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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 13.08.2008
Aktenzeichen: 4 K 3363/07
Rechtsgebiete: ZPO, FGO, EStG, DBA Belgien


Vorschriften:

ZPO § 251
FGO § 155
EStG § 1 Abs. 3 S. 1
EStG § 1 Abs. 3 S. 2
EStG § 32 Abs. 1 Nr. 3
EStG § 32a
EStG § 32b
EStG § 49 Abs. 1 Nr. 4d
EStG § 50d Abs. 8 S. 1
EStG § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1
DBA Belgien Art. 15 Abs. 1
DBA Belgien Art. 25 Abs. 3
GG Art. 59 Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

4 K 3363/07

Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid 2005 vom 25.07.2007 wird dergestalt geändert, dass die Abfindung in vollem Umfang aus der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer herausgenommen und i. H. v. 2.383 € (1/5 von 11.910 €) gemäß § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG dem Progressionsvorbehalt unterworfen wird. Die Einspruchsentscheidung vom 30.08.2007 wird aufgehoben. Die Berechnung der Einkommensteuer 2005 wird dem Beklagten übertragen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob eine an den Kläger gezahlte Abfindung in die Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer einzubeziehen ist.

Der Kläger und seine Ehefrau haben ihren Wohnsitz in Belgien. Der Kläger erzielte im Streitjahr in Deutschland Einkünfte aus einer nichtselbständigen Tätigkeit. Der Arbeitgeber des Klägers (Arbeitgeber) kündigte dem Kläger aus betriebsbedingten Gründen zum 31.12.2005.

Der Kläger erhielt im Streitjahr neben einem Bruttoarbeitslohn i. H. v. 53.023,14 €, eine Abfindung i. H. v. 19.110,00 € und eine Jubiläumszuwendung i. H. v. 1.074,00 €. Die Abfindung zahlte der Arbeitgeber in Höhe von 7.200,00 € steuerfrei aus. Die Jubiläumszuwendung und den nicht steuerfreien belassenen Teil der Abfindung besteuerte der Arbeitgeber ermäßigt. Mit der Abgabe der Einkommensteuererklärung 2005 beantragten der Kläger und seine Ehefrau die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung nach den Grundsätzen der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG. Beigefügt war eine Bescheinigung EU/EWR aus der sich ergab, dass weder der Kläger noch seine Ehefrau in Belgien im Streitjahr Einkünfte erzielt hatten, die dort der Besteuerung unterlagen.

Mit Bescheid vom 25.07.2007 setzte das Finanzamt (FA) die Einkommensteuer 2005 nach den Grundsätzen der unbeschränkten Steuerpflicht fest. Die Abfindung i. H. v. 19.110,00 € bezog das FA dabei nach Abzug des Freibetrags von 7.200,00 € in die Steuerfestsetzung mit ein (angesetzter Bruttoarbeitslohn 66.008,00 €), wobei es die Abfindung und die Jubiläumszuwendung der Ein-Fünftelregelung unterwarf.

Für die Besteuerung der Abfindung berief sich der Beklagte auf eine zwischen dem Bundesministerium der Finanzen der Bundesrepublik Deutschland und dem Finanzministerium des Königreichs Belgien am 15.12.2006 getroffene Verständigungsvereinbarung (bekannt gegeben durch BMF Erlass vom 10.01.2007 - IV B 6-S 1301 BEL-1/07, BStBl I 2007, 261). Danach sei die Besteuerung von Abfindungen an Arbeitnehmer abhängig vom wirtschaftlichen Hintergrund der jeweiligen Zahlung. Sei einer Abfindung Versorgungscharakter beizumessen, könne sie gemäß Art. 18 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regulierung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11.04.1967 in der Fassung des Zusatzabkommens vom 5.11.2002 (DBA Belgien) nur im Wohnsitzstaat des Empfängers besteuert werden. Handele es sich dagegen bei der Abfindung um eine im Rahmen eines Arbeitsvertrags geleistete Nachzahlung von Löhnen, Gehältern oder anderen Vergütungen oder werde die Abfindung allgemein für die Auflösung des Arbeitsvertrags gewährt, so könne sie gemäß Art. 15 DBA Belgien in dem Staat besteuert werden, in dem die Tätigkeit ausgeübt werde. Diese Vereinbarung sei auch auf alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens noch nicht abgeschlossenen Verfahren anzuwenden.

