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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 27.04.2006
Aktenzeichen: 15 K 3887/04
Rechtsgebiete: FGO, EStG


Vorschriften:

FGO § 100 Abs. 1
EStG § 19 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

15 K 3887/04

Tenor:

Die Haftungssumme aus dem Haftungsbescheid vom 13.08.2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.06.2004 wird auf 1.602,32 Euro reduziert.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung durch die Klägerin in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids für Lohnsteuer.

Die Klägerin bietet ihren Arbeitnehmern die Möglichkeit, an einem Rückentrainingsprogramm des G (G-Training) teilzunehmen.

Die Klägerin hatte im streitigen Zeitraum 800 Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze solche i.S.d. Bildschirmarbeitsplatzverordnung sind. Daraus ergeben sich für den Arbeitgeber besondere Verpflichtungen in Bezug auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten. Auch die Berufsgenossenschaft hat besondere Regeln erlassen, um besondere physische oder psychische Belastungen der Beschäftigten zu erkennen und bezüglich des Rückens folgendes ausgeführt: "Bei gleich bleibenden Körperhaltungen ist in erheblichem Umfang statische Haltearbeit zu leisten, die eine einseitige Belastung darstellt. Das Fehlen häufiger Belastungswechsel kann u.a. zu Beschwerden im Schulter-/Nacken-, Hand-/Armbereich, der Wirbelsäule und zu Kopfschmerzen führen." Dies bestätigt auch eine gutachterliche Stellungnahme einer Ärztin des U.

Hier setzt das G-Konzept an. Ausweislich der vorgelegten Unterlagen ist es ein interdisziplinäres, risikofaktorenorientiertes ...-Konzept zur Behandlung von Rückenschmerzpatienten mit fortgeschrittener Dekonditionierung der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur. Seine Anwendung ist speziell qualifizierten Ärzten und Therapeuten mit Zertifizierung durch die ... Gesellschaft ... und/oder die ... Gesellschaft ... vorbehalten. Danach beinhaltet das G-Konzept eine klinisch differenzierte Diagnostik und Therapie für Rückenschmerzpatienten und ist eine analysegestützte medizinische Trainingstherapie ausschließlich für die Wirbelsäule. Das Besondere an diesem Konzept ist, dass die autochthone Rückenmuskulatur, d.h. die unmittelbar an der Wirbelsäule verlaufenden Muskelstränge, die in der Tiefe liegen und von der darüber liegenden Muskulatur verdeckt werden, im Rahmen dieses G-Konzepts aufgebaut und gestärkt werden.

Wollte ein Arbeitnehmer das Angebot der Klägerin zur Teilnahme an diesem Programm annehmen, wurde -entsprechend der Gliederung des Konzepts in drei Maßnahmen- zunächst eine -voll von der Arbeitgeberin bezahlte- biomechanische Funktionsanalyse der Wirbelsäule durch einen autorisierten Arzt durchgeführt. Sofern diese Untersuchung ein Funktionsdefizit der Wirbelsäule ergab, wurde seitens des G dem Betriebsarzt der Klägerin, der sämtliche Maßnahmen ebenso begleitete wie die Personalabteilung, ein Behandlungsvorschlag unterbreitet. Wurden die vorgeschlagenen Maßnahmen von diesem befürwortet, erfolgte ein Aufbauprogramm von 24 Trainingseinheiten, dessen Kosten die Klägerin dann zu 2/3 trug, wenn der Arbeitnehmer regelmäßig an diesem Training teilnahm. Dies bedeutet, dass die 24 Trainingseinheiten über einen Zeitraum von zwölf Wochen verteilt wurden. Die Trainingseinheiten der anschließenden Prävention, deren Kosten die Klägerin zur Hälfte übernahm, dauerte 3 Monate und mussten jeweils innerhalb von 7 bis 10 Tagen absolviert werden.

Im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung überprüfte das Finanzamt L diesen Sachverhalt und gelangte zu der Auffassung, dass es sich um einen lohnsteuerpflichtigen Sachbezug derjenigen 129 Arbeitnehmer handele, die bis dahin an dieser Maßnahme teilgenommen hatten.

