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Gericht: Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 25.08.2005
Aktenzeichen: 2 K 510/03
Rechtsgebiete: AO 1977, BGB


Vorschriften:

BGB § 133
AO 1977 § 355 Abs. 1
AO 1977 § 357 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Urteil

Im Namen des Volkes

In der Rechtssache

hat das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 2. Senat, aufgrund der mündlichen Verhandlung am25. August 2005 unter Mitwirkung ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert beträgt 13.089,00 Euro.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 1998.

Der Kläger betrieb vor seiner Übersiedlung nach G einen Imbiss in H.

Seit dem Veranlagungszeitraum 1991 wurde er vom Finanzamt H zur Umsatzsteuer veranlagt.

Bis zum Streitjahr wurde die Umsatzsteuer im Wesentlichen erklärungsgemäß wie folgt festgesetzt:

 1991Umsatzsteuer16.663,78 DM
 Vorsteuer8.981,49 DM
 Umsatzsteuer7.682,29 DM
1992Umsatzsteuer15.464,47 DM
 Vorsteuer7.955,06 DM
 Umsatzsteuer ./.7.509,41 DM
1993Umsatzsteuer18.636,45 DM
 Vorsteuer12.271,07 DM
 Umsatzsteuer6.365,38 DM
1994Umsatzsteuer34.381,38 DM
 Vorsteuer19.684,43 DM
 Umsatzsteuer14.696,95 DM
1995Umsatzsteuer50.189,77 DM
 Vorsteuer34.747,91 DM
 Umsatzsteuer15.441,86 DM
1996Umsatzsteuer45.569,86 DM
 Vorsteuer23.942,92 DM
 Umsatzsteuer21.626,94 DM
1997Umsatzsteuer24.577,68 DM
 Vorsteuer11.550,60 DM
 Umsatzsteuer13.027,08 DM

Im Streitjahr 1998 gab der Kläger quartalsweise folgende Umsatzsteuervoranmeldungen ab:

 I/98 (berichtigte Erkl. v.4. September 1998) 
 Umsatzsteuer4.830,22 DM
 Vorsteuer13.410,36 DM
 Umsatzsteuer ./.8.580,14 DM
II/98 (berichtigte Erkl. v.4. September 1998) 
 Umsatzsteuer4.325,00 DM
 Vorsteuer38.769,27 DM
III/98 (Erstanmeldung13. November 1998) 
 Umsatzsteuer4.242,82 DM
 Vorsteuer34.659,05 DM
 Umsatzsteuer ./.30.416,23 DM
IV/98 (Erstanmeldung15. Januar 1999) 
 Umsatzsteuer4.660,21 DM
 Vorsteuer41.359,93 DM
 Umsatzsteuer ./.43.369,50 DM
 (Rechenfehler: ./.36.699,72 DM)

Die in Abzug gebrachten Vorsteuern betrafen im Wesentlichen Baumaßnahmen in Räumen eines Gebäudes in der ...straße in G.

Mit Verfügung vom 9. März 1999 ordnete das Finanzamt H eine Umsatzsteuersonderprüfung, beschränkt auf die Vorsteuer, für den Prüfungszeitraum I.-IV. Quartal 1998 an. Die Prüfung fand vom 10. März 1999 bis zum 30. März 2000 statt.

Dabei kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass ein Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Firma P (Baumaßnahmen in G) nicht möglich sei, weil der Kläger dessen Unternehmereigenschaft nicht nachgewiesen habe.

Die Vorsteuern nach BP betrugen 18.690,29 DM (I.-III. Quartal 1998). Der Bericht über die Umsatzsteuersonderprüfung datiert vom 7. August 2000. Ob und wann dieser Bericht der Veranlagungsdienststelle zugeleitet wurde, ist den Akten nicht zu entnehmen. In einem Aktenvermerk vom 7. April 1999 (Bl. 17 BP-Akte) hatte die Prüferin Vorsteuern nach BP in Höhe von 17.696,51 DM festgestellt. Dieser Vermerk dürfte ausweislich der Aktenverfügung vom 17. April 1999 (Bl. 16 BP-Akte) dem Veranlagungsbezirk zugeleitet worden sein.

