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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 18.09.2008
Aktenzeichen: 10 K 4398/07
Rechtsgebiete: FGO, AO, EStG


Vorschriften:

FGO § 47 Abs. 1 S. 1
FGO § 56 Abs. 1
AO § 122 Abs. 2 Nr. 1
AO § 366
EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 4398/07

Kindergeld für M für das Jahr 2002

In der Streitsache

...

hat das Finanzgericht München, 10. Senat,

durch

...

ohne mündliche Verhandlung

am 18. September 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Die Klägerin ist die Mutter des am....02.1983 geborenen M. M befand sich bis Februar 2003 in einer Berufsausbildung zum Kommunikationselektroniker.

Mit Bescheid vom 17.11.2004 hob die Beklagte (die Familienkasse --FK--) die Kindergeldfestsetzung wegen Überschreitung des Grenzbetrags für die Einkünfte und Bezüge des Kindes für den Zeitraum Januar bis Dezember 2002 auf und forderte das für diesen Zeitraum bereits ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 1.848 EUR von der Klägerin zurück.

Mit Schreiben vom 22.05.2005 wies der Ehemann der Klin im Auftrag der Klägerin auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Berücksichtigung von Sozialversicherungsbeiträgen bei der Berechnung der Einkünfte/Bezüge des Kindes hin und begehrte die Rückzahlung des von der Klin für 2002 bereits erstatteten Betrages in Höhe von 1.540 EUR.

Mit Bescheid vom 01.06.2005 lehnte die FK eine Änderung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides vom 17.11.2004 wegen dessen Bestandskraft ab. Die Rechtsprechung des BVerfG sei nur auf "offene Kindergeldfälle/-anträge" anzuwenden. Hiergegen erhob die Klägerin mit bei der FK am 08.07.2005 eingegangenem Schreiben Einspruch.

Mit Schreiben vom 31.07.2005 beantragte die Klin eine Neuberechnung des Kindergeldes für das Jahr 2002. Die Angelegenheit sei durch diesen nochmals gestellten Antrag wieder "offen". Den Einspruch vom 08.07.2005 wies die FK mit Einspruchsentscheidung vom 28.10.2005 wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig zurück.

Mit Schreiben vom 03.03.2007 teilte die Klin mit, dass sie trotz mehrfacher Anträge keine Antwort hinsichtlich der für 2002 begehrten Kindergeldnachzahlung erhalten habe. Die FK versandte daraufhin mit Schreiben vom 12.03.2007 Kopien des Aufhebungsbescheids vom 17.11.2004, des Ablehnungsbescheids vom 01.06.2005 und der Einspruchsentscheidung vom 28.10.2005.

Zur Begründung der vorliegenden Klage trägt die Klin vor, dass über ihren Antrag auf Festsetzung des Kindergeldes für 2002 nach wie vor nicht entschieden worden sei. Aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG stehe der Klägerin das Kindergeld zu.

Die Klin beantragt,

die FK zu verurteilen, an die Klägerin für ihren Sohn M, das Kindergeld in Höhe von monatlich 154 EUR für das Kalenderjahr 2002 nebst Zinsen zu zahlen.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen darauf, dass die Klage wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf ... Bezug genommen.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 15.09.2008 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

II. 1. Die Klage ist --soweit sie gegen den Ablehnungsbescheid vom 01.06.2005 gerichtet ist-- wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig.

Gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung gemäß § 366 Abgabenordnung (AO) bestimmt sich nach § 122 AO. Gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, bei einer Übermittlung im Geltungsbereich der AO am dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.

Wird der Zugang eines Bescheids bzw. einer Einspruchsentscheidung --wie im vorliegenden Fall-- bestritten, ist im Wege der freien Beweiswürdigung aufgrund der vorliegenden Indizien, insbesondere des der Versendung nachfolgenden Verhaltens des Adressaten, zu prüfen, ob ein Zugang festgestellt werden kann (s. etwa Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31.05.2005 I R 103/04, BFHE 209, 416, BStBl II 2005, 623 ).

Im vorliegenden Fall steht aufgrund der vorliegenden Indizien zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin sowohl den Ablehnungsbescheid vom 01.06.2005 als auch die Einspruchsentscheidung vom 28.10.2005 erhalten hat.

Der Erhalt des Ablehnungsbescheids folgt zum einen aus der Einlegung des Einspruchs und zum anderen daraus, dass die Klin in ihrem Schreiben vom 31.07.2005 auf die Begründung des Ablehnungsbescheids eingeht. Denn sie weist darauf hin, dass die Angelegenheit durch den nochmals gestellten Antrag wieder "offen" sei, was die FK in ihrem Ablehnungsbescheid verneint hatte.

