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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 07.03.2007
Aktenzeichen: 14 K 1780/04
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 75 Abs. 1 S. 2
AO § 191 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

14 K 1780/04

Haftung für Umsatzsteuer

In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

...

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 4/5, der Beklagte zu 1/5.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe:

I. Streitig ist, ob die Klägerin zu Recht für Steuerschulden der Firma WT GmbH in Haftung genommen worden ist.

Die Klägerin war bis 31. Dezember 2000 Alleininhaberin der Firma B. Im Rahmen eines Pacht- und Betriebsüberlassungsvertrages wurden seit Januar 2001 Gebäude und sonstiges Anlagevermögen an die Firma R GmbH, die später in WT GmbH (GmbH) umfirmiert wurde, verpachtet. Unternehmensgegenstand der GmbH war die Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb elektronischer Bauteile. Neben einem weiteren Geschäftsführer war die Klägerin alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der GmbH.

Mit "Betriebsübernahmevertrag und Unternehmensteil-Kaufvertrag" vom 22. Oktober 2002 übernahm das Unternehmen der Klägerin von der GmbH den Kundenstamm, Warenbestand und die laufenden Verträge einschließlich der bestehenden Arbeitsverhältnisse zu einem Kaufpreis von 40.000 EUR, der mit Mietforderungen der Klägerin an die GmbH verrechnet wurde. Außerdem wurde in der Vorbemerkung des Vertrages festgehalten, dass das Unternehmen der Klägerin den Betrieb der GmbH zum 1. November 2002 fortführen werde.

Mit Schreiben vom 24. Oktober 2002 kündigte die Klägerin der GmbH gegenüber das Pachtverhältnis fristlos wegen rückständiger Pachtzahlung. Zum 31. Oktober 2002 beantragte sie in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin der GmbH zusammen mit dem weiteren Geschäftsführer die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Mit Beschluss vom 17. Dezember 2002 wurde das Verfahren eröffnet. Nach Anfechtung des Übernahmevertrages durch den Insolvenzverwalter der GmbH trafen die Klägerin und der Insolvenzverwalter am 18. August 2003 eine vergleichsweise Einigung, wonach die Klägerin für die Übernahme des Betriebsvermögens nur 15.000 EUR anstatt der im Vertrag vereinbarten 40.000 EUR an die Insolvenzmasse entrichten sollte. Mit Bescheid vom 24. Juni 2003 nahm das Finanzamt (FA) die Klägerin wegen Umsatzsteuerschulden der GmbH für das Jahr 2001sowie die Monate August bis Oktober 2002 gemäß § 75 Abgabenordnung 1977 (AO) in Haftung.

Der dagegen gerichtete Einspruch wurde mit Entscheidung vom 18. März 2004 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der hiergegen erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, dass die Voraussetzungen einer Haftung nicht vorlägen. Sie selbst sei Eigentümerin der wesentlichen Betriebsgrundlagen, die sie der GmbH im Rahmen des Pachtverhältnisses überlassen habe. Aufgrund der Kündigung des Pachtverhältnisses wäre das Recht auf Fortführung des Unternehmens von selbst an die Verpächterin zurückgegangen. Die Rückabwicklung eines Pachtvertrages über ein Unternehmen erfülle nicht die Voraussetzungen des Haftungstatbestandes nach § 75 AO.

Die Bezeichnung des Vertrags vom 22. Oktober 2002 als "Betriebsübernahmevertrag und Unternehmensteil-Kaufvertrag" sei nur gewählt worden, um Missverständnisse bezüglich der Arbeitnehmerübernahme gemäß § 613 a BGB zu vermeiden. Der übernommene Warenbestand sei für die Fortführung des Betriebs ebenfalls nicht entscheidend gewesen.

Darüber hinaus sei die Haftung auch der Höhe nach unzutreffend. Aufgrund der mittlerweile vom Insolvenzverwalter abgegebenen Jahreserklärung 2002 über eine Abschlusszahlung der GmbH in Höhe von 11.734,02 EUR seien die Umsatzsteuervoranmeldungen gegenstandslos geworden. Das FA könne die Klägerin daher nicht für Umsatzsteuer der Monate August bis Oktober 2002 in Höhe von 16.965,70 EUR in Anspruch nehmen.

Die Klägerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 24. Juni 2003 in Gestalt des Bescheids vom 19. Juli 2004 und der Einspruchsentscheidung vom 18. März 2004 aufzuheben.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung und den Bescheid vom 19. Juli 2004, mit dem die Festsetzung der Haftungsforderung für Umsatzsteuer September und Oktober 2002 zurückgenommen worden ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

II. Die Klage ist unbegründet, das FA hat die Klägerin zu Recht als Haftungsschuldnerin für die rückständige Umsatzsteuer der GmbH in Haftung genommen.

