur Besuchscharakter haben. Auch bei Kindern mit deutscher Staatangehörigkeit kann ein langandauernder Auslandsaufenthalt bei nur kurzfristigen Aufenthalten in der Wohnung der Eltern während der Ferien, bzw. Semesterferien zum Verlust des Wohnsitzes im Inland führen (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294).

Abgelehnt wurde etwa ein inländischer Wohnsitz für ein Kind, das beim Großvater in der Türkei untergebracht war und dort die Schule besuchte, obwohl es sich in den Schulferien bei seinen Eltern im Inland aufhielt und diese über Räumlichkeiten verfügten, die zur Aufnahme des Kindes geeignet waren und diesem ein Heim bieten konnten. Denn eine solche Wohnung diene einem Kind, das sich nur während der Schulferien in der Wohnung der Eltern aufhalte, nicht (mehr) als Bleibe. Aufenthalte in der elterlichen Wohnung in den Schulferien von insgesamt nicht einmal drei Monaten im Jahr reichten nicht aus, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes annehmen zu können. Diese Aufenthalte hätten keinen Wohncharakter und bedeuteten deshalb kein "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen Wohnung (BFH-Urteile vom 22. April 1994 III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887; ebenso BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279). Andererseits sollte auch bei einem langjährigen Auslandsaufenthalt vor dem Hintergrund, dass ein großer Teil der Kinder, die zum Schulbesuch in das Heimatland ihrer Eltern geschickt würden, wieder in die Bundesrepublik zurückkehrten, ein inländischer Wohnsitz in der elterlichen Wohnung jedenfalls dann nicht ausgeschlossen sein, wenn sich das Kind dort im Jahr für fünf Monate aufhielt (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 für einen auf sieben Jahre angelegten Auslandsaufenthalt unter Hinweis auf BSG-Urteil in BSGE 79, 147, 152, SozR 3-5870 § 2 Nr. 33).

dd) Nach diesen Grundsätzen hatte M im Streitfall in den Monaten ab August 2002 keinen Wohnsitz mehr im Inland. Sie hielt sich selbst nach dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten in den Jahren 2003 und 2004 für 10 bzw. 11 Monate in der Türkei auf, und zwar in einer Wohnung, die sie von Verwandten angemietet hatte. Darüber hinaus hatte M - anders als in den bisher von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen - die vorgetragenen Inlandsaufenthalte auch nicht in der elterlichen Wohnung verbracht, die unstreitig nicht über entsprechende Räumlichkeiten verfügte. Ihr stand mithin kein in der elterlichen Wohnung vorgehaltenes Zimmer zur Verfügung und hinsichtlich des im Inland angeblich dauerhaft in der Wohnung der Familie K unterhaltenen Zimmers bestehen bereits Zweifel, ob diese Räumlichkeit zur Aufnahme von M geeignet war und ihr ein Heim bieten konnte. Auch die von Herrn K verfasste sog. "Mietbestätigung" ist nicht aussagekräftig und hat eher den Charakter einer Gefälligkeitsbescheinigung. Im Streitfall kommt hinzu, dass sich auch der Vater von M nach dem Vortrag seines Bevollmächtigten selbst sehr häufig in der Türkei aufhielt.

Die bis Juli 2002 bestehende familiäre Wohn- und Lebensgemeinschaft mit den Eltern in Deutschland besteht nicht mehr, was sich auch daraus ergibt, dass M bei ihren Besuchskontakten in Deutschland nicht in der Wohnung der Eltern lebt, sondern in einem Zimmer einer bekannten/verwandten Familie.

2. M hat ab August 2000 in Deutschland auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr. Einen gewöhnlichen Aufenthalt gemäß § 9 AO hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, das er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhangender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen, es sei denn, der Aufenthalt erfolgt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken. Im Streitfall hat M jedoch bereits nach eigenem Vortrag nur ca. 2 Monate im Jahr 2003 in Deutschland verbracht. Sonstige Anhaltspunkte, die eine entsprechende Bindung an Deutschland zum Ausdruck bringen könnten, bestehen im Streitfall nach Aktenlage ebenfalls nicht.

3. Auch an der Verfassungsmäßigkeit des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG, wonach Kindergeld grundsätzlich nur für Kinder gewährt wird, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem EWR-Staat haben, bestehen keine Zweifel. Da das Einkommensteuerrecht durch das Territorialitätsprinzip (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG) geprägt ist, ist die Abgrenzung des begünstigten Personenkreises danach, wo die Kinder ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, nicht sachwidrig (BFH-Urteil vom 26. Februar 2002 VIII R 85/98, BFH/NV 2002, 912, vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.



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