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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 19.01.2007
Aktenzeichen: 10 K 2841/05
Rechtsgebiete: GewStG, EStG


Vorschriften:

GewStG § 2 Abs. 1 S. 2
EStG § 15 Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

10 K 2841/05

Tenor:

Der Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2002 vom 26.11.2004 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 22.6.2005 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Zwischen ... GmbH bzw. deren Rechtsvorgängerinnen (im Folgenden "GmbH") nichtselbständig tätig geworden ist oder selbständig war und deshalb Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt hat.

Die Klägerin war vom 1. Januar 2000 bis 30. Oktober 2003 für die GmbH tätig. Bei der GmbH handelt es sich um ein Unternehmen, das im Bereich des Telefonsex tätig ist. Ob die Klägerin einen schriftlichen Vertrag abgeschlossen hat, ist nicht aufklärbar. Der Beklagte hat einen Vertrag zu den Akten gereicht, den die GmbH üblicherweise mit den bei ihr beschäftigten Damen geschlossen hat. Auf diesen Vertrag, der mit "Freier Mitarbeitervertrag" überschrieben ist, wird Bezug genommen. Die Klägerin hat vorgetragen, dass die tatsächliche Durchführung dem Inhalt des Vertrages in keinster Weise entsprochen habe. Wegen der Einsatzbedingungen und -durchführung im Einzelnen wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 30.9.2005 Bezug genommen.

Die Preise für ein Telefongespräch setzten sich wie folgt zusammen:

 Preise  
Standardgespräch(bis zu 20 min)EUR 30,00
Kurzgespräch EUR 25,00
Dreier EUR 40,00
FotosJe 5 StückEUR 5,00

Nach einer Kurzanleitung der GmbH (Blatt 64 der Gerichtsakten) beruht die Grundlage für den Honoraranspruch an den Kunden auf dem von der Telefonistin getätigten Rückruf. Jeder Kunde musste für jedes Gespräch zurückgerufen werden. Wenn ein Kunde nicht zurückgerufen wurde, bekam die Telefonistin für dieses Gespräch auch kein Honorar. Außerdem musste sie jedes Gespräch am selben Tag im PC erfassen. Alle Gespräche, die einen oder mehrere Tage später eingegeben wurden, konnten von der GmbH nicht mehr bearbeitet werden, so dass auch ein Honoraranspruch für die Telefonistin entfiel.

Die Kläger wurden zunächst mit Bescheiden vom 29. Mai 2001 für das Kalenderjahr 2000, vom 29. April 2002 für das Kalenderjahr 2001 und vom 10. April 2003 für das Kalenderjahr 2002 entsprechend den eingereichten Einkommensteuererklärungen zur Einkommensteuer veranlagt. In diesen Erklärungen hatte die Klägerin Einnahmen aus ihrer Tätigkeit im Callcenter der GmbH nicht angegeben.

Im Rahmen eines gegen die Klägerin eingeleiteten Steuerstrafverfahrens teilte die Klägerin mit Schreiben vom 4. September 2003 dem Beklagten folgende Einnahmen aus der Tätigkeit als Telefonistin mit:

 200020012002
brutto 17.528,64 DMBrutto 42.724,08 DMbrutto 39.200,78 EUR

In Höhe der Nettobeträge von 15.110,-- DM, 36.800,39 DM und 33.793,-- EUR erklärte die Klägerin diese als Einkünfte aus selbständiger Arbeit.

Der Beklagte erließ am 26. November 2004 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Kalenderjahre 2000 bis 2002. Hierin berücksichtigte er die nacherklärten Nebeneinkünfte mit 13.146,-- DM für 2000, 32.051,-- DM für 2001 und 29.400,-- EUR für 2002 als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Dabei hatte er die Bruttoeinnahmen um geschätzte Betriebsausgaben in Höhe von 25 % gekürzt. Gleichzeitig setzte der Beklagte mit Bescheid vom 26. November 2004 auf der Basis der Besteuerungsgrundlagen für 2002 nachträgliche Einkommensteuervorauszahlungen für das Kalenderjahr 2003 fest.

Der Beklagte setzte ebenfalls mit Bescheid vom 26. November 2004 für 2002 einen Gewerbesteuermessbetrag von 49,-- EUR gegen die Klägerin fest.

Mit den gegen die vorgenannten Bescheide eingelegten Einsprüchen trug die Klägerin vor, dass sie ausschließlich und zu jeder Zeit nichtselbständig tätig gewesen sei. Die einzubehaltende Lohnsteuer sei bei der Arbeitgeberin als Haftungsschuldnerin festzusetzen und einzutreiben. Ferner sei davon auszugehen, dass die an sie ausgezahlten Beträge Nettobeträge seien .

Der Beklagte wies mit Einspruchsentscheidungen vom 22. Juni 2005 die Einsprüche gegen die Einkommensteueränderungsbescheide bzw. den Einkommensteuervorauszahlungsbescheid 2003 und den Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2002 als unbegründet zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidungen Bezug genommen.

Die Klägerin trägt vor: Der Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass sie gewerbliche Einkünfte gehabt habe. Dies sei vorliegend schon deshalb nicht der Fall, weil sie keine selbständige Tätigkeit als "Telefonberaterin" ausgeübt habe. Die Firmen B. und ... GmbH hätten sich die Pflichten als Arbeitgeberin vom Hals halten wollen und zu diesem Zweck einen Vertrag über sog. freie Mitarbeit abgeschlossen, der aber in sämtlichen wesentlichen Vertragspositionen mit der Wirklichkeit nicht übereingestimmt habe. Durch den Vertrag sei nur eine Scheinselbständigkeit begründet worden.