Bis zum Abschluss der Umsatzsteuersonderprüfung hatte der Kläger eine Umsatzsteuerjahreserklärung nicht abgegeben.

Am 19. April 2000 erließ das Finanzamt H einen Bescheid für 1998 über Umsatzsteuer, in dem die Umsatzsteuer auf 25.600,00 DM festgesetzt wurde. Die Festsetzung erfolgte endgültig (ohne Vorbehalt der Nachprüfung). Der Steuerfestsetzung wurden Besteuerungsgrundlagen im Schätzungswege wie folgt zugrundegelegt:

 Umsätze7%140.000,00 DMUSt9.800,00 DM
Umsätze15%90.000,00 DMUSt13.500,00 DM
Entnahme15%10.000,00 DMUSt1.500,00 DM
Entnahme15%6.000,00 DMUSt900,00 DM
Vorsteuer  ./.100,00 DM
   USt25.600,00 DM

Der Bescheid wurde dem Kläger persönlich bekannt gegeben.

Auf der ersten Seite, der Aktenausfertigung des Bescheides vorgeheftet (Bl. 1 USt-Akte), befindet sich ein Ausdruck der im Bescheid verarbeiteten Umsatzzahlen. Die Vorsteuerbeträge sind hierin mit 10.000,00 DM angegeben. Auf dem Ausdruck ist der handschriftliche Zusatz "Zahlen wie 1997 angesetzt" angebracht.

Am 12. April 2000 ging bei dem Beklagten ein Schreiben der B-Unternehmensberatung ein, das überschrieben ist mit der Steuernummer des Beklagten und dem Text:

 "Abgabe derUmsatzsteuererklärung1998/1999
 Gewerbesteuererklärung1998/1999"

In dem Schreiben heißt es weiter:

"...mit diesem Schreiben zeigen wir Ihnen an, daß wir das Mandat übernommen haben. Da derzeit das Herausgabeverfahren zur Herausgabe der Steuerunterlagen bei dem Steuerberater G B in H vorliegt und dieser offenbar die Erklärungen für 1998 nicht zeitgerecht vorgelegt hat, beantragen wir zunächst eine weitere Fristverlängerung bis zum 31.05.00 zur Abgabe dieser Erklärungen..."

An das Finanzamt H richtete die B-Unternehmensberatung unter dem 3. Mai 2000 ein mit der Steuernummer des H Finanzamtes und dem Zusatz "Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1998" überschriebenes Schreiben mit folgendem Inhalt:

"... mit Bescheid vom 19. April 00 wurde die Umsatzsteuer festgesetzt. Dieser Bescheid beruht auf der Grundlage einer Schätzung zzgl. Unsicherheitszuschlag, weil der vorherige Steuerberater eine "vorläufige Bilanz" abgegeben hat.

Wie bereits mit unserem Schreiben vom 12.04.00 mitgeteilt wurde, ist das Mandat an uns übergeben worden.

Im Zuge dessen wurde gleichzeitig der Rechtsanwalt A R... damit beauftragt, die Akten von Prof. B herauszufordern und diesen auf Leistung von Schadensersatz zu verklagen. Sollte dieser Auskünfte und Akteneinsicht über die steuerlichen Angelegenheiten unseres Mandanten begehren, so ist diesem uneingeschränkte Auskunft zu erteilen und Akteneinsicht zu gewähren.

Für die ergangenen Bescheide beantragen wir die Aussetzung der Vollziehung bis zum 31.05.2000. Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie unserem Antrag diesbezüglich folgen würden."

Am 7. Juni 2000 ging bei dem Beklagten ein Schreiben ein, dass mit "Abgabe der Umsatzsteuererklärung 1998" überschrieben war. In dem Schreiben wird der Beklagte gebeten, dem Kläger zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 1998 "eine letztmalige Frist unter A.d.V. bis zum 30.06.2000" einzuräumen.

