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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 29.05.2008
Aktenzeichen: 14 K 4598/06
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 35
InsO § 36
InsO § 55 Nr. 1
ZPO § 811 Nr. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

14 K 4598/06

Umsatzsteuer 2003

In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht Weymüller,

der Richterin am Finanzgericht Dr. Ehrt und

der Richterin am Finanzgericht Möller sowie

der ehrenamtlichen Richter Windisch und Wolf

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. Mai 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Unter Aufhebung des Umsatzsteuerbescheids vom 15. April 2004 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 23. Juni 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 31. Oktober 2006 wird die Umsatzsteuer 2003 auf einen Negativbetrag von 2.798,89 EUR festgesetzt.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grund einer neuen gewerblichen Tätigkeit des Schuldners entstandene Umsatzsteuerschuld eine Masseverbindlichkeit darstellt

Der Kläger ist als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen von Gxxx Rxxx (nachfolgend Schuldner) tätig.

Der Schuldner hatte am 1. Oktober 1994 ein Gewerbe als Buch- und Offsetdruckerei, den Einzelhandel mit Schreibwaren, Bürobedarf und Drucksachen aller Art in Mxxx angemeldet. Am 21. November 2002 veräußerte er das gesamte Anlage- und Umlaufvermögen an die Firma xxx xxx Pxxx- und Bxxx GmbH in Dresden (später Mxxx Dxxx GmbH & Co. KG). Nachdem er am 30. November 2002 seinen Geschäftsbetrieb eingestellt hatte, beantragte er am 2. Dezember 2002 beim zuständigen Amtsgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Am 17. Februar 2003 meldete er mit Rückwirkung zum 30. November 2002 sein Gewerbe ab. Tags darauf meldete er ein neues Gewerbe als Buch- und Offsetdruckerei, den Einzelhandel mit Schreibwaren, Bürobedarf und Drucksachen aller Art an, beschäftigte mehrere Angestellte und führte für einen Auftraggeber, die Firma Mxxx Dxxx GmbH, Druckaufträge aus (vgl. Bl. 35 ff Rechtsbehelfsakten FA).

Nachdem am 11. März 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, wurde der am 18. Februar 2003 eröffnete Betrieb mit Zustimmung der Gläubigerversammlung am 21. Mai 2003 mit Erklärung des Klägers gegenüber dem Schuldner für die unmittelbar benötigten Betriebsmittel für die selbständige Erwerbstätigkeit freigegeben. Mit Wirkung vom 23. Juli 2003 bestätigte der Schuldner, dass er monatlich 130 EUR an den Kläger abführen werde. Am 24. Juni 2004 meldete der Schuldner sein (neues) Gewerbe mit Rückwirkung zum 16. Februar 2004 ab.

Mit Schreiben vom 7. August 2003 teilte der Kläger dem Finanzamt (FA) mit, dass der Schuldner das neue Unternehmen mit seiner Einwilligung gegründet habe. Der Schuldner habe sich verpflichtet, die der Tätigkeit eines Angestellten entsprechenden Beträge an die Insolvenzmasse abzuführen. Daraufhin habe der Kläger die Freigabe des schuldnerischen Geschäftsbetriebs aus dem Beschlag der Masse erklärt, eine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über den schuldnerischen Geschäftsbetrieb stünde ihm daher nicht mehr zu.

Für die ab 18. Februar 2003 getätigten Umsätze setzte das FA die Umsatzsteuer für das Streitjahr mit Bescheid vom 15. April 2004 in Höhe von 31.277,71 EUR fest. Nach Abgabe einer berichtigten Umsatzsteuererklärung am 6. Juni 2005 übernahm das FA die erklärten Umsätze, rechnete jedoch die steuerpflichtigen Umsätze und Vorsteuern aus dem Betrieb des Schuldners hinzu und setzte die Umsatzsteuer mit Bescheid vom 23. Juni 2005 auf 30.036,27 EUR herab. Es vertrat die Auffassung, dass die rückständigen Umsatzsteuern für den Zeitraum Februar bis Oktober 2003 aus der Masse zu bedienen seien, da das gesamte Vermögen des Schuldners zur Insolvenzmasse gehöre.