Der Vertrag sehe vor, dass die jeweilige Vertragspartnerin der GmbH keinen Weisungen der GmbH unterliege und in der Gestaltung ihrer Tätigkeit und in der Gestaltung der Preise selbständig und vollkommen frei sein solle. Nichts an diesem Vertrag stimme mit den tatsächlichen Arbeitsbedingungen überein. Sie sei hinsichtlich ihrer Arbeitszeiten, des Arbeitsortes, der Urlaubsgewährung und der Durchführung ihrer Tätigkeit sowie der Preise vollkommen weisungsgebunden gewesen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 30. September 2005 nebst Anlagen Bezug genommen.

Ein Unternehmerrisiko habe im Streitfall nicht bestanden, da so viel zu tun gewesen sei, dass sie andauernd beschäftigt gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2002 vom 26.11.2004 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 22.6.2005 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung wurde die Klage gegen die Einkommensteuerbescheide zurückgenommen und klargestellt, dass hinsichtlich der Gewerbesteuer die Klage nur von der Klägerin und nicht auch von ihrem Ehemann erhoben werden sollte.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet.

Der angefochtene Gewerbesteuermessbetragsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin deshalb in ihren Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -.

Die Klägerin hat aus ihrer Tätigkeit im Call-Center keine gewerblichen Einkünfte erzielt, da sie nicht selbständig tätig war. Dies ist aber nach § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes in Verbindung mit § 15 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes Voraussetzung für die Annahme eines gewerblichen Unternehmens.

Die Frage, wer selbständig tätig ist, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Dies bedeutet, dass die für und gegen eine Selbständigkeit sprechenden Merkmale gegeneinander abgewogen werden müssen (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, vgl. zusammenfassend Finanzgericht München, Urteil vom 25. November 2005 8 K 1197/03, Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 409 mit Rechtsprechungsnachweisen). Dabei erlangen insbesondere die folgenden Merkmale Bedeutung:

persönliche Abhängigkeit

Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit

feste Arbeitszeiten

Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort

feste Bezüge

Urlaubsanspruch

Anspruch auf sonstige Sozialleistungen

Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall

Überstundenvergütung

zeitlicher Umfang der Dienstleistungen

Unselbständigkeit in Organisation und Durchführung der Tätigkeit

kein Unternehmerrisiko

keine Unternehmerinitiative

kein Kapitaleinsatz

keine Pflicht zur Beschaffung von Arbeitsmitteln

Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern

Eingliederung in den Betrieb

Schulden der Arbeitskraft und nicht eines Arbeitserfolges

Ausführung von einfachen Tätigkeiten, bei denen eine Weisungsabhängigkeit die Regel ist.

Unter Abwägung der vorgenannten Merkmale kommt der Senat im Streitfall zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nichtselbständig tätig gewesen ist.

Die Klägerin hat im Streitfall zwar keine arbeitnehmertypischen Vergünstigungen erhalten (insbesondere keine Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall, Anspruch auf sonstige Sozialleistungen und Fortzahlung der Bezüge im Urlaubsfall). Außerdem erhielt sie ausschließlich ein Entgelt, wenn sie ein Telefonat führte. Dabei war die Höhe des Entgeltes noch an die Dauer des Telefonates gekoppelt. Diese Dauer des Telefonates hing in nicht unerheblichem Umfang von dem Einsatz der Klägerin ab, z.B. davon, inwieweit sie den Kunden in ein längeres Gespräch verwickeln konnte. Damit trug sie (zumindest abstrakt) das Risiko, kein Entgelt zu erhalten, wenn keine Anrufe erfolgten, und damit ein typischerweise den Unternehmer treffendes Risiko.

Trotz dieser für eine Selbständigkeit sprechenden Merkmale überwiegen aber nach Auffassung des erkennenden Senats im Streitfall die für eine Nichtselbständigkeit sprechenden Merkmale. Zum einen war das Unternehmerrisiko im Streitfall vernachlässigbar. Wie die Klägerin unwidersprochen vorgetragen hat, gingen in dem Call-Center so viele Anrufe ein, dass sie nicht beschäftigungslos war und nicht das Risiko lief, "ihre Zeit ohne Einnahmen, und damit umsonst, abzusitzen". Zum anderen war sie weder in der Gestaltung ihrer Arbeitszeit noch ihres Arbeitsorts frei. Sie war vielmehr hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und Inhalt ihrer Tätigkeit weisungsgebunden, wie es arbeitnehmertypisch ist. So wurde für jede Stunde, in der nicht vereinbarungsgemäß gearbeitet wurde, eine Strafe erhoben, was gegen eine selbständige Tätigkeit spricht. Auch konnte die Klägerin nicht Urlaub machen oder frei nehmen, wann sie wollte. Dies musste jeweils von der GmbH genehmigt werden. Schließlich war die Klägerin auch in der Preisgestaltung nicht frei. Die Preise wurden vielmehr von der GmbH vorgegeben. Die Klägerin konnte den Preis für ein Telefongespräch zwar durch dessen Länge beeinflussen. Dies ist aber nicht arbeitnehmeruntypisch. Ein Arbeitnehmer kann aufgrund besonders guter Arbeit eine Zusatzprovision zum normalen Gehalt verdienen, ohne dadurch selbständig zu werden.

Die Kostenentscheidung beruhte auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3 FGO, 708 Nr., 711 der Zivilprozessordnung.



Ende der Entscheidung

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