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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 31.07.2007
Aktenzeichen: 12 K 3363/06
Rechtsgebiete: GG, EStG, EURLUmsG


Vorschriften:

GG Art. 20 Abs. 3
EStG § 25 Abs. 1
EStG § 36 Abs. 1
EURLUmsG Art. 22 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

12 K 3363/06

Einkommensteuer 2005

In der Streitsache

...

hat der 12. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

....

auf Grund mündlicher Verhandlung vom 31. Juli 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Mit notarieller Urkunde vom 1. Dezember 2004 bot der Kläger als Käufer der A-GmbH in N den Abschluss eines Kaufvertrages über ein Wohnungserbbaurecht mit einer Laufzeit von 99 Jahren an der Wohnung Nr. 40 in M, an. Das Erbbaurecht war mit einem jährlichen Erbbauzins von 1.368,35 EUR belastet. Nach § 3 Ziffer 2 der Anlage 1 zur Urkunde sollte der nach dem Erbbaurechtsvertrag auf die Dauer von 99 Jahren zu zahlende Erbbauzins durch eine Einmalzahlung in Höhe von 38.296 EUR abgelöst werden. Mit notariellem Vertrag vom 17. Dezember 2004 nahm die GmbH als Verkäuferin das Angebot an. Mit weiterer notarieller Urkunde vom 20. Juni 2005 erklärten die Parteien die Einigung nach § 873 Bürgerliches Gesetzbuch und beantragten die entsprechenden Eintragungen in das Grundbuch. Der Besitzübergang erfolgte zum 1. Juli 2005.

In seiner Einkommensteuer(ESt)-Erklärung für das Streitjahr 2005 machte der Kläger die Ablösezahlung für den Erbbauzins in Höhe von 38.296 EUR als Werbungskosten im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Objekt in M geltend. Der Beklagte (= das Finanzamt -FA -) berücksichtigte im ESt-Bescheid 2005 vom 22. Mai 2006 lediglich einen Betrag von (38.296 EUR : 99 Jahre anteilig für sechs Monate =) 194 EUR. Zur Begründung verwies er darauf, dass gemäß der Neuregelung des § 11 Abs. 2 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) für nach dem 31. Dezember 2003 ( § 52 Abs. 30 EStG) für eine Nutzungsüberlassung von mehr als fünf Jahren im Voraus geleistete Zahlungen insgesamt auf den Zeitraum, für den sie geleistet wurden, zu verteilen seien. Das hiergegen durchgeführte Einspruchsverfahren hatte keinen Erfolg (vgl. Einspruchsentscheidung vom 14. August 2006).

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger weiterhin den Abzug des gesamten Ablösebetrages für die Erbbauzinsen. Zur Begründung verweist er darauf, dass die Neufassung des § 11 Abs. 2 Satz 3 EStG erst durch das Gesetz zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften (EURLUmsG) vom 9. Dezember 2004 erfolgt und hinsichtlich Erbbauzinsen sowie anderer Entgelte nach § 52 Abs. 30 EStG erstmals für Vorauszahlungen, die nach dem 31. Dezember 2003 geleistet werden, anzuwenden sei. Dies stelle eine nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) unzulässige sog. "echte" Rückwirkung des Gesetzes dar. Das BVerfG gehe von einer echten Rückwirkung aus, wenn der Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs einer Norm und der Eintritt ihrer Rechtsfolgen auf einen Zeitpunkt festgelegt sind, der vor dem Gültigkeitszeitpunkt der Norm liegt und der Gesetzgeber damit nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Bis zur Neufassung des Gesetzes seien Vorauszahlungen auf Erbbauzinsen nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. September 2003 IX R 65/02 (Bundessteuerblatt -BStBl -II 2005, 159) im Jahr der Zahlung als Werbungskosten abzugsfähig gewesen. Er habe das ihn bindende Angebot zum Abschluss des Kaufvertrags über das Wohnungserbbaurecht bereits am 1. Dezember 2004 abgegeben und zuvor schon vermögensmäßige Dispositionen getroffen. Die Ergänzung des § 11 Abs. 2 EStG durch den neu eingefügten Satz 3 und die hierzu u.a. hinsichtlich Erbbauzinsen ergangene Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 30 EStG griffen daher in einen Sachverhalt ein, der bei der Verkündung des Gesetzes am 9. Dezember 2004 bereits abgeschlossen gewesen sei. Er habe bis zur Verkündung des Gesetzes darauf vertrauen dürfen, dass die bisherige Rechtslage Gültigkeit behalte. Die Rechtsprechung eines obersten Bundesgerichts könne nicht rückwirkend durch eine Gesetzesänderung beseitigt werden. Dies gelte auch dann, wenn man von einer unechten Rückwirkung des Gesetzes ausgehe. Die Gesetzesänderung habe weder der Abschaffung ungerechtfertigter Steuervorteile, systemwidriger Ausnahmeregelungen oder der Beseitigung einer unklaren oder lückenhaften Rechtslage gedient noch sei sie im Hinblick auf das von der damaligen Opposition im Bundestag gegen die entsprechende Beschlussempfehlung zur Gesetzesänderung vom 28. Oktober 2004 eingelegte Veto aufgrund der damaligen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zu erwarten gewesen. Der sofortige Abzug von Werbungskosten im Zeitpunkt des Abflusses sei ein systemimmanenter Teil des deutschen Einkommensteuerrechts und könne daher allenfalls zu politisch unerwünschten Steuerverschiebungen, nicht jedoch zu ungerechtfertigten Steuervorteilen führen. Im Streitfall diene die Vorauszahlung der Erbbauzinsen der Vermeidung jährlicher Steigerungen des Erbbauzinses und habe daher einen vernünftigen wirtschaftlichen Grund.

