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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 13.09.2007
Aktenzeichen: 14 K 3679/05
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1
UStG § 3a Abs. 3 S. 1
UStG § 3a Abs. 4 Nr. 7
UStG § 13b Abs. 4 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

14 K 3679/05

Umsatzsteuer 2002

In der Streitsache

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht des Richters am Finanzgericht und der Richterin am Finanzgericht sowie der ehrenamtlichen Richter und

auf Grund mündlicher Verhandlung vom 13. September 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Umsatzsteuerbescheid für 2002 vom 3. Januar 2005 und die Einspruchsentscheidung werden aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob der Kläger Umsätze aus der Gestellung von Personal an inländische Unternehmen in Deutschland zu versteuern hat.

Nach den Ermittlungen des Hauptzollamts Finanzkontrolle Schwarzarbeit (nachfolgend: HZA), hatte der Kläger von Ende Dezember 2001 bis Ende Dezember 2003 zunächst in S./Österreich vom 14. Dezember 2001 bis 29. April 2002 und vom 30. April 2002 bis 7. Mai 2003 in St. F / Österreich ein Gewerbe mit der Bezeichnung "Überstellungs-, Administrations- und Fahrdienst" angemeldet. Zu diesem Zweck hielt er sich nach seinen eigenen Angaben drei bis viermal wöchentlich in Österreich auf. Die vom Kläger im Rahmen seines Betriebs beschäftigten Arbeitnehmer wurden an Speditionen im Raum Niederbayern für Fahrtätigkeiten in ganz Deutschland überlassen.

Der Kläger behielt seinen privaten Wohnsitz in Offenberg zunächst bei und meldete sich erst am 1. Juli 2002 nach Österreich um. Nach den Feststellungen des HZA hielt er sich auch nach seiner Abmeldung noch häufig in Deutschland auf und zwar bei seiner Lebensgefährtin in Offenberg.

Das Finanzamt S überprüfte im Rahmen einer Nachschau anlässlich der Neuaufnahme seines Betriebs in Österreich am 21. März 2002 die betrieblichen Verhältnisse vor Ort und erteilte dem Kläger eine Umsatzsteuer Id-Nummer.

Der Kläger rechnete seine Leistungen netto gegenüber den deutschen Speditionsbetrieben mit dem Zusatz "Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG beim Leistungsempfänger" ab.

Das Finanzamt (FA) kam aufgrund der vorliegenden Umstände zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht als ausländischer Unternehmer im Sinne von § 13b des Umsatzsteuergesetzes in der hier maßgebenden Fassung (UStG) angesehen werden könne und erließ daher am 3. Januar 2005 einen Umsatzsteuerbescheid für 2002. Es setzte die Umsatzsteuer auf 35.113 EUR fest und ging hierbei davon aus, dass die Umsätze des Klägers in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig seien. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos (vgl. Einspruchsentscheidung vom 7. September 2005). Der Kläger begründet seine Klage im Wesentlichen wie folgt: Er habe zu keiner Zeit Umsatzsteuer hinterzogen, da er keine Umsatzsteuer an die Kunden verrechnet habe. Auch sei den deutschen Finanzbehörden keine Steuer entgangen, da sämtliche Kunden in Deutschland vorsteuerabzugsberechtigt gewesen seien und es sich deswegen lediglich um einen Durchlaufposten gehandelt habe. Die Steuerschuld sei außerdem gem. § 13b UStG beim Leistungsempfänger entstanden.

Der Kläger beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid vom 3. Januar 2005 und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es verweist in seiner Erwiderung im Wesentlichen auf die Begründung der Einspruchsentscheidung.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des ... als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13. September 2007 hingewiesen.

II.

Die Klage ist begründet. Das Finanzamt hat den Kläger zu Unrecht wegen der Überlassung von Personal an bayerische Speditionen als Steuerschuldner in Anspruch genommen, da der Kläger seinen Firmensitz im Jahr 2002 in Österreich hatte.

1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen Umsätze, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer. Für die vom Kläger erbrachte sonstige Leistung, nämlich das Überlassen von Personal, bestimmt sich der Ort der sonstigen Leistung nach § 3a Abs. 4 Nr. 7 UStG. Nach § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG wird eine sonstige Leistung an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Abweichend hiervon bestimmt § 3a Abs. 3 Satz 1 UStG für einzelne in § 3a Abs. 4 UStG aufgezählte sonstige Leistungen an einen Unternehmer den Leistungsort danach, wo der Empfänger sein Unternehmen betreibt. Zu diesen Leistungen gehört die Überlassung von Personal nach § 3a Abs. 4 Nr. 7 UStG.

