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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 17.04.2008
Aktenzeichen: 10 K 1362/07
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 31 S. 3
AO § 37 Abs. 2 S. 1
AO § 37 Abs. 2 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 1362/07

Kindergeld (Erstattungsbescheid vom 21.02.2006)

In der Streitsache

...

hat das Finanzgericht München, 10. Senat,

durch

als Einzelrichter

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. April 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Rückforderungsbescheid vom 21. Februar 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06. März 2007 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe:

I. Die Beklagte (die Familienkasse --FK--) gewährte O bis einschließlich Januar 2005 Kindergeld für zwei Kinder. Das Kindergeld wurde auf ein von O bei der Klägerin (Klin) geführtes Konto (...) überwiesen. Am 02. September 2004 verstarb O. Die Klin überwies das Kindergeld für Dezember 2004 und Januar 2005 und einen weiteren Betrag in Höhe von 42,09 EUR aus der Auflösung eines Genossenschaftsanteils an die FK zurück.

Mit Bescheid vom 21. Februar 2006 forderte die FK von der Klin die Erstattung des Kindergeldes für Oktober und November 2004 abzüglich der o.g. Zahlung, mithin eines noch offenen Betrages in Höhe von 573,91 EUR (616 EUR ./. 42,09 EUR). Nachdem die Klin nach Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen erklärt hatte, keinen Bescheid erhalten zu haben, übersandte die FK den Bescheid vom 21. Februar 2006 mit Schreiben vom 08. Februar 2007 erneut an die Klin. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die FK mit Einspruchsentscheidung vom 06. März 2007 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Zu deren Begründung wird im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht: Der Erlass eines Rückforderungsbescheids sei unzulässig. Die FK habe einen Rückforderungsanspruch nur mit der allgemeinen Leistungsklage geltend machen dürfen. Zudem fehle es auch an einem Rückforderungsanspruch, weil die Klin als kontoführende Bank nicht Leistungsempfängerin, sondern nur Zahlstelle für O bzw. deren Erben gewesen sei. Das Kindergeld für Oktober 2004 sei am 21. Oktober 2004 gutgeschrieben worden. Am 23. Oktober 2004 seien 500 EUR abgebucht worden. Das Kindergeld für Dezember 2004 sei am 17. Dezember 2004, das für Januar 2005 am 21. Januar 2005 gutgeschrieben worden. Der Klin sei unbekannt, wer die Abhebungen mittels EC-Karte durchgeführt habe. Leistungsempfänger sei, wer die Abhebungen vom Konto vorgenommen habe. Im Übrigen sei die Klin entreichert. Die FK habe sich an die Erben der O zu halten.

Die Klin beantragt,

den Rückforderungsbescheid der FK vom 21. Februar 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06. März 2007 aufzuheben.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen darauf, dass die FK das Kindergeld an die Klin als Dritten ausgezahlt habe und die Klin Leistungsempfänger sei. Gegen sie richte sich daher der öffentlichrechtliche Rückforderungsanspruch. Eine Fortführung des Kontos für etwaige Erben sei nicht ersichtlich. Wenn keine Erben ersichtlich seien, sei die kontoführende Bank Leistungsempfängerin. Leistungen der Klin an einen Scheinerben befreiten nicht von der Rückzahlungsverpflichtung. Die §§ 812 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) fänden keine Anwendung.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die Schriftsätze der Klin vom 21. März 2007, 20. September 2007, 08. November 2007 und 03. Januar 2008 sowie der FK vom 15. August 2007, 19. Oktober 2007, 12. Dezember 2007 und 14. Februar 2008, wegen des Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 18. März 2008 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

II. 1. Die Klage ist zulässig.

Die Klage ist am 04. April 2007 und damit innerhalb der Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO beim Amtsgericht München eingegangen. Da der Klageschriftsatz ordnungsgemäß an das Finanzgericht adressiert war, ist von einem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) rechtfertigenden Postversehen auszugehen.

