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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 06.09.2006
Aktenzeichen: 1 K 55/06
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 169 Abs. 2 S. 2
AO 1977 § 370 Abs. 1 Nr. 1
AO 1977 § 370 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

1 K 55/06

Einkommensteuer 1994 und 1995

In der Streitsache 1. ... 2

hat der 1. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung ... sowie

der ehrenamtlichen Richter ... und ...

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 6. September 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens

3. Die Revision wird zugelassen

Gründe:

I Streitig ist, ob Steuerbescheide nachträglich geändert werden durften.

Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger war in den Streitjahren 1994 und 1995 bei der Fa. A-GmbH, Deutschland (im Folgenden: A-GmbH), als Vertriebsingenieur angestellt und bezog Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die A-GmbH ist eine Vertriebsgesellschaft für Produkte ihrer Muttergesellschaft, der Fa. A-Inc. ... , Kalifornien, USA (im Folgenden A-Inc.). Ende 1995 schied der Kläger aus der Firma aus.

Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 1994 ging beim Beklagten (dem Finanzamt -FA-) am 6. November 1995 ein und die für das Jahr 1995 am 19. Juli 1996. Das FA veranlagte zunächst erklärungsgemäß. Die entsprechenden Einkommensteuerbescheide datieren vom 2. Januar 1996 und 25. September 1996. Sie wurden bestandskräftig.

Durch ein Schreiben des Finanzamts K (Betriebsstättenfinanzamt der A-GmbH) vom 21. Januar 2003 (Einkommensteuerakte, Bl 31), auf das Bezug genommen wird, erfuhr das FA erstmals, dass der Kläger in den Jahren 1993 bis 1996 aus der Ausübung von Aktienoptionen steuerpflichtige Einnahmen in Höhe von insgesamt 545.390 $ erhalten hatte, die nicht versteuert worden waren. Bereits mittels einer Kontrollmitteilung vom 21. Februar 2000 (Einkommensteuerakte, Bl 34) hatte das Finanzamt K versucht, das FA über die dem Kläger zugeflossenen geldwerten Vorteile zu informieren; diese Mitteilung kam beim FA aber nicht an. Die Optionsrechte hatte der Kläger von der A-Inc. erhalten. Diese betrafen deren Aktien und waren an das Dienstverhältnis mit der A-GmbH gekoppelt. In den Lohnsteuerbescheinigungen der A-GmbH war der aus der Ausübung der Aktienoptionen resultierende Zufluss von Arbeitslohn nicht enthalten.

Daraufhin informierte das FA den Kläger über den Vorgang (Schreiben vom 30. Januar 2003) und gab ihm Gelegenheit, die entsprechenden Einkünfte nachzumelden. Demgegenüber vertrat der Kläger die Auffassung, dass eine Berichtigung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung gem. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) nicht mehr möglich sei. Eine Steuerhinterziehung könne nicht angenommen werden, weil er die erworbenen Aktien jeweils länger als ein halbes Jahr gehalten habe und deshalb der Auffassung gewesen sei, dass es sich bei den Gewinnen aus den Aktienoptionen um steuerfreie Vermögenszuwächse gehandelt habe. Dies habe auch der damalige Geschäftsführer der A-GmbH so gesehen.

Im November 1999 sei der Kläger von der A-GmbH darauf hingewiesen worden, dass die Lohnbesteuerung der Aktienoptionen nicht korrekt durchgeführt worden sei. Die Kanzlei ... habe daher im Namen der A-GmbH und des Klägers beim Betriebsstättenfinanzamt eine Nacherklärung vorgenommen, wozu das FA bislang noch keine Stellung genommen habe. In der von der Kanzlei ...gefertigten Nacherklärung vom 14. Oktober 1999 (Einkommensteuerakte, Bl 59), in der die A-GmbH unter Berufung auf die Vorschriften der §§ 41c Abs. 4, 42 d Abs. 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) und der §§ 371, 378 AO u.a. anführt, dass sich das Optionsverfahren "außerhalb des Herrschaftsbereichs" der A-GmbH abgespielt und diese nicht zu erkennen vermocht habe, ob und bejahendenfalls zu welchem Zeitpunkt sie verpflichtet gewesen sei, für den Zufluss der geldwerten Vorteile Lohnsteuer einzubehalten.