Da es sich bei den Empfängern der vom Kläger erbrachten sonstigen Leistungen unstreitig um inländische Unternehmen, nämlich Speditionen in Niederbayern gehandelt hat, befindet sich der Leistungsort unstreitig im Inland.

2. Gemäß § 13 a Abs. 1 Nr. 1 UStG ist Steuerschuldner in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG der Unternehmer. Gemäß § 13 b Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 13 b Abs. 1 Nr. 1 UStG schuldet bei sonstigen Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Ein im Ausland ansässiger Unternehmer ist nach deutschem Recht ein Unternehmer, der weder im Inland noch auf der Insel Helgoland oder in einem der in § 1 Abs. 3 bezeichneten Gebiete einen Wohnsitz, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung oder eine Zweigniederlassung hat (vgl. § 13 b Abs. 4 Satz 1 UStG).

Art. 21 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) jetzt Art. 194 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) ist durch § 13 b Abs. 1-4 UStG in nationales Recht umgesetzt und insoweit gemeinschaftskonform auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 10. Februar 2005 V R 56/03, HFR 2005, 1208), erlaubt allerdings nur dann den Kläger als Steuerschuldner heranzuziehen, wenn er nicht im Ausland ansässig war, d.h. seinen Firmensitz im Ausland hatte. Besteht ein Firmensitz im Ausland, so hat demnach auch der Wohnsitz eines Steuerpflichtigen keine Bedeutung für den Übergang der Steuerschuldnerschaft nach Art. 21 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. nunmehr Art. 193 MwStSystRL.

Diese Auslegung entspricht der 8. EG-Richtlinie 79/1072/EWG vom 6. Dezember 1979 (Amtsblatt EG Nr. 1 331 v. 27. Dezember 1979, 11), wonach der nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige als derjenige bezeichnet wird, der in diesem Land weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung hat und darüber hinaus festschreibt, dass nur in Ermangelung eines solchen Sitzes auf den Wohnsitz des Steuerpflichtigen zurückzugreifen ist.

Der Begriff der "Ansässigkeit" ist mithin am Gemeinschaftsrecht auszurichten (vgl. BFH- Urteile vom 22. Mai 2003 V R 97/01, BFHE 203, 193, BStBI II 2003, 819; vom 10. Februar 2005 V R 56/03, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2005, 1208). Der zur Ansässigkeit bedeutsamen Voraussetzung der "festen Niederlassung" ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- (vgl. EuGH-Urteil vom 17. Juli 1997 Rs. C-190/95 --ARO Lease BV--, Slg. 1997, I-4383 Rdnr. 16, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1998, 185) ist zu entnehmen, dass diese einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur besitzen muss, die eine Erbringung von Umsätzen ermöglicht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 203, 193, BStBI II 2003, 819, unter II. 2.).

Maßgebend ist dabei der Zeitpunkt, in dem die Leistung ausgeführt wird, § 13 b Abs. 4 Satz 2 UStG. Ist es zweifelhaft, ob der Unternehmer diese Voraussetzungen erfüllt, schuldet der Leistungsempfänger die Steuer nur dann nicht, wenn ihm der Unternehmer durch eine Bescheinigung des nach den abgabenrechtlichen Vorschriften für die Besteuerung seiner Umsätze zuständigen Finanzamts nachweist, dass er kein Unternehmer im Sinne des Satzes 1 ist, § 13 b Abs. 4 Satz 3 UStG.

3. Hiervon ausgehend hat der Kläger seinen Firmensitz im Streitjahr in Österreich gehabt, an dem er sich drei- bis viermal wöchentlich aufgehalten hat, da die von ihm angemieteten Räumlichkeiten einen hinreichenden Grad an Beständigkeit und eine Struktur besessen haben, die die Erbringung von Personalüberlassungsumsätzen ermöglichten. Dabei geht der Senat davon aus, dass bei einem Betrieb, der lediglich Personal an andere Unternehmer überlässt, keine aufwendige personelle und technische Ausstattung notwendig ist. Von besonderer Bedeutung ist nach der Auffassung des Senats vorliegend der Umstand, dass die österreichische Finanzverwaltung in ihrer speziell für die Unternehmensgründung vorgesehene Nachschau, und zwar zeitnah vor Ort in S, in Kenntnis aller wichtigen Umstände keine Zweifel am Vorhandensein eines Firmensitzes des Klägers in Österreich hatte, was dadurch zum Ausdruck kam, dass der Kläger ohne weitere Nachfragen eine USt-ld-Nummer von der österreichischen Finanzverwaltung zugeteilt bekam.