Ein gleichlautendes Schreiben ging am 6. Juni 2000 beim Finanzamt H ein.

Am 18. Oktober 2000 reichte der Kläger beim Finanzamt H die Umsatzsteuererklärung 1998 ein. Diese ging dem Beklagten am 3. November 2000 zu. Dabei errechnete er einen Erstattungsanspruch in Höhe von 6.149,83 DM wie folgt:

 Umsätze16%49.267,00 DMUSt7.882,72 DM
Umsätze15%18.896,00 DMUSt2.834,40 DM
Umsätze7%105.683,00 DMUSt7.397,81 DM
Vorsteuer  ./.11.965,10 DM
   USt ./.6.149,83 DM

Mit Bescheid vom 8. Dezember 2000 lehnte der Beklagte die Veranlagung zur Umsatzsteuer ab, weil der Bescheid vom 19. April 2000 bestandskräftig geworden sei. Der Bescheid war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Bekanntgabeadressat war die B GmbH in H. Hiergegen hat der Kläger keinen Einspruch eingelegt.

Am 11. September 2001 teilte die Steuerberaterin B dem Beklagten nach einem Telefonat mit, dass ein "Schreiben vom 4. Dezember 2000 über die Zurückweisung der Umsatzsteuererklärung" ihr nicht zugegangen sei und sie nur Kenntnis über einen Einspruch vom 3. Mai 2000 habe. Im Übrigen wendet sie sich gegen die unverhältnismäßig hohe Umsatzsteuerzahllast.

Hinter diesem Schreiben abgeheftet befindet sich ein Originalschreiben (vgl. Unterschrift) der B-Unternehmensberatung, mit dem gegen den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1998 Einspruch eingelegt und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bis zum Eingang der Steuererklärung gestellt wurde. Dem Schreiben nachgeheftet ist der Auszug eines elektronisch geführten Postausgangsbuches (wessen?), in dem sich unter dem 3. Mai 2000 unter anderem die Eintragung "A. Imbiss ... USt-Besch.f.1998" findet.

Am 11. April 2002 reichte der Kläger eine berichtigte Umsatzsteuererklärung für 1998 ein, mit der bei gleichbleibenden Umsätzen nunmehr Vorsteuern in Höhe von insgesamt 107.494,26 DM geltend gemachten wurden. Die errechnete Umsatzsteuer beträgt danach ./. 89.279,00 DM.

Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 20. August 2003 verwarf der Beklagte den Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid 1998 vom 3. Mai 2000 als unzulässig.

Mit seiner am 2. September 2003 erhobenen Klage macht der Kläger zum einen die Rechtzeitigkeit des Einspruchs geltend, hilfsweise beruft er sich auf die Nichtigkeit des angefochtenen Bescheides.

Er habe bereits mit Schreiben vom 3. Mai 2000, das im Finanzamt H am selben Tag einging, Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid 1998 eingelegt. In diesem Schreiben werde darauf hingewiesen, dass der Bescheid auf einer Schätzung beruhe. Außerdem habe er die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Ein solcher Antrag mache keinen Sinn, wenn nicht auch gleichzeitig der auszusetzende Bescheid angefochten werde.

Die Nichtigkeit beruhe insbesondere darauf, dass dem Veranlagungsbezirk zum Zeitpunkt der Schätzung die Vorsteueranmeldungen des Klägers und die Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung vorgelegen haben dürften. Dass die abzugsfähige Vorsteuer nur mit 100,00 DM berücksichtigt worden sei, könne nur als Akt der Willkür gewertet werden.

Im Übrigen sei die Umsatzsteuer 1998 wie von ihm erklärt festzusetzen.