Da der Kläger der Auffassung gewesen sei, dass die steuerliche Behandlung richtig war, könne allenfalls ein Tatbestandsirrtum angenommen werden, nicht jedoch vorsätzliches Handeln. Eine Steuerhinterziehung sei deshalb auszuschließen. Eine leichtfertige Steuerverkürzung könne dem Kläger ebenfalls nicht angelastet werden. Aus diesem Grunde sei von der normalen Festsetzungsfrist von 4 und nicht von der verlängerten Frist von 10 Jahren auszugehen. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO komme nicht zum Tragen, da die Nacherklärung bereits 1999 erfolgt sei und die Ablaufhemmung nur ein Jahr betrage.

Demzufolge seien die Festsetzungsfristen für 1995 und 1996 bereits am 31. Dezember 1999 bzw. 31. Dezember 2000 abgelaufen. Die fünfjährige Festsetzungsfrist im Falle einer leichtfertigen Steuerverkürzung sei im Jahr 2003 ebenfalls bereits abgelaufen gewesen.

Abweichend davon ging das FA von Steuerhinterziehung und demzufolge von einer zehnjährigen Festsetzungsfrist aus und erfasste im Jahr 1994 (umgerechnet) 59.000 DM und im Jahr 1995 213.576 DM als zusätzlichen Arbeitslohn. Die entsprechenden Änderungsbescheide datieren vom 19. Mai 2003. Als Berichtigungsvorschrift ist darin jeweils § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO genannt.

Im Einspruchsverfahren wurde vorgetragen, dass der Kläger der Auffassung gewesen sei, dass es sich bei den Aktienoptionen um Spekulationsgeschäfte i.S. von § 23 EStG handle, die nach Ablauf der Spekulationsfrist nicht mehr steuerbar seien. Dem Kläger könne kein Vorwurf gemacht werden, dass er die Lohnbuchhaltung nicht dahingehend überprüft habe, ob die Gewinne aus Aktienoptionen enthalten seien. Als Vertriebsingenieur sei die verwaltungstechnische Tätigkeit nicht sein Aufgabengebiet gewesen. Er habe darauf vertrauen dürfen, dass die Lohnabrechnung korrekt sei. Eine mittelbare Täterschaft komme ebenfalls nicht in Betracht, da die Lohnbuchhaltung in Unkenntnis der Rechtslage bei Aktienoptionen die Lohnsteuer bei allen Mitarbeitern nicht einbehalten habe und eine Einflussnahme durch den Kläger nicht erfolgt sei.

Demgegenüber vertrat das FA die Auffassung, dass dem Kläger bereits im November 1999 und damit vor Ablauf der Festsetzungsfrist die nicht korrekte Besteuerung der Aktienoptionen bekannt gewesen sei. Nach § 153 AO sei der Kläger deshalb verpflichtet gewesen, dies dem FA unverzüglich anzuzeigen. Die Anzeige sei bis heute nicht erfolgt. Die Anzeige des Arbeitgebers beim Betriebsstättenfinanzamt zur Vermeidung einer Haftungsinanspruchnahme i.S. von § 42d Abs. 2 Nr. 1 EStG könne eine Anzeige nach § 153 AO beim Wohnsitzfinanzamt nicht ersetzen.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 29. November 2005).

Im Klageverfahren wird erneut vorgetragen, dass eine Steuerhinterziehung nicht angenommen werden könne. Zwar habe der Kläger durch die A-GmbH im November 1999 den Hinweis bekommen, dass die steuerliche Behandlung der Aktienoptionen unzutreffend sei. Die Kanzlei ... habe die Nacherklärung aber auch im Namen des Klägers vorgenommen. Das FA hätte deshalb noch vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist ausreichend Zeit gehabt, eine Veranlagung einschließlich der Gewinne aus den Aktienoptionen durchzuführen. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen sei das FA aber erstmals am 30. Januar 2003 und damit nach Ablauf der Festsetzungsfristen tätig geworden.