Gegen den Bescheid vom 25.07.2007 legte der Kläger Einspruch ein, den das FA als unbegründet zurückwies. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Klage erhoben.

Der Kläger trägt vor, das Besteuerungsrecht für Abfindungen habe nach dem DBA Belgien der Wohnsitzstaat, hier: Belgien. § 50d Abs. 8 und 9 EStG änderten hieran nichts, da diese Vorschriften in Fällen des § 1 Abs. 3 EStG nicht anwendbar seien. Wegen der von dem Kläger hierzu vorgetragenen Begründung im Einzelnen wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 9.5.2008 Bezug genommen. Zwar hätten sich die Finanzbehörden der beteiligten Staaten am 15.12.2006 darauf geeinigt, das Besteuerungsrecht für Abfindungen wegen der Auflösung eines Arbeitsvertrags dem Tätigkeitsstaat zuzuweisen, diese Verwaltungsanweisung stehe aber im Widerspruch zu der bisherigen Auslegung des DBA Belgien durch die Behörden beider Staaten und der ständigen höchstrichterlichen deutschen Rechtsprechung. Sie sei deswegen im Streitfall nicht anwendbar. Eine ministerielle Anordnung könne ein DBA nicht ändern. Darüber hinaus enthalte die Verwaltungsanweisung vom 15.12.2006 eine unzulässige Rückwirkung auf den streitigen Veranlagungszeitraum 2005.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2005 dergestalt zu ändern, dass die Abfindung in vollem Umfang aus der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer herausgenommen, der steuerpflichtige Teil der Abfindung i. H. v. 11.910 € dem Progressionsvorbehalt unterworfen und auf ihn die Ein-Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG angewandt wird und die Einspruchsentscheidung vom 30.08.2007 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

das Verfahren bis zu einer Entscheidung des BFH in dem Verfahren I R 81/07 ruhen zu lassen;

hilfsweise,

die Klage abzuweisen;

äußerst hilfsweise,

die Abfindung lediglich unter Progressionsvorbehalt zu versteuern und die Revision zuzulassen.

Der Beklagte bittet, das Verfahren bis zu einer Entscheidung des BFH in dem Verfahren I R 81/07 ruhen zu lassen. Der Beklagte macht geltend, entgegen der Auffassung des Klägers handele es sich bei der Verständigungsvereinbarung vom 15.12.2006 nicht um eine einfache Verwaltungsanweisung, sondern vielmehr um eine durch einen BMF-Erlass bekannt gegebene vertragliche Vereinbarung zwischen den beteiligten Staaten Belgien und Deutschland zur Auslegung und Anwendung des bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens, die ebenso bindend sei, wie das Doppelbesteuerungsabkommen selbst. Eine zusätzliche Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens selbst sei nicht erforderlich gewesen.

Hilfsweise vertritt der Beklagte die Ansicht, § 50d Abs. 9 EStG begründe auch dann für Deutschland ein Besteuerungsrecht, wenn ein Steuerpflichtiger lediglich auf Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werde und die übrigen Voraussetzungen dieser Vorschrift vorlägen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat Erfolg.