Der Kläger beantragt,

die Einspruchsentscheidung vom 20. August 2003

aufzuheben, hilfsweise,

den Umsatzsteuerbescheid 1998 vom 19. April 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. August 2003 wegen Nichtigkeit aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der angefochtene Bescheid sei wirksam und bestandskräftig geworden und auch nicht nichtig.

Die Ermittlung der Besteuerungrundlagen sei unter Berücksichtigung der Umsatzsteuervoranmeldungen 1998 und der Umsatzsteuererklärung 1997 erfolgt. Hierbei sei die bereits in 1999 erfolgte Umsatzsteuer-Sonderprüfung zu beachten, die unter anderem zu einer Vorsteuerkürzung für 1998 in Höhe von 97.573,79 DM geführt habe. Die im Schätzungswege ermittelten Besteuerungsgrundlagen würden auch annähernd der am 18. Oktober 2000 im Finanzamt H eingegangenen Umsatzsteuererklärung entsprechen. Grobe Schätzungsfehler würden danach nicht vorliegen. Hinsichtlich des im Schätzungsbescheid ausgewiesenen Vorsteuerbetrages in Höhe von 100,00 DM werde von einem Erfassungsfehler ausgegangen, da der eigentlich geschätzte Vorsteuerbetrag 10.000,00 DM betragen habe. Die Bearbeiterin habe offensichtlich die nur beim Vorsteuerbetrag notwendigen Kommastellen nicht erfasst.

Er werde daher den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid insoweit nach § 129 AO berichtigen.

Dem Gericht lagen 3 Bände Umsatzsteuerakten und je ein Band Feststellungs- Gewerbesteuer- Betriebsprüfungs- und Bilanz-, Gewinn- und Verlustrechnungsakten des Beklagten vor.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Umsatzsteuerbescheid vom 19. April 2000 ist bestandskräftig und nicht nichtig.

1.

Der Umsatzsteuerbescheid vom 19. April 2000 ist bestandskräftig, weil hiergegen rechtzeitig Einspruch nicht eingelegt wurde. Der Beklagte hat den Einspruch zu Recht mit der angefochtenen Einspruchsentscheidung als unzulässig zurückgewiesen.

Bei dem für den Steuerfall zunächst zuständig gewesenen Finanzamt H ist ein als Einspruch anzusehendes Schreiben der B GmbH erst mit Schriftsatz der Steuerberaterin B am 11. September 2001, und somit verspätet, eingegangen.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Einspruchsfrist kommt im Streitfall nicht in Betracht.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (§ 110 Abs. 1 Abgabenordnung - AO). Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 110 Abs. 2 AO).

Im Streitfall dürfte es ausweislich des Akteninhalts bereits an einem rechtzeitigen Antrag auf Wiedereinsetzung fehlen. Der Beklagte hatte dem Kläger bereits mit Schreiben vom 8. Dezember 2000 mitgeteilt, dass der Umsatzsteuerbescheid 1998 mangels Einspruches bestandskräftig geworden sei. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Kläger jedoch erst mit Schriftsatz der Steuerberaterin B vom 11. September 2001 gestellt. Diesem Schreiben fehlte zudem die schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen. Zwar war dem Schreiben eine Kopie des elektronisch geführten Postausgangsbuches des damaligen steuerlichen Vertreters des Klägers beigefügt. Es fehlte aber unter anderem an einer lückenlosen Darstellung, welche Person zu welcher Zeit (Uhrzeit), in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Briefkasten, den Hausbriefkasten des Finanzamtes oder Abgabe bei einem bestimmten Postamt) den Brief, in dem sich das Einspruchsschreiben befunden hat, aufgegeben hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. März 1995 VIII B 62/94, BFH/NV 1995, 1069; vom 19. Juni 1996 I R 13/96, BFH/NV 1997, 120; vom 26. November 1993 VIII R 53/93, BFH/NV 1994, 644, und vom 5. November 1998 I R 90/97, BFH/NV 1999, 512, 513). Schließlich kann der zur Glaubhaftmachung des rechtzeitigen Abgangs vorgelegten Kopie des elektronisch geführten Postausgangsbuches nicht eindeutig entnommen werden, was für ein Schriftstück am 3. Mai 2000 zur Post gegangen ist. In der Betreffspalte findet sich lediglich die Bezeichnung "USt-Besch. f. 1998". Ob es sich hierbei - wie von dem Kläger behauptet - um das Einspruchsschreiben oder um ein weiteres an diesem Tag in dieser Sache unstreitig aufgegebenes Schreiben gehandelt hat, ist aus der Eintragung nicht nachvollziehbar.