2. Die Klage ist auch begründet.

Gegen die Klin besteht kein Rückforderungsanspruch, da sie nicht Leistungsempfängerin im Sinne des § 37 Abs. 2 S. 1 Abgabenordnung (AO) ist.

a) Ist eine Steuervergütung -- wie das Kindergeld (§ 31 S. 3 Einkommensteuergesetz) -- ohne rechtlichen Grund gezahlt worden oder ist der rechtliche Grund für die Zahlung später weggefallen, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags (§ 37 Abs. 2 S. 1 und 2 AO). Hierbei handelt es sich um einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, der durch anfechtbaren Verwaltungsakt -- hier Rückforderungsbescheid -- geltend zu machen ist (§ 218 Abs. 1 S. 1 AO). Die von der Klin zitierte Entscheidung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteil vom 26. Januar 2006 III R 89/03, BFHE 212, 1, BStBl II 2006, 544) betraf dagegen einen Anspruch der FK auf Rückerstattung von zu Unrecht einem Sozialleistungsträger erstattetem Kindergeld aus § 112 Sozialgesetzbuch Teil 10 i.V.m. § 74 Abs. 5 Einkommensteuergesetz, der seine Grundlage nicht in einem Steuerschuldverhältnis hat.

Der Rückforderungsanspruch richtet sich gegen den Leistungsempfänger, der in den Fällen, in denen an dem Zahlungsvorgang mehrere Personen beteiligt waren, mit dem Empfänger der Zahlung (Überweisung) nicht identisch sein muss. Schuldner eines abgabenrechtlichen Rückforderungsanspruchs ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH derjenige, zu dessen Gunsten erkennbar die Zahlung geleistet wurde, die zurückverlangt wird (vgl.Urteil vom 30. August 2005 VII R 64/04, BFHE 210, 219, BStBl II 2006, 353 m.w.N.). Dies ist in der Regel derjenige, demgegenüber die Behörde ihre -- vermeintliche oder tatsächlich bestehende -- abgabenrechtliche Verpflichtung erfüllen will. Ein Dritter ist folglich, obgleich tatsächlicher Empfänger einer Zahlung, dann nicht Leistungsempfänger, wenn er lediglich als Zahlstelle, unmittelbarer Vertreter oder Bote für den Erstattungsberechtigten aufgetreten bzw. von diesem benannt worden ist. Dies gilt auch, wenn die Behörde aufgrund einer Zahlungsanweisung des Anspruchsberechtigten an den Dritten eine Steuervergütung ausgezahlt hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 210, 219 , BStBl II 2006, 353 m.w.N.). Denn in einem solchen Fall will die Behörde erkennbar nicht mit befreiender Wirkung zu Gunsten des Zahlungsempfängers leisten, sondern sie erbringt ihre Leistung mit dem Willen, eine Forderung gegenüber dem steuerlichen Rechtsinhaber zu erfüllen. Mithin ist nicht der Zahlungsempfänger, sondern der nach materiellem Steuerrecht Erstattungs- bzw. Anspruchsberechtigte als Leistungsempfänger im Sinne des § 37 Abs. 2 AO anzusehen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 210, 219 , BStBl II 2006, 353 m.w.N.).

Dagegen hat die Rechtsprechung den Zahlungsempfänger zum einen dann als Leistungsempfänger angesehen, wenn ein vermeintlicher Bote, Vertreter oder Bevollmächtigter Zahlungen entgegennimmt, obwohl keine Weisung oder Vollmacht besteht (z.B. Zahlungsempfänger hat lediglich vorgetäuscht, als Bote des Rechtsinhabers aufzutreten). Zum anderen ist der Dritte dann Leistungsempfänger, wenn die Behörde an ihn eine Zahlung in der irrigen Annahme vorgenommen hat, er sei von dem Berechtigten ermächtigt, für diesen Zahlungen entgegenzunehmen, in Wahrheit jedoch eine diesbezügliche Rechtsbeziehung zwischen dem Zahlungsempfänger und dem Berechtigten nicht besteht (z.B. Rechtsinhaber, zu dessen Gunsten die Behörde eine Gutschrift angewiesen hat, unterhält kein Konto bei der die Zahlung empfangenden Bank (vgl. BFH-Urteil in BFHE 210, 219 , BStBl II 2006, 353 m.w.N.).

