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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 08.11.2007
Aktenzeichen: 9 K 2200/06
Rechtsgebiete: AO, ErbStG, BGB


Vorschriften:

AO § 191 Abs. 1 S. 1
ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 4
ErbStG § 20 Abs. 6 S. 2
BGB § 328
BGB § 330
BGB § 331
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

9 K 2200/06

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte die Klägerin zu Recht auch insoweit gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung 1977 (AO) i. V.m. § 20 Abs. 6 Satz 2 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) als Haftungsschuldnerin für nicht beizutreibende Erbschaftsteuer in Anspruch genommen hat, als diese auf Bankguthaben entfällt, die der Erblasser der Bedachten (und gleichzeitigen Alleinerbin) aufgrund von Verträgen zugunsten Dritter (VzD) auf den Todesfall (§§ 328, 330, 331 BGB) zugewandt hatte (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG).

Der zwischen dem 4. und 6. März 2001 in der Stadt L verstorbene Herr F (Erblasser) hatte mit notariellem Testament vom 12. Januar 2000 seine Lebensgefährtin Frau R zur Alleinerbin eingesetzt und für den - hier tatsächlich eingetretenen - Fall ihres Vorversterbens deren in den USA lebende Tochter Frau I zur Ersatzerbin berufen. Darüber hinaus hatte er am 15. Mai 2000 mit der Klägerin einen Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall abgeschlossen, in dem er Frau I als Begünstigte hinsichtlich seines bei der Klägerin geführten Sparkontos Nr. 1 benannte. Nach Tz. 3 der Vereinbarungen, wegen deren weiterem Inhalt auf die Vertragsurkunde Bezug genommen wird, waren sich die Klägerin und der Erblasser u.a. darüber einig, dass mit dessen Tode "... das Forderungsrecht aus den oben aufgeführten Sparguthaben ..... nicht in den Nachlass fällt, sondern gemäß § 331 BGB unmittelbar auf die Begünstigte übergeht".

Ausweislich einer am 29. März 2001 bei dem Beklagten eingegangenen Anzeige der Klägerin über die Verwahrung und Verwaltung fremden Vermögens (§ 33 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 1 Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung - ErbStDV) hatte der Erblasser neben dem im Zeitpunkt seines Todes mit 100.082 DM valutierenden Sparkonto Nr. 1 und einem Stahlfach ein weiteres Konto (Nr. 2) besessen, das zu dem genannten Stichtag ein Guthaben i.H. von 101.269 DM auswies. Unter der Rubrik "Bemerkungen" enthielt die Anzeige der Klägerin einen ausdrücklichen Hinweis auf den für das erstgenannte Konto (Nr. 1) bestehenden VzD sowie Namen und (ausländischen) Wohnort der durch ihn begünstigten Person.

Nachdem Frau I der wiederholten Aufforderung des Beklagten, eine Erbschaftsteuererklärung einzureichen, trotz Fristverlängerung nicht nachgekommen war, schätzte der Beklagte - ausgehend von der Anzeige der Klägerin sowie einer weiteren Anzeige der Bank K vom 8. Juni 2001 über ein Frau I ebenfalls durch VzD auf den Todesfall zugewandtes Kontoguthaben von 18.524 DM - deren "Erbanteil" auf insgesamt 199.875 DM (= Guthaben Konto Nr. 2 i.H. von 101.269 DM + Guthaben Konto Nr. 1 i.H. von 100.082 DM + Guthaben Konto Nr. 3 bei der Bank K i.H. von 18.524 DM./. Erbfallkosten-Pauschbetrag i.H. von 20.000 DM) und setzte mit Bescheid vom 15. November 2002 - adressiert an ihre US-amerikanische Wohnanschrift - Erbschaftsteuer i.H. von 22.319,94 EUR (= 43.654 DM) gegen sie fest.

