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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Gerichtsbescheid verkündet am 28.11.2006
Aktenzeichen: 6 K 2959/05
Rechtsgebiete: VwzG, AO 1977


Vorschriften:

VwZG § 3 Abs. 1 S. 2
VwzG § 8
VwzG a.F. § 9
AO 1977 § 164 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

6 K 2959/05

In der Streitsache

hat der 6. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung ... ohne mündliche Verhandlung

am 28. November 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Einspruchsentscheidung vom 30.06.2005 wird aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die beklagte Behörde.

3. Der Gerichtsbescheid ist für den Kläger im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die beklagte Behörde darf durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger betrieb im Streitjahr ein Fitness-Studio. Außerdem war er als Finanz- und Versicherungsmakler tätig. Nachdem er - wie schon im Vorjahr - auch für das Streitjahr keine Steuererklärung abgegeben hatte, schätzte der Beklagte (das Finanzamt -FA-) die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO 1977). Der entsprechende Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und wurde am 04.12.2002 mit einfachem Brief zur Post gegeben.

Am 24.11.2003 erließ das FA für das Streitjahr einen nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderten Einkommensteuerbescheid und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Diesen Bescheid übergab das FA der Post zum Zweck der Bekanntgabe mittels Postzustellungsurkunde (PZU). Auf der PZU war unter der Gliederungsnummer 1.1. "Aktenzeichen" die Steuernummer angegeben. Unter der Gliederungsnummer 1.2. "ggf. weitere Kennz." war keine Eintragung vorgenommen. Auf der PZU ist unterhalb des für die "Eintragung der bei der Zustellung zu beachtenden Vermerke" vorgesehenen Feldes, das sich rechts neben dem Adressenfeld befindet, handschriftlich vermerkt: "ESt-Bescheide 2000, 2001, 2002".

Da die Postzustellerin den Kläger nicht antraf, legte sie ausweislich der PZU die Sendung am 25.11.2003 in den zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten ein.

Mit Schreiben vom 15.11.2004 legte der Kläger neben Einsprüchen gegen die Steuerbescheide 2001, 2002 und 2003, die ihm nach den Feststellungen des FA am 15.10.2004 zugestellt worden waren (s. das Schreiben vom 19.11.2004), auch "vorsorglich" Einspruch gegen die Steuerbescheide 1998, 1999 und 2000 (Streitjahr) ein. Diese habe er, so machte er geltend, nie bekommen. In der Anlage zum Schreiben vom 19.11.2004 übersandte das FA dem Kläger unter anderem eine Kopie des streitgegenständlichen Bescheids vom 24.11.2003. Am 02.05.2005 ging beim FA die Steuererklärung des Klägers für das Streitjahr ein.

Das FA sah den Einspruch des Klägers gegen den Steuerbescheid 2000 als verspätet an, gewährte keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwarf ihn mit Einspruchsentscheidung vom 30.06.2005 als unzulässig.

Dagegen erhob der Kläger Klage. Wie es in der Klageschrift wörtlich heißt, "gilt" diese "für die Einspruchsentscheidung gegen den Einkommensteuerbescheid 2000". Diese entspreche nicht der Wahrheit. Der Steuerbescheid 2000 sei ihm, dem Kläger, nicht zugestellt worden.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es erscheint zweckmäßig, ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.

II.

1. Die Klage ist auf isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung gerichtet. Der Kläger wendet sich ausdrücklich gegen die Einspruchsentscheidung. Hervorgehoben wird, dass der streitgegenständliche Steuerbescheid - entgegen der vom FA in der Einspruchsentscheidung vertretenen Auffassung - nicht zugestellt worden sei. Damit macht der Kläger geltend, das FA habe seinen Einspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen. In einem solchen Fall ist die isolierte Anfechtungsklage zulässig (Gräber/von Groll, Komm. zur Finanzgerichtsordnung -FGO-, 6. Aufl., § 44 Anm. 38 m.w.N.). Damit wird dem Kläger die prozessuale Möglichkeit gegeben, den Weg für eine Sachentscheidung des FA, hier den Erlass eines geänderten Steuerbescheids entsprechend der nachgereichten Erklärung, frei zu machen.