Daraufhin erließ der Beklagte nach Auswertung des Prüfberichts vom 05.08.2003, auf den bzgl. weiterer Einzelheiten Bezug genommen wird, am 13.08.2003 den angefochtenen Haftungsbescheid, den die Klägerin erfolglos mit Einspruch anfocht. Die daraufhin erhobene Klage begründet sie wie folgt:

Der Nutzen des G-Konzepts sei allgemein medizinisch anerkannt. Ebenso sei bekannt, dass Bildschirmarbeitsplätze häufig zu Rückenleiden und entsprechenden krankheitsbedingten Ausfällen führten. Im Einzelnen wird auf die eingereichten Gutachten und wissenschaftlichen Artikel verwiesen. Ausweislich einer Krankheitsstatistik des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen seien jährlich bei allen Arbeitnehmern etwa 517, 1 Mio Ausfalltage zu verzeichnen. Von den rund 151 Mio Ausfalltagen, die durch Erkrankungen des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes hervorgerufen würden, seien 96,6, das entspreche 64 %, auf den Rücken zurückzuführen. Um die Fehlzeiten der eigenen Arbeitnehmer und damit die ihr entstehenden ausfallbedingten Kosten so gering wie möglich zu halten, habe sie ihren Arbeitnehmern die Möglichkeit zur Teilnahme an dem G-Training eröffnet. Es sei ihr nicht möglich, sämtliche Arbeitnehmer dazu zu verpflichten, an dieser Trainingsmaßnahme teilzunehmen. Dazu stehe ihr kein arbeitsrechtliches Instrumentarium zur Verfügung. Zwar sei nicht mit 100 %-iger Sicherheit zu sagen, inwieweit sich Fehlzeiten aufgrund dieser Maßnahme tatsächlich reduziert hätten. So sei es durchaus möglich, dass Fehlzeiten vor wie nach der Maßnahme auch auf andere Krankheiten zurückzuführen seien. Konkrete Aussagen hierzu seien aufgrund des Datenschutzes nicht möglich. Eine Auswertung, die der Überprüfung ihrer Erwartungen bzgl. der Verringerung der Fehlzeiten gedient habe, habe bzgl. der 34 Teilnehmer, die zu diesem Zeitpunkt Mitte des Jahres 2003 an dem Programm teilgenommen hätten, eine Verringerung der Fehltage von 5,07% auf 4,47% ergeben. Dabei sei bei nahezu allen Teilnehmern ein Rückgang zu verzeichnen gewesen. Bei vier Teilnehmern sei ein Anstieg der Fehltage zu verzeichnen gewesen, der allerdings in drei Fällen auf außergewöhnlichen Umständen wie Beinbruch, Fußoperation und Sehnenscheidenentzündung beruhe. Bei weiteren 5 Teilnehmern sei, bedingt durch eine grippale Erkrankung von bis zu einer Woche, ein leichter Anstieg um 0,4 % zu verzeichnen gewesen.

Nach alledem sei festzustellen, dass ein ganz überwiegendes Eigeninteresse der Klägerin an der Teilnahme ihrer Arbeitnehmer an diesem Trainingsprogramm bestehe, da sich nach diesen Auswertungen die Investition in die Gesundheit der Arbeitnehmer lohne.

Die Klägerin beantragt bisher,

den Haftungsbescheid vom 13.08.2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.06.2004 mit der Maßgabe zu ändern, dass der Haftungsbetrag um 20.408,20 EUR auf 1.602,32 EUR reduziert wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass kein überwiegend eigenbetriebliches Interesse der Klägerin an der Teilnahme ihrer Arbeitnehmer an diesem Programm vorliegt und verweist zur Begründung seiner Auffassung zunächst auf die Gründe seiner Einspruchsentscheidung.

Die Klägerin habe nicht im Einzelnen dargelegt und überprüft, welche Vorteile durch die Verringerung von Fehlzeiten aufgrund dieser Maßnahme ihrem Unternehmen erwachsen seien. Die allgemeinen Ausführungen seien dazu nicht ausreichend. Zudem sei die Teilnahme am G-Programm freiwillig gewesen. Schon dies lasse das überwiegend eigenbetriebliche Interesse der Klägerin nahezu als ausgeschlossen erscheinen. Denn dadurch wären nur diejenigen Arbeitnehmer bezuschusst worden, die aus erheblichem Eigeninteresse an diesen Veranstaltungen teilgenommen hätten. Dies entspreche der Sachlage bei der Vermietung von Sportanlagen durch den Arbeitgeber. Auch dort werde aufgrund des erheblichen Eigeninteresses der Arbeitnehmer Arbeitslohn angenommen. So habe der BFH bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 1982 das überwiegend eigenbetriebliche Interesse der Klägerin u.a. deswegen bejaht, weil diese einen bestimmten Kreis von Arbeitnehmern für diese Maßnahme ausgewählt habe, der für ihren Betrieb besonders wichtig und schwer zu ersetzen war. Darin unterscheide sich jedoch der vorliegende Fall, in dem allen Arbeitnehmern diese Maßnahme angeboten werde ebenso wie in der Frage der Freiwilligkeit. In seiner Entscheidung habe der BFH auch insbesondere darauf abgestellt, dass es den Arbeitnehmern durch die Androhung möglicher beruflicher Nachteile letztlich nicht freigestanden habe, diese Maßnahme anzunehmen. Es sei ein -wenn auch indirekter- Zwang auf die Arbeitnehmer ausgeübt worden.