1. Der Senat war nicht gehalten, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Gemäß § 251 ZPO, der gemäß § 155 FGO auch im finanzgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Beteiligte dies beantragen und dies zweckmäßig ist. Im Streitfall hat lediglich der Beklagte, nicht aber der Kläger, ein Ruhen des Verfahrens beantragt. Ein Ruhen des Verfahrens ist zudem nicht zweckmäßig. Denn es ist nicht zu erwarten, dass eine Entscheidung des BFH in dem Verfahren I R 81/07 zu einer einverständlichen Beendigung des vorliegenden Verfahrens würde. Dies folgt daraus, dass sowohl der Sachverhalt als auch die zu beantwortenden Rechtsfragen die dem genannten vor dem BFH anhängigen Verfahren zu Grunde liegen, sich von denen des vorliegenden Verfahrens maßgeblich unterscheiden. Das von dem BFH zu entscheidende Verfahren betrifft das Jahr 2001 und damit ein Jahr vor Einführung des Buchst. d in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG durch das Steueränderungsgesetz 2003 (BGBl I 2003, 2645) mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2004. In diesem Verfahren hatte das FG I als Vorinstanz entschieden, dass die Kläger des dortigen Verfahrens mangels eines Wohnsitzes in Deutschland lediglich beschränkt einkommensteuerpflichtig waren und dass eine dem Kläger gewährte Abfindung nicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 4a EStG dem deutschen Besteuerungsrecht unterlag. Im Streitfall ist dagegen unstreitig, dass die dem Kläger gewährte Abfindung nach innerstaatlichem Recht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4d EStG steuerpflichtig ist (vgl. nachfolgend unter 2. a) aa)). Zwar hatte das FG I auch Ausführungen zu einer, seiner Ansicht nach, dem DBA Schweiz nicht entsprechenden Verständigungsvereinbarung zwischen der deutschen und der eidgenössischen Steuerverwaltung gemacht. Diese Ausführungen befinden sich aber in einem Hilfsgutachten. Sie waren nicht entscheidungserheblich.

2. Die Klage ist begründet.

Der Einkommensteuerbescheid 2005 vom 25.07.2007 ist insoweit rechtswidrig als das FA die an den Kläger gezahlte Abfindung in die Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer einbezogen hat.

a) Zwar hatte Deutschland bis zum Ergehen der Verständigungsvereinbarung auf sein ihm nach innerstaatlichem Recht zustehendes Besteuerungsrecht an der an den Kläger gezahlten Abfindung nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regulierung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11.04.1967 in der Fassung des Zusatzabkommens vom 5.11.2002 (DBA Belgien) verzichtet.

aa) Nach innerstaatlichem Recht stand Deutschland ein Besteuerungsrecht an der an den Kläger gezahlten Abfindung zu.

Der Kläger, der im Streitjahr im Inland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und in Belgien auch keine Einkünfte erzielte, die nicht der deutschen Besteuerung unterlagen, ist entsprechend seinem in seiner Einkommensteuererklärung gestellten Antrag gemäß § 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln, soweit er inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG hat. Bei der dem Kläger gewährten Abfindung handelt es sich um inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG. Denn gemäß dem - bereits seit 2004 geltenden - § 49 Abs. 1 Nr. 4 d EStG sind inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG), die als Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG für die Auflösung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, soweit die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben. Im Streitfall wurde die Abfindung dem Kläger als Entschädigung für die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gezahlt. Die aufgrund dieses Arbeitsverhältnisses zuvor bezogenen Einkünfte unterlagen der inländischen Besteuerung.

bb) Das Deutschland nach innerstaatlichem Recht zustehende Besteuerungsrecht wurde durch das DBA Belgien beschränkt.

Bis zum Ergehen der Verständigungsvereinbarung vom 15.12.2006 stand nach deutschem Verständnis für die im Streitfall zu beurteilende Abfindung das Besteuerungsrecht nicht dem Tätigkeitsstaat Deutschland nach Artikel 15 Abs. 1 Satz 2 DBA Belgien, sondern nach Artikel 15 Abs. 1 Satz 1 DBA Belgien dem Wohnsitzstaat Belgien zu.

Artikel 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2 DBA Belgien, die die Behandlung von Einkünften aus einer unselbständigen Arbeit regeln, bestimmen, dass Löhne, Gehälter und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden können, es sei denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.

