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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 24.04.2006
Aktenzeichen: 10 K 4653/05
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 129
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

10 K 4653/05

Tenor:

Unter Aufhebung der Ablehnungsverfügungen vom 15.11.2000 und Aufhebung der dazu ergangenen Einspruchsentscheidungen wird der Beklagte verpflichtet, die Einkommensteuerbescheide 1995 - 1998 vom 17.05.1996, 21.04.1997, 11.02.1999 und 29.11.1999 mit der Maßgabe zu ändern, dass der Vorwegabzug bei den Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG jeweils ungekürzt zu berücksichtigen ist.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte mit Ausnahme der Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.d. Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klage befindet sich im zweiten Rechtsgang.

Der Kläger, in den Streitjahren Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, hat in den Einkommensteuererklärungen 1995 bis 1998 in der Anlage N jeweils die Zeile 29 angekreuzt, dass in den betreffenden Jahren keine gesetzliche Rentenversicherungspflicht und auch keine Anwartschaft auf Altersversorgung bestand oder eine Anwartschaft nur auf Grund eigener Beitragsleistung aus der Tätigkeit als Vorstandsmitglied/GmbH Gesellschafter/Geschäftsführer. Der Bearbeiter hat daraufhin in den den Kläger betreffenden Eingabewertbogen für die automatisierte Veranlagung zur Einkommensteuer unter Kennziffer 35 eine "1" eingetragen. Diese Eintragung bedeutet, dass die Vorsorgepauschale gekürzt wird. Die so durchgeführten Veranlagungen sind bestandskräftig geworden.

Nachdem der Kläger in der Zwischenzeit steuerlich beraten wurde und der Prozessbevollmächtigte bei Übernahme des Mandats festgestellt hatte, dass die Einkommensteuerbescheide 1995 bis 1998 fehlerhaft sind, beantragte dieser eine Änderung der Bescheide nach § 129 AO mit der Begründung, dass die Kürzung des Vorwegabzugs auf einer offenbaren Unrichtigkeit beruhe. Mit Verfügung vom 15.11.2000 lehnte der Beklagte eine Änderung der Bescheide mit dem Hinweis ab, dass ein Rechtsirrtum des Bearbeiters nicht ausgeschlossen werden könne.

Dagegen hat der Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, die Voraussetzungen für eine Berichtigung der Einkommensteuerbescheide 1995 bis 1998 nach § 129 AO seien im vorliegenden Fall erfüllt. Das Vorliegen einer ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit müsse bejaht werden. Er habe stets korrekte Angaben über den Stand seiner Altersversorgung gemacht, die nur zur Anerkennung des ungekürzten Vorwegabzugs hätten führen können. Eine Nichtanerkennung hätte nur nach intensiver weiterer Sachverhaltsaufklärung erfolgen dürfen. Dazu hätten Geschäftsführerverträge und Gesellschaftsverträge angefordert werden müssen, was erst bei der Veranlagung für das Jahr 1999 geschehen sei. Es sei daher mit Sicherheit auszuschließen, dass der Bearbeiter eine Würdigung gedanklicher Art getroffen habe. Es handele sich hier vielmehr um eine Unaufmerksamkeit, die eine Korrekturmöglichkeit nach § 129 AO nach sich ziehe.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der Ablehnungsverfügung vom 15.11.2000 und Aufhebung der dazu ergangenen Einspruchsentscheidungen bei den Einkommensteuerbescheiden 1995 bis 1998 den Vorwegabzug bei den Vorsorgeaufwendungen jeweils ungekürzt zu berücksichtigen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, die Eintragung einer falschen Kennziffer im Eingabewertbogen könne zwar grundsätzlich eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO sein, dies gelte jedoch nur dann, wenn es sich bei der falschen Eintragung auf Grund der besonderen Umstände um ein rein mechanisches Versehen gehandelt habe. Hiervon könne jedoch im Streitfall nicht ausgegangen werden. Im Zuge der Bearbeitung der Einkommensteuererklärungen der Jahre 1995 bis 1998 sei offensichtlich nicht schlichtweg übersehen worden, dass in der Anlage N die Zeile 29 angekreuzt worden sei. Damit bestehe auch durchaus die Möglichkeit, dass die Nichteintragung des Bruttoarbeitslohns in Kennziffer 15 zur Verhinderung der Kürzung des Vorwegabzugs auf einer fehlerhaften Würdigung des erklärten Sachverhalts oder auf einem sonstigen Denk- und Überlegungsfehler zu diesem Sachverhalt beruht habe. Damit scheide eine Berichtigung der Einkommensteuerfestsetzungen der Jahre 1995 bis 1998 aus.

Durch Urteil vom 20.09.2004 10 K 3302/01 hat das Finanzgericht Köln der Klage stattgegeben. Auf die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision ist das Urteil durch Beschluss des BFH vom 11.11.2005 Az.: XI B 171/04 aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht Köln mit der Begründung zurückverwiesen worden, das angefochtene Urteil sei unwirksam, weil die Urteilsformel bzw. der Tenor (§ 105 Abs. 2 Nr. 3 FGO) unklar sei und auch nicht in einem bestimmten Sinne zweifelsfrei ausgelegt werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide zu Gunsten des Klägers zu ändern.

Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Fehler, die ebenso mechanisch, d.h. ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BStBl II 1984, 785). Ist die mehr als nur theoretische Möglichkeit eines Rechts- oder Tatsachenirrtums gegeben, liegt kein mechanisches Versehen und damit keine offenbare Unrichtigkeit vor; ebenso nicht bei einer unrichtigen Tatsachenwürdigung, bei der unzutreffenden Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder bei Fehlern, die auf mangelnder Sachaufklärung beruhen (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juli 1986 XI R 52/82, BStBl II 1987, 3). Allerdings muss sich die Möglichkeit eines Rechts- oder Tatsachenirrtums durch die vom Gericht festgestellten Tatsachen belegen lassen (BFH-Urteil vom 28. Oktober 1992 II R 11/89, BFH/NV 1993, 637). Deuten die gesamten Umstände des Falls demgegenüber auf ein mechanisches Versehen hin und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Fehler auf rechtliche und tatsächliche Erwägungen zurückzuführen ist, kann nach § 129 berichtigt werden. Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu prüfen (vgl. BFH-Urteil vom 10. Mai 1989 I R 104/85, BFH/NV 1990, 478).

Die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO kann zwar ausgeschlossen werden, wenn der Veranlagungsbeamte feststehende Tatsachen nicht berücksichtigt. Dabei muss es sich dann um Unrichtigkeiten handeln, die über mechanische Versehen deshalb hinausgehen, weil sie nicht ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können und sie deshalb letztlich auf unzureichender Sachaufklärung beruhen. Hat die Nichtberücksichtigung einer Tatsache dagegen ihren Grund in einer bloßen Unachtsamkeit und liegt sie offen zu Tage, so kann von einem auf mangelnder Sachaufklärung beruhenden Nichterkennen einer Tatsache nicht gesprochen werden (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 1993 X R 47/91, BFH/NV 1993, 638).

Nach diesen Grundsätzen hat der BFH in dem eben erwähnten Urteil eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO angenommen, wenn bei der Veranlagung einer Beamtin durch Eintragung einer "Kennziffer 2" statt der (zutreffenden) "Kennziffer 1" im Eingabewertbogen die ungekürzte Vorsorgepauschale (§ 10 c Abs. 3 Satz 3 Abs. 5 EStG) angesetzt wird, obwohl ihr nur die gekürzte Vorsorgepauschale zusteht.

Mit diesem Fall ist der vorliegende vergleichbar. Im Streitfall ist nach der Sachlage, wie sie sich aus den eingereichten Steuererklärungen ergibt, die praktische Möglichkeit eines Rechtsirrtums auszuschließen. Auf Grund der Angaben des Klägers in den Steuererklärungen stand fest, dass in den Streitjahren keine gesetzliche Rentenversicherungspflicht und auch keine Anwartschaft auf Altersversorgung bestand oder eine Anwartschaft nur auf Grund eigener Beitragsleistung aus der Tätigkeit als GmbH Gesellschafter/Geschäftsführer. Insoweit bedurfte es bei den Veranlagungen keiner weiteren Ermittlungen. Diese Angaben waren für die Höhe der Vorsorgepauschale rechtserheblich. Das Gericht hält es für ausgeschlossen, dass in diesem Fall ein Veranlagungsbeamter im Einzelfall rechtliche Erwägungen über den dem Kläger zustehenden Sonderausgabenhöchstbetrag anstellt. Die gedankliche Querverbindung zwischen der beruflichen Stellung und der zutreffenden Kennziffer wird gleichsam "mechanisch" gezogen. Ein Versehen hierbei ist ebenfalls "mechanischer Art". Unter diesen Umständen kann entgegen der Auffassung des Beklagten nicht davon ausgegangen werden, dass die Nichteintragung des Bruttoarbeitslohns in Kennziffer 35 durch den Bearbeiter zur Verhinderung der Kürzung des Vorwegabzugs auf einer fehlerhaften Würdigung des erklärten Sachverhalts beruht.

Für eine offenbare Unrichtigkeit im Streitfall spricht schließlich - was zumindest die Jahre 1996 bis 1998 anbetrifft - noch folgendes: Wie sich aus den Steuerakten ergibt, sind die Veranlagungen für alle Streitjahre jeweils von verschiedenen Bearbeitern durchgeführt worden, wobei alle Bearbeiter an Stelle der zutreffenden "Kennziffer 2" die "Kennziffer 1" eingesetzt haben. Es muss davon ausgegangen werden, dass allen Bearbeitern die Bedeutung der Kennzahl und die damit zusammenhängende einkommensteuerliche Behandlung der Vorsorgeaufwendungen bekannt gewesen ist. Dennoch liegt hier die Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder der Rechtsanwendung außerhalb aller Wahrscheinlichkeit. Die Umstände des Falles sprechen eher dafür, dass im Rahmen des automatisierten Veranlagungsverfahrens die Bearbeiter der Erklärungen 1996 bis 1998 ungeprüft die Eingabe des Bearbeiters für das Jahr 1995 übernommen haben mit der Folge, dass in den nachfolgenden Jahren jeweils die falsche Kennziffer zu Grunde gelegt wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 2 FGO.

Ende der Entscheidung

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