Der Kläger beantragt,

in Änderung der angefochtenen Entscheidungen im Jahr 2005 bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zusätzliche Werbungskosten in Höhe von 38.102 EUR zu berücksichtigen und die ESt 2005 entsprechend herabzusetzen,

hilfsweise

die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen.

Er bezieht sich zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung und weist ergänzend darauf hin, dass es sich bei der streitigen Gesetzesänderung um eine unechte Rückwirkung handele. Hiervon sei auszugehen, wenn das Gesetz auf in der Vergangenheit begründete, aber noch nicht abgeschlossene Sachverhalte einwirke. Da die ESt erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entstehe, seien nach der Rechtsprechung des BVerfG auf die Gesetzesänderung die Grundsätze der unechten Rückwirkung anzuwenden. Im Übrigen sei im Streitfall am 1. Dezember 2004 noch kein Kaufvertrag abgeschlossen worden. Das Angebot vom 1. Dezember 2004 zum Abschluss eines Kaufvertrages sei erst am 17. Dezember 2004 angenommen worden. Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 31. Juli 2007 wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

1. Zutreffend hat das FA die in einem Einmalbetrag im Jahr 2005 gezahlten Erbbauzinsen in Höhe von 38.296 EUR gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 1. Halbsatz EStG i. d. Fassung des EURLUmsG vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I 2004, 3310) auf den Zeitraum von 99 Jahren, für den die Vorauszahlung geleistet wurde, verteilt und im Streitjahr nur mit einem Betrag von 194 EUR als Werbungskosten berücksichtigt. Nach dieser Vorschrift sind Ausgaben, die für eine Nutzungsüberlassung von mehr als fünf Jahren -wie im Streitfall das dem Kläger auf 99 Jahre eingeräumte Wohnungserbbaurecht im Voraus geleistet werden, insgesamt auf den Zeitraum gleichmäßig zu verteilen, für den sie geleistet werden. Erbbauzinsen werden als Entgelt für die Nutzung des Grundstücks gezahlt, stellen also Ausgaben für eine Nutzungsüberlassung dar (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2005, 159 ). Folglich ist die Verteilung der im Jahr 2005 geleisteten Vorauszahlung der Erbbauzinsen auf 99 Jahre im Streitfall grundsätzlich zutreffend erfolgt. Hierbei kann offen bleiben, ob die Neufassung des § 11 Abs. 2 Satz 3 EStG gemäß § 52 Abs. 30 EStG nur im Hinblick auf Erbbauzinsen bereits auf nach dem 31. Dezember 2003 geleistete Vorauszahlungen anwendbar ist oder ob das EStG i. d. Fassung des EURLUmsG insgesamt bereits ab 1. Januar 2004 anzuwenden ist und § 52 Abs. 30 EStG damit ins Leere geht (vgl. z.B. Blümich/Glenk, EStG, § 11 Rz. 97; Kister in Herrmann/Heuer/Raupach, § 11 EStG Anm. J 04-2 m.w.N.). 2. Die Anwendbarkeit der Neufassung des § 11 Abs. 2 Satz 3 EStG scheitert auch nicht an einer unzulässigen Rückwirkung des Gesetzes. Im Streitfall ist davon auszugehen, dass der Kläger die relevante Disposition am 1. Dezember 2004 mit Abgabe des ihn bindenden Angebots zum Abschluss eines entsprechenden Kaufvertrags tätigte. Für erstmals in der mündlichen Verhandlung am 31. Juli 2007 vorgetragene vor diesem Zeitpunkt liegende Dispositionen des Klägers fehlt es an entsprechenden Nachweisen. Der Senat hält es insbesondere nicht für glaubhaft, dass der Kläger einen Kreditvertrag zum Erwerb des Erbbaurechts bereits vor Abschluss des Kaufvertrages eingegangen sei, da Banken üblicherweise ohne entsprechende dingliche Sicherheiten keine Kredite gewähren.