Da Frau I diesen Betrag ungeachtet der dem Bescheid beigefügten Zahlungsaufforderung in der Folgezeit nicht beglich, brachte der Beklagte am 8. April 2003 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung aus, mit der er wegen der rückständigen Erbschaftsteuerforderung i.H. von 22.319,56 EUR gegen Frau I die bei der Klägerin unterhaltenen Konten des Erblassers pfändete. Der Beitreibungsversuch blieb erfolglos. Die Klägerin hatte - wie sie dem Beklagten im Anschluss an ihre Drittschuldnererklärung auf Nachfrage mit Schreiben vom 29. April 2004 mitgeteilt hat - sowohl das Girokonto Nr. 2 als auch das Sparkonto Nr. 1 bereits am 8. Juni 2001 bzw. 16. März 2001 aufgelöst und die Guthabenbeträge an Frau I ausgezahlt, ohne zuvor die Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung beim Beklagten zu beantragen.

Nachdem der Beklagte der Klägerin gemäß § 91 AO Gelegenheit gegeben hatte, zu ihrer beabsichtigten Heranziehung als Haftungsschuldnerin nach § 20 Abs. 6 ErbStG i.V.m. § 191 AO Stellung zu nehmen, erteilte er ihr unter dem 29. Juli 2004 einen Haftungsbescheid, mit dem er sie für die rückständige Erbschaftsteuer der Steuerschuldnerin Frau I in voller Höhe (von 22.319 EUR) in Anspruch nahm. Zum Rechtsgrund des Haftungsanspruchs führte er aus:

Ausweislich des Testaments vom 12. Januar 2000 sei Frau I Alleinerbin des Herrn F geworden. Da die Steuerschuldnerin ihren Wohnsitz in den USA habe, hätte eine Verfügung über die von der Klägerin verwahrten Vermögensgegenstände nur nach Zustimmung des Beklagten erfolgen dürfen. Eine solche sei indes nicht erteilt worden. Damit seien die Voraussetzungen des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG erfüllt. Ein die Haftung des Geldinstituts auslösendes schuldhaftes Verhalten im Sinne dieser Vorschrift liege vor, wenn dem Geldinstitut der Tod des Kontoinhabers bekannt gewesen sei und es keine oder völlig unzureichende organisatorische Vorkehrungen getroffen habe, um eine Auszahlung der Spareinlagen des Erblassers an Personen mit ausländischem Wohnsitz zu verhindern.

Mit ihrem Einspruch wandte sich die Klägerin gegen die Höhe ihrer - dem Grunde nach akzeptierten - Haftungsinanspruchnahme mit der Begründung, ihre Haftung beschränke sich auf den Teil der Erbschaftsteuer, der auf das in ihrem Gewahrsam befindliche Nachlassvermögen des Erblassers, d.h. das Guthaben auf dem Girokonto Nr. 2, entfalle. Da der Erblasser Frau I das Sparkonto Nr. 1 durch Schenkung unter Lebenden zugewandt habe und lediglich die Verfügungsmöglichkeit hierüber bis zu seinem Tod hinausgeschoben gewesen sei, sei die Guthabenforderung nicht Bestandteil des Nachlasses gewesen; es habe daher insoweit im Zeitpunkt seines Todes kein Gewahrsam am "Vermögen des Erblassers" i.S. von § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG bestanden. Die in § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG angeordnete Fiktion, derzufolge die dortigen Erwerbe als solche von Todes wegen "gelten", habe ausschließlich Auswirkungen auf die steuerrechtliche Behandlung von Guthaben aus Verträgen zugunsten Dritter. Sie führe jedoch nicht dazu, dass das betroffene Vermögen Bestandteil des Nachlasses werde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Einspruchsbegründung wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 5. August und 18. Oktober 2004 ergänzend Bezug genommen.

Durch Rechtsbehelfsentscheidung vom 21. April 2006 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Hierzu führte er im Wesentlichen aus:

Ein Haftungsanspruch des Finanzamts bestehe gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG in Höhe des ausbezahlten Betrags für die Erbschaftsteuer gegen die Klägerin, wenn sie in ihrem Gewahrsam befindliches Vermögen des Erblassers einem außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes wohnhaften Berechtigten vor Entrichtung oder Sicherstellung der Erbschaftsteuer fahrlässig zur Verfügung stelle. Maßgeblich seien dabei die Verhältnisse zum Zeitpunkt der jeweiligen Auszahlung.