Ein Verstoß gegen § 153 AO liege nicht vor. Der Kläger habe damals die gleiche Kanzlei, die auch die Arbeitgeberin vertrat, bevollmächtigt, die Nachmeldung vorzunehmen (vgl. die im Klageverfahren vorgelegte Vollmacht vom 11. Oktober 1999, FG-Akte, Bl 31). Eine Anzeige gem. § 153 AO sei deshalb in Form der Nachmeldung erfolgt. Von einem passiven Verhalten des Klägers könne keine Rede sein.

Hinzu komme, dass in den Jahren 1994 und 1995 die steuerliche Beurteilung von Gewinnen aus Aktienoptionen nicht zweifelsfrei gewesen sei. Der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen die Änderung der Verwaltungsauffassung zu dieser Frage zu verfolgen und dementsprechend seine Steuererklärungen zu berichtigen. Mehr als die Einschaltung einer Steuerkanzlei könne von einem Angestellten, der steuerlich nicht versiert ist, nicht verlangt werden. Nach seinem Ausscheiden aus der Firma habe der Kläger keine aktuellen Kenntnisse über die Besteuerung von Aktienoptionen mehr sammeln können.

Im Übrigen trage das FA hinsichtlich der Frage der Steuerhinterziehung die Beweislast. Auch im Steuerverfahren gelte der strafrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo". Im Rahmen der Vollmachterteilung und der Nacherklärung sei der Kläger lediglich über eine potentielle Steuerpflicht informiert worden, nicht jedoch über eine zweifelsfreie Steuerpflicht. Eine Steuerhinterziehung könne deshalb nicht bejaht werden. Das Vorliegen einer Steuerhinterziehung habe das FA lediglich konstruiert, um das Versäumte auszubügeln.

Die Kläger beantragen,

die Einkommensteueränderungsbescheide 1994 und 1995 vom 19. Mai 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. November 2005 mit der Maßgabe aufzuheben, dass die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide 1994 vom 2. Januar 1996 und 1995 vom 25. September 1996 wieder in Kraft treten, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Das FA vertritt die Auffassung, dass der Kläger im Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärungen zwar einem Tatbestandsirrtum unterlegen sei. Eine Steuerhinterziehung sei aber darin zu sehen, dass der Kläger, nachdem er im Oktober 1999 von der steuerlichen Relevanz der Gewinne aus den Optionsgeschäften erfahren hatte, dem FA keine Mitteilung über den Sachverhalt gemacht habe, obwohl er hierzu verpflichtet gewesen sei. Die unterbliebenen Steuerfestsetzungen habe er damit zumindest billigend in Kauf genommen. Eine Nachmeldung an das Betriebsstättenfinanzamt genüge diesen Anforderungen nicht. Erforderlich wäre vielmehr eine Meldung an das Wohnsitzfinanzamt gewesen.

Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 6. September 2006 wird Bezug genommen.

II Die Klage ist nicht begründet. Die strittigen Steuerbescheide ergingen zu Recht. Festsetzungsverjährung ist nicht eingetreten. Die Festsetzungsfrist verlängerte sich gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO wegen Steuerhinterziehung auf 10 Jahre.

1. Gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO ist eine Steuerhinterziehung u.a. dann zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige den Finanzbehörden oder anderen Behörden gegenüber über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt. Eine Verkürzung ist namentlich dann gegeben, wenn die Steuern nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO).

Eine Steuerhinterziehung setzt voraus, dass der jeweilige Täter den Tatbestand der Vorschrift in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt. Die Finanzbehörde trägt insoweit die Feststellungslast. In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand vorsätzliches Handeln voraus (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 2. April 1998 V R 60/97, BStBl II 1998, 530).

Unrichtige oder unvollständige Angaben macht ein Steuerpflichtiger u.a. dann, wenn er eine falsche Steuererklärung abgibt. Pflichtwidrig in Unkenntnis lässt er die Finanzbehörde, wenn er ihr gegenüber sein Wissen über steuerlich erhebliche Tatsachen vorenthält. Eine Pflicht zur Berichtigung der abgegebenen Steuererklärungen kann sich aus § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ergeben. Erkennt ein Steuerpflichtiger nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Steuererklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, ist er nach dieser Vorschrift verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderlichen Richtigstellungen vorzunehmen.

