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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 21.01.2009
Aktenzeichen: 14 K 2708/05
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 74 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Unter Aufhebung des Bescheids vom 18.01.2005 und der Einspruchsentscheidung vom 07.06.2005 wird der Beklagte verpflichtet, der Klägerin Kindergeld für den Zeitraum von Januar 2005 bis Oktober 2007 im Wege der Abzweigung auszuzahlen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen hat.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin macht die Auszahlung des Kindergelds an sie als Kind nach § 74 Abs. 1 EStG geltend, weil die kindergeldberechtigte Mutter ihr keinen Unterhalt gewähre.

Die am ...1982 geborene Klägerin, die seit dem Wintersemester 2003/2004 ein Hochschulstudium im Diplom-Studiengang ... an der Universität L absolviert, bewohnte im Streitzeitraum mit ihrer Mutter eine Mietwohnung, deren Mieterin ihre Mutter ist. Sie bezog ab Oktober 2004 375 €; und ab Januar 2005 377 €; Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BaföG). Am 10.01.2005 beantragte die Klägerin die Auszahlung des Kindergelds an sie (Bl. 326 d. Kindergeldakte). Die Mutter der Klägerin stimmte dem Antrag zu. Mit Schreiben vom 06.01.2005 teilte sie dem Beklagten mit, von den BaföG-Leistungen ihrer Tochter wären ein Mietanteil von 200 €;, 50 €; Studiengebühren monatlich, Bücher, Kleidung, Strom, Essen, Telefon, Pflegemittel etc. zu entrichten. Dies sei nicht möglich. Sie selbst sei als Sozialhilfeempfängerin nicht in der Lage, ihre Tochter zu unterstützen. Zum Nachweis legte sie die Anlage zum Bescheid des Bürgermeisters der Stadt L1 vom 20.12.2004 vor, der die Bedarfsberechnung für die Sozialhilfe über 712,46 €; enthält. In der Berechnung wurden Beträge für den Wohnbedarf der Klägerin in Höhe von 177,57 €; nebst Heizkosten von 21,67 €; abgezogen. Als Einkünfte wurde Kindergeld für die Klägerin und für deren Bruder angerechnet.

Mit Schreiben vom 18.01.2005 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Klägerin werde Unterhalt durch die Aufnahme in den Haushalt der Mutter gewährt. Die Beklagte zahlte weiterhin Kindergeld an die Mutter der Klägerin.

Nach erfolglosem Einspruch macht die Klägerin mit der Klage geltend, ihre Mutter sei mangels eigener Leistungsfähigkeit weder zum Unterhalt verpflichtet noch leiste sie tatsächlich in irgendeiner Form Unterhalt. Die Klägerin zahle einen Mietanteil von monatlich 200,47 €; und habe auch ihr weniges Mobiliar in der Vergangenheit selbst finanziert. Die Lebensmitteleinkäufe erfolgten unter Beteiligung der Klägerin reihum. Zeitweise werde sie im Haushalt ihres Freundes mitverpflegt. Es liege keine Aufnahme in den Haushalt der Mutter, sondern eine Wohngemeinschaft vor. Die könne durch das Zeugnis der Mutter bestätigt werden.

Zur Miete trug die Klägerin im einzelnen vor: Die Mutter sei Hauptmieterin, die Klägerin Untermieterin gewesen. Ein schriftlicher Untermietvertrag sei nicht geschlossen worden. Dies sei auch nicht erforderlich. Die Warmmiete habe insgesamt 611,40 €; betragen. Der auf die Mutter und den Bruder der Klägerin entfallende Mietanteil werde unmittelbar vom Sozialamt an die Vermieterin überwiesen. Der auf die Klägerin entfallende Mietanteil von 200,47 €; werde in den Aufstellungen der Vermieterin gesondert ausgewiesen. Die Zahlung dieses Anteils sei ab März 2005 durch Banküberweisung der Klägerin an die Vermieterin erfolgt. Für den Zeitraum vor März 2005 sei der anteilige Mietanteil der Klägerin von dem der Mutter zustehenden Sozialhilfebetrag in Abzug gebracht, die Miete dennoch in voller Höhe an die Vermieterin überwiesen worden. Die sich daraus ergebende Differenz habe die Klägerin dann an ihre Mutter gezahlt. Die Zahlungen der Klägerin seien nicht aus dem Kindergeld beglichen worden. Dieses habe der Mutter nicht zusätzlich zur den Sozialleistungen zur Verfügung gestanden, da diese entsprechend gekürzt worden seien.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Auszahlung des Kindergeldes an ihre Mutter stehe dem Abzweigungsanspruch nicht entgegen. Andernfalls müssten derartige Klagen immer zum Scheitern verurteilt sein. Die Mutter könne auch im Falle der Auszahlung an die Klägerin nicht zur Rückzahlung verpflichtet sein. Die Auszahlung an die Mutter habe schon zur Kürzung der Sozialleistungen und damit faktisch zum Wegfall des Kindergelds geführt.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin die Kontoauszüge ihres Girokontos bei der ... für die Jahre 2005 bis 2007 vorgelegt, aus denen sich die Überweisung des Mietanteils der Klägerin an die Vermieterin für den Streitzeitraum mit Ausnahme der Monate Januar und Februar 2005 ergibt. Die Klägerin hat sodann erklärt, dass sie ihren Unterhalt selbst getragen habe. Neben den Leistungen nach dem BaföG habe sie durch gelegentliche Nebenverdienste, die allerdings nie die zulässigen Grenzen eines Minijobs überschritten hätten, die erforderlichen Mittel erwirtschaftet.