Vor Ergehen der Verständigungsvereinbarung wurde Artikel 15 DBA Belgien, der dem Artikel 15 des OECD Musterabkommens nachgebildet ist, von den deutschen Finanzbehörden und der deutschen Rechtsprechung so ausgelegt, dass Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses nicht im Tätigkeitsstaat, sondern im Ansässigkeitsstaat zu besteuern waren. Bei Abfindungen handele sich nicht um ein zusätzliches Entgelt für eine frühere Tätigkeit i. S. des Artikel 15 Abs. 1 Satz 2 DBA Belgien. Sie würden nicht für eine konkrete im Inland oder Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt, sondern gerade für den Verlust des Arbeitsplatzes (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 10.07.1996 - I R 83/95, BFHE 181, 155, BStBl II 1997, 341 und BMF Schreiben vom 14.09.2006, IV B 6 - S 1300 - 367/06 Tz. 6.3).

cc) Das Recht des Klägers, eine Veranlagung nach § 1 Abs. 3 EStG zu verlangen, wurde nicht durch die Steuerfreiheit der Abfindung beeinträchtigt.

Eine Veranlagung des Klägers und seiner Ehefrau gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG setzt voraus, dass deren Einkünfte im Streitjahr mindestens zu 90 vom Hundert der deutschen Einkommensteuer unterlagen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nicht mehr als 6.136.- € (bei Ehegatten Verdoppelung gemäß § 1 a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG) im Kalenderjahr betrugen. Diese Voraussetzungen lagen vor, obwohl die dem Kläger zugeflossene Abfindung nach dem DBA Belgien nicht der deutschen Besteuerung unterlag (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 20.08.2003, I R 72/02, BFH/NV 2004, 321). Denn die Abfindung betrug lediglich 19.110.- €. Da diese in Höhe von 7.200.- € gemäß § 3 Nr. 9 EStG steuerfrei war, lagen die nicht der deutschen Besteuerung unterliegenden Einkünfte in Höhe von 11.910.- € unter dem schädlichen Betrag von 12.272.- €.

dd) Ein Besteuerungsrecht wurde für Deutschland auch nicht durch die Vorschrift des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG begründet. Zwar könnte diese durch Gesetz vom 13.12.2006 eingeführte Vorschrift, die nach § 52 Abs. 59a Satz 6 EStG für alle Veranlagungszeiträume anzuwenden ist, soweit Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind, ihrem Wortlaut nach einschlägig sein. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG bestimmt, dass, wenn Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind , die Freistellung der Einkünfte ungeachtet des Abkommens nicht gewährt wird, wenn der andere Staat die Bestimmungen des Abkommens so anwendet, dass die Einkünfte in diesem Staat von der Besteuerung auszunehmen sind oder nur zu einem durch das Abkommen begrenzten Steuersatz besteuert werden können. Im Streitfall greift diese Vorschrift nicht zugunsten des Beklagten ein, weil sie unbeschränkte Steuerpflicht i. S. des § 1 Abs. 1 EStG verlangt. Nicht erfasst werden Steuerpflichtige, die lediglich nach § 1 Abs. 3 EStG auf Antrag als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden. Dies ergibt, worauf der Kläger zu Recht hinweist, eine Auslegung des Gesetzes unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung des Deutschen Bundestags. In der Bundestagsdrucksache 16/2712 (Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2007) wird in der Begründung zu Artikel 1 zu Nummer 38 zu Buchstabe b (Absatz 9 -neu-) ausgeführt:

Im Rahmen von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vermeidet Deutschland als Wohnsitz- bzw. Sitzstaat traditionell die Doppelbesteuerung durch Freistellung der Einkünfte von der deutschen Besteuerung, wenn die Einkünfte aus einer aktiven Tätigkeit im anderen Staat stammen (Anwendung der Feistellungsmethode). Dabei kann es zu einer dem Sinn und Zweck der Freistellungsmethode widersprechenden Nichtbesteuerung kommen.