Zum Zeitpunkt der Auszahlung des Guthabens auf dem Girokonto Nr. 2 am 8. Juni 2001 habe es sich um Vermögen des Erblassers gehandelt, das ohne vorherige Unbedenklichkeitsbescheinigung an die im Ausland ansässige Erbin ausgekehrt worden sei. Hinsichtlich des anderen Kontos (Nr. 1) bestehe ein VzD; der diesbezügliche Guthabenbetrag habe haftungsunschädlich ausgezahlt werden können, weil er kein Nachlassvermögen darstelle. Da die Klägerin unstreitig Kenntnis von dem Tod des Erblassers besessen habe, ein erheblicher Geldbetrag überwiesen worden und der Klägerin außerdem bekannt gewesen sei, dass die Verfügungsberechtigte ihren Wohnsitz in den USA gehabt habe, sei die Auszahlung auch fahrlässig erfolgt. Schließlich habe der Beklagte, indem er mangels Vollstreckbarkeit der Steuerforderung im Ausland die Klägerin als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen habe, sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt und seine Entscheidung darüber hinaus hinreichend begründet.

Die mangelnde Einschränkung auf das im Nachlass befindliche Konto führe nicht zur Aufhebung des Haftungsbescheids, weil die Haftungssumme niedriger sei als das Guthaben auf dem Konto Nr. 2 zum Zeitpunkt des Todes (Hinweis auf BFH-Urteil vom 12. August 1964 II 125/62 U, BStBl III 1964, 650). Die Haftung erstrecke sich auf die gesamte Erbschaftsteuerschuld, sei jedoch der Höhe nach auf den ausgezahlten Betrag beschränkt. Dabei sei es ohne Bedeutung, ob das Vermögen, an dem Gewahrsam bestehe, im Einzelnen erbschaftsteuerfrei oder erbschaftsteuerpflichtig sei. Die Haftung umfasse auch Steuerbeträge, die in zeitlichem Zusammenhang mit dem Erbfall aufgrund des steuerbaren Erwerbs anderer Vermögensgegenstände, z.B. aufgrund VzD, anfallen (Hinweis auf RFH-Urteil vom 5. Oktober 1928 Ve 623/28, RStBl 1928, 336).

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, zu deren Begründung der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter Bezugnahme auf das außergerichtliche Vorbringen ergänzend vorträgt:

Der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Sachverhalt sei in tatsächlicher Hinsicht unstreitig. Die Klägerin wende sich jedoch dagegen, dass sich ihre Haftung auf die gesamte Erbschaftsteuerschuld und nicht lediglich auf denjenigen Anteil erstrecke, der auf das nachlasszugehörige Guthabenkonto Nr. 2 entfalle.

Wie zwischen den Beteiligten außer Streit stehe, hafteten Kreditinstitute gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG nur für in den Nachlass gefallenes Vermögen, nicht hingegen auch für Guthaben und Depotvermögen, die Gegenstand einer Schenkung unter Lebenden seien. Das Guthaben aus einem VzD - hier also das Guthaben auf dem bei der Klägerin geführten Konto Nr. 1 - falle, wovon auch der Beklagte ausgehe, nicht in den Nachlass. Für die Frage, ob der Anspruch des Dritten dem Nachlass zuzuordnen sei, sei ausschließlich das Zivilrecht maßgebend. Daraus ergebe sich die erbschaftsteuerrechtlich wichtige Folgerung, dass die versprochene Leistung kein Bestandteil des Nachlassvermögens sei. Dann aber werde ausschließlich für die Erbschaftsteuer eine Haftung nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG begründet, die auf das zivilrechtlich zu bestimmende Nachlassvermögen entfalle. Soweit eine Erbschaftsteuer auch darüber hinaus - wie hier bezüglich des Kontos Nr. 1 - geschuldet werde, sei diese nicht Gegenstand der Haftung nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG. Die Haftung der Kreditinstitute bestehe nur für die Erbschaftsteuer auf Nachlassvermögen (Hinweis auf Viskorf in Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 20 Rz. 27, und problematisierend Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14. Auflage, § 20 Rz. 19).