Die Beigeladene hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass die Klägerin ihren Unterhalt einschließlich ihres Mietanteils im Streitzeitraum selbst getragen habe. Die Kosten der Einkäufe hätten sie stets geteilt. Ihr hätten die Mittel gefehlt, Unterhaltsleistungen für die Klägerin zu erbringen. Diese tatsächlichen Umstände sind in der mündlichen Verhandlung unstreitig geworden.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Bescheids vom 18.01.2005 und der Einspruchsentscheidung vom 07.06.2005 den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin Kindergeld für den Zeitraum von Januar 2005 bis Oktober 2007 im Wege der Abzweigung auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beklagte hält trotz des unstreitig gewordenen Umstands, dass die Klägerin ihren Unterhalt selbst finanziert hat, an ihrer Auffassung fest. Nach den maßgeblichen Verwaltungsanweisungen, an die er gebunden sei, könne eine Abzweigung nicht erfolgen, solange eine Haushaltsaufnahme gegeben sei. Überdies sei durch die Zahlung des Kindergelds an die Beigeladene Erfüllung eingetreten.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der Beklagte ist zur Abzweigung des Kindergelds an die Klägerin verpflichtet.

1. Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz - EStG - kann, wenn der Kindergeldberechtigte dem Kind gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt, das für das Kind gezahlte Kindergeld an das Kind ausgezahlt werden. Nach Satz 3 der Vorschrift gilt dies auch, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltsverpflichtet ist.

a) Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob die beigeladene Mutter der Klägerin mangels eigener Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig war oder ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachgekommen ist. Denn entweder sind die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG oder diejenigen des Satzes 3 der Vorschrift erfüllt.

Eine Unterhaltspflicht besteht nach § 1603 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - grundsätzlich gegenüber Kindern, die das 21. Lebensjahr vollendet haben, nicht für Eltern, wenn sie bei Berücksichtigung ihrer sonstigen Verpflichtungen außerstande sind, ohne Gefährdung ihres angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Die Beigeladene war als Sozialhilfeempfängerin selbst grundsätzlich nicht leistungsfähig. Allerdings ist in derartigen Mangelfällen nicht in jedem Fall die Unterhaltspflicht ausgeschlossen. Denn die Unterhaltspflicht kann sich allein aus dem Bezug von Kindergeld ergeben, das unter bestimmten Voraussetzungen vorrangig für den Kindesunterhalt einzusetzen ist (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Beschluss vom 9. April 2003 - 1 BvL 1/01 u.a., Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 2003, 2733, unter B.I.2.a der Gründe, zu § 1612b Abs. 5 BGB alter Fassung; s.a. § 1612b BGB in der Fassung Unterhaltsänderungsreformgesetzes). Ob diese Voraussetzungen im Streitfall vorliegen, bedarf jedoch keiner weiteren Feststellungen, da die Beigeladene - ihre Unterhaltspflicht unterstellt - dieser jedenfalls nicht nachgekommen ist und damit die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG erfüllt wären.