Die Klägerin bleibe im Übrigen bei ihren Ausführungen zu allgemein. So versäume sie es, in jedem Einzelfall die spezifisch berufsbedingte Ursache der behandelten Rückenbeschwerden darzulegen. Dies sei aber nach der Rechtsprechung erforderlich.

Die Darlegung der Klägerin zur Reduzierung der Fehlzeiten sei schon deswegen nicht ausreichend, weil in den letzten Jahren aufgrund der gestiegenen Angst um den Arbeitsplatz allgemein ein Rückgang der Fehlzeiten zu beobachten sei. Ein konkreter Bezug zu der geförderten Maßnahme sei damit durch ihre Ausführungen zu der Verringerung der Fehlzeiten nicht nachgewiesen. Ergänzend dazu legt er eine vom Bundesministerium für Gesundheit veröffentlichte Statistik vor, aus der sich eine Reduktion der Fehlzeiten zwischen 1998 und 2003 von ca. 0,5 Prozent ergibt.

Im Termin der mündlichen Verhandlung legt der Beklagte ein Gutachten der W vom 18. Mai 2004 vor und zitiert folgenden Passus: "Die Frage, ob eine vom Arbeitgeber angebotene Behandlung am Arbeitsplatz durch einen Masseur und medizinischen Bademeister sowie Sportphysiotherapeut grundsätzlich vorbeugend gegen Erkrankungen bei Arbeitnehmern an Bildschirmarbeitsplätzen wirkt, muss mit nein beantwortet werden." Auch die Zahl der Teilnehmer spreche für ein überwiegend eigenes Interesse der Arbeitnehmer. Er gehe davon aus, dass man etwa ein Sechstel der Bevölkerung als sportinteressiert bezeichnen könne. Dies spiegele der Anteil der Arbeitnehmer gemessen an der Gesamtzahl der Arbeitnehmer wider, die an dieser Maßnahme teilgenommen hätten.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat der Beklagte die in der Übernahme der Kosten für das Rückentrainingsprogramm von Mitarbeitern liegende Zuwendung als lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn behandelt. Die Klägerin ist dadurch in ihren Rechten aus § 100 Abs. 1 FGO verletzt.

Arbeitslohn i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 1 EstG sind u.a. Vorteile, die "für" eine Beschäftigung gewährt werden. Dies bedeutet, dass der Vorteil Entlohnungscharakter haben muss (BFH-Urteil vom 30. Mai 2001 VI R 177/99, BFHE 195, 373). Kein Arbeitslohn sind demgegenüber solche Vorteile, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände des Einzelfalles nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen (BFH-Urteil vom 25. Mai 2000 VI R 195/98, BFHE 192, 299). Hierbei kann das Interesse des Arbeitnehmers auf Erlangung des Vorteils vernachlässigt werden, falls der Vorteil ganz überwiegend im eigenbetrieblichen Interesse gewährt wird. Allerdings muss sich aus den Begleitumständen wie Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seiner besonderen Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck ergeben, dass diese Zielsetzung ganz im Vordergrund steht und ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, deshalb vernachlässigt werden kann. Das Erfordernis des eindeutigen Vorrangs anderer als Entlohnungszwecke kommt bei der Verwendung des Begriffs "eigenbetriebliches Interesse" durch die hinzugefügten Worte "ganz überwiegend" zum Ausdruck (BFH-Urteil vom 30. Mai 2001 a.a.O.).

Unter Zugrundelegung vorstehender, vom erkennenden Senat als zutreffend erachteter Rechtsgrundsätze erweist sich der Haftungsbescheid des Beklagten als rechtswidrig. Die Zuschüsse der Klägerin für die Teilnahme am G-Rückentraining stellen keinen lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. EStG dar.