Im Folgenden werden Qualifikationskonflikte näher erläutert und hierzu Beispiele gebildet. Sämtliche Beispiele gehen von im Inland ansässigen Personen aus.

Zu Recht weist der Kläger auch darauf hin, dass eine Einbeziehung des unter § 1 Abs. 3 EStG fallenden Personenkreises in die Vorschrift des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG das widersinnige Ergebnis hätte, dass große Abfindungen über 6.136 € (12.272 € bei Verheirateten) wegen der damit verbundenen beschränkten Steuerpflicht im Inland steuerfrei blieben, während kleinere Abfindungen bei einer Veranlagung nach § 1 Abs. 3 EStG besteuert werden könnten.

§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG begründet ebenfalls kein Besteuerungsrecht Deutschlands an der dem Kläger zugeflossenen Abfindung. Nach dieser Vorschrift wird, wenn Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind, die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Im Streitfall greift diese Vorschrift nicht zugunsten des Beklagten ein, weil sie, ebenso wie die Vorschrift des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG, unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG verlangt. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift auch deshalb nicht vor, weil die Abfindung nach innerstaatlichem Recht in Belgien steuerfrei ist. Da § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG Fälle erfassen soll, in denen es infolge von Pflichtverletzungen des Steuerpflichtigen oder der ausländischen Finanzverwaltung nicht zu einer Steuerveranlagung im Ausland kommt, ist diese Vorschrift weit auszulegen (vgl. hierzu Beschluss des erkennenden Senats vom 31.01.2008, 4 V 3366/07, EFG 2008, 593 und M. Klein in Herrmann/Heuer/Raupach EStG/KStG § 50d EStG Rz. 112). Die Steuerfreiheit in Belgien stellt einen Verzicht auf die Besteuerung dar bzw. ist einem solchen zumindest gleichzuachten.

b) Durch die Verständigungsvereinbarung wurde aber keine Rechtsgrundlage für die von dem Beklagten vorgenommene Besteuerung geschaffen (vgl. auch Beschluss des erkennenden Senats vom 31.01.2008, 4 V 3366/07, EFG 2008, 593).

Denn das DBA Belgien wurde letztmalig mit Zustimmungsgesetz vom 12.11.2003 (BGBl II 2003, 1615) in das deutsche Recht überführt. Für die Verständigungsvereinbarung vom 15.12.2006 ist hingegen ein solches Zustimmungsgesetz bisher nicht ergangen.

Zwar haben sich die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten nach Art. 25 Abs. 3 DBA Belgien zu bemühen, Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Anwendung des Abkommens entstehen, in gegenseitigem Einvernehmen zu beseitigen. Artikel 16 des Schlussprotokolls zum DBA Belgien bestimmt, dass die Finanzminister der beiden Vertragsstaaten für die Zwecke des Abkommens unmittelbar miteinander verkehren.

Diese Ermächtigung berechtigt die beteiligten Verwaltungsbehörden nur zur Auslegung und Lückenfüllung eines DBA, nicht aber zu einer inhaltlichen substantiellen Änderung. Genauso wie das DBA selbst bedarf auch eine inhaltliche Änderung eines DBAs eines innerstaatlichen Zustimmungsgesetzes. Gemäß Art.59 Abs.2 Satz 1 GG wird der Inhalt eines völkerrechtlichen Vertrages nur aufgrund eines Zustimmungsgesetzes Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung, wenn er sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht. Erst ein Vertragsgesetz verleiht einem völkerrechtlichen Vertrag innerstaatliche Wirkung. Es enthält einen Rechtsanwendungsbefehl (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Artikel 59 Rz. 17 m. w. N.).

