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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Münster
Beschluss verkündet am 27.04.2007
Aktenzeichen: 8 K 4071/06 Kg (PKH)
Rechtsgebiete: EStG, AufenthG


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 2
AufenthG § 25 Abs. 1
AufenthG § 25 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

8 K 4071/06 Kg (PKH)

Tenor:

Dem Kläger wird für das Verfahren 8 K 4071/06 Kg vor dem Finanzgericht Münster Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Monatsraten ab Antragstellung bewilligt. Zur Vertretung wird dem Kläger Herr Rechtsanwalt ..................., ..................., .............., beigeordnet.

Gründe:

Der Kläger (Kl.), der als Kosovo-Albaner aus dem ehemaligen Jugoslawien 1993 in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist, erstrebt mit der Klage für den Zeitraum Januar 2005 bis Mai 2006 Kindergeld für seine vier in den Jahren 1989 - 1995 geborenen Kinder.

Der Beklagte (Bekl.) hat mit Bescheid vom ......2006 die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2005 aufgehoben und das für den Zeitraum Januar 2005 bis April 2006 in Höhe von ...... Euro gezahlte Kindergeld zurückgefordert.

Der Einspruch war erfolglos (Einspruchsentscheidung -EE- vom 31.08.2006).

Die Bekl. meint, dem Kl. stehe nicht mehr als Arbeitnehmer im Sinne des hier in Betracht kommenden deutsch-jugoslawischen Abkommens über soziale Sicherheit das vorher gewährte Kindergeld zu, weil er ab Januar 2005 nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden und ebenfalls keine der in diesem Abkommen genannten Lohnersatzleistungen erhalten habe. Das vom Kl. bezogene Arbeitslosengeld II gehöre nicht zu diesen Lohnersatzleistungen.

Auch aus § 62 Abs. 2 EStG in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 (BGBl. I 2004, 1950 und BStBl. I 2004, 1146) ergebe sich für den Kl. kein Rechtsanspruch auf Festsetzung des Kindergeldes, weil der Kl. nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 und 2 Aufenthaltsgesetzes sei. Der Kl. sei im Besitz einer Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 4 Aufenthaltsgesetzes. Diese entspreche nach Auskunft des Ausländeramtes einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetzes.

Weiter ist die Bekl. der Meinung, dass die nach Ergehen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.2004 1 BvL 4/97 (BVerfGE 111, 160) erlassene Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG ebenfalls keinen Anspruch auf Kindergeld für den Kl. ergibt.

Das Bundesverfassungsgericht hat durchBeschluss vom 06. Juli 2004 I BvL 4/97, BVerfGE 111, 160 entschieden, dass § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) in der Fassung des 1. Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21.12.1993 (BGBl. I S. 2353), der mit § 62 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1996 nahezu wörtlich übereinstimmte, mit Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar war, und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung bezüglich des BKGG bis zum 01.01.2006 aufgefordert. Diesem Auftrag wollte der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss (AuslAnsprG) nachkommen (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 23.01.2007, 10 K 2661/04 KG, StE 2007, 182 und Juris unter Hinweis auf BR-Drucksache 68/06 und BT-Drucksache 16/1368, S. 8).

Inzwischen ist dieses Gesetz (AuslAnsprG) vom 13.12.2006 (BGBl. I S. 2915) allerdings nicht zeitgerecht erlassen worden. Dieses Gesetz enthält in Art. 1 Nr. 1 eine Neuregelung des § 1 Abs. 3 BKGG und in Art. 2 Nr. 2 eine Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG.

Die Anspruchsberechtigung von Ausländern bezüglich des Kindergeldes richtet sich somit seit dem 01.01.2006 nicht mehr nach § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1996 bzw. der geänderten Fassung aufgrund des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004, sondern nach § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13.12.2006 (BGBl. I 2006, 2915). In dieser Fassung ist § 62 Abs. 2 EStG auch in allen Fällen anzuwenden, in denen das Kindergeld - wie im Streitfall - noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist (§ 52 Abs. 61 Satz 2 EStG in der Fassung des Gesetzes vom 13.12.2006).

Die Beklagte meint, gemäß der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG erhalte ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer nur Kindergeld, wenn er (Nr. 2) eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt. Es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis (Nr. 2 c) sei - wie im vorliegenden Fall - nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetzes erteilt worden.

