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Gericht: Finanzgericht Köln
Beschluss verkündet am 17.01.2007
Aktenzeichen: 10 V 4341/06
Rechtsgebiete: EStG, BewG


Vorschriften:

EStG § 17
BewG § 11 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

10 V 4341/06

Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 5. Oktober 2006 wird in Höhe von 145.000 EUR von der Vollziehung ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens haben der Antragsgegner zu 9/10 und der Antragsteller zu 1/10 zu tragen.

Der Beschluss ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Antragstellers abwenden, soweit nicht der Antragsteller zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Beschwerde zum BFH wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist seit dem 9. September 1996 Angestellter der Firma S-GmbH (GmbH). Das Stammkapital der GmbH betrug zunächst 400.000 DM. Im Laufe des Jahres 2003 kamen die Gesellschafter überein, dass der Antragsteller als einziger leitender Mitarbeiter enger an die GmbH gebunden werden sollte. In der Gesellschafterversammlung vom 17. November 2003 wurde deshalb beschlossen, den Antragsteller mit einem Anteil von nominell 10% an der GmbH zu beteiligen. Das Stammkapital der GmbH sollte zu diesem Zweck auf 230.000 EUR erhöht werden; der Anteil des Antragstellers an dem zu erhöhenden Stammkapital sollte dementsprechend 23.000 EUR betragen. Mit notariellen Vertrag vom 12./13. Februar 2004 wurden die Entscheidungen der Gesellschafter umgesetzt. Dabei übernahm der Antragsteller den für ihn bestimmten Geschäftsanteil - dem Willen der Beteiligten entsprechend - zum Nennwert von 23.000 EUR, von denen 15.000 EUR bisher noch nicht geleistet worden sind, da die GmbH diesen Betrag noch nicht eingefordert hat.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2004 erklärte der Antragsteller einen Brutto-Arbeitslohn aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von rd. 70.000 EUR. Mit Bescheid vom 12. Mai 2005 setzte der Antragsgegner die Einkommensteuer zunächst erklärungsgemäß mit 18.492 EUR fest.

Die Übernahme des Geschäftsanteils im Nennwert von 23.000 EUR wurde dem Antragsgegner im Anschluss an eine im März 2006 durchgeführte Betriebsprüfung durch das FA für Großbetriebsprüfung C bei der GmbH bekannt. Die Großbetriebsprüfung hatte den gemeinen Wert der Anteile auf der Basis des von der GmbH erwirtschafteten Ertrags in den Jahren 2001 bis 2003 in Anlehnung an § 11 Abs. 2 BewG mit 379.762 EUR ermittelt, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist.

Der Antragsgegner gelangte im Anschluss an die Großbetriebsprüfung zu der Ansicht, dass die Übertragung des Geschäftsanteils auf den Antragsteller zum Nennwert seine Grundlage im Arbeitsverhältnis zwischen den Beteiligten habe und dass der Differenzbetrag zwischen dem Nennwert der übertragenen Anteile (23.000 EUR) und ihrem gemeinen Wert (379.762 EUR), also weitere 356.762 EUR als Arbeitslohn zu versteuern seien. Mit dem vorliegend angefochtenen Änderungsbescheid vom 5. Oktober 2006 wurde die Einkommensteuer des Antragstellers auf der Grundlage von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 auf 179.035 EUR festgesetzt.

Nach Ansicht des Antragstellers darf der Umstand, dass ein Geschäftsanteil zum Nennwert ausgegeben wird, nicht dazu führen, dass die Teilhabe an evtl. vorhandenen stillen Reserven als Zufluss von Arbeitslohn steuerpflichtig wird, zumal er zu keinem Zeitpunkt Geschäftsführer der GmbH gewesen sei. Der Geschäftsanteil sei ihm im überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse angeboten worden, um ihn als einzigen leitenden Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Dies würde dadurch bestätigt, dass dem Antragsteller auch eine Pensionszusage gemacht und eine Direktversicherung gewährt worden sei. Die Teilhabe an etwaigen stillen Reserven sei lediglich billigend in Kauf genommen worden. Der Anteilserwerb durch den Antragsteller stelle sich deshalb als ausschließlicher Vorgang auf der Vermögensebene dar. Zu einer Steuerpflicht könne es erst kommen, wenn der Anteil gemäß § 17 EStG veräußert oder die Beteiligung aufgegeben werde. Wäre die Ansicht des Antragsgegners richtig, hätte der Antragsteller innerhalb des gesamten Beschäftigungszeitraums von September 1996 bis Dezember 2003 mehr als die drei Altgesellschafter verdient. Denn einschließlich der an den Antragsteller in dieser Zeit gezahlten Gehälter hätte er Einkünfte in Höhe von 838.413 EUR bezogen, während die drei Altgesellschafter im gleichen Zeitraum durchschnittlich Einkünfte in Höhe von lediglich rd. 541.000 EUR bezogen hätten.

Die Vollziehung des angefochtenen Bescheides stelle darüber hinaus eine unbillige Härte für den Antragsteller dar. Die vom FA angenommenen 379.762 EUR seien dem Antragsteller nicht tatsächlich, sondern nur fiktiv zugeflossen. Der Antragsteller besitze weder weiteres Vermögen noch liquide Mittel, um die vom Antragsgegner berechnete Steuerschuld tilgen zu können. Deshalb müsse der Antragsteller bei einer Vollziehung der vom Antragsgegner berechneten Steuerschuld die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen.

Der Antragsteller beantragt,

den Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 5. Oktober 2006 von der Vollziehung auszusetzen.

