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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 19.02.2009
Aktenzeichen: 14 K 3764/06
Rechtsgebiete: UStG, ZK


Vorschriften:

UStG § 13 Abs. 2
UStG § 13a Abs. 2
UStG § 21 Abs. 2
ZK Art. 37 Abs. 1
ZK Art. 203 Abs. 1
ZK Art. 203 Abs. 3
ZK Art. 215 Abs. 1
ZK Art. 215 Abs. 3
ZK Art. 217 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht ......,

des Richters am Finanzgericht ...... und

der Richterin am Finanzgericht ...... sowie

der ehrenamtlichen Richter ...... und ......

ohne mündliche Verhandlung

am 19. Februar 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Streitig ist, ob der Beklagte (das Hauptzollamt - HZA) die Klägerin für Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch nehmen durfte, die wegen der nicht ordnungsgemäßen Erledigung eines Versandverfahrens entstanden ist.

Die Klägerin eröffnete am 20. Juni 2003 als Hauptverpflichtete bei der Abgangsstelle Praha IV in Tschechien das gemeinsame Versandverfahren T1 Nr. ... für 4.000 Stück Mobiltelefone im Warenwert von 660.900 EUR. Im Versandschein war als Bestimmungsstelle M/GB angegeben und als Frist für die Wiedergestellung der 27. Juni 2003 festgesetzt. Als Warenempfänger war die Fa. H in M eingetragen.

Am 26. September 2003 unterrichtete die Abgangsstelle die Klägerin davon, dass ihr noch kein Nachweis für die Beendigung des streitgegenständlichen Versandverfahrens vorliege und forderte sie auf, den Nachweis für die Beendigung des Verfahrens zu erbringen. Im weiteren Verlauf des Suchverfahrens teilte das HZA der Abgangsstelle mit, dass die Sendung am 21. Juni 2003 über das Zollamt F unter Abgabe eines Grenzübergangsscheins in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wurde. Die Abgangsstelle bestätigte deshalb am 13. August 2004, dass das HZA für die Abgabenerhebung im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Versandverfahren zuständig ist. Mit Nachricht vom 16. September 2004 teilte das HZA der Abgangsstelle mit, dass das Besteuerungsverfahren von ihm durchgeführt wird und setzte mit Einfuhrabgabenbescheid vom 28. Oktober 2004 gegenüber der Klägerin Einfuhrumsatzsteuer i.H.v. 105.744,- EUR fest.

Da die Klägerin im Einspruchsverfahren geltend machte, dass der Empfänger in England (die Fa. H) die Ware in Kenntnis der Zollguteigenschaft übernommen habe und als Nachweis hierfür Kopien eines bestätigten Frachtbriefs und des Abschnittes des Blatts 5 des T1 vorlegte, auf welchem der Empfänger die Übernahme der Ware bestätigt habe, bat das HZA mit Schreiben vom 25. November 2004 die englischen Zollbehörden, unter Vorlage der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen, um Prüfung, ob die streitgegenständliche Sendung gestellt bzw. abgefertigt worden sei. Daraufhin teilten die englischen Zollbehörden mit Schreiben vom 3. Dezember 2004 mit, dass die Waren nach GB verbracht worden seien und sie für die Abgabenerhebung zuständig seien, weshalb sie um die Übersendung diverser Unterlagen baten, um die Abgabenerhebung zu ermöglichen. Nachdem das HZA die angeforderten Unterlagen übersandt hatte, erklärten die englischen Zollbehörden mit Schreiben vom 10. Februar 2005, dass die Waren an den Versender zurückgeschickt worden seien und sie nicht wüssten, wo sie sich jetzt befänden. Sie könnten deshalb nicht feststellen, wo die Zuwiderhandlung stattgefunden habe. Außerdem lag diesem Schreiben eine TC20-Suchanzeige bei, mit einem Vermerk gleichen Datums, dass die betreffende Warensendung dort nicht gestellt worden sei und über ihren Verbleib nichts in Erfahrung gebracht werden könne.

Da auch weitere Nachfragen zu keinem anderen Ergebnis führten, wies das HZA den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 31. August 2006 als unbegründet zurück.

Mit ihrer Klage bringt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass das HZA nicht für die Abgabenerhebung zuständig sei. Der Transport sei wie vorgesehen durchgeführt worden. Die Sendung sei am 23. Juni 2003 vom Fahrer dem Empfänger H zugestellt worden. Dieser habe die Annahme auf dem Rückschein des Versandscheins bestätigt. Erst nachträglich sei diesem bewusst geworden, dass es sich um Zollgut handle und er die Ware nicht einlagern könne, da er kein zugelassener Empfänger sei. Der Verbleib der Sendung sei bis heute ungeklärt.

H habe sich deshalb wie ein zugelassener Empfänger geriert und damit die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen. Damit stehe als Ort der Zollschuldentstehung Middlesex/ GB fest. Zuständig für die Abgabenerhebung seien deshalb die Zollbehörden in GB.

Dass sich diese für unzuständig halten, sei unbeachtlich.

Die Klägerin beantragt,

den Steuerbescheid vom 28. Oktober 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 31. August 2006 aufzuheben.