Unter Anwendung der oben dargestellten Kriterien auf die von der Klägerin gezahlten Zuschüsse erweisen sich diese nicht als Entlohnung für die Beschäftigung, sondern als notwendige Begleiterscheinung besonders gewichtiger betriebsfunktionaler Zielsetzung. Der erkennende Senat geht anhand der von der Klägerin eingereichten Unterlagen von einem ganz überwiegenden betrieblichen Eigeninteresse der Klägerin aus.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Tätigkeit der Mitarbeiter bei der Klägerin unter die Bildschirmplatzverordnung fällt. Mitarbeiter, die solche Tätigkeiten ausüben, sind nach heutigen Erkenntnissen für Rückenleiden besonders anfällig und gefährdet. Dies bestätigt auch die von der Klägerin eingereichte gutachterliche Stellungnahme einer Ärztin des U. Ebenso ist allgemein bekannt, dass dauerhafte Rückenschmerzen zu Arbeitsausfall bis hin zur Arbeitsunfähigkeit führen. Entsprechende -dies bestätigende- Studien wurden von der Klägerin vorgelegt.

Aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen zum G-Konzept wie aus dazu verfassten Abhandlungen ergibt sich, dass es besonders dazu geeignet ist, den möglichen mit einer Tätigkeit an einem Bildschirmarbeitsplatz verbundenen körperlichen Beschwerden heilend wie vorbeugend entgegenzuwirken und ggfs. krankheitsbedingte Arbeitsausfälle zu verhindern, jedenfalls aber zu reduzieren. Dies konnte durch das vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Gutachten der W nicht widerlegt werden. Dieses Gutachten befasste sich mit ganz anderen Anwendungen. Es bezog sich auf Massagen am Arbeitsplatz. Diese Maßnahmen sind mit dem vorliegenden Konzept in keiner Weise zu vergleichen. Die Eignung des G-Konzepts als Präventionsmaßnahme ist damit in keiner Weise widerlegt.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Teilnehmer zunächst von einem Orthopäden im Hinblick auf eine medizinische Indikation untersucht wurden und eine Empfehlung für eine Teilnahme an diesem Programm ausgesprochen wurde und anschließend die Betriebsärztin auch noch ihr Einverständnis geben musste, bevor die Arbeitnehmer an dieser Trainingsmaßnahme teilnehmen konnten, sowie der Tatsachen, dass die Arbeitnehmer nur bei regelmäßiger Teilnahme und dann lediglich 2/3 ( bzw. 1/2) der Kosten der Maßnahme erstattet bekamen, erscheint dem Senat das eigenbetriebliche Interesse der Klägerin deutlich zu überwiegen. Dabei ist nach Auffassung des Senats zu berücksichtigen, dass durch diese Einschränkungen dieser Vorteil nicht allen Arbeitnehmern zugute kommen konnte. Es erscheint jedoch fraglich, ob die Klägerin ein Interesse daran haben kann, gerade diejenigen Arbeitnehmer besonders zu entlohnen, die Rückenbeschwerden haben. Anders als die Vermietung von Sportstätten, deren Nutzung jedem offensteht, ist vorliegend eine besondere medizinische Indikation erforderlich, um vom Angebot der Klägerin an ihre Arbeitnehmer Gebrauch machen zu können. Dies erklärt auch ohne weiteres, warum nicht alle Arbeitnehmer an diesem Programm teilgenommen haben, obwohl die Klägerin dieses Programm für alle Arbeitnehmer angeboten hatte. Dass die Klägerin keinen weiteren "Zwang" ausgeübt hat, hat sie wiederholt mit den fehlenden arbeitsrechtlichen Instrumentarien erklärt. Überdies setzt die vorliegende Maßnahme eine erhebliche Mitwirkung der Arbeitnehmer voraus, so dass eine zwangsweise Durchführung -anders als bei (passiven) Vorsorgeuntersuchungen (BFH-Urteil vom 17. September 1982 VI R 137/78, NV)- kaum vorstellbar ist. Die Klägerin hat überzeugend dargelegt, dass sie ihre Verpflichtungen aus der Bildschirmarbeitsplatzverordnung ernst nimmt und im Rahmen ihrer betriebsfunktionalen Zielsetzung konkret etwas gegen die aus der Art der Tätigkeit resultierenden Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz unternehmen möchte. Als notwendige Begleiterscheinung dieser Zielsetzung müssen sich die Arbeitnehmer nicht nur zwei Untersuchungen unterziehen, sie müssen auch -wollen sie in den Genuss der Förderung kommen- in einem eng gesteckten Zeitrahmen regelmäßig an einem Trainingsprogramm teilnehmen.

