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Gericht: Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 30.08.2007
Aktenzeichen: 2 K 107/05
Rechtsgebiete: UStG, AO


Vorschriften:

UStG § 14 Abs. 2 S. 2
AO § 174 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern

2 K 107/05

Umsatzsteuer 1994

In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 2. Senat,

aufgrund der mündlichen Verhandlung am 30. Augsut 2007

unter Mitwirkung

xxx

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 22.380,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), bestehend aus ihren Gesellschafterinnen K und R. Beide Gesellschafterinnen waren bis Ende November 1994 bei der ...-GmbH, einer Wirtschafts- und Steuerberatungsgesellschaft, in deren Buchführungsbüro in P angestellt und verrichteten dort Buchführungsarbeiten.

Im November 1994 verkaufte die ...-GmbH ihr P Buchführungsbüro (sämtliche Buchführungsmandate sowie das gesamte Büroinventar) mit Wirkung zum 01.12.1994 und erteilte hierüber unter dem 01.12.1994 Rechnungen mit dem Ausweis von Umsatzsteuer sowohl an die Klägerin als auch an deren Gesellschafterin K, nachdem der Kaufvertrag ursprünglich nur mit K geschlossen worden war, später aber (im Dezember 1994) von der Klägerin "übernommen" worden war.

Das beklagte Finanzamt (FA) berücksichtigte die von der ...-GmbH in Rechnung gestellte Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 43.770 DM bei der Klägerin als abziehbare Vorsteuer, zuletzt im Bescheid für 1994 über Umsatzsteuer vom 14.07.1997.

Im März 1997 berichtigte die ...-GmbH die auf K ausgestellten Rechnungen, die nunmehr ohne Ausweis von Umsatzsteuer lauteten. Dabei ging die ...-GmbH - ebenso wie das für sie zuständige FA M - davon aus, dass es sich bei dem Verkauf des P Buchführungsbüros um eine nicht steuerbare Teilgeschäftsveräußerung handelte. Die von der ...-GmbH an das FA M abgeführte Umsatzsteuer wurde dieser zurückerstattet.

Nachdem das für die Klägerin zuständige FA aufgrund der Kontrollmitteilung des FA M von den Rechnungsberichtigungen erfahren hatte, forderte es von der Klägerin mit Bescheid 1997 über Umsatzsteuer vom 03.07.1997 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 05.06.2000 die Vorsteuer aus der Geschäftsveräußerung im Jahre 1994 in Höhe von 43.770 DM unter Hinweis auf § 17 UStG und die im März 1997 erfolgte Rechnungskorrektur seitens der ...-GmbH zurück. Die dagegen unter dem Aktenzeichen 2 K 443/00 beim Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern erhobene Klage hatte Erfolg. Mit rechtskräftigem Urteil vom 30.09.2004 hob der erkennende Senat den Bescheid 1997 über Umsatzsteuer vom 03.07.1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.06.2000 auf.

Daraufhin änderte der Beklagte mit Bescheid für 1994 über Umsatzsteuer vom 11.01.2005 den Umsatzsteuerjahresbescheid für 1994 "nach § 174 AO" und berücksichtigte die Vorsteuer aus den Rechnungen vom 01.12.1994 nicht mehr. In den Erläuterungen führte er aus, dass mit diesem Bescheid "die steuerlichen Folgerungen aus dem Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 30.09.2004 im Verfahren 2 K 443/00 gezogen" worden seien.

Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 25.02.2005 unter Hinweis auf die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO als unbegründet zurückwies.

Mit der rechtzeitig eingegangenen Klage macht die Klägerin geltend, die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO lägen nicht vor. Den Änderungen des Umsatzsteuerbescheides 1997 und der hier streitigen Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1994 lägen zwei völlig verschiedene Lebenssachverhalte zugrunde. Die - vom Finanzgericht aufgehobene - Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1997 sei nach § 17 UStG aufgrund der Berichtigung der Rechnungen im März 1997 erfolgt. Dagegen beruhe die nunmehr für 1994 vorgenommene Änderung nicht auf § 17 UStG, sondern darauf, dass wegen § 1 Abs. 1a UStG die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG für einen Vorsteuerabzug schon im Jahre 1994 nicht vorgelegen hätten. Außerdem sei Festsetzungsverjährung eingetreten.