Die Einspruchsentscheidung vom 28.10.2005 hat die Klägerin jedenfalls als Kopie mit dem Schreiben der FK vom 12.03.2007 erhalten. Insoweit ergibt sich aus dem Aktenvermerk vom 12.03.2007, dass eine Kopie der Einspruchsentscheidung vom 28.10.2005 mit Schreiben der FK vom 12.03.2007 versandt wurde. Der Klägervertreter hat daraufhin in seinem Antwortschreiben vom 12.08.2007 im Betreff das Aktenzeichen der FK wiedergegeben, das in dieser Form "F-52-KG.Nr. 831/236406" nach Aktenlage ausschließlich auf dem Übersendungsschreiben vom 12.03.2007 verwendet wurde. Dabei ist ein Zugang des Schriftstücks beim Empfangsberechtigten auch dann anzunehmen, wenn diesem nur eine Kopie des ursprünglichen versandten Verwaltungsakts zugeht (BFH-urteil vom 13.10.2005 IV R 44/03, BFHE 211, 9, BStBl II 2006, 214). Mit weiterem Schreiben vom 21.08.2007 wies die FK die Klägerin nochmals auf die Einspruchsentscheidung vom 28.10.2005 hin. Auch hierauf erfolgte keine Reaktion, dass diese Einspruchsentscheidung nicht zugegangen sei. Vielmehr wurde dies erst im Klageverfahren mit Schreiben vom 22.04.2008 vorgetragen. Schließlich deutet auch die Einlassung der Klägerin, dass mit Schreiben vom 31.07.2005 ein Neuantrag gestellt worden sei, darauf hin, dass auch auf Seiten der Klägerin eine Bestandskraft der Ablehnung des Antrags vom 22.05.2005 durch Bescheid vom 01.06.2005 und Einspruchsentscheidung vom 28.10.2005 für möglich erachtet und deshalb eine Verbescheidung des nachfolgenden "Neuantrags" begehrt wurde.

Da somit die Einspruchsentscheidung spätestens am 12.08.2007 (Datum des Antwortschreibens des Klägervertreters) zugegangen sein muss, lief die einmonatige Klagefrist am 12.09.2007 aus. Die erst am 19.12.2007 bei Gericht eingegangene Klage war somit verspätet.

Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht erfüllt.

Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten.

Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen.

Im vorliegenden Fall hat weder die Klägerin einen Wiedereinsetzungsgrund dargelegt und glaubhaft gemacht noch ist ein solcher Grund anderweitig ersichtlich.

2. Soweit sich die Klägerin gegen die unterbliebene Verbescheidung des "Neuantrags" vom 31.07.2005 wendet, hat die Klage bereits mangels Rechtsschutzbedürfnis keinen Erfolg.

Ein Neuantrag ist bereits begrifflich nur für einen Zeitraum möglich, über den die FK bislang noch keine Entscheidung getroffen hat.

Betrifft der Antrag einen Zeitraum, über den die FK bereits eine Entscheidung getroffen hat, kommt nur ein Änderungsantrag in Betracht. Im vorliegenden Fall hat die FK für die Monate Januar bis Dezember 2001 bereits durch den Aufhebungsbescheid vom 17.11.2004 eine abschließende Entscheidung getroffen, die auch mangels Einspruchseinlegung bestandskräftig wurde. Eine Änderung dieser Entscheidung hat die Klägerin bereits mit Schreiben vom 22.05.2005 beantragt. Hierüber hat die FK --wie oben dargelegt wurde-- durch den Ablehnungsbescheid vom 01.06.2005 und die Einspruchsentscheidung vom 28.10.2005 bestandskräftig entschieden. Da der "Neuantrag" keine neuen entscheidungserheblichen Umstände beinhaltete, sondern wie der Antrag vom 22.05.2005 darauf gerichtet war, den Aufhebungsbescheid vom 17.11.2004 aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG zur Berücksichtigungsfähigkeit von Sozialversicherungsbeiträge aufzuheben, musste die FK hierüber mangels Rechtsschutzbedürfnisses keine erneute Sachentscheidung treffen. Die FK ist nicht verpflichtet, derartige erneute Anträge unbesehen und in jedem Falle wie den früheren, bereits abschließend beschiedenen Antrag in vollem Umfang sachlich zu prüfen. Vielmehr ist auch insoweit das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses für eine erneute Sachentscheidung zu beachten. An diesem Rechtsschutzbedürfnis fehlt es, wenn gegenüber dem schon früher vorgebrachten Sachverhalt, über den sodann unanfechtbar entschieden worden ist, keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen werden.

Folglich fehlt auch im gerichtlichen Verfahren ein Rechtsschutzbedürfnis, gegen die diesbezügliche Untätigkeit der FK vorzugehen.

Im Übrigen hat der BFH bereits entschieden, dass die Bestandskraft eines Bescheids, mit welchem die FK die Festsetzung von Kindergeld für ein abgelaufenes Kalenderjahr wegen Überschreitens des Grenzbetrages nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG rückwirkend aufgehoben hat, durch eine spätere Entscheidung des BVerfG, nach der im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG die Einkünfte des Kindes um die von ihm gezahlten Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu mindern sind, unberührt bleibt (BFH-Urteil vom 15.03.2007 III R 86/06, BFH/NV 2007, 1485).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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