Die Klägerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 29. Juli 2004 unter Aufhebung der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 21. April 2006 dahingehend zu ändern, dass sich die Haftung nicht auf die gesamte Erbschaftsteuerschuld der Frau I gemäß Erbschaftsteuerbescheid vom 15. November 2002 erstreckt, sondern auf denjenigen Teil der Erbschaftsteuer beschränkt wird, der auf das Guthaben auf dem bei der Klägerin geführten Konto Nr. 2 des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes (= 51.778 EUR) entfällt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er vollinhaltlich Bezug auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 21. April 2006.

Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 16. Oktober 2007 (Klägerin) und 17. Oktober 2007 (Beklagter) übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Haftungsbescheid vom 29. Juli 2004 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 21. April 2006 sind, soweit der Beklagte hierin eine - in vollem Umfang richterlicher Kontrolle unterliegende - Rechtsentscheidung über die Verwirklichung des haftungsbegründenden Tatbestands (§ 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG) getroffen hat, rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO). Soweit der Beklagte auf der zweiten Stufe sein ihm durch § 191 Abs. 1 Satz 1 AO eingeräumtes Ermessen dahingehend ausgeübt hat, die Klägerin als Haftungsschuldnerin auf Zahlung der rückständigen Erbschaftsteuer in Anspruch zu nehmen, lässt auch diese - nach Maßgabe des § 102 FGO (nur eingeschränkt) überprüfbare - Ermessensentscheidung weder hinsichtlich des Ob noch hinsichtlich der Auswahl und Höhe der Inhaftungnahme einen Verstoß gegen § 5 AO erkennen.

1. Der Beklagte ist - was auch die Klägerin dem Grunde nach nicht in Abrede stellt - zu Recht davon ausgegangen, dass im Streitfall die den Haftungsanspruch begründenden Voraussetzungen des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG in der Person der Klägerin erfüllt sind.

a) Gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG haften Personen, in deren Gewahrsam sich Vermögen des Erblassers befindet, in Höhe des ausgezahlten Betrags für die Erbschaftsteuer, soweit sie das Vermögen vorsätzlich oder fahrlässig vor Entrichtung oder Sicherstellung der Steuer außerhalb des Geltungsbereichs des ErbStG wohnhaften Berechtigten zur Verfügung stellen. Die Vorschrift soll nach ständiger Rechtsprechung des BFH verhindern, dass ein - da sich Nachlassvermögen im Inland befindet - zunächst realisierbarer Steueranspruch durch eine der im Tatbestand normierten Verhaltensweisen vereitelt wird (BFH-Urteile vom 18. Juli 2007 II R 18/06, BFH/NV 2007, 2016, undvom 11. August 1993 II R 14/90, BStBl II 1994, 116, m.w.N., Moench/Kien-Hümbert, Erbschafsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 20 Rz. 18, sowie Ebeling/Geck, Handbuch der Erbengemeinschaft, Teil II Rz. 1233). Zu diesem Zweck mutet das Gesetz dem (inländischen) Gewahrsaminhaber eine Art Garantenstellung zu, die bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung die im Gesetz beschriebene Haftungsfolge nach sich zieht. Um diese zu vermeiden, ist der Gewahrsamsinhaber gehalten, vor einer Aushändigung der Vermögensgegenstände an den oder die Erben zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 20 Abs. 6 ErbStG vorliegen. Diese Garantenstellung trifft in erster Linie diejenigen, die zum Zeitpunkt des Erbfalls Gewahrsam am Vermögen des Erblassers haben (BFH in BFH/NV 2007, 2016, und in BStBl II 1994, 116; anderer - allerdings überholter - Ansicht noch: BFH-Urteil vom 12. August 1964 II 125/62 U, BStBl III 1964, 647, wonach maßgeblich für die Gewahrsamsverhältnisse der Zeitpunkt der Überweisung ins Ausland ist). Fahrlässig handelt der Gewahrsamsinhaber, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - analog; vgl. BFH in BStBl III 1964, 647, und in BFH/NV 2007, 2016, Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 20 Rz. 73 ff). Handelt es sich - wie im Streitfall - bei dem Auszahlungsbetrag um eine der Höhe nach nicht unbeträchtliche Auslandsüberweisung aus Anlass der Abwicklung eines Erbfalls, muss das Bankinstitut, will es den Vorwurf fahrlässigen Verhaltens und mithin eine Inhaftungnahme mit Sicherheit vermeiden, vor Durchführung des Überweisungsauftrags von sich aus Nachforschungen über das Bestehen der Erbschaftsteuerpflicht anstellen und bei der für die Prüfung dieser Frage zuständigen Finanzbehörde die Erteilung einer steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung beantragen (BFH in BStBl III 1964, 647, und in BFH/NV 2007, 2016, sowie Troll/Gebel/Jülicher, a.a.O., § 20 Rz. 73 a.E.).