Das bei dem Finanzamt H am 3. Mai 2000 eingegangene Schreiben der B-Unternehmensberatung kann - auch nicht im Auslegungswege - als Einspruchsschreiben angesehen werden.

Außerprozessuale Verfahrenserklärungen sind entsprechend § 133 BGB auszulegen. Dies gilt auch für Erklärungen rechtskundiger Personen. Entscheidend ist, wie das Finanzamt als Erklärungsempfänger den objektiven Erklärungswert des Schreibens verstehen musste (vgl. auch BFH-Urteil vom 28. Januar 1988 IV R 12/86, BFHE 152, 476, BStBl. II 1988, 530). Dabei ist nach der ständigen Rechtsprechung bei auslegungsfähigen Rechtsbehelfen grundsätzlich davon auszugehen, der Steuerpflichtige habe denjenigen Rechtsbehelf einlegen wollen, der seinem materiell-rechtlichen Begehren am ehesten zum Erfolg verhilft (vgl. BFH-Urteil vom 31. Oktober 2000 VIII R 47/98, BFH/NV 2001, 589; BFH-Beschluss vom 1. Juli 2003 IX B 208/02, BFH/NV 2003, 1534). Die unrichtige Bezeichnung des Einspruchs allein schadet nach § 357 Abs. 1 Satz 4 AO 1977 nicht (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 8. Dezember 2003 X R 15/02, juris-Dokument STRE 200351611). Lässt deshalb die Äußerung eines Steuerpflichtigen ungewiss, ob er ein Rechtsmittel einlegen will, so ist im Allgemeinen die Erklärung als Rechtsmittel zu betrachten, um zugunsten des Steuerpflichtigen den Eintritt der Rechtskraft aufzuhalten (so BFH-Urteil vom 27. Februar 2003 V R 87/01, BFHE 201, 416, BStBl II 2003, 505).

Im Streitfall musste das Finanzamt H das dort eingegangene Schreiben vom 3. Mai 2000 auch unter Zugrundelegung der obigen Grundsätze nicht als Einspruch ansehen.

Zwar weist die damalige Bevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass der Bescheid auf einer "Schätzung zzgl. Unsicherheitszuschlag" beruhe, "weil der vorherige Steuerberater eine 'vorläufige Bilanz' abgegeben habe". Ob die Steuerfestsetzung insoweit rechtswidrig ist und daher angegriffen werden soll, kann dem Schreiben nicht entnommen werden. Materielle Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung werden nicht erhoben.

Im Mittelpunkt des Schreibens steht vielmehr die Mitteilung an den Beklagten, dass nunmehr ein Rechtsanwalt damit beauftragt worden sei, die Unterlagen von dem vormaligen Steuerberater herauszuverlangen, um einen gegen diesen gerichteten Schadensersatzprozess vorzubereiten. In diesem Zusammenhang steht die Bitte an den Beklagten, dem beauftragten Anwalt uneingeschränkt Auskunft und Akteneinsicht zu gewähren. Der Beklagte wird insoweit von der Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses befreit. Dass es sich bei dem in dem Schreiben enthaltenen Antrag tatsächlich um einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des streitigen Bescheides gehandelt haben sollte, dürfte ebenfalls zweifelhaft sein. Dagegen spricht die Befristung zunächst bis zum 31. Mai 2000, später bis zum 30. Juni 2000, die eine Auslegung dieses Antrages auch als schlichten Fristverlängerungsantrag zulässt.