Das gegen die Bescheide vom 15. April 2004 und vom 23. Juni 2005 gerichtete Einspruchsverfahren hatte keinen Erfolg. Mit Entscheidung vom 31. Oktober 2006 setzte das FA unter Änderung des Bescheides vom 23. Juni 2005 die Umsatzsteuer 2003 auf 37.484,91 EUR fest und wies den Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid vom 15. April 2004 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 23. Juni 2005 als unbegründet zurück.

Mit der hiergegen eingelegten Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass das FA die Umsätze aus der Insolvenzmasse sowie aus dem neu gegründeten Unternehmen des Schuldners zu Unrecht zusammenfasse, Die aus dem neuen Unternehmen resultierenden Steuern müssten vom Schuldner selbst getragen werden.

Darüber hinaus liege keine Fortführung des ursprünglichen Betriebs des Schuldners vor. Bei der neu aufgenommenen gewerblichen Tätigkeit des Schuldners handle es sich um eine Neugründung, da der Schuldner bereits am 21. November 2002 sein gesamtes Anlage- und Umlaufvermögen an die Firma Mxxx Dxxx GmbH & Co KG veräußert und keine Mitarbeiter mehr gehabt hätte. Als selbständiger Lohndrucker hätte er in seinem neuen Betrieb keine Vermögensgegenstände eingesetzt, die zur Insolvenzmasse gehörten. Der Schuldner sei auch niemals Gesellschafter der Firma xxx xxx Pxxx- und Bxxx GmbH gewesen. Das Anlage- und Umlaufvermögen sei daher zu keinem Zeitpunkt Bestandteil der Insolvenzmasse gewesen.

Entgegen der Ansicht des FA sei die angeblich angefallene Umsatzsteuer für den Zeitraum 18. Februar bis 10. März 2003 der insolvenzfreien Tätigkeit des Schuldners zuzuordnen, aus der keine Steuerverbindlichkeiten zu Lasten der Masse begründet werden könnten. Nach den Vorschriften der Insolvenzordnung stehe dem Neugläubiger kein Zugriff auf die Masse zu.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Umsatzsteuerbescheids vom 15. April 2004 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 23. Juni 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 31. Oktober 2006 die Umsatzsteuer 2003 auf einen Negativbetrag von 2.798,89 EUR festzusetzen.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass der Schuldner bereits am 18. Februar 2003, also vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 11. März 2003, seinen neuen Betrieb angemeldet habe, der gemäß § 35 Insolvenzordnung (InsO) im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zur Masse gehöre. Die am 13. Mai 2003 erfolgte Freigabe des Betriebs durch den Kläger ändere daran nichts, da ein Insolvenzverwalter nur einzelne unter § 811 Abs. 1 Nr. 5 Zivilprozessordnung (ZPO) fallende Gegenstände, nicht jedoch einen gesamten Betrieb freigeben könne. Da der Schuldner im Zeitraum vom 17. Februar 2003 bis 31. Dezember 2003 mehrere Angestellte beschäftigt hätte und damit der Einsatz von Fremdarbeit gegenüber dem Arbeitseinsatz des Schuldners im Vordergrund stehe, greife auch die Schutzvorschrift des § 36 Abs. 1 S. 1 InsO in Verbindung mit § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht ein. Die Umsatzsteuerschulden resultierten aus einer insolvenzverstrickten Tätigkeit. Als Masseverbindlichkeiten seien sie somit vom Kläger zu erfüllen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

II.

Die Klage ist begründet. Das FA hat die aus dem neuen Unternehmen des Schuldners resultierende Umsatzsteuer zu Unrecht als Masseverbindlichkeit gegenüber dem Kläger festgesetzt.

Gemäß § 55 Nr. 1 InsO sind Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden.