Obwohl auch im finanzgerichtlichen Verfahren der strafverfahrensrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" zu beachten ist, ist das Vorliegen der genannten Tatbestandsmerkmale nicht nach der Strafprozessordnung, sondern nach den Vorschriften der AO und der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu prüfen. Hierbei ist für die Feststellung der Steuerhinterziehung kein höherer Grad der Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das FA die Feststellungslast trägt. Es reicht vielmehr aus, dass das Finanzgericht aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu dem Ergebnis gelangt, dass die geschuldete Steuer vorsätzlich verkürzt wurde (BFH-Urteil vom 19. März 1998 V R 54/97, BStBl II 1998, 466).

Vorsätzlich handelt ein Steuerpflichtiger u.a., wenn er die Steuerpflicht der von ihm erzielten Einnahmen erkennt und diese trotz dieser Kenntnis gegenüber der Steuerbehörde bewusst verschweigt. Hierbei ist es nicht erforderlich, dass er das Unrechtmäßige seiner Tat in rechtstechnischer Hinsicht erkennt. Es genügt, wenn die Kenntnis der Unrechtmäßigkeit auf einer seiner Gedankenwelt entsprechenden allgemeinen Bewertung beruht. Der Steuerpflichtige muss anhand einer laienhaften Bewertung der Umstände erkennen, dass ein Steueranspruch existiert, auf den er mit seinem Verhalten einwirkt (sog. Parallelwertung in der Laiensphäre, vgl. BFH-Urteile vom 24. April 1996 II R 73/93, BFH/NV 1996, 731, und vom 21. Februar 1992 VI R 141/88, BStBl II 1992, 565). In diesem Zusammenhang ist auf die konkreten Fähigkeiten des Steuerpflichtigen zur möglichen Wertung steuerlicher Tatbestände abzustellen. Vorsätzlich handelt auch, wer es für möglich hält, dass er den Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht oder das billigt oder doch in Kauf nimmt (sog. bedingter Vorsatz, vgl. BFH-Urteil vom 31. Juli 1996 XI R 74/95, BStBl II 1997, 157).

Ein Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum (vgl. § 16 Abs.1 Satz 1 Strafgesetzbuch) liegt vor, wenn der Steuerpflichtige aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erkennt, dass seine Angaben unrichtig oder unvollständig sind oder ein Verkürzungserfolg eintreten kann. Hat der Steuerpflichtige dagegen das Bewusstsein der steuerlichen Relevanz der Einnahmen oder ist davon auszugehen, dass er dieses Bewusstsein aufgrund seiner individuellen Fähigkeiten und Vorbildung entwickeln konnte, ist ein Tatbestandsirrtum zu verneinen.

Hinzu kommt, dass ein nicht beratener Steuerpflichtiger verpflichtet ist, sich in Zweifelsfällen zu erkundigen und fachliche Informationen einzuholen. Je gewichtiger der steuerlich relevante Vorgang ist, umso mehr ist der Steuerpflichtige gehalten, Informationen über dessen etwaige Besteuerung einzuholen, um sich nicht dem Vorwurf der Gleichgültigkeit und damit des bedingten Vorsatzes auszusetzen. Wird diese Verpflichtung hartnäckig missachtet, schließt auch eine der Steuerpflicht entgegenstehende irrige Rechtsüberzeugung den Vorsatz nicht aus.

2. a) Im Streitfall hat der Kläger spätestens im Oktober 1999, als er Kenntnis von der potentiellen Steuerpflicht der Aktienerwerbe erhielt, den Tatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO dadurch erfüllt, dass er das FA pflichtwidrig über die Ausübung der Aktienoptionen in den Jahren 1994 und 1995 sowie die daraus erlangten geldwerten Vorteile (im Jahr 1994: 59.000 DM; im Jahr 1995: 213.576 DM) in Unkenntnis ließ und dadurch Steuern verkürzte. Hierbei geht der Senat mit den Beteiligten davon aus, dass der Kläger im Zeitpunkt der Abgabe der jeweiligen Steuererklärungen keine Steuerhinterziehung (i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) begangen hatte, weil er insoweit einem Tatbestandsirrtum unterlag, als er die Ausübung der Optionsrechte für einen nicht steuerbaren Vorgang gehalten hat.

Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger im Jahr 1999 von der potentiellen Steuerpflicht der erlangten geldwerten Vorteile von einem Arbeitskollegen erfahren, der ihn auch auf den von der A-GmbH mit der Nachmeldung beauftragten Herrn Dr ...hinwies. Dass der Kläger diese Kenntnis hatte, lässt sich auch der vom Kläger unterzeichneten Vollmacht für Herrn Dr. ... vom 11. Oktober 1999 entnehmen, in der von potentiellen Einkünften aus der Ausübung von "Stock Options" die Rede ist. Außerdem wird in der auch im Namen des Klägers erstatteten Anzeige an das Finanzamt K vom 14. Oktober 1999 darauf hingewiesen, dass die geldwerten Vorteile aus den "Stock Options" der Einkommensbesteuerung der Arbeitnehmer unterliegen könnten.

Die Verpflichtung zur unverzüglichen Anzeige und Richtigstellung der Erklärungen ergibt sich im Streitfall aus § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Wie sich dem Schreiben vom 14. Oktober 1999 und der Vollmacht vom 11. Oktober 1999 entnehmen lässt, hatte sich die nachträglich erlangte Kenntnis von der möglichen Steuerpflicht der aus der Ausübung der Optionen resultierenden steuerlichen Vorteile zum damaligen Zeitpunkt bereits so weit verdichtet, dass der Kläger mit einer Steuerbarkeit der Vorgänge rechnen musste. Dies reicht aus, den Tatbestand des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, der eine Pflicht zur Berichtigung einer Steuererklärung bereits dann statuiert, wenn es zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann, zu bejahen.

Aus diesem Grunde waren die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift im Streitfall spätestens ab 14. Oktober 1999 und damit, wie in § 153 Abs. 1 Satz 1 AO gefordert, 9 noch vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist (für 1994: Ende 1999, für 1995: Ende 2000), erfüllt.

Das an das Finanzamt K gerichtete Schreiben vom 14. Oktober 1999, das nicht nur das Lohnsteuerabzugsverfahren der A-GmbH, sondern auch das Besteuerungsverfahren des Klägers betraf, erfüllte die Voraussetzungen des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO solange nicht, als die Berichtigungserklärungen dem FA nicht vor Ablauf der die Streitjahre betreffenden Festsetzungsfristen zur Auswertung zur Verfügung standen. Um dem Zweck des § 153 AO zu entsprechen, der es dem Veranlagungsfinanzamt ermöglichen soll, noch rechtzeitig vor Ablauf der Festsetzungsfrist einen Änderungsbescheid zu erlassen, erfüllt nach Ansicht des erkennenden Senats im Fall der Erkenntnis der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der bisherigen Steuererklärung vor Ablauf der Festsetzungsfrist durch den Steuerpflichtigen nur eine solche Berichtigungserklärung die Anforderungen des § 153 AO, die dem örtlich und sachlich zuständigen Veranlagungsfinanzamt auch vor Ablauf der Festsetzungsfrist zugeht

Wird die Berichtigungserklärung gegenüber einem unzuständigen Finanzamt abgegeben, ist dieses zwar gem. § 111 Abs. 1 Satz 1 AO verpflichtet, diese an das zuständige Finanzamt weiterzuleiten. Erfolgt die Weiterleitung jedoch nicht zeitnah, trägt der Steuerpflichtige das Risiko des nicht mehr rechtzeitigen Zugangs der Berichtigungserklärung beim zuständigen Finanzamt. Andernfalls hätte es der Steuerpflichtige durch Übersendung der Erklärung an ein sachlich oder örtlich nicht zuständiges Finanzamt kurz vor Ablauf der Festsetzungsfrist in der Hand, sich dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und damit der Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zu entziehen.

Im Streitfall ist das Schreiben vom 14. Oktober 1999 zwar als eine Anzeige und Richtigstellung i.S. des § 153 Abs. 1 Satz 1 AO zu werten. Da das Schreiben jedoch (durch Kontrollmitteilung) erst nach Ablauf der Festsetzungsfristen an das FA weitergeleitet wurde und die ursprüngliche Kontrollmitteilung vom 21. Februar 2000 nicht beim FA ankam, ist die weitere Voraussetzung des § 153 Abs. 1 AO, nämlich der rechtzeitige Eingang der Anzeige bzw. der Berichtigungserklärung beim zuständigen FA, so dass dieses noch vor Ablauf der Festsetzungsfristen zur Berichtigung der Einkommensteuerbescheide in der Lage gewesen wäre, nicht erfüllt. Der Kläger trägt das Risiko des nicht rechtzeitigen Zugangs jedenfalls dann, wenn das Berichtigungsschreiben wie im Streitfall, wäre es an das zuständige FA adressiert gewesen, aller Voraussicht nach noch vor Ablauf der regulären Festsetzungsfristen bei diesem eingegangen wäre.