2. Die in diesem Sinne zu verstehende Klage ist auch begründet.

Der Kläger hat gegen den Einkommensteuerbescheid 2000 vom 24.11.2003 nicht verspätet Einspruch eingelegt.

a) Die einmonatige Einspruchsfrist (§ 355 AO 1977) wird nur durch die wirksame Bekanntgabe des Steuerbescheids in Gang gesetzt.

Entgegen der Auffassung des FA ist der streitgegenständliche Steuerbescheid nicht am 25.11.2003 durch Zustellung wirksam bekannt gegeben worden.

Nachdem das FA von der Möglichkeit der Bekanntgabe durch förmliche Zustellung Gebrauch gemacht hat, richten sich die Voraussetzungen für eine wirksame Bekanntgabe nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes -VwzG- (§ 122 Abs. 5 AO1977). Bei Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde ist die Sendung u.a. mit einer Geschäftsnummer zu versehen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VwzG; nunmehr § 3 Abs. 1 i.V.m. der Zustellungsvordruckverordnung).

Die Regelungen des VwzG über die förmliche Zustellung zeichnen sich insgesamt durch Formstrenge aus, weil anders der vom Gesetz beabsichtigte Zweck, eine rasche und mühelose Feststellung darüber zu ermöglichen, ob eine Zustellung wirksam ist, nicht verwirklicht werden kann (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 16. März 2000, III R 19/99, BStBl II 2000, 520). Danach liegt eine zwingende Verletzung des § 3 Abs. 1 Satz 2 VwzG vor, wenn die zugestellte Sendung nicht mit einer ausreichenden, den Inhalt der Sendung einwandfrei identifizierenden Geschäftsnummer versehen ist. Denn eine PZU bezeugt nicht die Übergabe des in einem verschlossenen Umschlag beförderten Schriftstücks selbst, sondern nur die Übergabe einer mit einer Geschäftsnummer bezeichneten Sendung. Dabei stellt die Angabe der Geschäftsnummer auf der Sendung sowie auf der PZU die einzige urkundliche Beziehung zwischen dieser und dem zuzustellenden Schriftstück her. Dementsprechend muss die Geschäftsnummer die Identifizierung der zugestellten Sendung zweifelsfrei ermöglichen und das Schriftstück eindeutig konkretisieren, dessen Zustellung vorgenommen werden soll.

Für die danach notwendige Identifizierung des zuzustellenden Schriftstücks durch die Geschäftsnummer genügt nach der Rechtsprechung allein die Verwendung der Steuernummer nicht (BFH-Urteil vom 13. Oktober 2005, IV R 44/03, BStBl II 2006, 214 m.w.N.). Vielmehr bedarf es im Fall eines Steuerbescheids der Ergänzung um die Steuerart sowie das Steuerjahr (BFH-Urteil vom 18. März 2004, V R 11/02, BFH/NV 2004, 996).

Zwar ist für die Identifizierung des zuzustellenden Schriftstücks im Allgemeinen nicht die Angabe des Datums erforderlich, unter dem das Schriftstück ergangen ist. Dies gilt aber auch bei einem nach Steuerart und Veranlagungszeitraum näher bezeichneten Steuerbescheid nur dann, wenn in dem betreffenden Steuerverfahren bislang weitere Bescheide nicht ergangen sind. Demgegenüber ist die Angabe des Datums zur Identifizierung des zuzustellenden Bescheids dann unerlässlich, wenn es sich um einen Änderungsbescheid handelt. Damit die danach notwendigen Angaben der die Sendung identifizierenden Geschäftsnummer zugeordnet werden können, müssen sie außerdem in einem räumlichen und inhaltlichen Bezug zu der auf der PZU für die Eintragung der Geschäftsnummer vorgesehenen Gliederungsnummer 1.1. stehen. Dafür reichen Eintragungen unter der Gliederungsnummer 1.2. "ggf. weitere Kennz." aus, das entsprechend seiner vorgedruckten Umschreibung der Konkretisierung der Geschäftsnummer dient (BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 996).

b) Im Streitfall ist den bezeichneten strengen Anforderungen nicht genügt. Auf der PZU, die die Zustellung der den geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 enthaltenden Sendung bezeugen soll, ist unter der Gliederungsnummer 1.1. lediglich die Steuernummer des Klägers angegeben. Unter der Gliederungsnummer 1.2. sind die unzureichenden Angaben nicht ergänzt worden. Es genügt insoweit nicht, dass auf der PZU handschriftlich der Vermerk "ESt-Bescheide 2000, 2001, 2002" angebracht ist. Denn dieser Vermerk steht nicht in einer hinreichend nahen räumlichen und inhaltlichen Beziehung zu der den Inhalt der Sendung identifizierenden Geschäftsnummer.