Das HZA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es bringt vor, dass es das Erhebungsverfahren gegen die Klägerin nur dann hätte einstellen müssen, wenn die englischen Behörden nachgewiesen hätten, dass sie die Abgabenerhebung vorgenommen haben. Da sich diese jedoch für die Abgabenerhebung für nicht zuständig erklärt hätten, hätte sie das eingeleitete Erhebungsverfahren fortsetzen müssen. Da der Ort der Zollschuldentstehung nicht innerhalb von 10 Monaten ermittelt worden sei und die Ware laut Grenzübergangsschein in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden sei, sei es für die Festsetzung der Einfuhrabgaben gegenüber der Klägerin zuständig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die HZA-Akte und die im Verfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO).

II. Die Klage ist nicht begründet.

Das HZA hat von der Klägerin zu Recht Einfuhrumsatzsteuer angefordert.

1. Die Entstehung der Einfuhrabgabenschuld, die Ermittlung des Abgabenschuldners sowie des Ortes der Entstehung der Abgabenschuld ist jeweils nach den Vorschriften des Zollkodex (ZK) zu beurteilen, denn die Warenbeförderung galt gem. Art. 1 Abs. 2 des Übereinkommens über ein gemeinsames Versandverfahren vom 20. Mai 1987, ABl. Nr. 1 226/2 (Versand-Übereinkommen) ab dem Zeitpunkt der Einfuhr in das Zollgebiet der Europäischen Gemeinschaft über das Zollamt Furth im Wald als im gemeinschaftlichen Versandverfahren durchgeführt. Anhaltspunkte dafür, dass die Einfuhrabgabenschuld bereits vor der Einfuhr in Tschechien entstanden ist, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

2. Für die streitgegenständliche Warensendung ist die Einfuhrumsatzsteuerschuld nach Art. 203 Abs. 1 ZK i.V.m. § 13 Abs. 2 und § 21 Abs. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) durch Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung entstanden.

Der Begriff der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) so zu verstehen, dass er jede Handlung oder Unterlassung umfasst, die dazu führt, dass die zuständige Zollbehörde, wenn auch nur zeitweise, am Zugang zu einer unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und an der Durchführung der in Art. 37 Abs. 1 ZK vorgesehenen Prüfungen gehindert wird (vgl. EuGH-Urteil vom 29. April 2004 Rs. C-222/01, British American Tobacco, Slg. 2004, I-4683, Randnr. 47). Dies ist der Fall, wenn - wie vorliegend - die Sendung nicht der Bestimmungsstelle gestellt und das Versandverfahren für diese Sendungen nicht erledigt worden ist (vgl. EuGH-Urteil vom 20. Januar 2005 Rs. C-300/03, ZfZ 2005, 84). Da der Empfänger in England kein zugelassener Empfänger gewesen ist, konnte er - unabhängig davon, welche Vermerke er auf den Papieren angebracht hat - die Erledigung des Versandverfahrens nicht bestätigen. Die Nichtgestellung bei der zuständigen Bestimmungsstelle führte im Streitfall dazu, dass die Zollbehörden keine Feststellungen mehr über den Verbleib bzw. Zustand der Waren treffen konnten.

3. Die Klägerin ist nach Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4 ZK i.V.m. § 13a Abs. 2 und § 21 Abs. 2 UStG Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer geworden, weil sie als Hauptverpflichtete verpflichtet gewesen ist, die Sendung bei der Bestimmungsstelle zu gestellen (Art. 96 Abs. 1 ZK). Sie ist als Verfahrensinhaberin Abgabenschuldnerin geworden, ohne dass es darauf ankommt, ob sie selbst die Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen oder eine Zuwiderhandlung begangen hat oder ob ihr oder einem ihrer Erfüllungsgehilfen (Warenführer, Fahrer) ein schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen ist. Der Umstand, dass ein Zollspediteur als Hauptverpflichteter für die Einfuhrabgabenschuld haftbar gemacht wird, verstößt - unabhängig davon, wie hoch diese Schuld im Verhältnis zu den Einnahmen ist, die er erzielt, wenn er als Zollspediteur tätig wird - nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Mit der dem Hauptverpflichteten auferlegten Haftung soll gewährleistet werden, dass die Bestimmungen über die Erhebung der Zollschuld im Interesse des Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten sorgfältig und einheitlich angewandt werden (vgl. EuGH-Urteil vom 3. April 2008 Rs. C-230/06, ZfZ 2008, 136).

4. Das HZA ist für die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer zuständig.

Nach Art. 215 Abs. 3 i.V.m. Art. 217 Abs. 1 ZK sind die Zollbehörden des Mitgliedstaats für die Erhebung der Einfuhrabgaben zuständig, in dem die Zollschuld nach Art. 215 Abs. 1 und 2 ZK entstanden ist oder als entstanden gilt. Hinsichtlich der Frage, ob die Zuständigkeit der deutschen Zollbehörden für die Abgabenfestsetzung gegenüber der Klägerin gegeben war, ist maßgeblich auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem das HZA diese Abgaben festgesetzt hat (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 2005 VII R 31/04, ZfZ 2006, 127).