b) Unter Zugrundelegung dieser Beurteilungskriterien hat die Klägerin den Haftungstatbestand des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG - dem Grunde nach unstreitig - jedenfalls insoweit erfüllt, als sie, ohne zuvor bei dem beklagten Erbschaftsteuerfinanzamt eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung einzuholen, (u.a.) das im Zeitpunkt des Todes des Erblassers i.H. von 101.269 DM valutierende Guthaben auf dem bei ihr geführten und zum Nachlassvermögen gehörenden Konto Nr. 2 in voller Höhe an die in den USA wohnhafte Alleinerbin Frau I ausgezahlt hat. Ob die Klägerin - wovon beide Beteiligten übereinstimmend ausgehen - das Guthaben auf dem anderen, Frau I durch VzD auf den Todesfall (§§ 328, 330, 331 BGB i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) zugewandten Sparkonto Nr. 1 haftungsunschädlich auskehren durfte, weil der Anspruch auf Auszahlung dieses Guthabens mit dem Tod des Erblassers originär, d.h. außerhalb des Erbgangs, in der Person der Drittbegünstigten (Frau I) entstanden und mithin zu keiner Zeit "Vermögen des Erblassers" i.S. von § 20 Abs. 6 ErbStG gewesen ist, kann der Senat dahin stehen lassen. Denn das an die Alleinerbin (und gleichzeitige Drittbegünstigte) ausgezahlte Guthaben des nachlasszugehörigen Kontos Nr. 2 i.H. von 101.269 DM hätte für sich allein bereits ausgereicht, um die gesamte Erbschaftsteuerschuld (von 22.319,94 EUR) der Frau I sowohl für ihren das Konto Nr. 2 betreffenden Erwerb von Todes wegen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. § 1922 BGB) als auch für ihre die Konten Nr. 1 und Nr. 3 erfassenden Erwerbe durch VzD auf den Todesfall (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG i.V.m. §§ 328, 330, 331 BGB) in vollem Umfang zu tilgen.

aa) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist bei der Auslegung und Anwendung des § 20 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Satz 1 ErbStG zu unterscheiden zwischen dem Tatbestandsmerkmal "Vermögen des Erblassers" einerseits und dem die Rechts- bzw. Haftungsfolge normierenden Gesetzesbestandteil "... haften in Höhe des ausgezahlten Betrags für die Steuer" andererseits. Während das erstgenannte Merkmal - auf der Tatbestandsebene - die Frage behandelt, womit , d.h. mit welcher Masse bzw. welchem Gegenstand, der Gewahrsamsinhaber dem Steuergläubiger gegenüber haftet, beschreibt der zuletzt zitierte Gesetzespassus - auf der Rechtsfolgenseite - wofür ("für die Steuer") in welchem maximalen Umfang ("in Höhe des ausgezahlten Betrags") mit dieser Masse gehaftet werden soll. Selbst wenn man daher, wozu der erkennende Senat neigt, im Anschluss an die Rechtsprechung des RFH im Urteil vom 5. Oktober 1928 Ve A 623/28 (RStBl 1928, 135) für erforderlich hält, "... dass die Steuerschuld der Masse entnommen werden soll, deren persönlicher Repräsentant der Erbe ist", das Erworbene also zuvor zum Vermögen des Erblassers gehört haben und mit seinem Tod in den Nachlass gefallen sein muss, rechtfertigt dies im Streitfall lediglich den - zwischen den Beteiligten unstreitigen - Schluss, dass die Frau I durch VzD zugewandten und demzufolge nicht in den Nachlass gefallenen Guthabenbeträge auf den Konten Nr. 1 und Nr. 3 als Haftungsmasse bei einer Inanspruchnahme nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG nicht zur Verfügung stehen.