Dabei kann nach Auffassung des erkennenden Senats weder der Einwand des Beklagten, dass es sich nicht lediglich um hochqualifizierte Arbeitskräfte handelte, für die kein Ersatz vorhanden sei, noch der Einwand, dass allgemein ein Rückgang der Fehlzeiten bei den Arbeitnehmern zu verzeichnen sei, ausschlaggebende Bedeutung erlangen. Nach Auffassung des erkennenden Senats mag zwar durch die Vielzahl der Arbeitnehmer, die bei der Klägerin als Sachbearbeiter beschäftigt sind, es leichter sein, einen Krankheitsausfall eines Mitarbeiters durch andere Mitarbeiter zu kompensieren. Andererseits verursachen solche Ausfälle dem Arbeitgeber regelmäßig nicht unerhebliche Kosten, indem er zum Auffangen von Krankheitsausfällen entweder mehr Personal beschäftigen muss oder Ausfälle durch nicht erledigte Aufträge einkalkulieren muss. Bei angenommenen durchschnittlich 4 Fehltagen pro Arbeitnehmer ist nach der allgemeinen von der Klägerin vorgelegten Statistik davon auszugehen, dass 1 Fehltag (rund 25 % aller Fehltage) auf Rückenschmerzen beruht. Bei 800 Arbeitnehmern bedeutet dies, dass rund 4 Arbeitskräfte eingesetzt werden müssen, um die rückenschmerzbedingten Fehltage der übrigen Arbeitnehmer aufzufangen.

Der erkennende Senat hält es -auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen verschiedenen Verordnungen zum Schutz des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz wie der starken Rationalisierungsmaßnahmen in allen Arbeitsbereichen- nicht mehr für zeitgemäß, nur bei Führungskräften wegen ihrer schwereren Ersetzbarkeit von einem überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers auszugehen. Im Streitfall ist dabei insbesondere die Vielzahl der potentiell von dieser Gesundheitsbeeinnträchtigung betroffenen Arbeitnehmer und die dadurch entstehenden hohen Kosten für die Klägerin zu berücksichtigen.

Der allgemeine Rückgang von Fehlzeiten darf nicht dazu führen, dass der Untersuchung der Klägerin der Beweiswert abgesprochen wird. Denn die Klägerin hat konkret die Fehlzeiten der Teilnehmer dieser Maßnahme untersucht und konkret bei dieser Gruppe einen signifikanten Rückgang der Krankenzeiten feststellen können.

Auch eine tatsächlich überwiegend berufsbedingte Rückenerkrankung als Voraussetzung für die Teilnahme an dieser Maßnahme zu fordern -wie der Beklagte meint-, erscheint dem erkennenden Senat überzogen. Einerseits erscheint dies im Nachweis wie in der Abgrenzung schwierig, andererseits erscheint es dem Senat aber auch der Sache nach fraglich, ob Vorschädigungen oder genetische Veranlagungen, die zu stärkeren, früheren oder überhaupt erst zu Rückenbeschwerden führen, Arbeitnehmer von der Teilnahme an solchen Programmen quasi "disqualifizieren" sollen. Vielmehr erscheint die hier unstreitige berufsbedingte Indikation für Rückenbeschwerden ausreichend. Da unstreitig nachgewiesen ist, dass die Tätigkeit der Arbeitnehmer bei der Klägerin zu einer erhöhten Anfälligkeit für Rückenbeschwerden führt und die angebotene Maßnahme solche Beschwerden in vielen Fällen lindert oder ihnen vorbeugt, so dass Krankheitstage verringert werden können, erscheint dem Senat, dass ein ebenso unstreitig vorhandenes geringes eigenes Interesse der Arbeitnehmer, das sich schon in der Bereitschaft zu regelmäßigen Durchführung des Trainings wie der Übernahme von 1/3 (bzw. 1/2) der Kosten zeigt, an der Maßnahme vernachlässigt werden kann und damit auch der Arbeitslohncharakter der Aufwendungen zu verneinen ist.

Insoweit erscheint dem Senat auch die Vermutung des Beklagten, dass lediglich die ohnehin sportinteressierten Arbeitnehmer an dieser Maßnahme teilgenommen hätten, ohne Relevanz.

2. Die Kostenfolge beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. § 709 ZPO

Ende der Entscheidung

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