Laut § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG werde Kindergeld an Ausländer, die im Besitz einer in § 62 Abs. 2 Nr. 2 c EStG genannten Aufenthaltserlaubnis seien, nur dann gezahlt, wenn sie

a) sich seit mindestens 3 Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten würden und

b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig seien, den Bezug einer laufenden Geldleistung nach dem SGB III oder die Inanspruchnahme von Elternzeit nachweisen könnten.

Diese Voraussetzungen würde der Kl. nicht erfüllen.

Demgegenüber meint der Kl., § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des AuslAnsprG vom 13.12.2006 sei so zu lesen, dass ein Anspruch auf Kindergeld auch dann bestehe, wenn lediglich eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetzes erteilt worden sei. Die Ziffern 1., 2. und 3. des Absatzes 2 seien durch ein "oder" verbunden worden.

Die Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig (§ 142 Finanzgerichtsordnung -FGO- i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung -ZPO-). Es erscheint möglich, dass im Klageverfahren sich für den Kl. ein Anspruch auf Kindergeld ergeben könnte, und zwar unabhängig vom Vorliegen eines Anspruches auf Kindergeld gemäß § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des AuslAnsprG vom 13.12.2006 BGBl. I S. 2915. Es wird im Klageverfahren zu klären sein, ob der Kl. nicht bereits deshalb einen Anspruch auf Kindergeld hat, weil § 62 Abs. 2 EStG in einer Weise angewendet werden muss, wie sie dem § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG in der bis zum 31.12.1993 gültigen Fassung entspricht.

§ 62 Abs. 2 EStG ist ab dem 01.01.2005 durch Artikel 11 Nr. 17 Ziffer 2 des Zuwanderungsgesetzes 2004 vom 30.07.2004 BGBl. I 2004, 1950 neu gefasst worden. Die davor anzuwendende Fassung war wortgleich mit der Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG in der Fassung des 1. Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21.12.1993 (1. SKWPG, BGBl. I S. 2353).

Durch die Einführung der Kindergeldregelungen in das EStG mit Wirkung ab 01.01.1996 hat sich an dem Gesetzeszweck des BKGG nichts geändert, denn das Kindergeld ist nach wie vor dazu bestimmt, die wirtschaftliche Belastung, die Eltern durch die Sorge für ihre Kinder entsteht, teilweise auszugleichen (vgl. hierzu Beschluss des BVerfG vom 06.07.2004 a.a.O.).

Eine Neuregelung der vom BVerfG mit Beschluss vom 06.07.2004 a. a. O. als verfassungswidrig erkannten Vorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG in der Fassung des 1. SKWPG ist zwar durch Artikel 10 Nr. 5 des Zuwanderungsgesetzes 2004 vom 30.07.2004 ebenso wie die zeitgleich erfolgte Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG erfolgt. Diese Neuregelung hatte aber nicht den Zweck, dem Auftrag des BVerfG im Beschluss vom 06.07.2004 1 BvL 4/97 a. a. O. gerecht zu werden, anstelle des als verfassungswidrig angesehenen § 1 Abs. 3 BKGG in der Fassung des 1. SKWPG vom 21.12.1993 bis zum 01.01.2006 eine Neuregelung zu schaffen, die unter Berücksichtigung der Rechtsgrundsätze des BVerfG verfassungsgemäß ist. Dies lässt sich daraus ableiten, dass eine derartige Gesetzgebung bereits zeitlich nicht innerhalb eines Zeitraums vom 06.07.2004, an dem Tag ist der BVerfG-Beschluss ergangen, bis zum Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 möglich ist.

Da eine Neuregelung, die den Gründen im Beschluss des BVerfG vom 06.07.2004 gerecht werden sollte, demnach erst mit dem AuslAnsprG vom 13.12.2006 gewollt und geschaffen worden ist, ist dies wegen der Auslegung in Satz 2 des Beschlusses BVerfG vom 06.07.2004 zu spät gewesen. Denn danach hatte die Neuregelung bis zum 01.01.2006 zu erfolgen.