bb) Die Ausklammerung solcher Vermögensgegenstände aus der Haftungsmasse des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG, die dem Begünstigten durch VzD auf den Todesfall (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG i.V.m. §§ 328, 330, 331 BGB) zufallen, beruht auf der Erkenntnis, dass derartige Rechtsgeschäfte zivilrechtlich als lebzeitig vollzogene Schenkungen angesehen werden, infolge derer der Dritte (Frau I) den Leistungsanspruch gegen den Versprechenden (die Klägerin) mit dem Tod des Versprechensempfängers (Erblassers) ohne Durchgang durch dessen Vermögen kraft Vertrags unmittelbar und originär als eigenes Recht erwirbt (Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 66. Auflage, § 328 Rz. 5, § 331 Rz. 4, und Palandt/Edenhofer, § 2301 Rz. 17, sowie Kapp/Ebeling, a.a.O., § 3 Rz. 262). Ob sich die - erbschaftsteuerrechtliche - Fiktion des § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG ("Als Erwerb von Todes wegen gilt ...") über den Anwendungsbereich dieser Norm hinaus auch im Rahmen des § 20 Abs. 6 ErbStG haftungsrechtlich dergestalt auswirkt, dass der durch VzD erworbene Leistungsanspruch als zum "Vermögen des Erblassers" gehörend "gilt" (so im Ergebnis Troll/Gebel/Jülicher, a.a.O., § 20 Rz. 67) oder ob der restriktiven Auslegung des RFH (in RStBl 1928, 134, vgl. auch Kapp/Ebeling, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 3 Rz. 262), zu folgen ist, bedarf jedoch hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn der Streitfall zeichnet sich durch die bereits erwähnte Besonderheit aus, dass das unstreitig in den Nachlass gefallene Girokonto Nr. 2 im maßgebenden Zeitpunkt des Todes des Erblassers mit 101.269 DM ein Guthaben aufgewiesen hatte, das ausgereicht hätte, um die gesamte Erbschaftsteuerschuld (i.H. von 22.319,94 EUR) der Frau I zu begleichen.

2. Soweit die Klägerin unter Hinweis auf Teile des Schrifttums (z.B. Viskorf in Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Auflage, § 20 Rz. 27, offen gelassen von Meincke, a.a.O., § 20 Rz. 19) die Auffassung vertritt, ihre dem Grunde nach unstreitige Haftung sei der Höhe nach auf den Teil der Erbschaftsteuer beschränkt, der auf das Nachlassvermögen, hier also den Guthabenbetrag von 101.269 DM entfällt, wendet sie sich gegen das dem angefochtenen Haftungsbescheid zugrunde liegende Verständnis der Rechtsfolgenanordnung " ... haften in Höhe des ausgezahlten Betrags für die Steuer". Die gegen diese Auslegung geltend gemachten Bedenken vermögen den Senat jedoch nicht zu überzeugen.

Der Beklagte hat den vorzitierten Gesetzespassus zutreffend dahin verstanden, dass sich die Haftung der Klägerin - gedeckelt (nur) durch die Höhe des Frau I von dem nachlasszugehörigen Konto (Nr. 2) überwiesenen Betrags (101.269 DM) - auf die gesamte von ihr geschuldete Erbschaftsteuer (i.H. von 22.319,94 EUR) erstreckt. Für die Richtigkeit dieser Auslegung, die in vollem Umfang richterlicher Kontrolle unterliegt, spricht zunächst der Wortlaut des § 20 Abs. 6 ErbStG. Die in Satz 1 der Vorschrift enthaltene Formulierung ("für die Steuer") legt die Schlussfolgerung nahe, dass mit "Steuer" nicht lediglich ein Teilbetrag der beim Schuldner nicht beizutreibenden Erbschaftsteuer, sondern die gesamte Steuerschuld gemeint ist, soweit sie den an den / die Erben ausgezahlten Betrag nicht übersteigt (so auch Moench/Kien-Hümbert, a.a.O., § 20 Rz. 18). Anhaltspunkte dafür, dass der Haftungsumfang über die ausdrücklich normierte Beschränkung ("in Höhe des ausgezahlten Betrags") hinaus begrenzt sein soll, sind aus dem Gesetzestext nicht ersichtlich. Das vorbeschriebene Auslegungsergebnis entspricht darüber hinaus auch dem Zweck der Haftungsvorschrift als einer Sicherungsmaßnahme zugunsten des Fiskus (so zur Nachlasshaftung gemäß § 20 Abs. 3 ErbStG: Meincke, a.a.O., § 20 Rz. 12, unter Hinweis auf RG, Urteil vom 15. November 1943 III 77/43, RStBl 1944, 131, 132). Dieses Ziel, den Steuergläubiger vor Steuerausfällen zu schützen und eine möglichst lückenlose Realisierung staatlicher Abgabenansprüche zu gewährleisten, würde nur unvollkommen erreicht, wenn der Fiskus sich, obwohl ausreichende Haftungsmasse zur Verfügung steht, nicht in voller Höhe aus diesen vorhandenen Mitteln befriedigen dürfte.