Im Übrigen geht der Senat nicht davon aus, dass sich die Rechtsprechung des BFH zu der Frage der Besteuerung geldwerter Vorteile im Zusammenhang mit der Ausübung von Aktienoptionen durch Arbeitnehmer geändert hat und dadurch die vom Kläger abgegebenen Steuererklärungen unrichtig geworden sind, was die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO entfallen ließe (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar, § 153 AO Rz 8). Bereits im Urteil vom 10. März 1972 VI R 278/68, BStBl II 1972, 596, hat sich der BFH für eine Besteuerung daraus resultierender geldwerter Vorteile im Zeitpunkt der Ausübung der Optionsrechte (sog. Endbesteuerung) ausgesprochen. Diese Rechtsprechung wurde im BFH-Beschluss vom 23.Juli 1999 VI B 116/99, BStBl II 1999, 684, und in den Urteilen vom 24. Januar 2001 I R 100/98, BStBl II 2001, 509, und I R 119/98, BStBl II 2001, 512, bestätigt. Ob sich die Rechtsprechung zur Frage der Lohnsteuerabzugsverpflichtung der A-GmbH in dieser Zeit geändert hat oder die Rechtslage insoweit noch ungeklärt war, kann im Streitfall, in dem es um die Einkommensteuerpflicht der geldwerten Vorteile geht, dahingestellt bleiben.

b) Der Kläger handelte nach der Überzeugung des Senats auch vorsätzlich. Da er sich der Steuerpflicht der geldwerten Vorteile im Oktober 1999 bewusst wurde und nicht darauf achtete, dass das Schreiben vom 14. Oktober 1999 rechtzeitig beim FA ankam, nahm er eine Verkürzung der die Streitjahre betreffenden Einkommensteuern in Kauf, weshalb die Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes erfüllt sind. Ein weiterhin bestehender Tatbestandsirrtum kann zu diesem Zeitpunkt nicht bejaht werden, weil der Kläger nunmehr über die potentielle Steuerpflicht der durch den Erwerb der Aktien erlangten geldwerten Vorteile informiert war. Unerheblich ist hierbei, dass Herr Dr. ... ihm angeraten hatte, gegen die Steuerpflicht "bis aufs Messer" vorzugehen.

Zwar hat der Kläger vorgetragen, dass er der Auffassung gewesen sei, eine Steuerpflicht sei nicht gegeben, weil er die erworbenen Aktien jeweils länger als 6 Monate gehalten habe und die Spekulationsfristen deshalb abgelaufen gewesen seien. Diese Überlegung betraf aber lediglich die Einkünfte aus Spekulationsgeschäften, nicht jedoch die Frage der Besteuerung der geldwerten Vorteile im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, so dass ein insoweit bestehender Tatbestandsirrtum auszuschließen ist.

c) Die Bezugnahme des Klägers im Schreiben vom 14. Oktober 1999 auf die Vorschrift des § 371 AO (Selbstanzeige) schließt das Vorliegen einer Steuerhinterziehung nicht aus. Wird eine wirksame Selbstanzeige abgegeben, wird der betreffende Steuerpflichtige lediglich straffrei; es handelt sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. Die Frage der Steuerhinterziehung wird dadurch nicht berührt.

3. Aufgrund der Steuerhinterziehung beträgt die Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 10 Jahre. Im Zeitpunkt des Ergehens der strittigen Einkommensteuerbescheide im Jahr 2003 waren die Festsetzungsfristen somit noch nicht abgelaufen.

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO

5. Die Revision war zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Ziffer 2 FGO (Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in der Frage der Steuerhinterziehung durch Unterlassen trotz Anzeige an eine unzuständige Finanzbehörde) erfüllt sind.

Ende der Entscheidung

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