Ein Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides kann dem Schreiben nach alledem auch im Auslegungswege nicht entnommen werden.

2.

Der Umsatzsteuerbescheid 1998 ist nicht objektiv willkürlich ergangen und damit nicht nichtig.

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. Urteil vom 15. Mai 2002 X R 34/99 - JURIS - und Beschluss vom 16. Mai 2003 II B 50/02, BFH/NV 2003, 1150), der sich der Senat anschließt, ist ein Schätzungsbescheid willkürlich und damit nichtig i.S. von § 125 Abs. 1 AO 1977 nicht nur bei subjektiver Willkür des handelnden Bediensteten. Auch wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden, wenn somit ein "objektiv willkürlicher" Hoheitsakt vorliegt, ist Nichtigkeit i.S. von § 125 Abs. 1 AO gegeben. Es ist dann davon auszugehen, dass die Schätzung nicht mehr mit der Rechtsordnung und den diese Ordnung tragenden Prinzipien in Einklang steht, da das Finanzamt grundsätzlich gehalten ist, diejenigen Erkenntnismittel, deren Beschaffung und Verwertung ihm zumutbar und möglich gewesen wäre, auszuschöpfen (BFH-Urteil in BFHE 194, 1, BStBl. II 2001, 381). Selbst wenn derartige Erkenntnismöglichkeiten und auch andere geeignete Anhaltspunkte für die Schätzung fehlen, muss es Ziel der Schätzung sein, die Besteuerungsgrundlagen annähernd zutreffend zu ermitteln. Die Schätzung darf nicht dazu verwendet werden, "die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Kläger zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten" (BFH in BFHE 194, 1, BStBl. II 2001, 381); "Strafschätzungen" eher enteignungsgleichen Charakters gilt es zu vermeiden.

Im Streitfall sind dem Finanzamt H grobe und auch i.S. von § 125 Abs. 1 AO 1977 offenkundige Schätzungsfehler nicht unterlaufen.

Indiz für einen solchen Schätzungsfehler ist allein der Umstand, dass in dem streitigen Umsatzsteuerbescheid lediglich Vorsteuern in Höhe von 100,00 DM in Abzug gebracht wurden, obwohl der Veranlagungsdiensstelle eine Mitteilung der Umsatzsteuersonderprüferin vorgelegen haben musste, wonach unstreitige Vorsteuerbeträge in Höhe von 17.000,00 DM festgestellt worden waren. Das Gericht folgt jedoch insoweit dem Vorbringen des Beklagten, dass es sich bei der Eingabe eines Vorsteuerbetrages von 100,00 DM um einen Eingabefehler gehandelt habe und der in Ansatz zu bringende Vorsteuerbetrag 10.000,00 DM betragen habe. Das folgt auch aus dem dem Schätzungsbescheid vorgehefteten Vermerk über die Schätzungsgrundlagen. Danach sollten Vorsteuerbeträge in Höhe von 10.000,00 DM berücksichtigt werden.

Die unter Berücksichtigung von Vorsteuerbeträgen von 10.000,00 DM errechnete Umsatzsteuer beträgt 15.700,00 DM und weicht nicht wesentlich von den Festsetzungen der Vorjahre, die das Finanzamt im übrigen seiner Schätzung zugrunde gelegt hat, ab. Die Berücksichtigung eines Vorsteuerbetrages von 10.000,00 DM steht weder in krassen Widerspruch zu den Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung noch zu der von dem Kläger am 18. Oktober 2000 eingereichten Umsatzsteuererklärung (Vorsteuern: 11.965,10 DM).

Weitere Nichtigkeitsgründe sind nicht ersichtlich.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Kostenentscheidung ist unanfechtbar (§ 128 Abs. 4 FGO). Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen den § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Den Streitwert hat das Gericht gem. §§ 13, 25 Gerichtkostengesetz a. F. festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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