Der Antragsgegner hält den angefochtenen Bescheid dagegen unter Hinweis auf die BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 2005 VI B 30/04 (BFH/NV 2005, 884) und vom 17. Juni 2005 VI B 176/04 (BFH/NV 2006, 1796) für rechtmäßig und hat die bei ihm beantragte Aussetzung der Vollziehung mit Verfügung vom 6. November 2006 abgelehnt. Denn die Anteile (geldwerter Sachwert) seien dem Antragsteller aufgrund seiner bisherigen Arbeitnehmertätigkeit, also mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis gewährt worden, da er offensichtlich von besonderer Wichtigkeit für den Betrieb des Arbeitgebers sei.

II.

Der Aussetzungsantrag ist begründet.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts u.a. dann aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Ungeachtet der gesetzlichen Formulierung "kann" ist die Vollziehung in diesem Fall nach ständiger Rechtsprechung auszusetzen (grundlegend BFH-Beschluss vom 4. Dezember 1967 GrS 4/67, BFHE 90, 461, 466, BStBl II 1968, 199; ferner BFH-Urteil vom 10. November 1994 IV R 44/94, BFHE 176, 303; BFH-Beschluss vom 6. Juni 2002 V B 110/01, BFH/NV 2002, 1267).

2. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärenden Fragen im summarischen Beschlussverfahren nicht abschließend zu entscheiden. Eine Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 6. Juni 2002 V B 110/01, BFH/NV 2002, 1267, vom 10. Mai 2001 I S 3/01, BFHE 194, 360, BFH/NV 2001, 957 und vom 30. November 2000 V B 187/00, BFH/NV 2001, 657, jeweils m.w.N.).

3. Im Streitfall bestehen erhebliche Zweifel daran, ob dem Antragsteller im Streitjahr 2004 ein geldwerter Vorteil in Höhe von 356.762 EUR zugeflossen ist. Zwar hat der BFH mit Beschlüssen vom 17. Januar 2005 VI B 30/04 (BFH/NV 2005, 884), vom 17. Juni 2005 VI B 176/04 (BFH/NV 2006, 1796) und vom 30. Dezember 2004 VI B 67/03 (BFH/NV 2005, 702) entschieden, dass ein geldwerter Vorteil regelmäßig auch dann vorliegt, wenn eine Arbeitgeber-Kapitalgesellschaft einem Arbeitnehmer verbilligt Anteile an Gesellschaftskapital überlässt (ebenso Schmidt/Drenseck, EStG 25. Aufl., § 19 Rz 50 "Aktien"). Deshalb spricht einiges dafür, dass sich im Hauptsacheverfahren die Ansicht des Antragsgegners, dass dem Antragsteller im Streitjahr ein geldwerter Vorteil zugeflossen ist, dem Grunde nach als zutreffend erweisen wird.

Im Streitfall bestehen jedoch erhebliche Bedenken gegen die Höhe des angesetzten geldwerten Vorteils. Dabei stellt das Gericht die Zulässigkeit und Schlüssigkeit der Schätzung des gemeinen Werts von GmbH-Anteilen in Anlehnung an die Vorschrift des § 11 Abs. 2 BewG nicht in Abrede. Die Beteiligten des Aussetzungsverfahrens gehen allerdings übereinstimmend davon aus, dass es den Altgesellschaftern bei der Einräumung der Möglichkeit des Anteilserwerbs zum Nennwert in erster Linie darum ging, den Antragsteller als einzigen leitenden Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Noch unklar ist, inwieweit daneben die Erwägung eine Rolle gespielt hat, den Antragsteller für dessen gute Arbeit in den vergangenen Jahren zu belohnen. So ist vor dem Hintergrund des § 10 des Gesellschaftsvertrags vom 22.12.1995 nicht auszuschließen, dass der Antragsteller zunächst gar keine Möglichkeit hatte, den in den erworbenen Geschäftsanteilen liegenden Wert zu realisieren. Sollte sich im Hauptsacheverfahren ergeben, dass der Antragsteller die Anteile auf absehbare Zeit nicht veräußern durfte oder etwa eine Verpflichtung des Antragstellers vereinbart war, die Anteile zurückzugewähren, wenn er das Beschäftigungsverhältnis in absehbarer Zeit kündigen würde (was arbeitsrechtlich ohne weiteres zulässig gewesen wäre: Weihnachtsgratifikation), dann würde dies den Wert der erworbenen Anteile schmälern. Je länger der Zeitraum des Veräußerungsverbots bzw. der Bindung an das Unternehmen dauern würde, desto mehr würde sich dieser Umstand wertmindernd auswirken. Sollte die Bindung an das Unternehmen sogar so stark ausgeprägt gewesen sein, dass eine Veräußerung der Anteile über einen besonders langen Zeitraum ausgeschlossen war (etwa zehn Jahre), so ist nicht auszuschließen, dass der Senat den Zufluss im Streitjahr nur mit 1/10 der vom Antragsgegner ermittelten Wertedifferenz annimmt und in jedem weiteren Jahr der Anstellung vom Zufluss eines weiteren Zehntels des Wertes auszugehen wäre. Davon abweichend könnte bei einem vorzeitigen Ausscheiden des Antragstellers aus dem Unternehmen der Arbeitgeber-GmbH ein vollständiger Zufluss des Restwerts angenommen werden. Bereits diese Unsicherheit in der Bewertung des Falles gebietet es, die nachträglich festgesetzte Steuer in Höhe von 145.000 EUR von der Vollziehung auszusetzen.

Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass der ermäßigte Steuersatz gemäß § 34 EStG Anwendung findet, soweit sich der zugewandte Wert als Zufluss für die in den vergangenen Jahren geleistete gute Arbeit des Antragstellers darstellt (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.



Ende der Entscheidung

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