Der Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Urteil vom 7. April 2005 entschieden, unter welchen Voraussetzungen die Umsatzsteuer aus einer neuen Erwerbstätigkeit des Schuldners während eines laufenden Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit anzusehen ist (BFH-Urteil vom 7. April 2005 V R 5/04, BStBl II 2005, 848 unter Hinweis auf die BFH-Urteile vom 24. Juni 1992 V R 130/89, BFH/NV 1993, 201; vom 7. November 1995 VII R 26/95, BFH/NV 1996, 379, unter 5" und vom 16. August 2001 VR 59/99, BFHE 196, 341, BStBl II 2003, 208 , unter 3. c). Danach ist im Wesentlichen darauf abzustellen, ob der Schuldner die Umsätze mit Hilfe von Gegenständen ausführt, die zur Insolvenzmasse gehören. Als Verwertung der Masse wird auch die ertragbringende Nutzung der zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände angesehen (so bereits zur Konkursmasse BFH-Urteil vom 15. März 1995 I R 82/93, BFHE 177, 257). Bei der Verwendung von nicht massezugehörigen Gegenständen ist der Umsatz jedoch der insolvenzfreien Tätigkeit des Schuldners zuzuordnen, aus der keine Steuerverbindlichkeiten zu Lasten der Masse begründet werden können. Entscheidend ist daher, ob der Schuldner in seinem neuen Betrieb Gegenstände einsetzt, die zur Insolvenzmasse gehören.

Gemäß § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren grundsätzlich das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Ebenso verhält es sich, wenn der Insolvenzverwalter von der Möglichkeit zur Freigabe von Gegenständen aus der Insolvenzmasse keinen Gebrauch macht und die Fortführung oder Neugründung eines Unternehmens des Schuldners duldet, insoweit werden die durch den Neuerwerb begründeten Verbindlichkeiten aufgrund einer Verwaltungshandlung zu Insolvenzverbindlichkeiten. Nicht zur Insolvenzmasse gehören dagegen nach § 36 InsO unpfändbare (vgl. § 811 Zivilprozessordnung -ZPO-) und wirksam freigegebene Gegenstände (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs -BGH- vom 20. März 2003 IX ZB 388/02, NZI 2003, 389, 392 und BGH-Urteil vom 1. Februar 2007 IX ZR 178/05, DB 2007, 1189-1190).

Bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, unterliegen die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände nicht der Zwangsvollstreckung (§ 811 Nr. 5 ZPO), sie fallen deshalb auch nicht in die Insolvenzmasse. Die Umsatzsteuer aus der Erwerbstätigkeit von Personen, die durch ihre Arbeit und mit Hilfe von nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen steuerpflichtige Leistungen erbringen, zählt deshalb nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu den Masseschulden.

Da die Regelung des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO den Erwerb durch persönliche Arbeit schützt, ist sie nur anwendbar, wenn die persönliche Leistung des Schuldners die Ausnutzung von Sach- und Kapitalmittel überwiegt. Der Anwendung dieser Vorschrift steht der Einsatz fremder Arbeitskraft grundsätzlich nicht entgegen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 64. Aufl., München 2006, § 811 Rn. 35). Voraussetzung ist dabei jedoch stets, dass sich der Arbeitseinsatz des Schuldners selbst als vorrangig und entscheidend für den Neuerwerb darstellt. Auch bei der Mitarbeit von Gehilfen muss die eigene Arbeit des Schuldners ausschlaggebend bleiben. Seine persönliche Tätigkeit muss sich im Gegensatz zur Leistung anderer wie zur Ausnutzung sachlicher Betriebsmittel als das wirtschaftlich Wesentliche darstellen (vgl. Münzberg in Stein/Jonas, Zivilprozessordnung, 22. Auflage 2002, § 811 Rdn. 43 f).

Im Streitfall hat der Schuldner bereits am 18. Februar 2003, also vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 11. März 2003, seinen neuen Betrieb angemeldet. Im Rahmen dieser Tätigkeit betrieb er eine Buch- und Offsetdruckerei sowie den Einzelhandel mit Schreibwaren, Bürobedarf und Drucksachen aller Art. Dabei bediente er sich der zuvor an die Firma Mxxx Dxxx GmbH übertragenen Maschinen sowie mindestens sechs Arbeitnehmer und führte ausschließlich gegenüber dieser Firma Druckaufträge aus.