Vorliegend ist die Einfuhrumsatzsteuerschuld nach Art. 215 Abs. 1 Anstrich 3 ZK an dem Ort entstanden, an dem die Waren im Rahmen des gemeinsamen Versandverfahrens in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden sind, weil der Ort der Zollschuldentstehung nach Art. 215 Abs. 1 Anstrich 1 und 2 ZK nicht innerhalb von zehn Monaten ab dem Zeitpunkt der Annahme der Versandanmeldung (Art. 450a der Durchführungsverordnung zum ZK - ZK-DVO) bestimmt werden konnte. Dies ist vorliegend Furth im Wald, das im Zuständigkeitsbereich des HZA liegt.

Da die Versandanmeldung am 20. Juni 2003 von der Abgangsstelle angenommen worden ist, hätte der Ort der Zollschuldentstehung bis zum 21. April 2004 bestimmt werden müssen, um eine Zuständigkeit nach Art. 215 Abs. 1 Anstrich 1 oder 2 ZK zu begründen.

Dies ist aber nicht möglich gewesen, da bis zu diesem Zeitpunkt im von der Abgangsstelle eingeleiteten Suchverfahren keine Erkenntnisse über den Verbleib der Ware und somit auch nicht über den Ort der Zollschuldentstehung gewonnen werden konnten. Die Abgangsstelle hat deshalb am 13. August 2004 bestätigt, dass das HZA nach Art. 116 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Buchst. c der Anlage I des Versand-Übereinkommens für die Abgabenerhebung zuständig ist, weil die Sendung über das Zollamt Furth im Wald unter Abgabe eines Grenzübergangsscheins in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden ist und der Ort der Abgabenschuldentstehung nicht innerhalb von zehn Monaten nach Annahme der Versandanmeldung bestimmt werden konnte.

Die Klägerin hat vielmehr erst im Einspruchsverfahren Unterlagen vorgelegt, die darauf hindeuten, dass die Warensendung möglicherweise in England dem Versandverfahren entzogen worden ist.

Es kann somit dahinstehen, ob aufgrund dieser Unterlagen der Sitz der Firma des Empfängers in England als der Ort ermittelt werden konnte, an dem die Sendung dem Versandverfahren entzogen worden ist, denn dies ist jedenfalls nicht innerhalb der Zehnmonatsfrist nach Art. 450a ZK-DVO und auch noch nicht zum Zeitpunkt des Erlasses des Einfuhrabgabenbescheids durch das HZA am 28. Oktober 2004 der Fall gewesen.

Aber selbst wenn man damit den Nachweis über den Ort der Zollschuldentstehung in England als erbracht ansieht, hätte das HZA nach Art. 450b Abs. 2 Unterabs. 3 ZK-DVO das Erhebungsverfahren gegen die Klägerin nur dann einstellen müssen, wenn die englischen Zollbehörden nachgewiesen hätten, dass sie die Abgabenerhebung gegenüber der Klägerin vorgenommen haben. Dies ist aber nicht der Fall, die englischen Zollbehörden haben nämlich mitgeteilt, dass sie nicht feststellen können, wo die Zuwiderhandlung stattgefunden hat.

5. Die Inanspruchnahme der Klägerin ist auch nicht ermessenswidrig.

Für die Inanspruchnahme eines Hauptverpflichteten als einen von mehreren Gesamtschuldnern durch Steuerbescheid und die dabei zu treffende behördliche Ermessensentscheidung ist vom BFH entschieden worden, dass es einer besonderen Begründung der Ermessensentscheidung wegen der besonderen Garantenstellung, die der Hauptverpflichtete als Verfahrensinhaber für die ordnungsgemäße Durchführung eines Versandverfahrens hat, nicht bedarf (vgl. BFH-Beschluss vom 13. März 1997 VII R 65/96, ZfZ 1997, 236; BFH Urteil vom 12. Juni 2001 VII R 67/00, BFH/NV 2002, 80).

Aufgrund dieser Garantenstellung hat grundsätzlich der Hauptverpflichtete dafür einzustehen, dass das Versandverfahren ordnungsgemäß beendet wird. Infolgedessen kann er auch nicht darauf vertrauen, von einer Inanspruchnahme verschont zu werden. Das besondere Verhältnis zwischen dem Hauptverpflichteten und der Zollbehörde ist dadurch gekennzeichnet, dass ihm die unter zollamtlicher Überwachung stehenden Waren zur Beförderung anvertraut werden und er als Gegenleistung die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Versandverfahrens - einschließlich des damit verbundenen Risikos, als Abgabenschuldner auch für fremdes Fehlverhalten einstehen zu müssen - übernimmt (vgl. BFH-Urteil vom 26. August 1997 VII R 82/96, ZfZ 1998, 234).

Es braucht deshalb im Regelfall nicht berücksichtigt zu werden, ob auch andere Zollschuldner; wie z.B. der Warenempfänger oder Warenführer, in Anspruch zu nehmen sind (so auch FG Baden-Württemberg im Urteil vom 25. November 2003 - 11 K 200/00, ZfZ 2004, 273).

Ende der Entscheidung

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