a) Nach der Rechtsprechung des BVerfG erfordert das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz eine besondere Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines in der Vergangenheit liegenden Verhaltens nachträglich belastend ändert. Im Zusammenhang mit periodischen Steuern -wie im Streitfall die ESt -unterscheidet das BVerfG folgendermaßen: Die Anordnung, eine steuerbegründende oder steuererhöhende Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Veranlagungszeitraum eintreten (sog. "echte" Rückwirkung aufgrund der Rückbewirkung von Rechtsfolgen), ist unzulässig (Beschluss des BVerfG vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67,78). Da die ESt nach § 36 Abs. 1 EStG i.V.m. § 25 Abs. 1 EStG erst mit Ablauf des Kalenderjahres als Veranlagungszeitraum entsteht, ist es dagegen grundsätzlich unbedenklich, wenn eine solche Vorschrift während eines Veranlagungszeitraums in Kraft tritt und zugleich bestimmt, dass sie mit Beginn jenes Veranlagungszeitraums gelten soll (sog. "unechte" Rückwirkung aufgrund tatbestandlicher Rückanknüpfung). In diesem Fall darf das belastende Gesetz regelmäßig auch diejenigen Sachverhalte erfassen, die auf einer vor ihrem Inkrafttreten getätigten Disposition des Steuerpflichtigen beruhen (BFH-Urteil vom 8. November 2006 I R 69, 70/05, BFH/NV 2007, 616, 621).

b) Entsprechend dieser Grundsätze liegt im Streitfall eine sog. "unechte" Rückwirkung vor, da das am 9. Dezember 2004 ausgefertigte EURLUmsG am 15. Dezember 2004 verkündet worden und damit am 16. Dezember 2004 -d.h. noch während des Veranlagungszeitraums 2004 -in Kraft getreten ist ( Art. 22 Abs. 1 EURLUmsG). Danach ist die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift auch im Hinblick auf ihre zeitliche Anwendbarkeit grundsätzlich zu bejahen.

c) Zwar hat das BVerfG seine diesbezügliche Rechtsprechung insoweit eingeschränkt, als eine -im Streitfall von sachlichen Gründen, nämlich der beabsichtigten Verhinderung von erheblichen Steuerausfällen aufgrund von im Hinblick auf das BFH-Urteil in BStBl II 2005, 159 zu erwartenden "Steuersparmodellen" durch im Voraus gezahlte Erbbauzinsen, getragene -Neuordnung ausnahmsweise hinter ein überwiegendes schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen zurücktreten muss, das auf die Bewahrung der nach der ursprünglich maßgeblichen Rechtslage bevorstehenden (günstigeren) Rechtsfolge ihres vergangenen Handelns gerichtet ist (vgl. z.B. Beschluss des BVerfG vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 254).

Ein solches schutzwürdiges Vertrauen des Klägers ist im Streitfall jedoch nicht gegeben. Zum einen war dem Kläger offensichtlich bei Abgabe des Kaufangebots der Beschluss des Bundestages vom 28. Oktober 2004 über die Annahme des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs des EURLUmsG und damit die im Gesetzgebungsverfahren schon fortgeschrittene Änderung des § 11 Abs. 2 EStG bereits bekannt, wobei er lediglich nach seinem Vorbringen aufgrund der damals bestehenden Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nicht mit der Verabschiedung der geplanten Änderung gerechnet hat. Diese Annahme führt jedoch ebenso wenig zu einem schutzwürdigen Vertrauen des Steuerbürgers im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung wie die Ausnutzung des Zeitbedarfs eines rechtsstaatlichen Gesetzgebungsverfahrens, um einer bevorstehenden gesetzlichen Neuregelung zuvorzukommen (Beschluss des BVerfG vom 15. Oktober 1996 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64, 89). Vielmehr endet ein schutzwürdiges Vertrauen in die bisherige Rechtslage jedenfalls im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch den Bundestag, unabhängig davon, ob das Gesetz wegen der Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates mit dem bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Inhalt bzw. ob es überhaupt zustande kommt (Beschluss des BVerfG in BVerfGE 72, 200, 261, 262) . Zum anderen hat das BVerfG einen gegenüber dem Gemeinwohl erhöhten Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen bei Sachverhalten angenommen, bei denen der Steuerpflichtige eine wirtschaftliche Disposition ausschließlich im Hinblick auf eine bis dahin bestehende steuerliche Vergünstigung -in dem vom BVerfG entschiedenen Fall eine steuerliche Subventionsnorm -getätigt hat (Beschluss des BVerfG in BVerfGE 97, 67). Im Streitfall ist die Vorauszahlung der Erbbauzinsen in einem Einmalbetrag nach dem eigenen Vortrag des Klägers in erster Linie zur Vermeidung von jährlichen Erhöhungen des Erbbauzinses erfolgt. Soweit die Disposition daneben -wie erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen -auch im Hinblick auf etwaige steuerliche Vorteile getätigt wurde, begründet dies ein solch überragendes schutzwürdiges Vertrauen des Klägers, wie es das BVerfG in seinen die Zulässigkeit einer "unechten" Rückwirkung einschränkenden Entscheidungen verlangt hat, im Streitfall auch aus diesem Grund nicht; denn die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht -hierzu gehört auch das Steuerrecht -werde unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt (Beschluss des BVerfG vom 5. Februar 2002 2 BvR 348/93, HFR 2002, 831).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). 4. Der Senat lässt die Revision zu, weil die Streitsache grundsätzliche Bedeutung hat ( § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

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