Es kann dahin gestellt bleiben, ob seine persönliche Arbeitsleistung oder der Einsatz fremder Arbeitskraft, derer sich der Schuldner in nicht unerheblichem Umfang bedient hat, im Vordergrund seines neuen Betriebs standen. Denn die bei der Ausübung seiner aufgenommenen Tätigkeit entstandene Umsatzsteuer zählt deswegen nicht zu den Masseverbindlichkeiten, weil der Kläger den neu aufgenommenen Betrieb des Schuldners wirksam aus der Masse freigegeben hat.

Der Insolvenzverwalter ist im Rahmen seiner Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Verwaltung der Masse grundsätzlich berechtigt, Vermögensgegenstände aus der Masse freizugeben (§§ 35, 80 InsO, vgl. auch BGH-Urteil vom 21. April 2005 IX ZR 281/03, WM 2005, 1084 - 1086). Die Freigabe eines vollständigen Betriebes ist zwar erst durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13. April 2002 (BGBl. I 2007, 509) ausdrücklich in die Vorschrift des § 35 Abs. 2 InsO aufgenommen worden. Der Insolvenzverwalter hat nunmehr die Wahl, ob er die Erträge aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners zur Masse zieht und die damit im Zusammenhang stehenden Verpflichtungen tragen muss oder sowohl Erträge als auch Verbindlichkeiten aus dem Insolvenzverfahren herausnimmt und damit in den Verantwortungsbereich des Schuldners zurückfallen lässt. Der Gesetzgeber hat insoweit auch bewusst in Kauf genommen, dass Insolvenzgläubiger gegenüber Neugläubigern bevorzugt werden, die nicht die Möglichkeit haben, ihre Forderungen zwangsweise durchzusetzen.

Aus den Materialen zur Gesetzesänderung ergibt sich, dass dem neu eingefügten Absatz 2 lediglich eine klarstellende Funktion zukommt (Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht - NZI-2004, 549, 562). Dem Insolvenzverwalter wurde bereits vor der Neuregelung zum Schutz der Gläubiger zugestanden, das Vermögen, das der gewerblichen Tätigkeit des Schuldners gewidmet ist, sowie die dazu gehörigen Vertragsverhältnisse freizugeben. Denn häufig versuchen Schuldner, die vor der Eröffnung des Verfahrens eine selbständige Tätigkeit ausgeübt haben, diese nach Eröffnung des Verfahrens mit oder ohne Kenntnis oder Duldung des Insolvenzverwalters fortzusetzen oder eine neue Tätigkeit zu beginnen. Die Untersagung dieser Tätigkeit gehört jedoch nicht zu den Befugnissen und Pflichten, die dem Insolvenzverwalter aufgrund seiner gesetzliche eingeräumten Aufgaben zustehen (vgl. Smid, Freigabeerklärungen des Insolvenzverwalters/Treuhänder bei selbständiger Tätigkeit des Insolvenzschuldners, WM 2005, 625, 627).

Die Einkünfte, die ein selbständig tätiger Schuldner nach der Insolvenzeröffnung erzielt, gehören gemäß § 35 Abs. 1 InsO als Neuerwerb zwar in vollem Umfang ohne Abzug beruflich bedingter Ausgaben zur Insolvenzmasse, andererseits besteht jedoch die Gefahr, dass die Masse mit den damit zusammenhängenden Verbindlichkeiten belastet wird. Falls der Insolvenzverwalter von der Freigabe keinen Gebrauch macht und die Fortführung der gewerblichen Tätigkeit durch den Insolvenzschuldner duldet, werden die durch den Neuerwerb begründeten Verbindlichkeiten zu Masseverbindlichkeiten, da insoweit eine Verwaltungshandlung gemäß § 55 Nr. 1 InsO vorliegt. Dabei setzt sich der Insolvenzverwalter unmittelbar dem Haftungsrisiko des § 60 InsO aus, da der Erhalt der Masse vor dem Zugriff der Neugläubiger und die berechtigten Interessen der "Altgläubiger" gefährdet sind. Das berechtigte Interesse der Gläubiger, aus der Masse eine Befriedigung ihrer Ansprüche zu erhalten und deshalb möglichst die Entstehung von Verbindlichkeiten zu vermeiden, die das zur Verteilung zur Verfügung stehende Vermögen schmälern, hat jedoch nach Rechtsprechung des BGH im Rahmen der insolvenzrechtlichen Abwicklung unbedingten Vorrang (BGH-Urteil vom 21. April 2005 IX ZR 281/03, a.a.O.). Daher muss der Insolvenzverwalter den Neuerwerb aus der Masse an den Insolvenzschuldner freigeben können, wenn die Fortführung der selbständigen Tätigkeit für die Masse nachteilig ist (vgl. auch NZI 2004, 549, 562).