Die Klägerin beantragt,

den geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1994 vom 11.01.2005 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 25.02.2005 zu ändern und die Umsatzsteuer für 1994 um 22.379,25 EUR (43.770,00 DM) niedriger festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung beruft er sich auf die Gründe der Einspruchsentscheidung und führt vertiefend aus, der Lebenssachverhalt, um den es hier gehe, sei die zu Unrecht gewährte Vorsteuer für den Erwerb des Buchführungsbüros durch die Klägerin im Jahre 1994. Dieser Sachverhalt habe sowohl dem vom Finanzgericht aufgehobenen Bescheid für 1997 als auch dem geänderten Bescheid für 1994 zugrunde gelegen.

Dem Senat haben vorgelegen: die Streitakten 2 K 443/00, eine die Klägerin betreffende Umsatzsteuerakte des FA und ein die ...-GmbH betreffendes "Fallheft" des FA M.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Voraussetzungen für eine Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1994 nach § 174 Abs. 4 AO liegen vor.

Danach können, wenn aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen aus dem Sachverhalt gezogen werden. Dies gilt nach Satz 2 dieser Vorschrift auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird. Nach Satz 3 der Vorschrift ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung und Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides gezogen werden.

1. Der Bescheid für 1997 über Umsatzsteuer vom 03.07.1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.06.2000 beruhte auf einer (rechtlich) irrigen Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts.

In dem Umsatzsteuerbescheid für 1997 vom 03.07.1997 forderte der Beklagte die im Umsatzsteuerbescheid für 1994 berücksichtigte Vorsteuer aus dem Verkauf des Buchführungsbüros der ...-GmbH an die Klägerin zurück. Dabei ging er davon aus, dass es sich bei dem Verkauf des Buchführungsbüros an die Klägerin im Jahre 1994 um eine nach § 1 Abs. 1a UStG 1993 nicht steuerbare Geschäftsveräußerung handelte und die insoweit berücksichtigte Vorsteuer erst im Jahr der Rechnungsberichtigung - hier also erst mit Wirkung für 1997 - nach § 14 Abs. 2 UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG berichtigt und zurückgefordert werden könne.

Dies war rechtsirrig. Wie zwischen den Beteiligten inzwischen unstreitig ist, fehlten von Anfang an die gesetzlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG i.V.m. § 14 Abs. 1 UStG schon im Jahre 1994. Die Vorsteuer aus der Geschäftsveräußerung hätte mithin von Anfang an nicht abgezogen werden dürfen; ein dennoch sie berücksichtigender Umsatzsteuerbescheid für 1994 hätte unter Anwendung des § 164 Abs. 2 AO bzw. der Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO geändert werden müssen. Dagegen gab es keine Rechtsgrundlage für eine Berichtigung des von Anfang an rechtswidrigen Vorsteuerabzugs mit Wirkung erst für 1997. Insbesondere war die vom Beklagten seinerzeit herangezogene Rechtsgrundlage für eine Berichtigung nach § 14 Abs. 2 UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG nicht einschlägig.

§ 14 Abs. 2 Satz 2 UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG regelte die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Aussteller einer unrichtigen Rechnung i. S. des § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG (hier also die ...-GmbH) seine Haftung bzw. Umsatzsteuerschuld nach § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG nachträglich im Wege der Rechnungsberichtigung zum Wegfall bringen konnte. Dies konnte in der Tat erst geschehen, wenn und soweit ordnungsgemäß berichtigte Rechnungen vorlagen (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG). Darum ging es aber nicht in dem an die Klägerin gerichteten Bescheid für 1997 über Umsatzsteuer. Dort ging es nicht um die Haftung bzw. Umsatzsteuerschuld des Leistenden (der ...-GmbH), sondern um den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers der diesem für das Jahr 1994 gewährt worden war. Für den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers ist entscheidend, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach § 15 i.V.m. § 14 Abs. 1 UStG im Jahr 1994 vorgelegen haben. Es ist zwischen den Beteiligten inzwischen unumstritten, dass es an einem steuerbaren Leistungsaustausch (Ausführung steuerpflichtiger Lieferungen oder sonstiger Leistungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 3 UStG, vgl. Wortlaut des § 14 Abs. 1 UStG) fehlte, so dass der Klägerin von Anfang an schon aus diesem Grunde kein Vorsteuerabzug aus der Geschäftsveräußerung zustand. Unerheblich ist dagegen, ob und wann der Leistende die unrichtigerweise mit Umsatzsteuerausweis ausgestellten Rechnungen nach § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 17 UStG berichtigt oder nicht. Selbst eine ordnungsgemäße Berichtigung ändert nichts an der von Anfang an fehlenden Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin.