1. Gemäß § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung 1977 (AO) kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Bei der Übereignung eines Unternehmens im Ganzen haftet der Erwerber gemäß § 75 AO für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmers gründet, vorausgesetzt, dass die Steuern seit Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entstanden sind und bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebes durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet werden. Die Haftung beschränkt sich auf den Bestand des übernommenen Vermögens (§ 75 Abs. 1 S. 2 AO). Die Übereignung eines Unternehmens im Sinne dieser Regelung besteht in dem Übergang des gesamten lebenden Unternehmens, d.h. der durch das Unternehmen repräsentierten organischen Zusammenfassung von sächlichen Einrichtungen, persönlichen Mitteln und dauernden Maßnahmen, die dem Unternehmen dienen oder seine wesentlichen Grundlagen ausmachen, so dass der Erwerber das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen in der bisherigen Form fortführen kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH vom 7. November 2002 VII R 11/01, BStBl II 2003, 226). Maßgebender Zeitpunkt ist dabei der Zeitpunkt der Übertragung des Betriebs.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

a) Mit Vertrag vom 22. Oktober 2002 übernahm das Unternehmen der Klägerin von der GmbH den Kundenstamm, Warenbestand und die laufenden Verträge einschließlich der bestehenden Arbeitsverhältnisse. Außerdem wurde vereinbart, dass das Unternehmen der Klägerin den Betrieb der GmbH zum 1. November 2002 fortführen werde.

Die wesentlichen Grundlagen des Unternehmens der GmbH gingen somit auf die Klägerin über, sie konnte den Betrieb ohne nennenswerte Aufwendungen in der bisherigen Form fortführen.

b) Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Bezeichnung des Vertrags vom 22. Oktober 2002 als "Betriebsübernahmevertrag und Unternehmensteil-Kaufvertrag" nur zur Vermeidung von Missverständnissen bezüglich der Arbeitnehmerübernahme gemäß § 613 a BGB gewählt worden sei. Auf die formale Bezeichnung des Vertrages kommt es insoweit nicht an.

Darüber hinaus ist im Rahmen der steuerrechtlichen Haftung nicht entscheidend, ob arbeitsrechtlich die Kündigung von Arbeitsverhältnissen durch die Veräußerin gemäß § 613a Abs. 4 BGB wegen des Betriebsübergangs möglicherweise unwirksam war (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 1991 VII 57/89, BFH/NV 1992, 712).

c) Die Tatsache, dass die Klägerin als Betriebsübernehmerin bereits Eigentümerin der an die GmbH verpachteten Betriebsgrundlagen war und deshalb eine Übernahme der Pachtverträge entbehrlich war, ändert ebenfalls nichts an der Erfüllung des Tatbestandsmerkmals "Betriebsübergang"; denn die Klägerin hatte es damit ohnehin selbst in der Hand, den Betrieb gemäß der in der Vorbemerkung zu dem Vertrag geäußerten Absicht mit den vormals verpachteten Betriebsgrundlagen fortzuführen. Unter diesen besonderen Umständen bedurfte es keiner aktiven Mitwirkung der veräußernden GmbH für eine Weiterführung des Pachtvertrags, den die Klägerin zum 31. Oktober 2002 gekündigt hatte. Für die hier maßgebliche Übereignung im wirtschaftlichen Sinne genügt vielmehr, dass die GmbH als Veräußerin mit dem Übergang der Nutzungsmöglichkeit der verpachteten Betriebsgrundlagen auf die Klägerin einverstanden gewesen ist. Insoweit bestehen keine Zweifel, da die Klägerin zugleich auch Geschäftsführerin der GmbH war und daran interessiert war, den Betrieb fortzuführen (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 1991 VII 57/89, BFH/NV 1992, 712).

d) Der Umstand, dass über das Vermögen der GmbH nach Abschluss des Vertrages und der Übernahme des wesentlichen verwertbaren Betriebsvermögens das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, ändert ebenfalls nichts daran, dass die Klägerin ein mit dem übernommenen Betriebsvermögen lebensfähiges und damit übereignungsfähiges Unternehmen erworben hat. Denn maßgebender Zeitpunkt ist in diesem Zusammenhang der Zeitpunkt der Übertragung des Betriebs.

2. Die Haftungsinanspruchnahme ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die zwischen der Klägerin und dem Insolvenzverwalter getroffene vergleichsweise Einigung vom 18. August 2003, wonach die Klägerin für die Übernahme des Betriebsvermögens nur 15.0000 EUR anstatt der im Vertrag vereinbarten 40.000 EUR an die Insolvenzmasse entrichten muss, lässt keinen Schluss darauf zu, dass der haftungsbeschränkende Wert des übernommenen Vermögens i.S.d. § 75 Abs. 1 S. 2 AO unter dem im Vertrag vereinbarten Kaufpreis bzw. unter der Haftungssumme anzusetzen ist. Denn letztlich erfolgte dieses Übereinkommen aus "übergeordneten wirtschaftlichen und pragmatischen Gründen", insbesondere zur Vermeidung von Prozessrisiken zu Lasten der Insolvenzmasse und der Insolvenzgläubigergemeinschaft.

Darüber hinaus hat das FA der zwischenzeitlich durch den Insolvenzverwalter abgegebenen Steuererklärung Rechnung getragen und die Inhaftungnahme für den Monat September teilweise und für den Monat Oktober 2002 vollständig aufgehoben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung.

Ende der Entscheidung

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