Auch die vom Senat vernommenen Zeugen haben den Vortrag des Klägers, er habe seine Geschäfte überwiegend von seinem Firmensitz in Österreich aus getätigt, bestätigt. Nach den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen A, B und C hat der Kläger seine in Österreich angemieteten Büroräume auch tatsächlich zu Vertragsverhandlungen bzw. Gesprächen mit seinen damals bei ihm angestellten LKW-Fahrern genutzt.

Der Zeuge hat sich insbesondere noch daran erinnern können, dass das Büro in St. F mit Aktenordnern, Regalen und einem Schreibtisch ausgerüstet gewesen sei. Er hat weiter ausgeführt, dass er, wie im Arbeitsvertrag vorgesehen, über eine österreichische Krankenkasse versichert war, was zeigt, dass die Beteiligten auch insoweit von einem Sitz der Firma in Österreich ausgegangen sind.

Entsprechend seiner Gewerbeanmeldung hat sich der Kläger in Österreich auch von einem Steuerberater, den vom Senat vernommenen Zeugen beraten und steuerlich vertreten lassen. Der Zeuge konnte bestätigen, dass er vom Kläger die Unterlagen wie die Eingangsrechnungen, Ausgangsrechnungen und Bankbelege erhalten und diese verbucht habe. Außerdem hat er nach seinen Angaben die Nettolohnabrechnungen, die Zahlungsbelege für die Gebietskrankenkassen und die Steuererklärungen für das Jahr 2002 erstellt.

Auch die Zeugen A und B haben ausgesagt, dass sie sich jeweils auf Zeitungsannoncen im Büro des Klägers in Österreich vorgestellt haben, was belegt, dass der Kläger nicht nur einen Scheinsitz in Österreich hatte, sondern tatsächlich von dort aus seine unternehmerischen Aufgaben wahrgenommen hat. Zweifel an der Glaubwürdigkeit der LKW-Fahrer bestehen nach der Auffassung des Senats insoweit nicht. Dass sie sich auf Nachfrage an einige Einzelheiten bei den Örtlichkeiten in Österreich nicht mehr zu erinnern vermochten, ist in Anbetracht des Umstandes, dass die Gespräche bereits mehr als 5 Jahre zurück liegen, nicht ungewöhnlich.

Der vom Finanzamt benannte Zeuge der als ermittelnder Zollbeamter in der Sache tätig war, konnte zur Frage, ob der Kläger im Jahr 2002 seinen Firmensitz in Österreich hatte, nichts Wesentliches beitragen, da er erst zu einem viel späteren Zeitpunkt, nämlich im Jahr 2004, mit seinen Ermittlungen begonnen hat und seine Erkenntnisse lediglich auf Befragungen verschiedener Personen und nicht auf eigenen Wahrnehmungen beruhen.

Schließlich hat die Aussage der Zeugin zur damaligen Zeit die Lebensgefährtin des Klägers, die vom HZA vernommen worden ist, auch keinen weiteren Aufschluss zum Firmensitz erbracht. Die Zeugin war nämlich bis Juli 2003 bei einem Drogeriemarkt Verkäuferin gewesen, so dass sich ihre detaillierten Auskünfte zum Geschehen bei der Firma erst auf das hier nicht streitgegenständliche Jahr 2003 bezogen haben.

Nach alledem ist der Kläger zu Unrecht vom Finanzamt als Steuerschuldner in Anspruch genommen worden, selbst wenn er gelegentlich Personalgespräche in seiner Wohnung bzw. der seiner Lebensgefährtin geführt und ein Handy mit einer deutschen Rufnummer besessen hat. Soweit dies überhaupt zutrifft, ändert es nichts daran, dass der Kläger sein Gewerbe von Österreich aus betrieben hat, denn dass der Kläger auch in Deutschland einzelne Angelegenheiten klärt bzw. Personalgespräche führt und sich einer deutschen Handynummer bedient, ist in Anbetracht der anderen Umstände nur von untergeordneter Bedeutung und führt nicht zur Annahme eines Firmensitzes in Deutschland.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.



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