2. Der rechtlich fehlerhafte Umsatzsteuerbescheid 1997 vom 03.07.1997 wurde auf die Klage der Klägerin im Verfahren 2 K 443/00 durch rechtskräftiges Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 30.09.2004 antragsgemäß aufgehoben.

3. Der Beklagte hat in dem hier angefochtenen Umsatzsteuerbescheid für 1994 vom 11.01.2005 die richtigen steuerliche Folgerungen aus dem rechtsirrig beurteilten bestimmten Sachverhalt gezogen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin lagen sowohl dem rechtskräftig aufgehobenen Umsatzsteuerbescheid für 1997 vom 03.07.1997 als auch dem nunmehr hier streitbefangenen Umsatzsteuerbescheid für 1994 vom 11.01.2005 ein und derselbe Sachverhalt i. S. des § 174 Abs. 4 AO zugrunde.

Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. hierzu die Nachweise in Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 174 Rdn. 51 ff.; vgl. hierzu neuestens auch FG Köln, Urteil vom 20.03.2007 - 15 K 1487/03, EFG 2007, 1221 mit Anmerkung) ist Sachverhalt i. S. des § 174 Abs. 4 AO weit zu verstehen im Sinne eines einheitlichen Lebensvorganges. Liegt den beiden Bescheiden derselbe steuererhebliche Lebensvorgang oder Sachverhaltskomplex zugrunde, so reicht dies für eine Änderung nach dieser Korrekturvorschrift aus. Eine vollständige Identität des maßgeblichen Sachverhalts, der dem geänderten Bescheid zugrunde lag, mit dem maßgeblichen Sachverhalt des zu ändernden Bescheides ist nicht erforderlich. Unerheblich ist auch, ob der Fehler bei der Beurteilung des Sachverhalts im Tatsächlichen oder im Rechtlichen lag.

Der Lebenssachverhalt, der sowohl dem rechtskräftig aufgehobenen Umsatzsteuerbescheid 1997 als auch dem nunmehr zu ändernden Umsatzsteuerbescheid 1994 zugrunde lag, war der Erwerb des Buchführungsbüros durch die Klägerin von der ...-GmbH. Strittig waren allein die umsatzsteuerlichen Folgerungen aus diesem bestimmten Sachverhalt, nämlich die Frage, ob die fehlende Umsatzsteuerbarkeit dieses Leistungsaustausches erst nach Vorlage einer ordnungsgemäß berichtigten Rechnung durch die leistende ...-GmbH oder schon früher zu berücksichtigen war.

In Bezug auf diesen bestimmten Lebenssachverhalt hat das Finanzamt nunmehr gegenüber der Klägerin die richtigen rechtlichen Folgerungen gezogen. Denn, wie bereits oben ausgeführt, rechtlich zutreffend ist die Beurteilung dieses Lebenssachverhalts allein nach Maßgabe des § 15 i.V.m. § 14 Abs. 1 UStG, woraus sich auch entnehmen lässt, für welches Jahr der seinerzeit von der Klägerin geltend gemachte Vorsteuerabzug wegen von Anfang an fehlender gesetzlicher Voraussetzungen zu korrigieren war.

4. Das Finanzamt hat in seinem hier angefochtenen Bescheid vom 11.01.2005 die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung des fehlerhaften Umsatzsteuerbescheides 1997 durch Gerichtsurteil vom 30.09.2004 gezogen (§ 174 Abs. 4 Satz 3 AO).

5. Nach dem Wortlaut des § 174 Abs. 4 AO liegt es im Ermessen der Behörde, ob sie von der Korrekturmöglichkeit Gebrauch macht oder nicht. Es entspricht aber der herrschenden Meinung, dass - ebenso wie im Falle des § 174 Abs. 3 AO - der Finanzbehörde ein Ermessen nicht eingeräumt ist, sondern dass hier nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung eine Korrekturpflicht der Finanzbehörde besteht (Nachweise bei Klein/Rüsken, AO, § 174 Rdn. 63 i.V.m. Rdn. 47)

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen. Gründe i. S. des § 115 Abs. 2, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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