b) Die Klägerin hat sich selbst unterhalten. Der Klägerin wurden keine Sachleistungen durch Haushaltsaufnahme, nämlich die Gewährung von Unterkunft und Verpflegung, als Unterhalt gewährt. Zwar bewohnte die Klägerin die von der Beigeladenen angemietete Wohnung, in der ein gemeinsamer Familienhaushalt geführt wurde. Eine Unterhaltsgewährung der Beigeladenen läge insoweit jedoch nur vor, wenn diese die Kosten für die Unterkunft und Verpflegung der Klägerin tatsächlich zumindest teilweise getragen hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. Die Klägerin hat durch Vorlage der Kontoauszüge nachgewiesen, dass sie ihren Mietanteil ab März 2005 selbst an die Vermieterin überwiesen hat. Anhaltspunkte dafür, dass die Beigeladene ihr hierfür die notwendigen Mittel zuvor zur Verfügung gestellt hat, bestehen nicht. Vielmehr lässt der Umstand, dass die Beigeladene Sozialhilfeempfängerin war und bei der Festsetzung der Sozialhilfe aber sowohl der Mietanteil der Klägerin als auch das Kindergeld mindernd berücksichtigt waren, eine solche Annahme als unwahrscheinlich erscheinen. Wegen der Kürzung der Sozialhilfe hat das Kindergeld die der Beigeladenen zur Verfügung stehenden Mittel wirtschaftlich nicht vermehrt.

In der mündlichen Verhandlung ist von der Beigeladenen bestätigt und sodann unstreitig geworden, dass die Klägerin auch für die Monate Januar und Februar ihren Mietanteil getragen und sich während des Streitzeitraums stets an den Kosten der übrigen Haushaltsführung beteiligt hat. Es entspricht in Mangelfällen wie dem Streitfall auch der Lebenserfahrung, dass ein Kind eigene Bezüge zur Finanzierung seiner anteiligen Haushaltskosten abführt und damit im Ergebnis seinen Unterhalt selbst trägt.

c) Die von der Beklagten angeführte Verwaltungsregelung (Bundesamt für Finanzen, Newsletter 1/2005 vom 7. April 2005, Ziffer 3), wonach eine Unterhaltsverletzung nicht gegeben sei, solange das Kind im Haushalt des Berechtigten lebe, steht, abgesehen davon, dass sie das Gericht nicht bindet, der Erfüllung der Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 EStG nicht entgegen. Die Aussage ist in ihrer Allgemeinheit unzutreffend. Maßgeblich ist nicht das Leben im Haushalt eines Berechtigten, sondern allein die tatsächliche Gewährung von Unterhalt. Zwar mag die Lebenserfahrung dafür sprechen, dass das Leben des Kindes im Elternhaus in den meisten Fällen mit der Gewährung von freier Unterkunft, Beköstigung und Bekleidung und damit von Unterhalt verbunden ist. Es kann indes dahingestellt bleiben, ob diese Erfahrung gewichtig genug ist, um einen Anscheinsbeweis für die Erfüllung der Unterhaltsverpflichtung in diesen Fällen begründen zu können. Denn jedenfalls hätte die Klägerin diesen Anscheinsbeweis im Streitfall durch ihre Darlegungen und vorgelegten Nachweise entkräftet.

2. Wie aus dem Wortlaut des § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG "kann" folgt, handelt es sich bei der Entscheidung über die Abzweigung um eine Ermessensentscheidung (ständige Rechtsprechung, z.B. Bundesfinanzhof - BFH - Urteil vom 25. Mai 2004 VIII R 21/03, BFH/NV 2005, 171). Ermessensentscheidungen unterliegen einer nach § 102 Finanzgerichtsordnung - FGO - nur eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung dahingehend, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

a) Im Streitfall ist die Entscheidung des Beklagten schon deshalb ermessensfehlerhaft, weil er kein Ermessen ausgeübt hat. Er hat vielmehr angenommen, dass schon die bindenden Voraussetzungen für die Abzweigung des Kindergelds an die Klägerin nicht erfüllt seien.

b) Grundsätzlich folgt aus der Ermessensfehlerhaftigkeit der Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsakts, da das Gericht nicht an der Stelle der Behörde Ermessen ausüben darf, nach § 101 Satz 2 FGO lediglich ein Anspruch auf Neubescheidung. Eine Verpflichtung der Behörde zum Erlass des begünstigenden Verwaltungsakt ist aber auszusprechen, wenn das Ermessen in der Weise beschränkt ist, dass ein bindender Anspruch auf Erlass des begünstigenden Verwaltungsakts besteht (Ermessensreduzierung auf Null).