Die Verständigungsvereinbarung vom 15.12.2006 geht über eine Auslegung und Lückenfüllung hinaus. Denn sie führt für die Besteuerung von Abfindungen zu einer gegenüber dem vorher geltenden Recht geänderten Rechtslage. Es liegt eine materielle Änderung des DBA Belgien und nicht lediglich eine Entfaltung des bisherigen Vertragsinhalts vor. Dass die beteiligten Behörden die Verständigungsvereinbarung nicht in der Form eines das DBA ändernden Vertrages abschlossen, sondern lediglich von einer nach Artikel 25 Abs. 3 DBA Belgien zulässigen Auslegung des DBA Belgien ausgingen, hält der Senat für unerheblich, da ein Abstellen allein auf die äußere Form die Gefahr mit sich bringen würde, dass das in Artikel 59 Abs. 2 Satz 1 GG statuierte Mitentscheidungsrecht des Gesetzgebers übergangen werden könnte (vgl. hierzu Ondolf Rojahn in von Münch/Kunig, GG Artikel 59 Rz. 44a).

An dieser Beurteilung ändern auch die Bestimmungen des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜRV) nichts. Das WÜRV gilt nach seinem Artikel 4 zeitlich für solche Verträge, die Staaten abschließen, nachdem das Abkommen für sie wirksam geworden ist. Die BRD hat dem WÜRV durch Gesetz vom 3.8.1985 zugestimmt (BGBl II 1985, 926); es ist am 20.08.1987 in Kraft getreten (BGBl II 1987, 757; Artikel 3 Zustimmungsgesetz). Das WÜRV ist daher auch auf das DBA Belgien anzuwenden, da für dieses am 5.11.2002 in Brüssel ein Zusatzabkommen unterzeichnet worden ist. Zwar ist nach Abschnitt 3 Artikel 31 Nr. 3a WÜRV bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen zu berücksichtigen. Danach ist bei der Auslegung des DBA Belgien auch die erst am 15.12.2006 getroffene Verständigungsvereinbarung von Bedeutung. Aber auch Artikel 31 Nr. 3 a WÜRV vermag innerstaatlich nicht das nach Artikel Art.59 Abs.2 Satz 1 GG erforderliche Zustimmungsgesetz zu ersetzen (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 1.2.1989, I R 74/86, BFHE 157,39, BStBl II 1990, 4). Solange kein innerstattliches Zustimmungsgesetz ergangen ist, hat die Verständigungsvereinbarung vom 15.12.2006 lediglich völkerrechtliche Bedeutung (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 16.12.1998 - I R 40/97, BFHE 187, 544, BStBl II 1999, 207, wonach DBA nach völkerrechtlichen und nicht nach innerstaatlichen Interpretationsregeln auszulegen sind).

c) Da die Klage bereits deswegen begründet ist, weil für die das DBA verschärfende Verständigungsvereinbarung vom 15.12.2006 kein Zustimmungsgesetz ergangen ist, mag es dahingestellt bleiben, ob die Anwendung der Verständigungsvereinbarung im Streitfall zu einer unzulässigen belastenden Rückwirkung führen würde und sie auch aus diesem Grund rechtswidrig sein könnte.

d) Obwohl die Abfindung aus der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer herauszunehmen ist, unterliegt sie, soweit sie den Freibetrag von 7.200.- € übersteigt (§ 3 Nr. 9 EStG), dem Progressionsvorbehalt. § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG bestimmt, dass, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger Einkünfte bezogen hat, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerfrei sind, auf das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden ist. Nach § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG ist dieser besondere Steuersatz der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen um die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG steuerfreien Einkünfte vermehrt wird, wobei die darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte mit einem Fünftel zu berücksichtigen sind.

Dieses Besteuerungsrecht Deutschlands mit dem Progressionsvorbehalt wird im Streitfall durch das DBA Belgien nicht eingeschränkt. Insbesondere greift Artikel 23 DBA Belgien nicht ein, da keine Doppelbesteuerung vorliegt. Vielmehr ist die Abfindung in Belgien steuerfrei.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Übertragung der Steuerberechnung beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO. Die Revision war zuzulassen. Eine Entscheidung des BFH ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Allein im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten ist eine Vielzahl von Verfahren anhängig, in denen sich vergleichbare Rechtsfragen stellen.



Ende der Entscheidung

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