Abgesehen davon ließe sich dem Vermerk aber auch dann keine hinreichende Konkretisierung des streitgegenständlichen Bescheids entnehmen, wenn man eine derartige räumliche und inhaltliche Beziehung zur verwendeten Geschäftsnummer (hier der Steuernummer) unterstellen würde. Der Grund dafür ist, dass es sich bei dem zuzustellenden Bescheid um einen Änderungsbescheid gehandelt hat. In einem solchen Fall bedarf es aber - wie dargelegt - der Angabe des Datums, unter dem der Änderungsbescheid ergangen ist. Nur auf diese Weise lässt sich der Bescheid zweifelsfrei konkretisieren, dessen Zustellung vorgenommen werden sollte.

c) Rechtsfolge einer nicht ausreichenden Individualisierung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 VwzG ist die Unwirksamkeit der Bekanntgabe. Nach § 9 VwzG (jetzt § 8 VwzG) wird der Zustellungsmangel aber dann geheilt, wenn der Empfangsberechtigte das Schriftstück nachweislich erhalten hat. Dies gilt auch bei einer Verletzung des § 3 Abs. 1 Satz 2 VwzG (BFH-Urteil in BStBl II 2000, 520).

Nach den vorliegenden Unterlagen hat das FA dem Kläger mit Schreiben vom 19.11.2004 eine Kopie des streitgegenständlichen Bescheids übersandt. Ob der Kläger den Bescheid bereits zuvor erhalten hatte, lässt sich dagegen nicht eindeutig beantworten. In seinem Einspruchsschreiben vom 15.11.2004 hat der Kläger gegen die Steuerbescheide für das Streitjahr 2000 (sowie die vorhergehenden Jahre 1998 und 1999) ausdrücklich nur "vorsorglich" Einspruch eingelegt. Diese Einschränkung hat er seinem zugleich gegen die Steuerbescheide der nachfolgenden Jahre (2001, 2002 und 2003) eingelegten Einspruch nicht hinzugefügt.

Damit hat der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass er nur die letztgenannten Bescheide erhalten hat, die ihm am 15.10.2004 zugestellt worden waren. Aus dem Ergehen dieser Bescheide konnte der Kläger den Schluss ziehen, dass auch für die vorhergehenden Jahre und damit für das Streitjahr Steuerbescheide ergangen waren, denen ebenfalls Schätzungen zugrunde lagen. Die bestehenden Unklarheiten gehen zu Lasten des FA (BFH-Urteil in BStBl II 2000, 520, 521). Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass bei Einlegung des Einspruchs die Einspruchsfrist bereits abgelaufen war.

d) Auch wenn danach in Folge der fehlgeschlagenen förmlichen Zustellung zum Zeitpunkt der Einspruchseinlegung möglicherweise kein wirksamer Steuerbescheid ergangen war, war der Einspruch statthaft. Die Einspruchsmöglichkeit besteht nämlich auch dann, wenn zweifelhaft ist, ob ein Bescheid wirksam bekannt gegeben worden ist (Tipke/Kruse, Komm. zur Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, § 347 AO Tz. 15). Ein solcher Fall ist hier gegeben.

Den bereits vorliegenden Einspruch brauchte der Kläger nach Heilung des Zustellungsmangels somit nicht zu wiederholen (vgl. auch BFH-Urteil vom 25. Januar 1983 VIII R 54/79 BStBl II 1983, 543).

3. Das FA ist somit zu Unrecht von der Unzulässigkeit des Einspruchs ausgegangen. Durch die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung erhält es Gelegenheit, im Rahmen des noch offenen Einspruchsverfahrens die vom Kläger für das Streitjahr eingereichte Steuererklärung zu überprüfen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO), die Entscheidung über die Zulassung der Revision ergibt sich aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 151 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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