Im hierzu entscheidenden Fall hat der Schuldner ohne Kenntnis des Klägers eine neue Tätigkeit begonnen bzw. wiederaufgenommen. Somit bestand die begründete Gefahr, dass die aus dieser Tätigkeit begründeten Verbindlichkeiten die Insolvenzmasse verpflichten und belasten. Es bestand daher zum Schutz der Gläubiger - zu denen auch das FA gehört - keine andere Möglichkeit, als den am 16. Februar 2003 eröffneten Betrieb mit Zustimmung der Gläubigerversammlung am 21. Mai 2003 freizugeben. Da der Schuldner über keinerlei Vermögensgegenstände, sondern nur über sein Fachwissen als Drucker verfügte, konnte sich die Freigabeerklärung des Klägers auch nicht auf "Betriebsmittel", die der Masse entzogen worden wären, oder einen gesamten Betrieb beziehen. Entgegen der Auffassung des FA (vgl. auch Verfügung des Bayerischen Landesamts für Steuern vom 12. Dezember 2005 Aktenzeichen S 0550 - 25 St 41M St 44 M, Bl. 56 ff der FG Akte) wurde die Freigabeerklärung des Klägers somit im gesetzlichen Rahmen der im Streitjahr gültigen Fassung der InsO abgegeben. Durch die Freigabe wurde die neue Tätigkeit des Schuldners aus der Insolvenzmasse gelöst und fiel in sein insolvenzfreies Vermögen. Die dabei entstandenen Steuerschulden gehören daher auch nicht als Masseverbindlichkeit zur Insolvenzmasse.

Aufgrund der im Streitfall gegebenen Sachverhaltskonstellation erscheint es darüber hinaus zweifelhaft, ob der Schuldner tatsächlich eine unternehmerische Tätigkeit selbständig i.S.d. § 2 des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung (UStG) ausgeübt und damit steuerpflichtige Umsätze i.S.d. § 1 Abs. 1 UStG erzielt hat. Denn er hat weder über eigene Betriebsmittel verfügt, noch Aufwendungen für die ihm zur Verfügung gestellten Betriebsmittel getragen. Vielmehr kommt in Betracht, dass der Schuldner als "Scheinselbständiger" in einem verdeckten Arbeitsverhältnis gegenüber der Firma Mxxx Dxxx GmbH tätig geworden ist.

Es ist dem FA zwar insofern zuzustimmen, dass es in der Praxis zu unbilligen Ergebnissen führt, wenn der Schuldner unter dem Vollstreckungsschutz des Insolvenzverfahrens neue Steuerschulden auflaufen lässt und damit der Sanierungsgedanke, der sich aus Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens ergibt, missachtet wird. Da ein Antrag auf Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahren nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) unzulässig ist (vgl. BGH-Beschluss vom 18.05.2004 IX ZB 189/03, NJW-RR 2004, 1349), haben Neugläubiger auch nicht die Möglichkeit, ihre Forderungen zwangsweise durchzusetzen. Der Gesetzgeber hat insoweit bewusst in Kauf genommen, dass Insolvenzgläubiger gegenüber Neugläubigern bevorzugt werden. Wenn wie im hierzu entscheidenden Fall für den Neugläubiger nicht die Aussicht besteht, als Haftungsmasse für ihre Forderungen auf die durch die freigegebene Tätigkeit erzielten Einkünfte zuzugreifen, sieht das Gesetz als Sanktion gegen den Schuldner, der gegen seine Obliegenheiten im Rahmen des Insolvenzverfahrens verstößt, immerhin die Versagung der Restschuldbefreiung auf Antrag eines Gläubigers nach § 296 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 InsO vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und den Vollstreckungsschutz folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.



Ende der Entscheidung

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