Dies hat grundsätzlich zur Folge, dass für den Kindergeldanspruch nach dem BKGG - und dies gilt entsprechend für die vor dem 01.01.2004 geltende Fassung des § 62 Abs. 2 EStG - die bis zum 31.12.1993 gültige Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG anzuwenden ist (vgl. hierzu Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 23.01.2006, 16 K 12/04, EFG 2006, 751 ).

Demnach haben Ausländern, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten, einen Anspruch nach dem BKGG a. F., wenn sie nach den §§ 51, 53 oder 54 des Ausländergesetzes auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können, frühestens jedoch für die Zeit nach einem gestatteten oder geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr. Weiteren Einschränkungen unterliegt der Kindergeldanspruch von Ausländern nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG damit nicht (vgl. Beschluss des BVerfG vom 06.07.2004, a. a. O. und Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 06.04.2006 IV 38/2006, EFG 2006, 1850).

Demnach hätte der Kl. für die Monate Januar 2005 bis Mai 2006 Anspruch auf Kindergeld, denn er hatte in diesen Monaten seinen Wohnsitz im Inland und befand sich nicht ohne Aufenthaltsgenehmigung in der Bundesrepublik Deutschland. Auch die Beklagte sieht den fortbestehenden Aufenthaltstitel gemäß § 81 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz, der dem Kl. mit der Nebenbestimmung gegeben worden ist "selbständige oder vergleichbar unselbständige Erwerbstätigkeit nicht gestattet", "unselbständige Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) gestattet" als einen mit § 25 Abs. 3 - 5 Aufenthaltsgesetzes vergleichbaren Aufenthaltstitel an (vgl. den Schriftsatz der Beklagten vom 30.01.2007).

Auf das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach §§ 51, 53 oder 54 des Ausländergesetzes auf unbestimmte Zeit kann es deshalb nicht ankommen, weil der - erlaubte - Aufenthalt nicht durch Abschiebung hätte beendet werden können.

Angesichts dieser Rechtslage dürfte es auch dahinstehen, ob sich zu Ungunsten des Kl. durch die vom Gesetzgeber verspätet getroffenen Regelungen in Art. 1 Nr. 1 und Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss (AuslAnsprG) vom 13.12.2006 (BGBl. I 2006, 2915) eine geänderte Rechtslage bei der Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG ergibt.

Es dürfte jedenfalls rechtlich nicht unproblematisch sein, ob eine Neuregelung, die der Gesetzgeber nicht bis zum Ablauf der vom BVerfG gesetzten Frist (01.01.2006) als eine der Verfassung entsprechende Neuregelung getroffen hat, sondern die er mit dem AuslAnsprG vom 13.12.2006 lediglich rückwirkend zum 01.01.2006 in Kraft gesetzt hat, und die er nach Artikel 2 Nr. 1 dieses Gesetzes auch in den Fällen anwenden will, in denen das Kindergeld - wie im Streitfall - noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, auch dann anzuwenden ist, wenn sie sich gegenüber der vom BVerfG getroffenen Regelung für den Kindergeldberechtigten im konkreten Fall als nachteilig darstellt. Denn dies wäre im vorliegenden Fall, in dem auch die Beklagte der Auffassung ist, dass der Kl. eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 - 5 Aufenthaltsgesetzes besitzt, der Fall. Nach der von der Bekl. gewählten Auslegung des Gesetzes hätte der Kl. nämlich bereits nach der Regelung in § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG in der jetzt geltenden Fassung deshalb keinen Anspruch auf Kindergeld im Zeitraum von Januar 2005 - Mai 2006, weil er in diesem Zeitraum nicht erwerbstätig war (für den Zeitraum von Juni 2006 - August 2006 hat die Bekl. Kindergeld gewährt, weil der Kl. in diesem Zeitraum gearbeitet hatte). Auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit dürfte es nach der Regelung, die das BVerfG in Satz 2 seines Beschlusses vom 06.07.2004 in Kraft gesetzt hat, jedoch nicht ankommen (vgl. oben).

Im Übrigen sind u. a. wegen der auch im vorliegenden Fall zu klärenden Streitfragen viele Revisionsverfahren beim BFH anhängig (vgl. u. a. BFH-Beschluss vom 23.02.2006 III R 67/98, BStBl. II 2006, 465).

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Ende der Entscheidung

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