Im Streitfall ist das Ermessen auf Null dahingehend reduziert, dass die Beklagte ermessensfehlerfrei nur entscheiden konnte, das Kindergeld an die Klägerin abzuzweigen. Kindergeld dient grundsätzlich sowohl der steuerlichen Entlastung der Eltern durch kindbedingte Lasten als auch der Familienförderung (vgl. § 31 EStG). Der Gesetzeszweck der steuerlichen Entlastung der kindergeldberechtigten Beigeladenen greift im Streitfall schon deshalb nicht, weil diese in Ermangelung von Einkünften nicht der Einkommenbesteuerung unterliegt. Eine Familienförderung wird aber durch die Auszahlung an die Beigeladene faktisch nicht bewirkt, weil bei der Beigeladenen das Kindergeld zur Kürzung der Sozialhilfe geführt hat. Soweit das Kindergeld in Mangelfällen wie dem Streitfall auch für den Kindesunterhalt zur Verfügung stehen soll (BVerfG-Beschluss in NJW 2003, 2733), wird dies durch die Auszahlung an den Kindergeldberechtigten aufgrund der dadurch bewirkten Kürzung der Sozialhilfe geradezu vereitelt.

Das Ermessen des Beklagten ist auch deshalb auf Null reduziert, weil die kindergeldberechtigte Beigeladene selbst der Auszahlung an die Klägerin zugestimmt und den Sachverhalt, der die bindenden Voraussetzung der Abzweigung begründet, bestätigt hat. Damit sind ein Interessenkonflikt zwischen Kindergeldberechtigtem und Kind und die Gefahr einer nochmaligen Inanspruchnahme durch die Kindergeldberechtigte, die im Rahmen der Ermessensausübung zu Lasten des Kindes zu berücksichtigen sein könnten, nicht gegeben.

3. Der Beklagte hat zu Unrecht eingewandt, dass der Anspruch der Klägerin durch Erfüllung erloschen sei.

a) Nach § 47 in Verbindung mit § 224 Abs. 3 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis - hier der Anspruch auf Kindergeld als Steuervergütung (s. § 31 Satz 3 EStG, § 37 Abs. 1 AO) - durch Zahlung der Finanzbehörde - hier Familienkasse. Der Anspruch auf Abzweigung begründet keinen eigenständigen Anspruch des Kindes auf Kindergeld neben dem Kindergeldanspruch des Kindergeldberechtigten. Vielmehr handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch, der nur einmal zu erfüllen ist, und zwar entweder durch Zahlung an den Kindergeldberechtigten oder durch Zahlung an den Abzweigungsempfänger (BFH-Beschluss vom 9. Februar 2004 VIII R 21/03, BFH/NV 2004, 662). Allerdings bedeutet dies nicht schlechthin, dass jede Zahlung der Familienkasse an den Kindergeldberechtigten oder den Abzweigungsberechtigten Erfüllungswirkung entfaltet. Durch die Rechtsprechung geklärt ist bisher, dass der Kindergeldanspruch durch Zahlung an Abzweigungsberechtigten im Falle der bestandskräftigen Verfügung oder rechtskräftigen Entscheidung nach § 74 EStG erfüllt wird. Umgekehrt wird der Kindergeldanspruch durch Zahlung an den Kindergeldberechtigten mit Erfüllungswirkung auch gegenüber dem Abzweigungsberechtigten erfüllt, wenn die Voraussetzungen der Abzweigung zum Zeitpunkt der Zahlung noch vorlagen (Finanzgericht - FG - München, Urteil vom 24. Mai 2006 - 9 K 4733/02, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2006, 1335, unter Ziff. 3 der Entscheidungsgründe) bzw. der Familienkasse nicht bekannt waren.

Für den Fall, dass - wie im Streitfall - die Voraussetzungen der Abzweigung zum Zeitpunkt der Zahlung objektiv erfüllt und der maßgebliche Sachverhalt der Familienkasse bekannt war, über die beantragte Abzweigung aber noch nicht bestandskräftig entschieden ist, kann weder den gesetzlichen Regelungen entnommen werden, noch ist bisher von der Rechtsprechung entschieden, ob eine Erfüllungswirkung durch Zahlung an den Kindergeldberechtigten zu Lasten des Abzweigungsberechtigten oder umgekehrt durch Zahlung an den Abzweigungsberechtigten zu Lasten des Kindergeldberechtigten eintritt.