3. Schließlich hat der Beklagte bei seiner - nach Maßgabe des § 102 FGO gerichtlich überprüfbaren - Entscheidung gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO darüber, ob, gegen wen und inwieweit er Haftungsansprüche nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG geltend macht, das ihm eingeräumte Ermessen entsprechend dem Zweck dieser Vorschrift unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen (§ 5 AO) fehlerfrei ausgeübt und die zugrunde liegenden Erwägungen, soweit erforderlich, in der Einspruchsentscheidung vom 21. April 2006 nachvollziehbar dargestellt.

a) Die - zwischen den Beteiligten unstreitige - Frage, ob überhaupt ein Haftungsbescheid (§ 191 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) wegen rückständiger Erbschaftsteuer nach dem Erblasser Herr F erlassen werden soll (sog. Entschließungsermessen), hat der Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 AO) zutreffend mit der Begründung bejaht, die mit Bescheid vom 15. November 2002 festgesetzte, von der in den USA lebenden Steuerschuldnerin nicht entrichtete Erbschaftsteuer sei mangels Vollstreckbarkeit nicht beizutreiben gewesen; die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen über ihre im Inland befindlichen Konten seien erfolglos geblieben.

b) Da die Klägerin, soweit ersichtlich, die einzige Haftungsschuldnerin ist, erübrigten sich Überlegungen dazu, wer von mehreren potentiell Haftenden auf Zahlung in Anspruch zu nehmen war (sog. Auswahlermessen). Soweit das Frau I zugefallene Konto Nr. 3 bei einem anderen Kreditinstitut - der Bank K - geführt worden war, schied deren Inhaftungnahme von vornherein aus, weil dieses - durch VzD auf den Todesfall zugewandte - Konto aus den vorab dargelegten Gründen als Haftungsmasse nicht in Betracht kam.

c) Soweit der Beklagte die Klägerin in voller Höhe der rückständigen Erbschaftsteuer zur Haftung herangezogen hat, war dies zwingende Folge der von ihm vorgenommenen Gesetzesauslegung (s.o. unter I. 2. der Entscheidungsgründe). Die Höhe des Haftungsanspruchs stand damit für ihn nicht zur Disposition (zum fehlenden Ermessen hinsichtlich der Höhe des Haftungsanspruchs vgl. BFH-Urteil vom 12. Dezember 1996 VII R 53/96, BFH/NV 1997, 386, und Klein/Rüsken, Abgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 191 Rz. 41).

II. Die Entscheidung über die vorliegende Klage ergeht gemäß § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

IV. Der Senat hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zu gelassen, ob sich die Haftung der Kreditinstitute nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG auch dann lediglich auf den Teil der Erbschaftsteuerschuld erstreckt, der auf nachlasszugehöriges Vermögen entfällt, wenn der Wert dieses Vermögens ausreicht, um die gesamte rückständige Erbschaftsteuer unter Einbeziehung auch derjenigen Teilbeträge zu begleichen, die durch den Erwerb nicht zum Nachlass gehörender Vermögensgegenstände entstanden sind.

Ende der Entscheidung

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