Bei divergierenden Vorstellungen der Beteiligten über den Zahlungszweck nimmt die Rechtsprechung die Bestimmung des Leistungsempfängers nicht aufgrund des inneren Willens des Leistenden, sondern aufgrund einer objektiven Betrachtungsweise aus der Sicht des Zahlungsempfängers vor. Damit soll vermieden werden, dass die Rechtsposition des Zahlungsempfängers geschwächt wird und er die Folgen von Fehlvorstellungen der Behörde zu tragen hat, die er nicht zu verantworten hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 210, 219 , BStBl II 2006, 353 m.w.N.).

b) Im vorliegenden Fall wollte die FK --mangels Kenntnis vom Tod der O-- ihre vermeintliche abgabenrechtliche Verpflichtung gegenüber der O erfüllen. Die Zahlung auf das bei der Klin geführte Konto erfolgte auf entsprechende Anweisung der O durch Schreiben vom 26. Juni 2000. Die Klin fungierte zu Lebzeiten der O als deren Zahlstelle. An dieser Stellung änderte sich durch den Tod der O nichts. Der Tod der O beendete das Giroverhältnis nicht (Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, § 676f BGB Rn. 5). Vielmehr ging das Giroverhältnis zwischen O und der Klin und damit auch deren Inhaberschaft an dem Girokonto auf deren Erben über. Entgegen der Ansicht der FK kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass O keine Erben hatte, da solche jedenfalls in Person der beiden Kinder nach § 1924 Abs. 1 BGB vorhanden waren. Die Klin wurde insoweit als Zahlstelle für den Nachlass tätig. Denn die aufgrund der von O erteilten Vollmacht übernommenen Verpflichtungen waren infolge des Charakters des Giroverhältnisses als entgeltliches Geschäftsbesorgungsverhältnis nach § 168 S. 1, 675 Abs. 1, 672 BGB über den Tod hinaus weiter zu erfüllen. Die Klin durfte sich daher aus ihrer Sicht bei objektiver Betrachtungsweise bis zur Abwicklung des Nachlasses bzw. dem Widerruf der Vollmacht durch die Erben auch weiterhin als Zahlstelle des Nachlasses verstehen (Palandt, a.a.O., Einführung vor § 2197 BGB Rn. 9).

Es liegt daher weder ein Fall vor, in dem ein vermeintlicher Bote, Vertreter oder Bevollmächtigter Zahlungen entgegennimmt, obwohl keine Weisung oder Vollmacht besteht. Denn die Klin war aus dem Giroverhältnis mit der O berechtigt und verpflichtet, über den Tod hinaus für den Nachlass als Zahlstelle zu fungieren.

Noch liegt ein Fall vor, in dem die Behörde an den Dritten eine Zahlung in der irrigen Annahme vorgenommen hat, er sei von dem Berechtigten ermächtigt, für diesen Zahlungen entgegenzunehmen, in Wahrheit jedoch eine diesbezügliche Rechtsbeziehung zwischen dem Zahlungsempfänger und dem Berechtigten nicht besteht. Die Klin war von O ermächtigt, über den Tod der O hinaus Zahlungen entgegenzunehmen. Das Giroverhältnis hatte sich auch noch nicht in eine eigene Geschäftsbeziehung der Erben gewandelt. Ein solcher Austausch des Vertragspartners tritt erst dann ein, wenn der oder die Erben das Girokonto für ihren eigenen Zahlungsverkehr benutzen und somit in eine eigene Rechtsbeziehung zur Klin treten (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Oktober 1995 XI ZR 263/94, BGHZ 131, 60). Dann ist das Giroverhältnis den Erben als eigene Rechtsbeziehung zuzuordnen. Im vorliegenden Fall liegen jedoch keine Hinweise dafür vor, dass sich das Giroverhältnis zur O durch eigene Verfügungen des/der Erben in ein solches des/der Erben umgewandelt hätte. Denn es ist weder erkennbar, dass die über den Bankautomaten erfolgten Abhebungen von einem Erben vorgenommen wurden, noch dass die Erben in anderer Form in eine Geschäftsbeziehung zur Klin getreten sind.

Ob und ggf. wann die Klin Kenntnis vom Tod der O hatte oder haben musste und nach den Bedingungen des Giroverhältnisses verpflichtet war, Abhebungen vom Girokonto durch Nichtberechtigte zu unterbinden, ist nur im Verhältnis zwischen der Klin und den Erben von rechtlicher Bedeutung.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Ende der Entscheidung

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