b) Nach Ansicht des Senats tritt in diesen Fällen durch die Zahlung Erfüllung allenfalls insoweit ein, als an denjenigen - Kindergeldberechtigter oder Abzweigungsberechtigter - gezahlt wird, zu dessen Gunsten letztlich bestandskräftig oder rechtskräftig über den Abzweigungsanspruch entschieden wird. Denn eine Erfüllungswirkung kann nur eintreten, wenn an den richtigen Zahlungsempfänger geleistet wird. Das ist aber nur derjenige, der letztlich die Zahlung an sich beanspruchen kann. Insoweit kann für die Abzweigung nichts anderes gelten, als für andere Zugriffe Dritter im Erhebungsverfahren, wie etwa die (wirksame) Abtretung oder Pfändung eines Erstattungsanspruchs. Auch in diesen Fällen bewirkt die in Kenntnis der Abtretung oder Pfändung erfolgte Zahlung an den an sich Erstattungsberechtigten keine Erfüllung, und zwar auch dann nicht, wenn der Zahlende die Abtretung und Pfändung (zu Unrecht) nicht anerkennt. Allerdings sind diese Wirkungen bei der Abtretung und der Pfändung gesetzlich geregelt (s. § 46 Abs. 1 AO, § 407 Abs. 1 BGB und § 46 Abs. 7 AO, § 829 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO, §§ 136, 135 BGB), während für die Abzweigung von Kindergeld vergleichbare Regelungen fehlen. Den Regelungen über die Abtretung, die Pfändung und entsprechend über gesetzliche Forderungsübergänge wohnt indes der allgemeine Rechtsgedanke inne, dass die in Kenntnis der Umstände bewirkte Zahlung des Schuldners keine Erfüllung bewirkt. Dieser Rechtsgedanke ist auf die Fälle der Abzweigung übertragbar, da eine vergleichbare Interessenkollision vorliegt.

Die Versagung der Erfüllungswirkung bei Zahlung an den letztlich nicht Zahlungsempfangsberechtigten ist in Fällen der Abzweigung auch durch das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz - GG) und als dessen Ausfluss des Gebots effektiven Rechtsschutzes geboten. Denn andernfalls könnte die Familienkasse der Geltendmachung des Anspruchs auf Abzweigung allein durch Auszahlung des Kindergelds an den Kindergeldberechtigten die Grundlage entziehen, ohne dass über den Anspruch bestandskräftig entschieden werden müsste. Damit wäre aber die Möglichkeit willkürlicher Versagung des Anspruchs eröffnet und jeglicher Rechtsschutz abgeschnitten.

Auch das Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG) schließt eine Erfüllungswirkung aus. Der Anspruch auf Abzweigung an das Kind ist Ausfluss des Sozialstaatsprinzips und dient der Sicherstellung des Kindesunterhalts. Der Anspruch würde durch Erfüllungswirkung der Zahlung an den letztlich nicht zahlungsempfangsberechtigten Kindergeldberechtigten vereitelt und damit der sozialstaatliche Grundgedanke der Abzweigung ausgehöhlt.

Der Senat verkennt nicht, dass die Familienkasse, da sie nicht der Möglichkeit hat, die Zahlung zu hinterlegen, unter Umständen bis zur Bestandskraft bzw. Rechtskraft der Entscheidung über die Abzweigung verpflichtet sein kann, das Kindergeld doppelt, nämlich sowohl an den Kindergeldberechtigten als auch an den Abzweigungsberechtigten auszuzahlen. Zwar kann die Familienkasse dann gegen den letztlich nicht Zahlungsempfangsberechtigten einen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO geltend machen; dieser wird aber meist mangels Zahlungsfähigkeit nicht durchsetzbar sein. Auch ist denkbar, dass Kindergeldberechtigte und volljährige Kinder missbräuchlich zusammenwirken, um eine Doppelzahlung zu erreichen. Im Streitfall liegen indes keine Anhaltspunkte für rechtsmissbräuchliches Verhalten vor. Die abstrakte Missbrauchsgefahr und die Gefahr einer Doppelzahlung bzw. eines nicht realisierbaren Rückgewähranspruchs rechtfertigen es allein aber nicht, die Erfüllungswirkung zu Lasten des Abzweigungsberechtigten anzunehmen. Den für die Auszahlung sprechenden Umständen kommt angesichts ihres dargelegten verfassungsrechtlichen Gewichts bei der Abwägung der Interessen des Abzweigungsberechtigten einerseits und der Familienkasse an der Vermeidung von Überzahlungen andererseits größeres Gewicht zu. Auch kann der Umstand, dass der Gesetzgeber die Abzweigung unvollständig und damit unbefriedigend geregelt hat, sich nicht zu Lasten des unterhaltsbedürftigen Kindes auswirken.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revisionszulassung erfolgt nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.

Ende der Entscheidung

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